Mal wieder viel los derzeit im deutschen Pensionswesen, vor allem steht ein Gesetzesentwurf aus Berlin vor der Tür, von dem man sich durchaus mehr als kosmetische Verbesserungen für die deutsche bAV versprechen kann. Doch auch auf dem europäischen Parkett steht nichts still – und just hier gab es gestern eine wichtige Weichenstellung. PENSIONS●INDUSTRIES spricht mit zwei Akteuren, die es wissen müssen, über (fast) alles, was derzeit akut ist.
Georg Thurnes, die aba und Sie haben die Neubesetzung der Spitze der Arbeitsgemeinschaft durch Beate Petry schon sehr früh festgezurrt. Warum dieses zeitige Vorgehen?
Thurnes: Hierfür hatten wir gleich mehrere Gründe. Zum einen wird Beate Petry genug Zeit haben, sich einzuarbeiten; und wir können noch eine zeitlang zusammenarbeiten. Zum anderen denke ich, dass es fair ist gegenüber Mitgliedern und Stakeholdern, wenn sie sowohl Beate Petry als auch mich parallel und nachher Beate Petry alleine vor der nächsten Wahl 2026 erleben und erfahren können.

Außerdem ist es ja ohnehin klar, dass ich das Amt spätestens 2026 aus Altersgründen niederlegen werde, und einer möglichen Gerüchteküche wollten wir frühzeitig begegnen.
In der Summe ist das ein probates Vorgehen, und ich bin Beate Petry und der BASF sehr dankbar, dass wir das so möglich machen konnten.
Beate Petry, die deutsche bAV ist ja − vorsichtig ausgedrückt − ein ganz eigenes Feld mit ihren ganz eigenen Sorgen und ganz eigenen Nöten. Mit denen dürfen Sie ja schon täglich im eigenen Konzern umgehen, und demnächst dürfen Sie das auch noch in vorderster Front auf dem Berliner Parkett. Freuen Sie sich schon?
Petry: Auf jeden Fall! Die bAV hat ja sowohl in unserem Unternehmen als auch in Deutschland lange Tradition. Und ich freue mich wirklich, dass ich mich dann auch bei der aba um die bAV kümmern kann. Wenn das miteinander kombiniert wird und wir so die bAV stärken können – ich denke, dann können wir viel erreichen. Und das als Nachfolgerin von Georg Thurnes zu tun, wird mir eine Ehre sein.
Sie haben ja schon einige Ämter, so in der BDA und in der Deutschen Rentenversicherung. Führen Sie die fort?
Petry: Das ist derzeit der Plan, ja. Ich habe ein starkes Team, das mich dabei unterstützt. Und aus diesen Ämtern ergeben sich auch Synergien. In den Gremien sind es oftmals die gleichen Experten, die gemeinsam zusammensitzen und sich austauschen. Und wenn man dann mit einer Stimme spricht, dann kann man mehr erreichen. Zusätzlich hilft ein säulenübergreifendes Verständnis natürlich sehr.
Dass Unternehmen sich mit ihren Leuten in der Verbandsarbeit − abseits des eigenen Kerngeschäftes − engagieren, ist nicht immer selbstverständlich. Was war der Grund für die BASF, das doch zu tun?

Petry: Das Engagement in Verbänden hat bei uns eine lange Tradition im Unternehmen; nicht nur, aber auch in der bAV. BASF war maßgeblich an der Gründung der aba beteiligt. Und ich freue mich sehr, dass wir das fortführen. Viele Themen, die auf europäischer und auf deutscher Ebene diskutiert werden, haben direkte Auswirkungen auf unsere bAV, auf unser Leben, auf unser Unternehmen, und wenn wir dann da Expertenwissen einbringen können, stärkt uns das alle.
Auf die aba und auf die Verbandsarbeit kommen wir später noch zurück, doch reden wir zunächst über die bAV an sich. Sie sind ja eine erfahrene Personalerin. Und die bAV: Welche Rolle wird sie − gerade in der Chemie − in Zukunft in deutschen Personalabteilungen spielen bzw. welche sollte sie spielen?
Petry: Meine feste Überzeugung ist, dass die bAV für die Unternehmen immer wichtiger wird. Gerade in Anbetracht der demographischen Entwicklung ist dies ein großes Thema. Erstens wird eine attraktive bAV zunehmend zum Entscheidungskriterium für Bewerber. Wir als Unternehmen nutzen das tatsächlich schon in unseren Stellenausschreibungen. Das ist Teil des Employer Brandings. Zweitens ist die bAV nicht nur Teil der Gewinnung von Mitarbeitern, sondern auch der Personalbindung. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann eine attraktive bAV den Unterschied machen.
Aber es gibt ja auch andere Benefits in diesem War for Talents – neben der Bezahlung bspw. Dienstwagen oder vielleicht künftig Dienstwohnung, betriebliche Krankenversicherung bis hin zu Fitnessprogrammen; teils auch einfacher zu handhaben. Da steht die bAV ja in einem Wettbewerb.
Petry: Ich sehe das ergänzend. Für uns ist diese gesamtheitliche Betrachtung das Konzept des Compelling Total Offer, das viele Faktoren umfasst. Einige der Benefits, die Sie angesprochen haben, bieten wir an, unser Portfolio ist vielfältig, wobei die bAV heraussticht.
Die bAV ist ja die einzige Säule der Vorsorge, bei der gleich mehrere Akteure zum Erfolg beitragen: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, der Kapitalmarkt − zumindest, wenn man es richtig macht − und am Ende sogar der Staat mit den Rahmenbedingungen; die Governance und ihre Qualität also. Ich frage vorsichtig, Georg Thurnes, sehen Sie dort Luft nach oben?
Thurnes: Ich glaube, kein Fachverband würde eine solche Frage mit Nein beantworten. Mit anderen Worten: Selbstverständlich ist da Luft nach oben. Das Thema Altersvorsorge leidet daran, dass es immer zu kurzfristig angegangen wird. Diese Regierung hat genauso wie Vorgänger-Regierungen vermissen lassen, einen klaren Plan aufzustellen: Wieviel Renteneinkommen sollten die Menschen mindestens haben? Wie soll diese zustande kommen, und wie soll sich dieses über die Säulen zusammensetzen? Wer übernimmt die Finanzierungsverantwortung für die einzelnen Säulen?
Und gerade angesichts der demographischen Entwicklungen braucht man diesen Plan in einer dynamischen Ausprägung. Das mündet auch in die Frage Umlagefinanzierung versus Kapitaldeckung. Unseres Erachtens braucht man beides, aber wie gesagt, dynamisch in der Gewichtung. Mit dem Verändern der Bevölkerungsgruppen müssen sich auch die Anteile perspektivisch verschieben können. Und wenn Kapitaldeckung, dann gehört das in die zweite und dritte Säule und nicht in die erste, das ist zumindest unsere Überzeugung. Eine langfristige Ausrichtung bedeutet, einen Plan zu haben und nicht nur in einzelnen Legislaturperioden zu denken.
Petry: Gerade nachhaltige Gestaltung halte ich für das entscheidende Thema. Und das muss säulenübergreifend passieren. Warum sollte man für Rentenfragen nicht ein parteiübergreifendes Gremium einrichten?
In der Politik parteiübergreifend, meinen Sie?
Petry: Ja. Wie zum Beispiel in Schweden, das könnte eine Möglichkeit sein. Wichtig ist, dass es säulen- und partei-übergreifend ist.
Wir haben den Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Thurnes: Ja, aber der entscheidet erstens nicht nur über Rentenfragen und zweitens nicht einstimmig. Und genau das ist in Schweden so, der Ausschuss dort muss sich immer einigen, ansonsten wird an der Rente nichts geändert. Und darum geht es ja gerade: Dass man eine langfristige, nachhaltige Strategie hat und nicht permanent an dem System rumfummelt.
Also Kontinuität?
Thurnes: So ist das mit den Strategien. Wenn ich eine Strategie, kaum dass ich sie ausgesprochen habe, schon wieder umwerfe, dann ist es keine Strategie.
An sich sollten Staat und Politik froh sein, eine Säule in der Altersvorsorge zu haben, wo sie nicht alleine stehen, sondern andere Akteure unterstützen – wie schon erwähnt der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und bei gutem Management auch der Kapitalmarkt. Ich habe nur viel zu oft den Eindruck, als sehe die Politik das Engagement der Arbeitgeber in der bAV als gesetzt an. Und ich frage mich, ob das in Zeiten der Globalisierung sowie EBIT- und Shareholder Value-getriebenen Konzernen wirklich so eine Selbstverständlichkeit ist. 15%-Zuschuss, FIDA, PUEG – die drei Stichworte alleine würden reichen, mich als Arbeitgeber von jeder bAV oder gar eigenen EbAV fernzuhalten.
Petry: Bürokratie und Regulatorik, beides nimmt zu, beides nimmt überbordende Ausmaße an, und für Arbeitgeber sind das Hürden, die nicht von der Hand zu weisen sind. Schwacher Trost: Das Problem ist insgesamt nicht auf die bAV begrenzt; mit Bürokratie und Regulatorik kämpfen die Arbeitgeber in Deutschland tagtäglich. Viele dieser Themen kommen auch noch kurzfristig, und man verlangt von den Arbeitgebern, sie mögen bitte spontan reagieren. Und das ist kaum stemmbar.
Für das Nachweisgesetz konnte jetzt im Bürokratieentlastungsgesetz zumindest noch die elektronische Form hinterlegt werden, das hilft den Unternehmen sehr.
Und wo sie FIDA erwähnen: Just gestern ist in Brüssel eine diesbezüglich vielversprechende Entscheidung gefallen.
Oh. Was für eine denn?
Petry: Bekanntlich sollen EbAV gemäß diesem europäischen Verordnungsvorschlag zum Datenaustausch mit Finanzdienstleistern gleichgesetzt werden. Dies würde große Probleme für alle EbAV bedeuten, und das ohne substantiellen Zusatznutzen für irgendjemanden. Hier sind wir sehr aktiv über die aba, Verbände und Unternehmen, mit verschiedenen Ländern; Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter gemeinsam. Und gestern kam die Meldung, dass wir alle dem Ziel, EbAV aus der Verordnung herauszuhalten, eine großen Schritt näher gekommen sind.
Inwiefern?
Petry: Gestern Vormittag wurde im Wirtschaftsausschuss ECON des Europäischen Parlaments der Bericht zu der Financial Data Access-Verordnung abgestimmt. Der ECON-Bericht beschränkt nun den Anwendungsbereich von FIDA auf diejenigen EbAV und Rentenprodukte, die Verbraucher frei wählen können. Über die Ausgestaltung unserer Alterssicherungssysteme, die Pensionskassen und Pensionsfonds organisieren, entscheiden aber regelmäßig die Tarifvertragsparteien oder die Arbeitgeber. In der nächsten Legislaturperiode wird der ECON-Ausschuss dann darüber beraten, ob der Bericht so stehen bleibt und ein Trilogmandat erteilt wird.

Heisst das jetzt entspannt zurücklehnen?
Auf keinen Fall. Oder wissen Sie, ob und wie sich die Mitgliedstaaten unter belgischer Ratspräsidentschaft in den nächsten Monaten zu FIDA positionieren werden? Wir bleiben auf jeden Fall am Thema dran – auch auf der aba-Jahrestagung am 14. Mai 2024 in Berlin.
FIDA also vielleicht draußen vor der Pensions-Tür. Sehr schön, hoffen wir, dass der Abwehrerfolg hält. Bleiben wir noch bei der Frage der Strategie in der Rentenfrage: Schon heute, wo die breiteste und fetteste Alterskohorte dieses Landes überhaupt – ich zum Beispiel – auf dem Höhepunkt ihrer Steuer- und Abgabenlast ist, zahlt der Staat jedes Jahr ca. 115 Mrd. Euro Steuerzuschuss in die gesetzliche Rente, nur damit das System auf dem Höhepunkt seiner guten Zeiten nicht gleich auf der Stelle zusammenbricht. Diese fette Kohorte wird aber sämtlich in 10 bis 15 Jahren in Rente gehen. Die bAV dagegen hat, soweit ich weiß, bisher noch keinen relevanten Steuerzuschuss gebraucht, um aus irgendwelchen Schieflagen befreit zu werden. Deshalb: Für jeden Euro, den die Politik heute in die bAV investiert, zahlt sie morgen mehrere Euro weniger Grundsicherung. Ist es nicht ein Versäumnis, hier mehr zu investieren. Aber es dauert selbst bei kleinsten, selbst aufkommensneutralen Baustellen manchmal zehn Jahre, bis es da zu einer Verbesserung kommt.
Thurnes: Stimmt alles, aber …
Aber was?
Thurnes: Soll ich mal was Positives nennen?
Was denn?
Thurnes: Im Rahmen des BRSG ist die Grundsicherung mit Anrechnungsfreibeträgen bestückt worden, sodass Altersversorgung, gerade bAV, sich lohnt und nicht später angerechnet wird. Das ist gut. Wir haben des Weiteren im BRSG gerade für Geringverdiener ein attraktives und von den Arbeitnehmern gut aufgenommenes Modell der Förderung gesehen.
Den Hunderter?
Thurnes: § 100 Einkommensteuergesetz.
Gut, zugegeben.
Thurnes: Auch den eben angesprochene 15 %-Zuschuss halten wir für förderlich. In sehr vielen Fällen leisten Arbeitgeber freiwillig mehr als diese 15%, das wird gut angenommen. Die bAV ist der beste Platz für Förderungen − sie ist kollektiv, kostenarm, und insofern könnte hier durchaus noch mehr passieren.
Man sieht regelmäßig vor den Gerichten bis hin zum BAG in Erfurt, dass die Betriebsrentner eine agile Truppe sind. Aber irgendwie scheint die Politik die Betriebsrentner noch nicht als interessante Wählerschicht identifiziert zu haben, oder? Kann man in der bAV keine politischen Meriten verdienen?
Petry: Die Größenordnungen in der ersten Säule sind halt ganz andere. Die Frage ist: Ist der nahezu alleinige Fokus der Politik auf die erste Säule gerecht? Zum Beispiel mit Blick auf die jüngeren oder künftigen Generationen? Ich meine: nein. Und wenn die bAV etwas stärker ins Zentrum rückte und einen größeren Anteil an der gesamten Versorgung einnähme, dann würde die Politik diese Klientel sicher schnell für sich entdecken.
Man stelle sich mal eine Sekunde vor, ein Bruchteil dieser milliardenschweren Rentengeschenke der ersten Säule – Rente mit 63, Mütterrente usw. – würde in die bAV gelenkt, am besten noch für Arbeitgeber, die sich in der bAV engagieren.
Petry: Das würde die Verbreitung fördern, in der Tat. In der BASF können wir über mangelnde Verbreitung aber zum Glück nicht klagen, wir tun auch viel dafür, dass dies so bleibt. Unterstützung wird natürlich von jedem Arbeitgeber mit Engagement in der bAV gern gesehen.
Ich bleibe noch kurz bei der Bürokratie: Da kommt ja regelmäßig das bAV-Update der aba. Jedes Mal fange ich an, das zu lesen, und nach einer halben Stunde weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ich frage mich, wie man da überhaupt den Überblick behält. Man sieht auch deutlich, dass die aba aufgerüstet hat. Das geht doch in die falsche Richtung mit dieser Bürokratie?
Thurnes: Man braucht schon eine gewisse Leidensfähigkeit, wenn man sich mit all diesen Themen beschäftigen will. Wenn Sie fragen, ob das in die richtige Richtung geht, dann glaube ich, ist das eher eine rhetorische Frage. Nein, geht es natürlich nicht. Aber wie Beate Petry eben schon sagte: Die bAV ist damit nicht allein.
In der bAV ist es so, dass diese Bürokratie praktisch nie einen effektiven Nutzen hat − weder für die Begünstigten noch für die Arbeitgeber. Manchmal ist sie sogar regelrecht kontraproduktiv: Beispiel Nachhaltigkeit: Mit Regulierungen und Reporting-Erfordernissen erreicht man, dass manche Investoren sich diesen Themen überhaupt nicht mehr nähern.
Die deutsche bAV weist hier noch eine Besonderheit auf, weil wir ein sehr ausgeprägtes Dreiecksverhältnis zwischen Pensionseinrichtung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben, das geprägt ist vom nationalen Arbeits-, Steuer- und Sozialrecht. Und wenn man dies effizient und sachgerecht regulieren will, mit einem gewissen Kosten-/Nutzen-Effekt, dann brauchen wir dafür ein EbAV-spezifisches Aufsichtsrecht. Dafür haben wir uns seit jeher stark gemacht, bis heute leider ohne Erfolg. Aber das ist nicht das Ende aller Tage, wir werden dran bleiben.
Gehen wir nochmal nach Europa. Wir haben im Frühsommer die Wahlen zum EP. Keiner weiß, wie die ausgehen. Aber: Kann man hoffen, dass vielleicht die nächste Regulierung nicht mehr ganz so Brüsseler Hobby No. 1 ist?
Thurnes: Ich weiß es nicht. Wer will das schon voraussagen? Grundsätzlich wären wir sehr froh, wenn im Parlament und in den diversen Gremien in Europa durchdringen würde, dass deren Aufgabe die Mindestregulierung ist, sachgerecht und dort auf Vereinheitlichung begrenzt, wo es wirklich notwendig ist und auch Vorteile bringt. Und die bAV ist mit Absicht in der EbAV-II-Richtlinie als Minimalregulierungsgebiet aufgesetzt worden. Nur: Das muss auch so gelebt werden.
Thema Europe beyond EU. Die Briten sind seit dem Brexit, wie manche sagen würden, fein raus im wahrsten Sinne des Wortes. Spürt man deutlich, dass hier ein Wesensverwandter verloren gegangen ist in den europäischen Gremien zwischen Kommission, Parlament und Ausschüssen, der noch ein größeres Herz für das Pensionswesen hatte und in Sachen Bürokratie eher Bremser als Treiber war?
Thurnes: Die Briten fehlen mir im europäischen Pensionswesen in der Tat, nicht nur wegen ihres legendären britischen Humors, sondern vor allem auch aufgrund ihrer historisch gewachsenen Kompetenz in der Sache. Sie fehlen auf der Fachverbandsseite wie auf der gestalterischen Seite. Aber ich denke, auch in der jetzigen Aufstellung, in dem jetzigen Setup an beteiligten Ländern – v.a. die Niederlande und Belgien – können wir etwas erreichen. Und wir haben mit PensionsEurope einen engagierten europäischen Spitzenverband. Als aba bringen wir uns auch deutlich ein, unser Geschäftsführer Klaus Stiefermann ist stellvertretender Vorsitzender von PensionsEurope.
Wäre es für die deutsche Politik nicht ein kostenloser und einfacher Beitrag zur eben schon angesprochenen Good Governance, einfach mal ein bisschen mehr Widerstand in Brüssel zu zeigen? Wie wir es also jetzt bei FIDA endlich – von Abgeordnetenseite – mal gesehen haben? Kann doch nicht so schwer sein − stelle ich mir zumindest so vor.
Thurnes: So tief sind wir da auch nicht in den internen Dingen drin, um das abschließend beurteilen zu können. Und ehrlich: Es ist ja nicht alles schlecht, was aus Brüssel kommt. Wichtig wäre auch, bei der Umsetzung die nationalen Spielräume, die man im eigenen Land hat, auch zu nutzen. Aber ich bin bei Ihnen: In Härtefällen sollten man in Brüssel auch mal klar sagen: „Nicht mit uns“. Nur: Grundsätzlich will man ja an einem Strang ziehen, auch dafür habe ich schon ein gewisses Verständnis.
Kehren wir zurück nach Berlin. Wir hatten ja die Fachdialog und Fokusgruppe. Viele Treffen, viele Köpfe, viel Gehirnschmalz, viele Berge, die kreisten, doch was wird am Ende geboren werden. Ich bin seit jeher etwas skeptisch, ob die Politik angesichts ihrer ständig Fahrt aufnehmenden Multi-Problemlage am Ende überhaupt noch Ressourcen und Muße haben wird, kleine Baustellen in der Altersvorsorge anzufassen, von großen ganz zu schweigen. Können Sie uns den aktuellen Stand sagen?
Thurnes: Es heißt, die bAV sei nach dem Rentenpaket II der ersten Säule an der Reihe. Den großen Wurf haben wir für die bAV ohnehin nicht erwartet. Dementsprechend haben wir auch unsere Eingabe gemacht: dass zumindest viele hilfreiche, teilweise lästige Dinge angegangen und manche förderliche auch.
Von außen gesehen passiert vielleicht nicht viel, aber wir können Ihnen so viel sagen, dass in den Ministerien, mit der BaFin, mit uns Verbänden schon Etliches im Hintergrund passiert. Und da wird auch etwas bei herauskommen.
Klar ist: Reformen, die den Haushalt belasten, werden es etwas schwerer haben. Hier sehen wir mit etwas Sorge auf die geforderte Ausweitung der Geringverdiener-Förderung des § 100 EStG. Das sah ganz gut aus, aber was nun am Ende passiert, müssen wir abwarten.
Wo werden wir denn noch mit Verbesserungen rechnen können?
Thurnes: Wir erwarten Änderungen im Aufsichtsrecht, bspw. in der Anlageverordnung und in der Frage der Bedeckung bei bestimmten Pensionskassen. Außerdem gibt es Anpassungserfordernisse, schlicht und ergreifend aus der ersten Säule resultierend, Stichwort Hinzuverdienstgrenzen.
Zudem hat man sich aufgemacht, in irgendeiner Form die Riester-Förderung in der dritten Säule zu reformieren. Riester wird zwar immer der dritten Säule zugeordnet, aber ich erinnere daran, dass etwa 10% der existierenden Riester-Verträge in der bAV laufen. Und anders als so einige in der privaten Vorsorge laufen diese Verträge auch wirklich; die werden dotiert, nicht beitragsfrei gestellt. Wichtig für uns ist, dass etwaige Nachfolgelösungen eben auch in der Betriebsrente anwendbar sind. Das hat uns die Fokusgruppe zugesagt. Absolut positiv: Die Entscheidung gegen einen Staatsfonds.
Also nicht zuletzt auch hier ein kleiner Defensiv-Erfolg?
Petry: Ja. Und vergessen wir nicht: Ein solcher Staatsfonds wäre in seiner Dotierung vermutlich auch wieder über die Arbeitgeber gelaufen – entsprechend mit Administration und Kosten. Das Thema kerngeschäftsfremder Bürokratie hatten wir ja eben.
Für alle Personaler besonders in KMU platzt da sicher ein echtes Träumchen. Also Staatsfonds nein. Dafür nun aber erste Kapitaldeckung in der gRV. Lindners sog. Aktienrente hat mit dem ursprünglichen Modell des schwedischen AP7 noch soviel zu tun wie ein Hedgefonds mit dem Sozialismus. Gleichwohl, was halten Sie davon?
Thurnes: Das ist weder eine Rettung noch eine gute Idee. Ich sagte eingangs schon, Kapitaldeckung gehört in die Säulen zwei und drei, Umlagefinanzierung in die erste. Die sog. Aktienrente hat für mich in der Tat etwas von einem Hedge Fonds; man nimmt Geld auf und versucht, Überrenditen zu erzielen, die dann zwangsläufig sehr volatil sind. Und mit volatilen Erträgen möchte man eine stabile Beitragsentlastung erreichen? Wie soll denn das gehen? Volatil gegen stabil geht halt nicht so ohne Weiteres.
Trotz Finanzkrise und des politisch induzierten Niedrig- und Nullzinses und der nun schnellen Zinserhöhungen hat die deutsche bAV sich in den letzten 10 bis 15 Jahren gut geschlagen und die Politik von Katastrophenmeldungen freundlicherweise verschont. Jetzt werden die Zeiten aber härter: Der demographische Zusammenbruch kommt jeden Tag näher, wirtschafts- und industriepolitisch verschlechtert sich die Lage offenkundig auch. Kann die bAV sich dem weiter entziehen, oder sehen wir uns alle irgendwann im großen Strudel wieder?
Thurnes: Nun, den Begriff vom „Zusammenbruch“ mache ich mir nicht zu eigen. Wir haben einen demographischen Wandel, natürlich. Sich diesem stellen, das muss auch die bAV, das werden wir alle müssen. Das wird Automation erfordern, das wird Immigration erfordern, das wird längere Beschäftigungen erfordern, das wird stärkere Integration von Gruppen erfordern die es heute noch nicht so leicht haben, sich voll einzubringen. Und all das zusammen wird vermutlich auch nicht reichen. Wir werden Veränderungen in den Generationen, in den Generationengewichten kriegen.
Und deswegen wäre es für die bAV hilfreich, wenn sie reagieren könnte, wenn sie gestalten könnte – wenn man bspw. in erteilte Zusagen moderierend eingreifen könnte, vielleicht dergestalt, dass künftige Steigerungen rechtssicher abgesenkt werden können zugunsten jüngerer oder bisher unversorgter Mitarbeiter, damit auch diese eine Altersversorgung aufbauen können.
Beate Petry, wenn wir schon bei der industrie- und wirtschaftspolitischen Zukunft des Landes sind: Gerade die deutsche Chemie hat ja derzeit ihre ganz eigenen Herausforderungen. Ketzerische Frage: Könnte es sein, dass ähnlich wie die Politik auch die deutsche (chemische) Industrie bald schon ganz andere Sorgen hat, als sich mit Leidenschaft um ihre Versorgungswerke zu kümmern? Sprich: Könnte die bAV von den Agenden der Industrie beizeiten hinten runter fallen?
Petry: Die Industrie steht in Deutschland, aber auch in Europa unter enormem Druck. Auch die Chemie-Industrie – Kosten, Energie, Regulatorik: alles Standortnachteile. Wichtigste Aufgabe insgesamt ist, die Industrie zu stärken. Hier muss jede weitere Schwächung dringend vermieden werden – und der Standort Deutschland in dieser schwachen Phase, die wir gerade durchleben, unterstützt werden.
Dass aber die bAV hinten runter fallen könnte, denke ich nicht. Ich bin sogar überzeugt, dass sie das nicht wird. Hierzu wird die bAV wie gesagt viel zu sehr als Unterscheidungskriterium für Arbeitgeber und Unternehmen wahrgenommen.
Thurnes: Menschen wird man immer brauchen, und der Wettbewerb um Menschen wird schärfer. Und mit einer guten bAV steht man als Arbeitgeber in dem Wettbewerb besser da als ohne.
Jetzt mal was Positives von mir: Ich hatte ja eben schon gejubelt, wie gut sich die bAV in den letzten 15 Jahren in Deutschland aller (geld-)politischen Verwerfungen geschlagen hat. Jetzt haben wir ja diesen schnellen Zinsanstieg gesehen. Klar, die Pensionskassen haben partiell wahrscheinlich auch ein paar ordentliche stille Lasten in der Bilanz. Aber anders als bei Banken steht ja jetzt nicht jeden Morgen irgendwo einer auf und will sein Geld von der Pensionskasse wiederhaben. Ergo können EbAV Bonds held to Maturity im Anlagenvermögen buchen. Solange die Bonität nicht unter Druck gerät − kein Problem. Außerdem haben viele Pensionskassen die Härte der letzten Dekade genutzt, mit Disziplin ihren Rechnungszins runterzubringen. Jetzt können sie sich schön oberhalb des Rechnungszinses mit Fixed Income vollsaugen – langweilig, funktioniert aber. Kann es also sein, dass wir jetzt eine Phase sehen, in der Pensionskassen sich asset-seitig auf viele Jahre hinaus stabil aufstellen – und deshalb die Trägerunternehmen, die jetzt echt andere Sorgen haben, wenigstens an dieser Front mit Ruhe rechnen können?
Petry: Sie haben recht, das höhere Zinsumfeld wirkt sich positiv auf die Pensionskassen aus, da müssen wir nicht drüber reden. Viele Einrichtungen haben die Lage genutzt, um ihren Anteil in Anleihen mit guter Bonität und hoher Duration dann auch schon entsprechend auszuweiten. Aber es gilt auch weiter, stets eine gut diversifizierte Kapitalanlage zu haben. Und dementsprechend brauchen wir alle ein gutes Risikomanagement, um die Entwicklungen immer im Blick zu haben.
Stichwort Diversifikation. Es könnten aber andere Gefahren drohen. Gewerbe-Immobilien? Ich habe neulich gehört, dass die BaFin sich schon umgehört hat bei verschiedenen Pensionskassen, ob hier dieser oder jener überakkumuliert hat? Ist das so? Oder dürfen Sie das jetzt nicht so sagen?
Petry: Im Allgemeinen gibt es bei Immobilien oftmals noch ausreichend Reserven in den Investments. Aber − und das ist genau der zweite Faktor, den ich eben schon angesprochen habe −, die Diversifikation ist und bleibt wichtig, damit dann auch eben solche Risiken, wie Sie sie angesprochen haben, beherrschbar sind.
Thurnes: Immobilie ist ja nicht gleich Immobilie, auch bei Gewerbe nicht: Büro, Alterswohnsitze, Gesundheitssektor … Richtig ist, dass auch hier das Risikomanagement bei Auswahl und Betreuung derzeit gefragt ist.
Zum Sozialpartnermodell. Wir hatten Startschwierigkeiten, und jetzt haben wir drei ordentliche Akteure am Start bzw. im Dienst bereits. Zwischendurch gab es einen Rückschlag durch die IG Metall-Basis. Wie ist jetzt da die Perspektive?
Thurnes: Das Sozialpartnermodell und sein Kernstück, die reine Beitragszusage, ist etwas, worum uns viele ausländische Experten beneiden. Das ist uns konzeptionell sehr gut gelungen, bedeutet aber für viele eine Art Komplett-Richtungswechsel, eine Art Kulturbruch. Es hat mich nicht gewundert, dass das eine Weile braucht, bis es ins Laufen kommt.
Dass die IG Metall sich anders entschieden hat, ist legitim. Und die Metallbranche verfügt mit der Metallrente über ein Versorgungswerk mit einer heute schon ordentlichen Vielfalt an bAV-Angeboten.

Weniger zielführend fanden wir, wie manche die Entscheidung kommuniziert haben – nämlich dergestalt, dass dies negativ auf andere Branchen wirkt und die dort bislang Unversorgten möglicherweise unversorgt bleiben.
Petry: Ich sehe im Sozialpartnermodell gute Chancen für eine größere Verbreitung der bAV – und dass es neben die bestehenden Systeme tritt. Sozialpartnermodell heißt auch ganz wesentlich, dass zwei Tarifvertragsparteien am Start sind. Diese beiden Parteien, die durchaus einen unterschiedlichen Blick auf die Dinge haben, müssen sich austauschen und sich einigen. Und im SPM muss viel besprochen werden, muss viel erklärt werden, z.B. was es bedeutet, dass keine Garantien da sind, und auch, welche Chancen daraus resultieren.
Wir stehen ja kurz vor dem BRSG II, hier rechnen wir auch mit einigen Klarstellungen zum SPM, die nochmal einen positiven Einfluss auf die Verbreitung haben können.
Danke, damit haben Sie meine nächste Frage quasi vorweggenommen: Nehmen wir an, das SPM wird zum Standardmodell; bedeutet das denn dann nicht, dass alle anderen Strukturen und Durchführungswege, die wir in Deutschland haben, faktisch über kurz oder lang in den Run off gehen?
Thurnes: Das denke ich nicht. Das SPM wird in der tariflichen Versorgung einen Beitrag leisten, in der Basisversorgung vieler Mitarbeiter; so wird es sich hoffentlich entwickeln. Im Fachdialog setzen wir auf Neufassungen zu den Bestimmungen zur Einschlägigkeit. Wenn wir Möglichkeiten kriegen, mehr auch nicht-tarifgebundene Arbeitnehmer/Arbeitgeber in die Modelle einzubinden, dann kriegen wir mehr Verbreitung zunächst mal in den Bereichen, die bisher noch keine substantielle bAV haben. Zum Beispiel, weil diese Arbeitgeber die Administration scheuen oder eventuelle Haftungsrisiken. Gerade hier passt das SPM ja.
Aber auch nach meiner Überzeugung wird es neben die bestehenden Versorgungsstrukturen treten. Ich erwarte sogar, Durchführungswege wie die Direktzusage eine gewisse Renaissance erleben können, weil wichtiger wird, sehr maßgeschneidert die richtigen Mitarbeiter anzuziehen. Aber als Basis und auch daneben, wo bisher keine Versorgung ist, hat das Sozialpartnermodell ideale Voraussetzungen.
Nochmal zurück zur aba. Beate Petry, für einen Ausblick auf Ihre Amtszeit ist es noch ein bisschen zu früh. Georg Thurnes, für einen Rückblick auf Ihre ebenso; deshalb zum Schluss an Sie eine Frage: Bleiben Sie der deutschen bAV erhalten?
Thurnes: Zumindest mal bis zur Mitgliederversammlung 2026, bis dahin läuft meine Amtszeit als Vorstand. Dann werde ich mein 66. Lebensjahr vollenden, und dann werden Sie mir erlauben müssen, in eine Güterabwägung zu treten, ob Tätigkeit in der bAV das ist, was ich machen will, oder ob der ein oder andere Grundsatz, den Udo Jürgens schon vor Jahren für dieses Alter verbreitet hat, mich nicht mehr anzieht. Also das werden wir dann 2026 sehen.