… 16 Gesetze in 45 Minuten: Die nationale wie die europäische Gesetzgebung im Steuerrecht hat 2023 ein Ausmaß erreicht, das es schwer macht, den Überblick zu behalten – oder ihn erst einmal zu bekommen. Jüngst unternahm ein Experte einen bemerkenswerten Parforceritt. Gregor Hellkamp war dabei. Teil I eines mehrteiligen Beitrages zum aba-Forum Steuerrecht.
Mannheim, 19. Juni: Einen Tag vor dem diesjährigen aba-Forum Arbeitsrecht findet das aba-Forum Steuerrecht statt – ebenfalls erstmals nach der Pandemie wieder ausschließlich in Präsenz und moderiert von Claudia Veh, Aktuarin bei KPMG und Leiterin des aba-Fachausschusses Steuerrecht. Vier Fachleute aus dem Hause Mercer haben die wichtigsten Aspekte für LEITERbAV dokumentiert. Wegen der enorm detailreichen Inhaltsdichte der nicht immer ganz leicht verdaulichen Materie wird die LbAV-Berichterstattung hierzu in mehreren „kurzen“ Teilen erfolgen. Den Auftakt heute macht Gregor Hellkamp, der über den Vortrag Volker Landwehrs vom GDV informiert (alle Aussagen im Indikativ des Referenten):
Steuergesetzgebung in Zeiten sinkender Steuereinnahmen
Gleich mit dem ersten Fachthema auf der Agenda „Nationale und europäische Gesetzgebung im Steuerrecht 2023“ nimmt die Veranstaltung mit dem Referenten Volker Landwehr vom GDV vom start weg rasant an Fahrt auf. So geht Landwehr in den für dieses Thema vorgesehenen 45 Minuten auf insgesamt 16 nationale und europäische Gesetze ein.
Bevor der Referent auf einzelne gesetzliche Entwicklungen eingeht, versäumt er nicht auf die steuerpolitische Ausgangslage hinzuweisen, in deren Rahmen sich die deutsche Steuergesetzgebung aktuell bewegt:
Dem Haushaltsvolumen von insgesamt 476 Mrd. Euro im Jahr 2023 mit dem größten Posten „Soziale Sicherung, Familie und Jugend und Arbeitsmarktpolitik“ (etwa 45%) stehen dabei laut Steuerschätzung Mai 2023 sinkende Steuereinnahmen gegenüber, die – so Landwehr – zu einer Haushaltslücke von etwa 10 bis 17 Mrd. Euro führen.
Entsprechend wird Bundesfinanzminister Christian Lindner mit der Aussage zitiert, dass sämtliche Staatsausgaben auf den Prüfstand müssten.
Anm. d. Autors: Zwischenzeitlich steht der Haushaltsentwurf für 2024 mit einem Ausgabevolumen von 445,7 Mrd. Euro und einer Neuverschuldung von 16,6 Mrd. Euro. In den kommenden Jahren wird mit einer Finanzierungslücke gerechnet.
Zunächst zu Landwehrs Ausführungen zur nationalen Steuergesetzgebung:
Gesetz zum öffentlichen Country-by-Country Reporting
Es geht hier um die Umsetzung einer EU-Richtlinie durch Ergänzung des HGB, die neue Berichtspflichten für multinationale und umsatzstarke Unternehmen (ab 750 Mio. Euro) vorsieht und für Geschäftsjahre gilt, die ab dem 22. Juni 2024 beginnen (also ab 2025). Der Referent weist daraufhin, dass hiervon große Versorgungseinrichtungen betroffen sein können.
Mindestbesteuerungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz
Wie der GDV-Steuerexperte darstellt, hat dieses Gesetz nichts weniger zum Ziel, als durch eine Re-Allokation von Besteuerungsrechten durch Umverteilung des „Residualgewinns“ in Marktstaaten und die Einführung einer weltweiten Mindestbesteuerung von 15% für Unternehmen eine „neue Weltsteuerordnung“ zu schaffen.
Betroffen sind Konzerne mit mehr als 750 Mio. Euro Umsatz p.a. und auch rein deutsche Unternehmen. Die zugrundeliegende EU-Richtlinie ist ab 2024 zwingend umzusetzen.
Das noch im Stadium des Diskussionsentwurfs befindliche Gesetz ist, worauf Landwehr hinweist, im Detail sehr komplex. Es gibt in dem insgesamt 89 Paragrafen umfassenden Entwurf um eine Definition und eine Ausschlussregelung für Pensionsfonds. Hier hält es der Referent für wünschenswert, dass in diesem Kontext klargestellt wird, was „Altersversorgungseinrichtungen“, „Altersversorgung“ und „Altersversorgungsleistungen“ im Sinne dieses Gesetzes sind. Die Geltung für weitere Durchführungswege und CTAs ist – so Landwehr weiter – nach aktuellem Stand unklar.
Zukunftsfinanzierungsgesetz
Der Referentenentwurf des Gesetzes sieht insb. eine Verbesserung bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung durch eine Anhebung des steuerfreien Höchstbetrags von 1.440 Euro auf 5.000 Euro (§3 Nr. 39 EStG) und einen weitergehenden Aufschub der Besteuerung (§19a EStG) vor. Der Referent weist dabei auf folgende wichtige Änderung hin:
Bisher können steuerfreie Mitarbeiterkapitalbeteiligungen auch durch Entgeltumwandlung finanziert werden. Angesichts der starken Anhebung des Höchstbetrags soll die steuerliche Begünstigung künftig auf Fälle beschränkt werden, in denen die Vermögensbeteiligungen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden.
MoPeG-Steueranpassungsgesetz
Zum Jahresbeginn 2024 tritt mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) hier eine umfassende Reform in Kraft. Das diesbezügliche Steueranpassungsgesetz bringt u.a. eine Ergänzung von §39 AO.
Der Referent weist – ohne dass dies freilich bAV-spezifische Bedeutung hätte – darauf hin, dass die Änderung sicherstellt, dass es trotz der Änderungen durch die Reform bei dem sog. Gesamthandsprinzip bleibt und damit auch die bisherige sog. transparente Ertragsbesteuerung der Personengesellschaften unverändert bleibt. Es bleibt also für Personengesellschaften steuerlich alles beim Status Quo.
Wettbewerbsstärkungsgesetz, Steuerfairnessgesetz und Steuerbürgergesetz
Hinter diesen Gesetzgebungsvorhaben verbergen sich im erstgenannten Fall eine Reihe von Landwehr aufgelisteten nicht die bAV unmittelbar betreffenden Maßnahmen, mit der Unternehmen zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit entlastet werden sollen.
Bei der Normierung von „Fairness“ geht es u.a. um die Einführung einer nationalen Liste von „Steueroasen“, aber auch um die Anzeigepflicht nationaler Steuergestaltungen. Hier hält Landwehr eine Ausnahme für den Bereich der pAV und bAV für nötig.
Schließlich soll auch der Steuerbürger nicht „leer“ ausgehen. In dem gleichnamigen Gesetz sind den Bürger entlastende Maßnahmen im Gespräch, insb. die Abschaffung der Lohnsteuerklasse V. Den Bürger oder Unternehmen entlastende Regelungen – darauf weist Landwehr hin – sind letztlich abhängig von der Steuerschätzung und dem zu verabschiedenden Bundeshaushalt 2024.
Steuerbürokratieabbaugesetz
Ein Gesetzentwurf, der dem Titel nach große Hoffnung weckt und tatsächlich auch einige sinnvolle Erleichterungen vorsieht, wie der Referent aufzeigt:
Interessant erscheinen vor allem der Abbau des Schriftformerfordernisses hin zu Textform und die Beschleunigung und Erleichterung verbindlicher Auskünften – einem in der bAV praktisch wichtigen Instrument zur Erreichung von Rechtssicherheit.
Jahressteuergesetz 2023
Dies ist das alljährlich zu erwartende Sammelgesetz, das vom BMF für die 2. Jahreshälfte 2023 angekündigt ist und über dessen Inhalt derzeit nur spekuliert werden kann. Regelungen zur Altersvorsorge sind nach Ansicht des Referenten eher nicht zu erwarten.
Die sich daran anschließenden „GDV-Wunschliste“ an den deutschen Steuergesetzgeber beinhaltet im Grunde ausschließlich den Vorschlag, die Geringverdienerförderung (§100 EStG) – nach Aussage von Landwehr ein Erfolgsmodell – durch eine dynamische Regelung der maßgeblichen Grenz- und Höchstbeträge zu verbessern.
Schließlich zu Landwehrs Ausführungen zur europäischen Steuergesetzgebung:
ATAD 3, DEBRA, VIDA, DAC 8, Standardisiertes Quellensteuersystem und BEFIT
Der Referent setzt seinen Vortrag zur europäischen Ebene mit fort, indem er zu den genannten Gesetzen bzw. -vorhaben, die übergreifende steuerliche Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene mit unterschiedlicher Ausrichtung zum Gegenstand haben, jeweils kurz ausführt:
Die Digitalsteuer, mit der die digitale Wirtschaft steuerlich erfasst werden soll, steht in unmittelbarem Kontext mit der o.a. „neuen Weltsteuerordnung“. Der Referent sieht Versicherungsunternehmen hiervon nicht betroffen.
Bei ATAD 3 der Anti-Tax-Avoidance-Directive 3, geht es primär um die Bekämpfung von Briekastenfirmen – hier sieht der Referent eher keine Bedeutung für Altersversorgungseinrichtungen bzw. die Versicherungswirtschaft.
Bei DEBRA der Debt Equity Bias Reduction Allowance, geht es um einen – von Deutschland abgelehnten – Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Stärkung der Eigenkapitalausstattung von Kapitalgesellschaften.
Bei VIDA (VAT in the Digital Age) geht es insb. um die Einführung einer verpflichtenden elektronischen Rechnungstellung – geplant ist die „E-Rechnung“ als verbindlicher Standard ab 2028 (in Deutschland ist diese bisher nur mit Zustimmung des Empfängers möglich).
DAC 8, die Directive on Administrative Cooperation, beinhaltet einen Änderungsvorschlag zur Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden.
Außerdem plant die EU-Kommission Landwehr zufolge eine Gesetzgebungsinitiative zur Einführung eines gemeinsamen, standardisierten EU-weiten Quellensteuersystems.
Schließlich gibt es nach den gescheiterten GKKB (Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage) mit dem BEFIT, dem Business in Europe: Framework for Income Taxation, einen neuen Anlauf der EU-Kommission zur Harmonisierung des Unternehmenssteuerrechts.
Wie sich aus den Ausführungen des Referenten ergibt, beinhaltet nur ein Teil der aufgegriffenen Gesetzgebung spezifische Regelungen zur bAV oder steht damit in einem für die Praxis relevanten unmittelbaren Zusammenhang.
„… und dass man gut daran tut, auch
Gesetzgebungsvorhaben im Blick zu haben,
die nicht auf den ersten Blick die bAV betreffen.“
Allerdings zeigen die Ausführungen eindrücklich, wie vielfältig und dynamisch die steuerrechtliche Gesetzgebung ist und dass man gut daran tut, auch Gesetzgebungsvorhaben im Blick zu haben, die nicht auf den ersten Blick die bAV betreffen – und sei es nur, um sicherzustellen, als Arbeitgeber oder Versorgungseinrichtung nicht betroffen zu sein.
Mehr zum diesjährigen aba-Forum Steuerrecht findet sich zwischenzeitlich auf LEITERbAV hier.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.
Gregor Hellkamp ist Senior Associate, Legal & Tax Consulting bei Mercer Deutschland GmbH in Düsseldorf.
Von ihm bzw. anderen Mercer-Autorinnen und Autoren sind zwischenzeitlich auf LEITERbAVerschienen:
Der NKR und die Schriftformerfordernisse – BRSG (XVII): GroMiKV und die EbAV: IFRS 18: Vorgaben für den Pensionsaufwand – und mehr: BRSG 2.0-E (VI): aba-Forum Steuerrecht (IV): aba-Forum Steuerrecht (III): aba-Forum Steuerrecht (II): aba-Forum Steuerrecht (I): 17. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten: Zum Sommeranfang Großkampftag in Erfurt (III): Neuer Vorstoß des IDW zum HGB-Rechnungszinssatz Framework für das De-Risking: aba-Forum Steuerrecht (V): aba-Forum Steuerrecht (IV): aba-Forum Steuerrecht (II): aba-Forum Steuerrecht (I): DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (V) – Corona, Hitze, Diabetes: DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (V): Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen: Was nun? Ausfinanzierung von Pensionsverpflichtungen: Zwischen Regulierung, Admin und Asset Management: #womeninpensions-Kommentar – mit Wirkung auf die bAV (II): Pensions in their Markets: Was war da los in London? Pensionsrückstellungen nach HGB: Pensions in their Markets: IDW und DAV zu rückgedeckten Versorgungszusagen: De-Risking-Strategien zahlen sich aus: Die Inflation und der Pensionsinvestor: Zusätzlicher Prüfungsaufwand für externe Versorgungsträger: Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten: Bilanzneutral, befristet, BOLZ: Forum „bAV“ der VVB: Erfurt, Teilzeit und die bAV: aba-Forum Steuerrecht 2021: Übersterblichkeit und Covid-19 (II): Mal wieder Handlungsbedarf bei Zusagen mit Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung: Von Fiduciary Management, Outscourced Chief Investment Officer und Delegated Solutions: bAV in der Corona-Krise: Übersterblichkeit und Covid-19: Prioritäten in der Krise: Aufsicht: bAV in den Zeiten des Virus‘: BaFin-Merkblatt: Flexible Lösungen und digitale Tools sind gefragt Was heißt hier „lediglich“? Alles auf Reset beim Wertguthaben? In beiden Fassungen? Zulagenförderung ist besser als ihr Ruf! Zumutung und Kostenbelastung „Künftig alle zwei Jahre EIOPA-Stresstest“ Die EIOPA wächst mit ihren Aufgaben Nicht genug dazu gelernt Spannung jenseits des BRSG bAV statt Resturlaub? Das hat dort nichts zu suchen! Das könnt Ihr doch nicht ernst meinen!
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von Bettina Nürk, Frankfurt; Mannheim, 4. Oktober 2017
von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 10. August 2017
von Frank Zagermann, Wiesbaden, 29. Mai 2017
von Thomas Hagemann, Mannheim, 9. Mai 2017
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von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 25. Februar 2014
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