… nach München und Karlsruhe: Zum Abschluss der Tagung holte ein Richter zum Rundumschlag aus – betreffend die jüngste Rechtsprechung deutscher Finanzgerichte zur bAV: Warum tatsächliche Steuerfreiheit genügen kann, inwiefern der Durchführungsweg strikt einzuhalten ist, wo sich der BFH gegen die BMF-Auffassung bei Zeitwertkonten stellt und dass selbst Bundesrichter sich missverstehen können. Gregor Hellkamp gibt den Parforceritt des Finanzrichters wieder.
Nach dem ersten, dem zweiten und dem dritten hier und heute der vierte und letzte Teil der Berichterstattung auf PENSIONS●INDUSTRIES zum diesjährigen aba-Forum Steuerrecht – der besseren Lesbarkeit halber wie stets im Indikativ der Referenten:
Intemann (FG Niedersachsen):
Mit Jens Intemann, Vorsitzender Richter des 10. Senats am FG Niedersachsen, betritt als letzter Referent des Tages ein der geneigten Leserschaft bereits aus dem aba-Steuerforum des letzten Jahres guter Bekannter das Podium. Er erläutert insgesamt neun finanzgerichtliche Entscheidungen, die nachfolgend kurz eingeordnet werden:
Vorzeitige Ablösung und vGA: Passend zum unmittelbar vorhergehenden Thema von Peter Doetsch beginnt der Referent seine Ausführungen mit der Entscheidung des FG Münster vom 26. Mai 2023 – 4 K 3618/18 (BetrAV 2023, 520), dass die vorzeitige Ablösung einer rückgedeckten Pensionszusage gegenüber einem beherrschenden GGF, die aufgrund einer wirtschaftlichen Krise der GmbH vereinbart wird, nicht zu einer vGA führt.
Es handelt sich demnach zwar um eine Art Spontanabfindung (Argument des Finanzamts), die aber ausnahmsweise wegen der Krise zulässig ist. Die Abfindung zahlte die GmbH im Übrigen aus der aufgelösten Rückdeckungsversicherung („es wurde abgefunden, was im Topf ist“).
Allerdings ist die Revision gegen die Entscheidung beim BFH anhängig (Az.: VIII R 17/23).
Erdienungszeitraum: Auch in dem Fall des FG Nürnberg vom 13. Dezember 2022 – 1 K 1349/21 (EFG 2024, 72) ging es um GGF-Versorgungszusagen, nämlich an zwei GGF-Eheleute und die Frage der Erdienbarkeit.
Das FG entschied, dass sich die Erdienbarkeit nach dem gemäß § 6a EStG vorgesehenen Pensionseintritt richtet und mangels gleichgerichteten Interesses die beiden GGF nicht als beherrschend zu betrachten sind, sodass der Erdienenszeitraum (nur) 3 Jahre beträgt (und nicht 10 Jahre).
Die Verbesserung der Zusage war daher noch erdienbar. Das FA hatte dagegen auf das frühestmögliche Rentenbezugsalter (60) abgestellt und die GGF als beherrschend angesehen. Offen blieb die Frage, ob der vertraglich vereinbarte Pensionseintritt beliebig spät sein kann.
BVerfG vs. BFH: In den folgenden Parallel-Entscheidungen des BVerfG vom 7. November 2023 – 2 BvR 1140/21 und 2 BvR 1143/21 geht es um die Thematik der Doppelbesteuerung der gesetzlichen Rente infolge der Umstellung der Rentenbesteuerung ab 1. Januar 2005 auf eine nachgelagerte Besteuerung durch das Alterseinkünftegesetz. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen.
Interessant ist – was Intemann hervorhebt – dass das BVerfG seine Entscheidung zur Doppelbesteuerung aus dem Jahr 2002, das zur Rechtsänderung durch das Alterseinkünftegesetz geführt hat, anders interpretiert als der BFH:
Das BVerfG geht davon aus, dass der Gesetzgeber nur dazu angehalten werden könne, eine strukturelle doppelte Besteuerung zu vermeiden. Das BVerfG zweifelt daran, dass seine ursprüngliche Entscheidung von 2002 dahingehend zu verstehen ist, dass eine einzelfallbezogene Prüfung der doppelten Besteuerung zu erfolgen habe.
Mit anderen Worten: Anders als es der BFH verstanden hat, kann eine Einzelfallprüfung gerade nicht verlangt werden.
Fünftelungsregelung: Intemann führt seine Erläuterungen zu einer Entscheidung des BFH vom 22. November 2023 – VI R 5/21 (juris) fort, bei der es um die Frage der Anwendung der Fünftelungsregelung im Falle einer Teilkapitalisierung geht.
Im Einklang mit bisheriger BFH-Rechtsprechung entschied das Gericht, dass die ermäßigte Besteuerung gemäß § 34 EStG nicht anwendbar ist, wenn eine ursprünglich ausschließlich als Rente zugesagte Versorgung aufgrund nachträglicher Vereinbarung teils als Kapital, teils als (entsprechend verringerte) Rente ausgezahlt wird. Der Referent verdeutlicht die gerichtliche Begründung, dass es bei einer solchen Auszahlung an der erforderlichen Zusammenballung (Auszahlung in einem Veranlagungszeitraum) als ungeschriebenem Tatbestandsmerkmal der Vorschrift fehlt.
Steuerfreiheit der Pensionskasse: In der Entscheidung des BFH vom 11. Mai 2023 – V R 1/21 (BStBl. II 2023, 882) klagte eine Pensionskasse darauf, ihren Status als steuerbefreite Versorgungseinrichtung behalten zu dürfen – und verlor.
„Die Pensionskasse hat den Fehler gemacht, dass sie den vorgeschriebenen Durchführungsweg nicht eingehalten hat.“
Grund: Durch vertragliche Änderungen wurde die Pensionskasse zur Rückdeckungskasse – und in der Folge wurde eine U-Kasse zivilrechtlich anspruchsberechtigt. Nach 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchtst. a KStG dürfen aber nur natürliche Personen anspruchsberechtigt sein.
Der Referent hebt hervor, dass die Pensionskasse in diesem Fall den Fehler gemacht hat, dass sie den vorgeschriebenen Durchführungsweg (§ 1b Abs. 3 Satz 1 BetrAVG) nicht eingehalten hat. Hier verzeiht das Gesetz, so der Richter weiter, keine gestalterischen Abweichungen.
Steuerliche Streckung einer Kapitalzahlung: In der nächsten Entscheidung des FG Düsseldorf vom 14. Juli 2023 – 13 K 2452/22 E (BetrAV 2024, 83) geht es um die Frage, ob – was die Klägerin forderte – auf ihre Einmalzahlung einer Pensionskasse § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG angewendet werden kann. Das würde bedeuten, dass die Kapitalzahlung für Besteuerungszwecke auf die Laufzeit der Nutzungsüberlassung (etwa 20 Jahre) mit entsprechend ermäßigender Steuerwirkung zu verteilen wäre.
Das Gericht entschied, dass die Vorschrift für den vorliegenden Fall einer Kapitalauszahlung aus einer Pensionskasse nicht greift. Die Vorschrift erfasst, wie der Referent erläutert, vorausgezahlte Einnahmen, die auf einer Nutzungsüberlassung beruhen. Nur dann sei eine (steuerliche) Verteilung der Einnahmen auf den Zeitraum der Nutzungsüberlassung begründet. Hier fehlt es aber schon an einer Vorauszahlung.
Tatsächliche Steuerfreiheit der Beitragszahlung: In der Entscheidung des BFH vom 26. April 2023 – X B 102/22 (BFH/NV 2023, 824) hat das Gericht zu der Frage der Steuerbarkeit der Leistungen aus einer Pensionskasse bei materiell rechtswidrig gewährter Steuerbefreiung des § 3 Nr. 63 EStG Stellung genommen.
Die Fallgestaltung: Die per Entgeltumwandlung an eine Pensionskasse eingezahlten Beiträge wurden nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei behandelt. Der versorgungsberechtigte Kläger war dann aber später der Auffassung, dass die Kapitalauszahlung steuerfrei sei, weil die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 63 EStG zu Unrecht gewährt worden sei.
Der BFH folgte dem nicht. Intemann erläutert die gerichtliche Ansicht: Die Steuerpflicht setzt nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG nur voraus, dass die Beiträge in der Ansparphase tatsächlich nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei gestellt wurden. Es ist dagegen unerheblich, ob die Steuerbefreiung materiell rechtlich zu Unrecht gewährt worden ist.
ZWK ohne Insolvenzschutz: In der nächsten Entscheidung des BFH vom 28. Juni 2023 – VI R 28/21 (BFH/NV 2023, 1185) macht das Gericht deutlich, dass es – anders als das Finanzamt und wohl auch das BMF in seinem Schreiben vom 17. Juni 2009 (BStBl. I. 2009, 1286) – nicht die Ansicht vertritt, dass es zu einem (steuerpflichtigen) Lohnzufluss kommt, wenn Zeitwertkonten nicht insolvenzgesichert sind.
Besonderheit des Falls war, wie der Referent näher ausführt, dass für vereinbarungsgemäß einbehaltene Lohnbestandteile erst Jahre später eine Wertguthabenvereinbarung abgeschlossen und die Lohnbestandteile eingerichteten Zeitwertkonten zugeführt wurden.
Das Finanzamt meinte rechtskonform und im Einklang mit dem BMF, einen Lohnzufluss bereits vor der tatsächlichen Einrichtung der ZWK annehmen zu können, da es an einem entsprechenden Schutz vor einem Insolvenzrisiko gefehlt habe. Das BMF vertritt die Ansicht, dass es bei Zeitwertkonten nur an einem Lohnzufluss fehle, wenn die fraglichen Beträge vor Insolvenz geschützt seien.
Der Referent hebt hervor, dass der BFH dagegen ausdrücklich klargestellt hat, dass die Frage des Lohnzuflusses nicht davon abhängt, ob die Wertguthabenvereinbarung den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben (insb. §§ 7d und 7e SGB IV) entspricht.
6a-Frage entschieden: Mit der letzten Entscheidung des BVerfG vom 28. Juli 2023 – 2 BvL 22/17 (BetrAV 2023, 487) thematisiert der Referent die schon seit Jahren kontrovers diskutierte Frage, ob der in § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG für die steuerbilanzielle Bewertung einer Pensionsrückstellung festgelegte Zinssatz von 6% verfassungsgemäß ist.
Die Entscheidung folgt der Vorlage der Richter des FG Köln (Beschluss v. 12.10.2017 – 10 K 977/17), die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit angemeldet hatten.
„Das BVerfG hat hinreichend erkennen lassen, dass es die Regelung nicht als verfassungswidrig ansieht.“
Intemann erläutert, dass die Entscheidung des BVerfG „rechtstechnisch“ die Frage der Verfassungsmäßigkeit des 6a-Zinssatzes nicht rechtsverbindlich beantwortet hat, da die Richtervorlage nur als unzulässig verworfen wurde und eine erneute Vorlage daher rechtlich möglich sei. Das BVerfG hat aber in seiner Begründung hinreichend erkennen lassen, dass es die Regelung nicht als verfassungswidrig ansieht. Auch vor dem Hintergrund der beendeten Niedrigzinsphase dürfte die Frage – so der Richter in seiner abschließenden Bewertung – wohl entschieden sein.
Der Autor ist Senior Associate, Legal & Tax Consulting, Mercer Deutschland in Düsseldorf.
Von Mercer-Autorinnen und Autoren sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONS●INDUSTRIES erschienen:
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von Thomas Hagemann, 31. Oktober 2018
von Klaus Bednarz, Hamburg, 12. Dezember 2017
von Bettina Nürk, Frankfurt; Mannheim, 5. Oktober 2017
von Bettina Nürk, Frankfurt; Mannheim, 4. Oktober 2017
von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 10. August 2017
von Frank Zagermann, Wiesbaden, 29. Mai 2017
von Thomas Hagemann, Mannheim, 9. Mai 2017
von Rita Reichenbach, Frankfurt am Main, 12. März 2014
von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 25. Februar 2014
von Stefan Oecking, Dortmund, 17. Juli 2013