Seit einiger Zeit liegt ein Gesetzentwurf vor, mit dem noch in der ersten Jahreshälfte die Rente für besonders langjährig Versicherte („Rente mit 63“) eingeführt und die Anerkennung von Kindererziehungszeiten („Mütterrente“) ausgeweitet werden soll. Das hat zunächst gar nichts mit der bAV zu tun. Oder doch? Thomas Hagemann hinterfragt, bewertet und appelliert.
Sieht man in den Gesetzentwurf, dann findet man dort eine auf den ersten Blick unscheinbare Ergänzung im Betriebsrentengesetz, die da lautet:
In § 2 […] werden die Wörter „, in dem“ durch die Wörter „der Vollendung des 65. Lebensjahres, falls“ ersetzt.
Fast ist man geneigt, einfach weiterzulesen. Doch ein genauerer Blick lohnt.
Derzeit ist im Betriebsrentengesetz vorgesehen, dass Mitarbeiter, die eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte in Anspruch nehmen, unter bestimmten Voraussetzungen auch in der betrieblichen Altersversorgung bessergestellt werden müssen. Abgesehen davon, dass nicht einzusehen ist, warum Wohltaten der Bundesregierung in der gesetzlichen Rentenversicherung überhaupt zu höheren Kosten für Unternehmen mit betrieblicher Altersversorgung führen sollen, enthält die bisherige Regelung schon einige Unklarheiten. So gilt sie nur in dem Fall, dass ein Mitarbeiter vorzeitig aus dem Unternehmen ausscheidet. Der Mitarbeiter, der bis zur Rente im Unternehmen arbeitet, wird also gar nicht erst erfasst.
Eine Gelegenheit verstreicht
Nun möchte die Bundesregierung die Altersrente für besonders langjährig Versicherte auf das Alter 63 ausweiten. Und statt diese Gelegenheit zu nutzen, die unklare und bisher recht unbedeutende Regelung im Betriebsrentengesetz zu streichen, wird sie ausgedehnt – und die Liste der Unklarheiten deutlich verlängert.
Nimmt man den Gesetzentwurf wörtlich, wäre es in bestimmten Konstellationen beispielsweise möglich, dass ein Mitarbeiter seine Betriebsrente erhöht, indem er ein paar Tage vor Rentenbeginn aus dem Unternehmen ausscheidet, weil der Kürzungsfaktor für das vorzeitige Ausscheiden dann größer als 1 wird. Und Personen, die eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte erst im Alter 66 oder 67 in Anspruch nehmen, werden gegenüber dem derzeitigen Rechtsstand noch einmal bessergestellt, weil sie so behandelt werden, als wären sie schon im Alter 65 ausgeschieden – allerdings gilt diese Verbesserung nur in der bAV; in der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt für diese Personen alles beim Alten.
Wer schrieb was?
Erhellend ist der Blick in die Gesetzesbegründung:
„Die zeitlich befristete Sonderregelung, nach der für besonders langjährig Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung ein abschlagsfreier Rentenbezug ab dem Alter von 63 Jahren ermöglicht wird (Paragraph 236b SGB VI), soll nicht für Betriebsrenten gelten.“
Das kann man nur uneingeschränkt unterstützen. Leider hat diese Gesetzesbegründung inhaltlich nichts mit der geplanten Gesetzesänderung zu tun, in der Abschläge ja gar keine Rolle spielen. Ob Gesetzesänderung und Gesetzesbegründung von unterschiedlichen Personen geschrieben wurden?
Möge das Gesetz der Begründung folgen
Im weiteren Verlauf der Gesetzesbegründung heißt es:
„Die Stärken der betrieblichen Altersversorgung liegen in betriebsbezogenen und passgenauen Versorgungslösungen. Eine Übertragung der als Übergangsregelung angelegten Sonderregelung würde diese Flexibilität einschränken, zu einer weiteren Verkomplizierung der Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersversorgung beitragen und insbesondere für kleinere Betriebe zu einem unverhältnismäßigen Verwaltungs- und Kostenaufwand und damit zu geringerer Akzeptanz führen.“
Liebe Frau Nahles, genauso ist es. Behalten Sie die Gesetzesbegründung bei und passen Sie den Gesetzentwurf daran an. Streichen Sie die ohnehin unklare Regelung für besonders langjährig Versicherte aus dem Betriebsrentengesetz – sie hat dort nichts zu suchen. Und nutzen Sie damit die Gelegenheit, einen weiteren kleinen Schritt bei der Umsetzung des Koalitionsvertrages zu machen:
„Daher wollen wir die Voraussetzungen schaffen, damit Betriebsrenten auch in kleinen Unternehmen hohe Verbreitung finden. Hierzu werden wir prüfen, inwieweit mögliche Hemmnisse bei den kleinen und mittleren Unternehmen abgebaut werden können.“
Der Autor ist Chefaktuar der Mercer Deutschland GmbH.
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