Weiter im herbstlichen Tagungsmarathon auf LEITERbAV: Am 9. November hat die Jahrestagung der AG ZWK stattgefunden – pandemiebedingt bereits zum zweiten Mal nicht in der traditionellen Location, der Wolkenburg in Köln, sondern im digitalen Format. Es ging um Modelle aus Mannheim, sozialversicherungsrechtliche Lüfte, Wege zur #Auszeit und mehr … Judith May und Thomas Haßlöcher waren dabei.
Nach Begrüßung durch den Vorsitzenden des Vorstands, Prof. Dietmar Wellisch vom Institut für betriebliche Altersversorgung und Steuern der Universität Hamburg führt AG-Vorstandsmitglied Markus Bechtoldt, Geschäftsführer der H2B Aktuare GmbH, durch das Programm (alle Aussagen im Indikativ der Referenten):
Das Mannheimer Modell – Genese, Funktionsweise, Finanzverwaltung
Den Auftakt macht der Autor – für den Fachkreis Arbeits- und Sozialversicherungsrecht mit einer Einordnung der Nutzung von Wertguthaben im sogenannten Mannheimer-Modell, welches sich zum Zwecke des gleitenden Übergangs in den Ruhestand einen Namen gemacht hat.
Das Modell wurde durch die Sozialpartner in der Chemieindustrie ins Leben gerufen als Alternative zu meist teuren und mittlerweile nur noch in Einzelfällen praktizierten Vorruhestandslösungen sowie als Weiterentwicklung einer ebenfalls mit hohen Aufwänden belasteten und sehr inflexiblen Vereinbarung von Altersteilzeit.
Das Mannheimer Modell ist zweigeteilt:
Der erste Baustein dient dazu, Rentenabschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme der gesetzlichen Rentenversicherung zu vermeiden. Hier wird ähnlich dem Kauf von Rentenpunkten die im Sechsten Sozialgesetzbuch schon länger existierende Regelung des § 187a SGB VI nutzbar gemacht. So erteilt die gesetzliche Rentenversicherung seit dem sog. Flexirentengesetz ihren Versicherten bereits ab dem 50. Lebensjahr Auskünfte zu den individuell erwartbaren Abschlägen und zur Höhe der für einen Ausgleich der Rentenminderung notwendigen Zahlungen. Diese können sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer geleistet werden, mit jeweils unterschiedlichen steuerlichen Förderungen.
Ein Zwang zum früheren Renteneintritt besteht indes nicht; sofern Versicherte planwidrig eine Altersrente nicht vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze in Anspruch nehmen, wirken die Beiträge schlicht rentenerhöhend.
Der zweite Baustein des Modells nutzt Wertguthaben und deren seit dem sog. Flexi II-Gesetz mögliche Übertragung auf die DRV Bund zum Zwecke der dortigen späteren Freistellung. Dabei ist insb. eine Kombination mit einem zwischengeschalteten ALG I für viele Beschäftigte sinnvoll, denn oftmals, gerade bei älteren Arbeitnehmern bzw. erst jüngst im Unternehmen eingeführten Zeitwertkontenmodellen, konnten Wertguthaben hier noch nicht ausreichend angespart werden.
Arbeits- und sozialversicherungsrechtlich ist hier auch eine unmittelbar vor Ausscheiden erfolgte Einbringung, insb. zum Zwecke der sofortigen Übertragung auf die DRV Bund, vorstellbar.
Die Verwendung von Sozialplanmitteln ist für beide der oben beschriebenen Bausteine möglich. Lediglich der Einsatz von im Sozialplan möglicherweise enthaltenen Abfindungszahlungen für den Verlust des Arbeitsplatzes stellt kein Arbeitsentgelt im Sinne des SGB IV dar und kann dementsprechend nicht für die Einbringung in Zeitwertkonten verwendet werden. Alle auf einen anderen Zweck ausgerichteten Zahlungen, insb. Boni oder auch Zahlungen, die aufgrund der besonderen Lebensleistung eines Mitarbeiters ausgelobt werden, sind dagegen einbringbar. Eine sorgfältige und präzise Gestaltung und Formulierung ist hier allerdings unerlässlich.
Nebenbei: Nicht im Scope des Fachkreises Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, aber dennoch für eine rechtssichere Gestaltung des Mannheimer Modells unabdingbar ist die professionelle lohnsteuerliche Flankierung. So ist nicht auszuschließen, dass einzelne Finanzämter hier Parallelen zu den für Befristungen bestehende Beschränkungen der Wertguthabenbesparung durch das BMF-Schreiben vom 17. Juni 2009 ziehen. Mittels Anrufungsauskunft und unter Heranziehung des mit der Portabilität von Wertguthaben verknüpften Rechtsgedankens kann hier eine Klärung angestrebt werden.
Erfreulich, dass der Referent auf Nachfrage von entsprechenden im Fachkreis gemachten positiven Erfahrungen mit den Finanzbehörden berichten kann.
Vier Modelle der SV-Luft – es könnte so einfach sein
Michael Prasse, Leiter Software-Entwicklung der adesso insurance solutions GmbH, als Vertreter des Fachkreises Administration und Digitalisierung, bringt in einem anschaulichen Vortrag die vier Modelle der SV-Luft den Zuhörern näher.
Das Mitführen der SV-Lüfte dient nach seinen Ausführungen ausschließlich zur Abwicklung von Störfällen, doch ist sie eben allgemein zu dokumentieren. Herausgebildet haben sich vier Arten der SV-Luft-Führung: das Summenfeldermodell als allgemeiner Ausgangspunkt sowie das Alternativmodell mit jährlicher bzw. monatlicher Abgrenzung und das von ihm benannte Beitragspflichtmodell, das nach seiner Einschätzung der Gesetzesformulierung am nächsten, doch in der Praxis kaum zur Anwendung kommt.
Im Rahmen eines Dialogs zwischen Sozialversicherung und Nutzer (Arbeitgeber/ Arbeitnehmer) beschreibt der Referent Fallkonstellationen und stellt Herausforderung beim Aufbau der SV-Luft dar. Auch bei diesem Vortrag wird deutlich, dass zwar jedes Problem schon jetzt einer Lösung zugeführt werden kann, doch könnte die SV-Luft-Führung an mancher Stelle durchaus noch vereinfacht werden, ohne dass Staat oder Gesamtsozialversicherung Nachteile erlitten. Am Ende ist die SV-Luft-Führung schließlich einfach nur dafür gedacht, die Sozialversicherung so zu stellen, als hätte es nie eine Wertguthabenvereinbarung gegeben. Und das sollte doch einfach möglich sein, so Prasse.
AusZeit in Wolfsburg
Für den Fachkreis Personalwirtschaft stellt Thorsten Goede, Fachreferent Tarifpolitik und Konzern Personalgrundsätze der Volkswagen AG, das dort entwickelte Modell „Meine AusZeit“ vor:
Das neue Angebot ermöglicht eine selbstfinanzierte berufliche Auszeit zwischen drei bis sechs Monaten ohne vorheriges Ansparen. Die Inanspruchnahme ist nicht an bestimmte Zwecke gebunden und beruht auf dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit. Das in der Freistellung gezahlte Entgelt wird durch Vorleistung von Volkswagen über ein individuelles Wertguthabenkonto vorfinanziert. Die Rückzahlung erfolgt unmittelbar im Anschluss an die Freistellung. Damit ist eine zeitnahe und bedarfsorientierte Inanspruchnahme möglich.
Die technischen Rahmenbedingungen, wie z.B. Ankündigungsfristen oder die Höhe des Freistellungsentgelts, sind dabei weitgehend normiert, der Beantragungs- und Genehmigungsprozess ist über den Mitarbeiter Self Service digitalisiert.
Dem Start des Modells in der Volkswagen AG im März 2021 ging eine Konzeptionsphase ab Mai 2019 sowie eine Pilotphase bei einer Tochtergesellschaft ab Januar 2020 voraus. Für die Kommunikation wurden alle bei Volkswagen verfügbaren Plattformen genutzt:
Neben klassischen Einträgen im Intranet wie ein Personal-Telegramm, Standardpräsentationen und einem Fragen- und Antwortkatalog gibt es auch einen Erklärfilm für die Beschäftigten. Seit dem Start des Modells im März 2021 wurden bereits über 500 Anträge gestellt, und zwar aus allen Bereichen der Belegschaft, d.h. sowohl von Beschäftigten im Schichtdienst bis hin zu Beschäftigten im Management. Fast alle Anträge konnten bisher genehmigt werden, bei einigen musste der beantragte Zeitraum verschoben werden.
Mit der erfolgreichen Einführung von „Meine AusZeit“ ist Volkswagen ein weiterer Baustein zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben gelungen, welcher die Arbeitgeberattraktivität steigert und so die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, bilanziert der Referent.
Die Garantie hemmt auch hier
Der Vortrag des Fachkreises Kapitalanlage gliedert sich in zwei Abschnitte, wobei sich Christian Remke zunächst allgemein den Garantien und ihren Wechselwirkungen widmet.
Der Chef der Metzler PensionManagement macht deutlich, dass die Garantie eine gut gemeinte Idee, jedoch aufgrund der aktuellen Zinslandschaft keine sinnvolle Basis für ein mittel- bis langfristig angelegtes Zeitwertkonto ist. Die Aufrechterhaltung einer Garantie im Sinne einer Einstandspflicht kann nach Einschätzung des Referenten dazu führen, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sowie Produktanbieter wenig Motivation zur Umsetzung des bzw. Teilnahme an dem so wichtigen Modells in Betrieben haben. Daher sollten, so Remke, die Garantie sowie die restriktiven Anlagevorschriften aus dem Gesetz gestrichen oder zumindest modifiziert bzw. abdingbar gestellt werden.
Lebenszyklus gegen Auszeitnachschuss
Im zweiten Teil des Vortrags stellt Thomas Huth heraus, dass sich aus den aktuellen niedrigen Zinses und der hohen Inflation eine negative Realverzinsung von derzeit mehr als 4% p.a. ergibt. Daher ist es nötig, die Aktie mehr in den Mittelpunkt der Anlage zu stellen, gerade bei längeren Laufzeiten, so der Head of Pension Management der DWS. Denn: Zeit ist ein entscheidender Faktor im Sinne einer Wertsicherung bzw. einer Risikominimierung.
Am Beispiel des Lebenszyklusmodells veranschaulicht der Referent die Möglichkeiten einer attraktiven Anlage, ohne ein Risiko im Sinne eines Auszeitnachschusses entscheidend zu erhöhen. Am Ende zeigte Huth, dass auch größere Kursverluste im Zeitverlauf kein Problem darstellen, sofern ausreichend Restlaufzeit besteht, um an einer nachfolgenden Erholung zu partizipieren. Im Übrigen kommt ein höheres Guthaben dank attraktiver Rendite auch der Sozialversicherung und damit letztlich auch der Gesellschaft zugute.
Fazit und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich auch bei dieser Jahrestagung feststellen, dass Zeitwertkonten ihren Platz als attraktives Vorsorgeinstrument in der Praxis gefunden haben. Die Gestaltungsvielfalt und die Wirkung der Zeitwertkonten im Unternehmen, bspw. zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit, aber auch zur abgesicherten Auszeit am Anfang oder Inmitten des Berufslebens, machen dieses personalpolitische Instrument so einzigartig.
Ähnlich der bAV bestehen aber auch Herausforderungen, bspw. bei der Administration oder der Kapitalanlage, die jedoch keine unlösbaren Probleme darstellen. Am Ende, so das Fazit des Moderators Bechtoldt, verdient das Zeitwertkonto mehr Aufmerksamkeit, was sich der in der der Jahrestagung vorgelagerten Mitgliederversammlung neu gewählte Vorstand für die kommenden drei Jahre seiner Amtszeit auch auf die Fahne geschrieben hat. Man freut sich schon auf die Jahrestagung im kommenden Jahr, dann in Berlin und „offline“, so dass Ziel der Organisatoren.
Thomas Haßlöcher ist Geschäftsführer der der PensLegal GmbH sowie Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten e.V., Frankfurt.
Judith May ist Head of Legal & Tax Consulting, Mercer Deutschland GmbH, München und Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten e.V., Frankfurt.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.
Von Autorinnen und Autoren von Mercer sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:
BRSG 2.0-E (VI):
Hope I get Pension before I get old
von Dr. Katharina Meurs und Sebastian Walthierer, 25. Juli 2024
aba-Forum Steuerrecht (IV):
Von Nürnberg, Düsseldorf und Münster …
von Gregor Hellkamp, 29. April 2024
aba-Forum Steuerrecht (III):
Zwischen 7 und 10, zwischen …
von Stefanie Beyer und Gregor Hellkamp, 23. April 2024
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von Stefanie Beyer und Sebastian Walthierer, 16. April 2024
aba-Forum Steuerrecht (I):
Von Dry Income, 35 Millionen, von abgeschlossenen ...
von Sebastian Walthierer, 8. April 2024
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Zum Sommeranfang Großkampftag in Erfurt (III):
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Neuer Vorstoß des IDW zum HGB-Rechnungszinssatz
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von Thomas Hageman, 26. September 2023
Framework für das De-Risking:
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von Olaf John und Gregor Stephan, 12. September 2023
aba-Forum Steuerrecht (V):
Trendwende beim HGB-Zins
von Stefanie Beyer, Joachim H. Kaiser und Sebastian Walthierer, 14. August 2023
aba-Forum Steuerrecht (IV):
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von Sebastian Walthierer und Stefanie Beyer, 2. August 2023
aba-Forum Steuerrecht (II):
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von Gregor Hellkamp, 31. Juli 2023
aba-Forum Steuerrecht (I):
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von Gregor Hellkamp, 24. Juli 2023
DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (V) – Corona, Hitze, Diabetes:
Sind die aktuellen Sterbetafeln noch die bestmögliche Schätzung?
von Thomas Hagemann und Christian Viebrock, 11. Juli 2023
DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (V):
Live in drei Tagen!
von Dr. André Geilenkothen, 27. Juni 2023
Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen: Was nun?
From nine to five till ninetyfive
von Dr. Judith May, Dr. Katharina Meurs, Robin Leuprecht, 26. Juni 2023
Ausfinanzierung von Pensionsverpflichtungen:
Time is on your side
von Olaf John und Dr. André Geilenkothen, 14. April 2023
Zwischen Regulierung, Admin und Asset Management:
„Die vielfältigen Herausforderungen in der bAV und der Kapitalanlage erfordern …
Interview mit Martin Haep, 23. März 2023
#womeninpensions-Kommentar – mit Wirkung auf die bAV (II):
Von der Teilzeitfalle …
von Dr. Judith May, 2. März 2023
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Pensionsrückstellungen nach HGB:
„Frühzeitig und schnellstens“
Interview mit Thomas Hagemann, 13. Oktober 2022
Pensions in their Markets:
Tektonik in der Taktik
Interview mit Olaf John, 3. Juni 2022
IDW und DAV zu rückgedeckten Versorgungszusagen:
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De-Risking-Strategien zahlen sich aus:
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von Klaus Bednarz, Hamburg, 12. Dezember 2017
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„Künftig alle zwei Jahre EIOPA-Stresstest“
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von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 10. August 2017
Nicht genug dazu gelernt
von Frank Zagermann, Wiesbaden, 29. Mai 2017
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von Thomas Hagemann, Mannheim, 9. Mai 2017
bAV statt Resturlaub?
von Rita Reichenbach, Frankfurt am Main, 12. März 2014
Das hat dort nichts zu suchen!
von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 25. Februar 2014
Das könnt Ihr doch nicht ernst meinen!
von Stefan Oecking, Dortmund, 17. Juli 2013
Von Autoren der PensExpert Gruppe sind zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAV erschienen:
17. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten: Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten:
Von zweiten Währungen, Spagaten, einer Rückkehr und …
von Sebastian Walthierer und Dr. Thomas Haßlöcher, 22. Januar 2024
Time is on my Zeit
Dr. Judith May und Dr. Thomas Haßlöcher, 14. Dezember 2021