„Und unter vielem Verhaßten ist mir das Schreiben das Verhaßteste“, ließ Goethe einst seinen Egmont sagen, und vermutlich würden viele deutsche HR-Verantwortliche das sofort „unterschreiben“ – zumindest mit Blick auf die diversen, etwas aus der Zeit gefallenen Schriftformerfordernisse der bAV. Jedoch mahnt der Normenkontrollrat – auch wenn sein Name nach Bürokratie klingt – just hier Entlastung an. Judith May und Thomas Hagemann über „One in, one out“, über blinde Flecken und Hartnäckigkeit, – und vier Sekunden für alle. Wenn, ja, wenn es noch so kommt …
Deutschland, 2006: Der Nationale Normenkontrollrat NKR wird gegründet. Er soll die Bundesregierung unterstützen, Maßnahmen zum Bürokratieabbau und zur besseren Rechtsetzung umzusetzen. Im Hinblick auf den Erfüllungsaufwand der Wirtschaft wird dabei angestrebt, dass jede neue Belastung durch eine Entlastung kompensiert wird: „One in, one out“.
Der Normenkontrollrat prüft Gesetzentwürfe der einzelnen Bundesministerien, bevor sie im Kabinett beschlossen werden. Gegenstand der Prüfung sind die korrekte Berechnung des Erfüllungsaufwandes für Verwaltung, Unternehmen und Personen sowie der sonstigen Kosten für die Wirtschaft, insb. für mittelständische Unternehmen.
Die Prüfung kann sich auch auf weitere Punkte erstrecken, bspw. auf die verständliche Darstellung des Ziels und der Notwendigkeit der Regelung oder auf Erwägungen zu sonstigen Lösungsmöglichkeiten.
Das Regelungsziel selbst ist dagegen eine politische Entscheidung, bei der der NKR kein Mitspracherecht hat.
Die Stellungnahmen des NKR werden nicht öffentlich abgegeben. Allerdings muss die Bundesregierung den Gesetzentwürfen, die an Bundestag oder Bundesrat gehen, die entsprechende Stellungnahme und ggf. ihre Erwiderung beifügen. Und dann werden sie öffentlich.
Der Rat und das BRSG II: vom Erfüllungsaufwand …
Am 11. Oktober 2024 wurde der Regierungsentwurf des BRSG II an den Bundesrat übermittelt – von dem zwischenzeitlich völlig unklar ist, ob es je Realität wird. Wie dem auch sei, die entsprechende Bundesrats-Drucksache 488/24 enthält somit als Anlage auf den letzten sechs Seiten auch die Stellungnahme des NKR vom 10. September 2024.
Dort wird zunächst die Berechnung des Erfüllungsaufwandes geprüft. Demnach werden die Bürgerinnen und Bürger um insgesamt 73.000 Stunden entlastet, was ja immerhin vier Sekunden pro Kopf ausmacht.1) Für die Wirtschaft ist die Bilanz dagegen negativ: Der jährliche Erfüllungsaufwand beträgt 490.000 Euro, der einmalige Erfüllungsaufwand 1,9 Mio. Euro. Der jährliche Erfüllungsaufwand werde durch andere bereits beschlossene Regelungen kompensiert, allerdings wird nicht erwähnt, um welche es sich handelt.
Zu den Regelungsfolgen hat der Normenkontrollrat keine Einwände, die Darstellung sei nachvollziehbar und methodengerecht. Spannender wird es aber bei in den Abschnitten zur Digitaltauglichkeit und zur Prüfung von Alternativen.
… zu vier weiteren Themen
Vier Themen greift der NKR auf: Datenübertragung von der gesetzlichen Rentenversicherung, Schriftformerfordernis bei Pensionszusagen, Abfindungsgrenzen und Ausweise für Menschen mit Schwerbehinderung. Im einzelnen:
Der Rat begrüßt die Möglichkeit des direkten Datenzugriffs des PSV auf Daten der gRV und regt an, diese Möglichkeit auch den Trägern der bAV zu ermöglichen.
Außerdem geht der NKR auf das Schriftformerfordernis für Pensionszusagen ein. Beispielhaft ist der § 6a EStG erwähnt, aber sicherlich ist § 4d EStG ebenfalls gemeint. Jedenfalls wird angeregt, das Schriftformerfordernis zu streichen, wie es viele Verbände gefordert haben.
Auch die Grenzwerte für Abfindungen werden aufgegriffen. Der NKR spricht sich für eine Verdopplung der Grenzwerte aus: Für die bereits bestehende einseitige Abfindung läge die Grenze dann bei 2 statt 1% der monatlichen Bezugsgröße. Für die neu einzuführende einvernehmliche Abfindung (mit Zahlung des Abfindungsbetrages an die gRV) käme man auf eine Grenze von 4 statt 2% der Bezugsgröße.
Der Gesetzentwurf enthält auch vorbereitende Regelungen für einen Europäischen Ausweis für Menschen mit Behinderungen. Der Normenkontrollrat regt an, darauf hinzuwirken, dass der europäische Ausweis den deutschen Ausweis ersetzt und es nicht zur Doppelung kommt.
Schriftformerfordernis zeigt sich hartnäckig
Die Streichung des Schriftformerfordernisses in den steuerbilanziellen Regelungen ist für weite Teile der Branche seit jeher ein wichtiges Anliegen. Im Bürokratieentlastungsgesetz IV wird es den Unternehmen nun in vielen Fällen ermöglicht, wesentliche Bedingungen des Arbeitsvertrages in Text- statt in Schriftform nachzuweisen.
Doch auch hier ist die Regelung halbherzig; bei der Steuer hält sich das Schriftformerfordernis hartnäckig: Entsprechende Voraussetzungen finden wir in § 6a EStG für die Direktzusage, in § 4d EStG für die U-Kasse und in § 5 EStG für Jubiläumszusagen.
Jahresarbeit
Übrigens: Der NKR hat sich auch an anderer Stelle für die Streichung des Schriftformerfordernisses ausgesprochen. Nach dem BEG IV ist ein erstes Jahres-Bürokratieentlastungsgesetz geplant. Die Bundesregierung hat u.a. den NKR gebeten, Vorschläge für dieses Gesetz einzureichen, herausgekommen sind 55 Vorschläge:
Beispielhaft seien im Jahres-BEG hier für das Arbeitsrecht die Abschaffung der Schriftform für die Befristungsabrede im Arbeitsvertrag oder für das Abfassen von Arbeitszeugnissen genannt. Im Sozialversicherungsrecht sollen künftig der Verzicht auf die Versicherungsfreiheit einer Beschäftigung bzw. der Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherung für geringfügig Beschäftigte nicht mehr der Schriftform unterliegen. Im Versorgungsausgleichsrecht sollen Auskunftsanforderungen digitalisiert werden, indem Familiengerichten ein Zugriff auf die digitale Rentenübersicht eingeräumt wird.
Trotz dieser recht gründlichen Aufarbeitung bleiben aber immer noch blinde Flecken, auch im Jahres-BEG wie z.B. die Schriftform bei Wertguthabenvereinbarungen nach § 7b SGB IV, die der NKR nicht anspricht.
Für unsere Branche sind vor allem zwei NKR-Vorschläge zum Jahres-BEG betreffend dieSchriftformerfordernissen in der bAV relevant, wo der Rat die Abschaffung nahelegt:
Zum einen geht es um Informationen zur Entgeltumwandlung, die der Produktgeber digital zur Verfügung stellt und der Arbeitgeber derzeit ausgedruckt aushändigen muss.
Zum anderen geht es erneut um das Schriftformerfordernis in steuerlichen Vorschriften. Hier werden alle oben genannten und weitere Vorschriften aufgeführt.
Fazit: Passiert ist noch nichts
Der Normenkontrollrat legt den Finger in die Wunde. Es ist für die Unternehmen nicht nachvollziehbar, dass in Zeiten digitaler Vertragsabschlüsse teilweise nur aus steuerlichen Gründen Dokumente mit eigenhändiger Unterschrift gefordert werden.
Die Bundesregierung hat aus der Stellungnahme des NKR noch keine Konsequenzen gezogen. Bleibt zu hoffen, dass die Ausschüsse die Vorschläge im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aufnehmen und das Schriftformerfordernis in den §§ 4d, 5 und 6a EStG kippen – wenn nicht unter dieser kommissarischen Bundesregierung, dann unter der nächsten, und wenn nicht in diesem Reformgesetz, dann im nächsten …
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.
Fußnote: Wenn Sie sich haben verleiten lassen, diese Fußnote zu lesen, haben Sie Ihre persönlich gewonnenen vier Sekunden bereits wieder verbraucht (Anm. d. Red.).
Judith May ist Head of Legal & Tax Consulting der Mercer Deutschland GmbH in München.
Thomas Hagemann ist Chefaktuar der Mercer Deutschland in Düsseldorf.
Von Mercer-Autorinnen und Autoren sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONS●INDUSTRIES erschienen:
Der NKR und die Schriftformerfordernisse – BRSG (XVII): GroMiKV und die EbAV: IFRS 18: Vorgaben für den Pensionsaufwand – und mehr: BRSG 2.0-E (VI): aba-Forum Steuerrecht (IV): aba-Forum Steuerrecht (III): aba-Forum Steuerrecht (II): aba-Forum Steuerrecht (I): 17. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten: Zum Sommeranfang Großkampftag in Erfurt (III): Neuer Vorstoß des IDW zum HGB-Rechnungszinssatz Framework für das De-Risking: aba-Forum Steuerrecht (V): aba-Forum Steuerrecht (IV): aba-Forum Steuerrecht (II): aba-Forum Steuerrecht (I): DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (V) – Corona, Hitze, Diabetes: DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (V): Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen: Was nun? Ausfinanzierung von Pensionsverpflichtungen: Zwischen Regulierung, Admin und Asset Management: #womeninpensions-Kommentar – mit Wirkung auf die bAV (II): Pensions in their Markets: Was war da los in London? Pensionsrückstellungen nach HGB: Pensions in their Markets: IDW und DAV zu rückgedeckten Versorgungszusagen: De-Risking-Strategien zahlen sich aus: Die Inflation und der Pensionsinvestor: Zusätzlicher Prüfungsaufwand für externe Versorgungsträger: Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten: Bilanzneutral, befristet, BOLZ: Forum „bAV“ der VVB: Erfurt, Teilzeit und die bAV: aba-Forum Steuerrecht 2021: Übersterblichkeit und Covid-19 (II): Mal wieder Handlungsbedarf bei Zusagen mit Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung: Von Fiduciary Management, Outscourced Chief Investment Officer und Delegated Solutions: bAV in der Corona-Krise: Übersterblichkeit und Covid-19: Prioritäten in der Krise: Aufsicht: bAV in den Zeiten des Virus‘: BaFin-Merkblatt: Flexible Lösungen und digitale Tools sind gefragt Was heißt hier „lediglich“? Alles auf Reset beim Wertguthaben? In beiden Fassungen? Zulagenförderung ist besser als ihr Ruf! Zumutung und Kostenbelastung „Künftig alle zwei Jahre EIOPA-Stresstest“ Die EIOPA wächst mit ihren Aufgaben Nicht genug dazu gelernt Spannung jenseits des BRSG bAV statt Resturlaub? Das hat dort nichts zu suchen! Das könnt Ihr doch nicht ernst meinen!
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von Thomas Hagemann, 31. Oktober 2018
von Klaus Bednarz, Hamburg, 12. Dezember 2017
von Bettina Nürk, Frankfurt; Mannheim, 5. Oktober 2017
von Bettina Nürk, Frankfurt; Mannheim, 4. Oktober 2017
von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 10. August 2017
von Frank Zagermann, Wiesbaden, 29. Mai 2017
von Thomas Hagemann, Mannheim, 9. Mai 2017
von Rita Reichenbach, Frankfurt am Main, 12. März 2014
von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 25. Februar 2014
von Stefan Oecking, Dortmund, 17. Juli 2013