Jan Andersen, Roland Horbrügger und Florian Große-Allermann berichten vom neulichen aba-Treffen der Arbeitsrechtler des deutschen Pensionswesens. Heute Teil III: Wie man von Rententrend, Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme und Zinserwartungen zum Barwert kommt. Und: Wo die Grenzen von Abfindungsvereinbarungen laufen – auch zur Sittenwidrigkeit.
Nach Teil I und Teil II heute auf PENSIONS●INDUSTRIES der dritte und letzte Teil der Berichterstattung zu dem aba-Forum-Arbeitsrecht, das am 13. März in Mannheim stattgefunden hat (alle Aussagen wie meist auf dieser Plattform im Indikativ der Referenten):
May und Hagemann: Annahme und Zweck bestimmen Zulässigkeit
In einem interessanten Vortrag stellen Judith May und Thomas Hagemann dar, worauf es bei einer Umrechnung von Rente in Kapital ankommt. Diese Frage besitzt nicht nur dann große Praxisrelevanz, wenn Versorgungsanwartschaften übertragen oder abgefunden werden oder für sie im Versorgungsausgleich ein Ausgleichswert ermittelt werden muss. Vielmehr wird sie auch dann wichtig, wenn Versorgungszusagen Kapitalwahlrechte enthalten oder im Rahmen einer Neuordnung der bAV eine (teilweise) Umstellung von Rente auf Kapital erfolgen soll.
Wie BAG-Richter a.D. Bertram Zwanziger zu Beginn der Veranstaltung (s. Teil I) bereits ausgeführt hatte, hält nach dem BAG-Urteil 3 AZR 501/22 eine als AGB eingeführte Klausel in einer Versorgungszusage, mit der der Versorgungsschuldner sich vorbehält, die vorrangig zugesagten lebenslangen Renten durch eine einmalige, barwertgleiche Kapitalleistung zu ersetzen einer AGB-Kontrolle stand.
Ausgehend hiervon gelingt es Hagemann, den Barwert als denjenigen Betrag, den der Arbeitgeber heute anlegen müsste, um unter den vorgegebenen Annahmen die Zahlungen im Schnitt finanzieren zu können, zu definieren. Anschließend zeigt der Chefaktuar von Mercer Deutschland auf, dass es sich bei den Annahmen, von denen er spricht, erstens um Wertentwicklungen der Anwartschaft, insb. den Rententrend, zweitens die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der Leistung, also letztlich die Sterblichkeit, und drittens um die Annahme eines Zinssatzes handelt.
„Die Zulässigkeit der Kapitalisierung einer Rente in arbeitsrechtlicher Hinsicht hängt nicht zuletzt auch von den bei der Barwertberechnung getroffenen Annahmen ab.“
Weil unterschiedlichste, teilweise auch zukunftsbezogene Maßstäbe für die Barwertermittlung gelten, ist der Barwert der Anwartschaft keine eindeutige Größe. May, Head of Legal & Tax Consulting bei Mercer Deutschland, stellt klar, dass die Zulässigkeit der Kapitalisierung einer Rente in arbeitsrechtlicher Hinsicht nicht zuletzt auch von den bei der Barwertberechnung getroffenen Annahmen und diese wiederum von dem mit der Kapitalisierung verfolgten Zweck abhängen.
Diller und Hofer: zwischen Abfindung, Arglist und AGB
Das Thema der Kapitalisierung von Versorgungsanwartschaften greifen Prof. Martin Diller und Jonas Hofer auf und referieren in einem abschließenden Vortrag zu den inhaltlichen Grenzen von Abfindungsvereinbarungen.
Betroffen sind unter anderem Abfindungsvereinbarungen im laufenden Arbeitsverhältnis oder solche mit Rentnern, deren laufende Leistung vor 2005 zu laufen begann, bzw. Abfindungsvereinbarungen mit Organpersonen, weil § 3 BetrAVG in diesem Fall entweder nicht greift oder abbedungen werden kann.
Diller, Partner bei Gleiss Lutz, und Hofer, Associate bei Gleiss Lutz, führen aus, dass auch dann, wenn das BetrAVG eine Abfindungsvereinbarung nicht verbietet, der Vertragsfreiheit durch allgemeine Rechtsgrundsätze Grenzen gesetzt sein können. Beispielsweise können vorformulierte Regelungen zur Abfindung gegen AGB-Recht verstoßen.
„Die Annahme eines zu hohen Zinssatzes kann bis zur Sittenwidrigkeit führen.“
Eine Abfindungsvereinbarung, zu der ein Versorgungsberechtigter durch Hinweise auf angebliche Insolvenzrisiken oder das Verschweigen von Nachteilen veranlasst wird, kann wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB anfechtbar sein. An Hagemanns Aussagen zur Barwertermittlung anknüpfend kann die Wahl eines sehr hohen Zinssatzes, mit dem die Rente abgezinst wird, zu einem groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung und damit zur Annahme einer Sittenwidrigkeit der Abfindungsvereinbarung nach § 138 BGB führen.
Damit endet eine kurzweilige Tagung, in der es die Veranstalter sowohl verstanden haben, das 50jährige Jubiläum des BetrAVG angemessen zu würdigen, als auch hoffnungs- und erwartungsfrohe Ausblicke auf die Zukunft der bAV zu geben. Man freue sich auf mutige Entwicklungen in den nächsten Monaten – die vielleicht schon auf der aba-Jahrestagung am 14. und 15. Mai in Berlin Realität werden.
Die Autoren:
Jan Andersen ist Head of Legal bei Aon in München.
Florian Große-Allermann ist Senior Legal Consultant bei Aon in Mülheim an der Ruhr.
Roland Horbrügger ist Principal bei Aon in Mülheim an der Ruhr.
Von ihnen bzw. anderen Autorinnen und Autoren von Aon erschienen zwischenzeitlich bereits auf PENSIONS●INDUSTRIES:
Unternehmen und Menschen im Wandel: 86. aba-Jahrestagung 2024 (VII): aba-Forum Arbeitsrecht 2024 (III): aba-Forum Arbeitsrecht 2024 (II): aba-Forum Arbeitsrecht 2024 (I): Contractual Trust Arrangements: Erfurt bringt Licht ins Dunkel der Invaliditätsversorgung: Anpassungsprüfung und Rententrends: aba-Pensionskassentagung (III): aba-Pensionskassentagung (II): aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (II): aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (I): Neulich in München – mit Blick nach Erfurt: aba-Pensionskassentagung (III): aba-Pensionskassentagung (II): Entgeltumwandlung und Arbeitsvetrag: aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (II): aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (I): aba-Pensionskassentagung (II): aba-Pensionskassentagung (I): aba-Forum Arbeitsrecht 2021: Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (III): Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (II): Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (I): Digitale Rentenübersicht: Die EbAV-Regulierung schreitet voran: Aon EbAV-Konferenz 2019: Im September in Köln (III) – aba-Mathetagung 2019: Im September in Köln (II) – aba-Mathetagung 2019: aba-Forum Arbeitsrecht: aba-Mathetagung: Auch das noch (II): aba-Fachforum Arbeitsrecht: EIOPA Stresstest 2017 (III): aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II): aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I): aba-Forum Arbeitsrecht: BGH zu VBL-Startgutschriften für Rentenferne: Die Steuerbilanz nach den Anpassungen im 253 HGB: Vorlage der EIOPA-Stresstest-Ergebnisse (III):
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