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Von Köln nach Karlsruhe (II):

Unzulässig. Genügt nicht den Anforderungen.

Einer der beiden umstrittensten Intensivtäter der deutschen bAV, der 6a EStG, musste sich nach langem Anlauf Ende Juli nun endlich vor dem deutschen Verfassungsgericht verantworten – und kam prompt ungeschoren davon. Mittelbar etwas zurechtgestutzt hat ihn dafür bekanntlich die Realität der vergangenen 24 Monate.

Es war bereits am vergangenen Freitag auf auf LEITERbAV Dynamics gepostet worden: Mit dem am vergangenen Freitag veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die entsprechende Vorlage des FG Köln für unzulässig erklärt. Das Vorlageverahren betraf bekanntlich die Frage, ob der im § 6a Abs. 3 S. 3 EStG befohlene Ansatz eines Rechnungszinsfußes von 6% zur Ermittlung der Pensionsrückstellung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

Die Vorlage, so die Karlsruher Kammer, ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG genügt.

Im Innern des Bundesverfassungsgerichts, Foto: BVerfG bild_raum Stephan Baumann Karlsruhe.

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2017 hatte das FG Köln bekanntlich die damals dort zugrundeliegende Finanzstreitsache ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob der § 6a EStG in der im Streitjahr 2015 geltenden Fassung mit der Verfassung vereinbar ist. Das FG hielt die Vorschrift mit dem Rechnungszinsfuß von 6% für verfassungswidrig.

Köln: Gleiches ungleich …

Wie das BVerfG in seiner Mitteilung zu seiner Entscheidung rekapituliert, sah der Vorlagebeschluss der Kölner Art. 3 Abs. 1 GG unter zwei Gesichtspunkten verletzt:

Zum einen führe § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG (der übrigens in anderer Sache neulich erst auch in Erfurt vor dm Kadi stand) in zu einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, da Pensionsrückstellungen ungleich behandelt würden gegenüber anderweitigem Aufwand, soweit dieser entsprechend der tatsächlichen wirtschaftlichen Verursachung voll abzugsfähig sei. Damit komme es zu einer Ungleichbehandlung im Hinblick auf das im gesamten übrigen Bilanzsteuerrecht geltende Realisationsprinzip. Unternehmen, die Pensionsrückstellungen bildeten, seien mit „alle[n] übrigen Unternehmen, die sich an das Realisationsprinzip halten müssen“, vergleichbar.

und Ungleiches gleich

Zum anderen machte Köln eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem geltend. Steuerpflichtige würden unabhängig von der individuellen Rendite bzw. den Verschuldungskonditionen gleichbehandelt, da „der Zinsvorteil der späteren Steuerzahlung einheitlich mit 6% typisiert“ werde. Dies wäre hinnehmbar, wenn marktübliche Zinserträge typisiert würden, jedoch umso bedenklicher, je weiter sich die Typisierung von marktüblichen Zinssätzen entferne.

Karlsruhe: Die Frage des Wann …

Hinsichtlich des ersten Vergleichspaares ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinreichend dargelegt, bemängeln die Verfassungsrichter: „Es erschließt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres, warum Unternehmen, die Pensionsrückstellungen bilden, mit all jenen Unternehmen vergleichbar sein sollen, die sich an das Realisationsprinzip halten müssen“.

Die Karlsruher verweisen darauf, dass in der Handelsbilanz vorgenommene Rückstellungen keine zwingenden Vorgaben für die Steuerbilanz begründen und der Gesetzgeber mit dem BilMoG im Mai 2009 die Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz gelockert hat. In der Gesetzesbegründung hieß es, es sei zu prüfen, ob der handelsrechtliche Jahresabschluss seine bisherige Funktion, aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes die steuerliche Leistungsfähigkeit des bilanzierenden Kaufmanns abzubilden, weiterhin erfüllen könne.

Dann ruft der Senat sich selbst in Erinnerung: Mit Beschluss vom 12. Mai 2009 hielt just er Normen, die die Bildung von Rückstellungen zur Jubiläumszuwendung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht begrenzten, für mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfGE 123, 111). Um dann mit Bezug darauf jetzt zu bemängeln:

Mit diesen steuerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Maßgaben setzt sich der Vorlagebeschluss nicht im Hinblick auf das oben genannte Vergleichspaar auseinander. Das Vorlagegericht verkennt die Maßgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ob eine Rückstellung steuerrechtlich beachtlich ist, ist eine Entscheidung über das Wann der Besteuerung. Indem der Gesetzgeber hierbei auf den Barwert abstellt und für seine Berechnung einen bestimmten Rechnungszinsfuß vorgibt, beschränkt er die zeitlich vorgelagerte Berücksichtigung des späteren gewinnmindernden Aufwands und bestimmt damit, wann welcher Teil dieses Aufwands geltend gemacht werden kann.“

Dem Senat erschließt sich vor dem Hintergrund dieser Entscheidung auch nicht die Annahme der Kölner, dass es zu einer Ungleichbehandlung im Hinblick auf das im gesamten übrigen Bilanzsteuerrecht geltende Realisationsprinzip komme. Denn: Das BVerfG misst dem Grundsatz der Maßgeblichkeit allenfalls eingeschränkt verfassungsrechtliche Bedeutung bei und sieht gute Gründe zu bezweifeln, dass eine aktuelle bilanzielle Gewinnminderung mit der aktuellen finanziellen Leistungsfähigkeit einhergeht.

und

Nicht hinreichend begründet sieht man in Karlsruhe die Vorlage auch dort, wo die Kölner eine nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem erkennen.

Hier verweisen die Verfassungsrichter zunächst auf ihre ständige Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz, dass sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen im Sinne eines stufenlosen Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber ergeben, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an die Verhältnismäßigkeit reichen:

Im Steuerrecht besteht zwar ein – gegenüber einer reinen Willkürprüfung – strengerer Prüfungsmaßstab hinsichtlich der belastungsgleichen Ausgestaltung der Steuer. Jedoch erkennt das Verfassungsgericht hierbei einen Typisierungsspielraum des Gesetzgebers an, der seinerseits durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit begrenzt wird. Aber:

Die Vorlage legt eine Verletzung von Art. 3 Abs.1 GG nicht entsprechend den aufgezeigten Maßstäben dar. Das Gericht lässt insb. die gebotene Auseinandersetzung mit den Maßstäben zur Beurteilung des in § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG festgelegten Rechnungszinsfußes vermissen, die das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung vom 28. November 1984 (BVerfGE 68, 287) zugrunde gelegt hat.“

Der Erste Senat des BVerfG entschied damals, dass die damalige Anhebung des Rechnungszinsfußes für Pensionsrückstellungen von 5,5 auf 6% mit dem Grundgesetz vereinbar war und sah unter dem Gesichtspunkt der unechten Rückwirkung keine verfassungsrechtlichen Bedenken; solange sich der Zinsfuß in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen hält.

Nun schreibt der Zweite Senat: Den Vorwurf der Willkür gegen § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG erhebt das Vorlagegericht allein insoweit, als sich kein einleuchtender Grund (mehr) für den Rechnungszinsfuß von 6% finde. Bereits den Bezugspunkt für eine realitätsgerechte Typisierung legt es jedoch nicht den Anforderungen entsprechend dar. Es erschließt sich aus der Vorlageentscheidung nicht, warum der Rechnungszinsfuß spätere Zinserträge oder den Zinsvorteil durch spätere Steuerzahlung typisieren müsste. Da § 6a EStG eine zeitlich gestreckte steuerliche Geltendmachung der Aufwendungen zur Erfüllung von Pensionszusagen bezweckt, justiert der kalkulatorische Rechnungszinssatz den Steuerstundungseffekt aus der vorwegnehmenden Berücksichtigung künftiger Vermögensminderungen. Hieraus ergibt sich noch nicht, dass dieser Steuerstundungseffekt die gleiche Höhe haben müsste wie der Zinsvorteil, der durch die Steuerstundung entsteht. Auch die weiteren Erwägungen der Entscheidung vom 28. November 1984 (BVerfGE 68, 287) können die Darlegung des maßgeblichen Bezugspunktes für eine realitätsgerechte Typisierung nicht ersetzen. Aus diesen erschließt sich nicht, dass eine Absenkung des Rechnungszinsfußes und damit die Ermöglichung neuer Steuerstundungseffekte geboten wäre.“

Doch damit nicht genug, sieht man in Karlsruhe noch weitere Mängel; auch wenn man mit dem FG Köln davon ausginge, dass der Rechnungszinsfuß eine reale Marktgröße abbilden müsste, sähe man die Vorlage nicht ausreichend begründet:

Im Ausgangspunkt nachvollziehbar beschränkt sich das Vorlagegericht nicht allein auf den marktüblichen Zins als Vergleichsmaßstab. Seine Ausführungen zur durchschnittlichen Unternehmensrendite sind jedoch nicht aus sich heraus verständlich. Das Vorlagegericht führt nichts dazu aus, ob alternative Methoden zur Ermittlung der durchschnittlichen Unternehmensrendite in Betracht kämen und warum die von ihm gewählte Methode zwingend oder jedenfalls sachgerechter Weise zugrunde zu legen wäre. Nicht begründet hat das Vorlagegericht ferner, warum es das Ergebnis nach (und nicht vor) Steuern zugrunde gelegt hat.“

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der (auf LEITERbAV eben deshalb dokumentierten) zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 2021, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig war, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5% zugrunde gelegt worden ist (BVerfGE 158, 282): „Die Entscheidung sagt für die hier verfahrensgegenständliche Frage nichts aus“.

Schlacht von gestern?

Wie dem auch sei, egal ob man eher der Kölner oder eher der Karlsruher Argumentation zuneigt, kann man konstatieren, dass die Zeiten zumindest des schon fast grotesken Auseinanderfallens der Werte nach 253 und 6a sukzessive im Auslaufen begriffen sind (mit dem bekannten Timelag des 253) und die Diskussion damit weiter an Schärfe verlieren wird. Ob jedoch mit dem Karlsruher Beschluss eine Schlacht von gestern geschlagen worden ist, bleibt aber abzuwarten – und hängt davon ab, in welche Richtung die Notenbanken künftig steuern werden.

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