… als nur ein Wort. Drei Lehren, die Anleger bei der Beurteilung von ESG-Risiken aus der Wirecard-Pleite ziehen können, erläutert Frank Diesterhöft. Denn der Fall zeigt erneut eindrücklich, wie sich eine problematische Governance in einem Verlust materialisieren kann – und das betrifft nicht nur Aktionäre.
Die Wirecard AG meldete am 25. Juni 2020 Insolvenz an. Zuvor hatte das Unternehmen eine Überschuldung eingeräumt und über Fälle von Betrug berichtet. Nachdem Wirecard im September 2019 eine Investment-Grade-Anleihe aufgelegt hatte (WKN A2YNQ5, Koupon 0,5%), haben die Inhaber dieses Papiers in weniger als zwölf Monaten Stand heute ca. 80% ihres eingesetzten Kapitals verloren (siehe Abb.).
Wir haben es hier mit einem weiteren von einer ganzen Reihe von Beispielen zu tun, die zeigen, wie ESG-Risiken (Environmental, Social, Governance) erhebliche Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens haben und Anleiheinvestoren beträchtliche Verluste bescheren können. Aus unserer Sicht können aus der Erfahrung mit Wirecard drei Lehren für die Beurteilung von ESG-Risiken gezogen werden können.
Abb.: Debüt-Anleihe von Wirecard verzeichnet schweren Verlust.
Quelle: Bloomberg, Stand 30.06.2020. Auflegung der Anleihe im September 2019, denominiert in Euro, Fälligkeitstermin 11. September 2024.
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Nicht auf einen einzigen Datenanbieter verlassen
Die Zahlen der verschiedenen Datenanbieter sind oft gegensätzlich und manchmal auch falsch. Bei Wirecard zum Beispiel lieferten drei der renommiertesten Datenanbieter sehr unterschiedliche Bewertungen (ein niedrigeres Perzentil bedeutet ein höheres Risiko):
Anbieter 1: Wirecard liegt im abgedeckten Universum im 54. Perzentil.
Anbieter 2: Platzierung von Wirecard im 82. Perzentil.
Anbieter 3: Wirecard landet im 12. Perzentil.
Dies unterstreicht unseres Erachtens, dass Anleger ESG-Bewertungen auf breiter Basis betrachten und in den Entscheidungsfindungsprozess integrieren sollten.
Sinnvoller, Detailergebnisse zu analysieren als nur auf die Gesamtnote zu blicken
Die Beschäftigung mit den Detailergebnissen förderte einige interessante Erkenntnisse zutage:
Bei Anbieter 1 schnitt Wirecard bei den Rechnungslegungspraktiken wesentlich schlechter ab als vergleichbare Unternehmen, obgleich andere vom gleichen Anbieter als wichtig erachtete Governance-Kennzahlen innerhalb einer Standardabweichung vom Durchschnitt der betrachteten Branchenkategorie lagen.
Anbieter 2 erteilte Wirecard bei Geschäftsethik und Unternehmensführung jeweils eine durchschnittliche Note.
Aus Sicht von Anbieter 3 war das Bild durchweg negativ. Bedenken wurden unter anderem in Bezug auf Prüfungen, interne Kontrollen, Korruption und ein wettbewerbswidriges Verhalten geäußert. Diese Daten waren deutlich umfangreicher und detaillierter als die der anderen Datenanbieter.
Aus unserer Sicht vermitteln die Risikobewertungen bezüglich der Bilanzierungspraktiken eine wichtige Erkenntnis. Und zwar glauben wir, dass eine frühere Verwicklung in ernste Governance-Kontroversen ein geeigneter Indikator ist, um auf ein erhöhtes Kreditrisiko aufmerksam zu machen.
Die größeren Risiken sollten auf Basis qualitativer Beurteilung übergewichtet werden
Würden alle gelieferten Daten gleich gewichtet, könnte dies dazu führen, dass Risiken unterschätzt werden. Die Verwendung qualitativer Kriterien und die Einbeziehung von Risikobewertungen aus anderen Quellen können helfen, die wichtigsten Risiken zu identifizieren und stärker zu gewichten. Neben der Übergewichtung der Daten von Anbieter 3 in unserem ESG-Modell unternahmen unsere Analysten folgende Schritte:
Sie entschlossen sich zu einer stärkeren Übergewichtung des Governance-Signals bei Wirecard: Die Rolle eines Kreditanalysten besteht vornehmlich darin, Risiken zu erkennen und sicherzustellen, dass wir dafür entschädigt werden, wenn wir sie eingehen. Aus dieser Perspektive lautet die Haltung unserer Analysten zu Unternehmen der Kategorie Software und Services, dass „Unternehmensführung“ (Governance) in Bezug auf Kreditrisiken wesentlich stärker gewichtet sein sollte als ökologische und soziale Aspekte.
Sie berücksichtigten die Stellung von Wirecard relativ zu seinen Branchenwettbewerbern: Rohdaten lassen sich schwer sinnvoll interpretieren, da ihre Verteilung in den einzelnen Branchenkategorien unterschiedlich ist. Der Vergleich von Emittenten mit ihren Branchenwettbewerbern hilft, weitere Risiken zu identifizieren, die einer näheren Analyse bedürfen – die Erwartungen sind innerhalb jeder Branchenkategorie in der Regel unterschiedlich. Der Umstand, dass Wirecard bei 10 von 13 „Key Issues“ im Bereich Unternehmensführung durchweg eine unterdurchschnittliche Bewertung erhielt, war besonders alarmierend.
Zusammenfassung
ESG-Ratings, die ernsthafte Probleme in den Fokus rücken, sind für den Research-Prozess von Vorteil. Der Fall Wirecard zeigt, wie die Anwendung der daraus gezogenen Lehren in Form der Erstellung von Ratings für Anleger nützlich sein kann. Solche Ratings ergänzen die Beobachtungsprozesse und erweitern die Informationsbasis für den Dialog mit Unternehmen.
Insight hat zu diesem Zweck ein eigenes ESG-Bewertungssystem eingeführt. Es kombiniert Daten verschiedener Anbieter mit den qualitativen Analysen unserer Kreditanalysten mit dem Ziel, wesentliche Risiken aufzuzeigen. Unseres Erachtens wird die Kreditanalyse unseres Hauses dadurch gestärkt, und unsere Portfoliomanager erhalten Unterstützung bei dem Bemühen, alle wesentlichen Risiken zu berücksichtigen.
Der Autor ist Head of Fixed Income Sales, Germany der Insight Investment.
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