Die Corona-Pandemie hat eine synchrone weltweite Rezession ausgelöst. Dank staatlicher Maßnahmen und Ausgabenprogramme sind die meisten Volkswirtschaften wieder auf die Beine gekommen, allerdings verläuft die Erholung nicht überall im gleichen Tempo. Vor dem Hintergrund gestiegener Inflationsraten und uneinheitlicher Wachstumsperspektiven sind auch die Aussichten für Geldpolitik und Zinsentwicklung weltweit unterschiedlich. Für Anleiheinvestoren könnten sich daraus interessante Möglichkeiten ergeben. Gareth Colesmith analysiert.
Synchroner wirtschaftlicher Abschwung
Als sich das Coronavirus Anfang 2020 auszubreiten begann, kam es in allen Teilen der Welt zu Konjunktureinbrüchen, die in vielen Fällen dramatisch waren. Lockdowns wurden zur Normalität und dauerten in einigen Ländern sehr lange. Nicht alle Staaten sahen sich in der Lage, strikte wirtschaftliche Beschränkungen zu erlassen – schwierig war dies besonders für die Schwellenländer.
In den Industrieländern versuchten die Regierungen mit unterschiedlichen Methoden, die negativen Folgen der Pandemie zu mildern. In erster Linie setzten sie jedoch auf eine massive Erhöhung der staatlichen Ausgaben, während zugleich die Notenbanken ihre Geldpolitik erneut lockerten. Fast überall veränderten sich 2020 die Primärsalden zum Negativen.
Die Gründe für die asynchrone Erholung sind vielfältig und komplex
Die meisten Volkswirtschaften verzeichnen zwar eine Erholung, doch im Detail ist das Bild von Land zu Land unterschiedlich. China, von der Pandemie als erstes betroffen, hat ebenso wie die USA binnen kurzer Zeit zu einer Wirtschaftsleistung wie vor der Pandemie zurückgefunden. Nun steht die Volksrepublik allerdings vor neuen Herausforderungen im Immobiliensektor.
Andere Staaten und Regionen wie die Eurozone, das Vereinigte Königreich und Japan könnten indessen dauerhafte ökonomische Schäden erlitten haben. Experten halten es für unwahrscheinlich, dass die Wirtschaftsleistung dort je wieder an den Vor-Corona-Trend anknüpfen wird.
Abb.: Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie waren von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Quelle: Nationale Statistikämter. Daten mit Stand vom 16. September 2021.
Ob ein Aufschwung von Dauer ist, hängt von vielen Faktoren ab. Eine wichtige Rolle spielen wechselseitige Abhängigkeiten von Branchen und Sektoren in den einzelnen Ländern, aber auch die Anfälligkeit für externe Schocks, etwa durch Einnahmeausfälle im Tourismus oder emporschnellende Energiepreise.
Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal ist unseres Erachtens die Anfälligkeit jedes Landes für das Coronavirus und mögliche neue Varianten, die noch auftauchen werden. Zwischen Industrie- und Schwellenländern hat sich eine breite Kluft bei den Impfquoten gebildet. Während diese in manchen Industrieländern bei über 70% liegen, beträgt der Anteil der geimpften Bevölkerung in anderen, meist ärmeren Staaten in Afrika oder Asien 30% oder noch weit weniger. Länder mit niedrigen Impfquoten weisen weiterhin eine hohe Anfälligkeit für das Virus auf, wobei sich Letzteres in einigen Staaten wie etwa Indien so stark ausgebreitet hat, dass möglicherweise auf diesem Wege eine Herdenimmunität erreicht worden ist.
Steigende Inflationsraten werden zum Problem
Eine wirtschaftliche Erholung ist zweifellos erfreulich, doch höhere Inflationsraten bereiten der Politik zunehmend Kopfzerbrechen.
„Auf längere Sicht werden unterschiedliche Verläufe der wirtschaftlichen Erholung und die für eine Verringerung der Produktionslücke erforderliche Zeit die Inflationsentwicklung in einigen Ländern beeinflussen.“
Kurzfristige, vorübergehende Effekte wie Lieferengpässe, haben einen unterschiedlich starken Inflationsdruck hervorgerufen. So spielt in den USA ein deutlicher Anstieg der Gebrauchtwagenpreise eine wichtige Rolle – er hat dazu beigetragen, dass die Inflationsrate dort jetzt höher ist als vor der Pandemie.
Ein kurzfristiges Emporschnellen der Teuerungsraten war auch in einigen Schwellenländern wie Brasilien, Russland, Mexiko und Indien zu verzeichnen. Auf längere Sicht werden unterschiedliche Verläufe der wirtschaftlichen Erholung und die für eine Verringerung der Produktionslücke (Differenz zwischen tatsächlicher und potenzieller Produktion) erforderliche Zeit die Inflationsentwicklung in einigen Ländern beeinflussen.
In Japan und der Eurozone hat die Pandemie eher die Kräfte der Deflation gestärkt als die Inflation zu schüren. Daran dürfte sich im Prinzip nichts ändern, wenngleich temporäre Faktoren die Inflationsraten in der Eurozone kurzfristig nach oben getrieben haben.
Konsequenzen für die Zinspolitik
Durch die unterschiedlichen erwarteten Verläufe von Wachstum und Inflation variieren auch die Aussichten für die Zinspolitik. Einige Notenbanken haben bereits einen Zinserhöhungszyklus eingeleitet, während andere planen, ihre Anleihekaufprogramme zurückzufahren oder zu beenden und eventuelle Zinsänderungen erst danach vorzunehmen.
„Die Risiken geldpolitischer Fehlentscheidungen, die zu einer früheren Intervention zwingen könnten, sollten nicht unterschätzt werden.“
Für die USA gehen wir trotz der gestiegenen Inflation und der Rückkehr zum Vor-Corona-Wachstumstrend davon aus, dass die Federal Reserve erst frühestens Ende 2022 eine Zinserhöhung beschließen wird. Die Risiken geldpolitischer Fehlentscheidungen, die zu einer früheren Intervention zwingen könnten, sollten jedoch nicht unterschätzt werden.
Unterdessen scheint die Eurozone den USA und China bei der wirtschaftlichen Erholung hinterherzuhinken. Es wird erwartet, dass die Europäische Zentralbank ihren expansiven Kurs noch einige Zeit fortsetzen wird, bis klar ist, dass die Inflation den angestrebten Wert dauerhaft überschreitet. Das Vereinigte Königreich könnte sich nach dem Brexit in einem von niedrigeren Wachstums- und höheren Inflationsraten geprägten Umfeld befinden, das die Bank of England möglicherweise vor erhebliche Probleme stellen wird.
Bei der Analyse der asynchronen Erholung der Volkswirtschaften geht es uns vornehmlich um das Aufspüren von Missverhältnissen zwischen dem, was die Märkte mit Blick auf die erwartete Notenbankpolitik einpreisen, und dem, was unserer Ansicht nach durch die fundamentale Situation gerechtfertigt ist. An denjenigen Märkten, an denen die erwarteten Zinserhöhungen relativ zu den Risiken offenbar überbewertet werden, könnten sich Chancen für Anleger bieten – allerdings sind Währungsrisiken zu bedenken. Umgekehrt ist es an denjenigen Märkten, die das Potenzial für Zinserhöhungen unterbewerten, möglicherweise sinnvoll, Anleihen unterzugewichten und dafür Währungsrisiken einzugehen.
Der Autor ist Head of Global Rates and Macro Research, Fixed Income.
Von ihm und anderen Autorinnen und Autoren der Insight Investment erschienen zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAV:
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