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8. Berliner bAV-Auftakt (II):

Von Geburtshelfern und keinen Staatsfonds …

von Puffern, boLZen, Praxistauglichkeit und mehr: Wie stehen SPD, FDP und Union zur bAV? Wie gehts weiter mit dem Sozialpartnermodell nach dem ablehnenden Votum der IG-Metall-Basis? Welchen Fokus haben die Arbeitgeber? Für PENSIONSINDUSTRIES dokumentiert Veranstalter und Moderator Mathias Ulbrich die wichtigsten Aussagen der Tagung vom Jahresanfang. Teil II eines zweiteiligen Beitrages.

In Berlin hat Anfang Februar zum achten Mal der „Berliner bAV-Auftakt“ stattgefunden. Nach dem ersten Teil der Berichterstattung zu der Tagung – in dem es um das BRSG II, das Sozialpartnermodell des BVV und die aktuelle arbeitsrechtliche Rechtsprechung ging – folgt heute Teil II mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, Aufsicht und Politik.

Wegen der Dichte der Informationen erfolgt auch der II. Teil der Berichterstattung im gewohnten PI-Stakkato (alle Aussagen der Referenten im Indikativ):

Jochen Homburg: Momentaufnahmen und der weite Weg

Jochen Homburg, Referent Tarifpolitik, Vorstand IG-Metall, stellt die aktuellen Ansichten seines Hauses mit Blick auf die bAV und insbesondere das SPM vor, auch mit Blick auf die Skepsis gegenüber dem Kapitalmarkt auf dem 25. Gewerkschaftstag vom 22.-26. Oktober 2023:

+++ Gewerkschaftstag beriet fast einen Tag zur bAV +++ Ziel: flächendeckende Verbreitung der bAV +++ allerdings Skepsis gegenüber Kapitalmarkt +++ schwankende Renten finden kaum Akzeptanz +++ deswegen bAV nur mit garantierter Mindestleistung, Arbeitgeberhaftung und Bestandsschutz für bestehende Regelungen +++ Vorschlag des Gewerkschaftstags: statt SPM besser gRV mit freiwilligen Zahlungen in Anlehnung an § 187a SGB VI („Soli-Rente Plus“) +++ Finanzierung durch Arbeitgeber und ergänzend durch Arbeitnehmer +++

 

Opting out auf betrieblicher Ebene kann akzeptiert werden.“

 

+++ liegt am Ende alles wieder auf den Tisch? +++ Beschlüsse sind keine Absage der IG Metall an bAV – im Gegenteil +++ nun müssen weitere Möglichkeiten zu mehr Verbreitung ausgelotet werden +++ SPM mit Öffnung für Garantien könnte Stimmungswechsel erwirken +++ Sorgen vor Einschnitten in bestehende Zusagen durch SPM müssen genommen werden (Trennung alter Welt von neuer Welt) +++

Jochen Homburg, IG Metall …

+++ Blick auf BRSG II: Einschlägigkeitserfordernis für SPM neu regeln, aber weiter nur mit Gewerkschaften +++ Beitragsgarantie für boLZ möglichst bei 100% +++ Arbeitgeberhaftung bei boLZ mit 80% Beitragsgarantie klären; möglich mit mehr Mitbestimmung +++ Opting out auf betrieblicher Ebene (§ 20 Abs. 2 BetrAVG) kann akzeptiert werden +++ Handlungsmöglichkeiten für TVP erweitern (bspw. § 3 Abs. 2 BetrAVG) +++ je mehr Tarifdispositivität, umso besser +++ Generationengerechtigkeit als Konfliktthema nicht in Betriebe tragen +++ § 6 BetrAVG Wegfall des Erfordernisses der Vollrente aus der GRV +++ Möglichkeit des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente aus bAV auch ohne Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis +++

Karsten Tacke: Finanzarchitektur ist entscheidend

Karsten Tacke, Hauptgeschäftsführer Pfalzmetall, erläutert den Blick seines Verbandes auf die bAV 2024 und fragt: SPM – warum ist das so schwer?

+++ gefragt werden muss, wo und wie Lebensstandardsicherung erfolgen soll +++ gRV allein kann nicht die Lösung sein +++ auch Zusatzbeiträge in gRV („Soli-Rente Plus“) können bAV nicht ersetzen: (demographiebedingt) immer weniger Beitragszahler müssten erhöhte Ansprüche künftiger Rentner schultern +++ Lebensstandardsicherung kann nur über rechtzeitige Kapitaldeckung erfolgen +++

 

Sozialpartnermodelle sind Non-Profit-Einrichtungen und keine Wettbewerbsmodelle.“

 

+++ SPM für kapitalgedeckte bAV ideal: Ausgleich zwischen Anlagechancen und Sicherheiten (die einer Garantie möglichst nahe kommen sollten) sowie Enthaftung des Arbeitgebers +++ aber bei beiden Sozialpartnern noch Überzeugungsarbeit zu leisten +++ Pfalzmetall hätte SPM in der Metallindustrie begrüßt +++ allerdings müssen Kosten stets kalkulierbar sein, denn Tarifpolitik ist Kostenpolitik +++

Karsten Tacke, Pfalzmetall —

+++ wie geht es weiter? +++ aktuelle Situation erfordert Nachdenken +++ SPM liegt zwar auf Eis, aber nicht für immer vom Tisch +++ wichtig: Finanzarchitektur eines SPM muss Arbeitsrecht bestimmen und nicht umgekehrt +++ und: SPM sind Non-Profit-Einrichtungen und keine Wettbewerbsmodelle, die um Mitglieder kämpfen +++ erforderlich sind große Kollektive und Volumen +++ deswegen Kleinteiligkeit möglichst vermeiden +++ Erleichterungen beim gesetzlichen Einschlägigkeitserfordernis müssen gut abgewogen werden +++ Tarifvorbehalt nach wie vor unverzichtbar +++ Enthaftung der Arbeitgeber in jedem Fall Eintrittskarte für Breitenwirkung von SPM +++

 

Zusagen mit einer Beitragsgarantie unter 100% sind in der boLZ weit verbreitet.“

 

+++ beyond SPM: Rechtliche Risiken abbauen +++ Zusagen mit Beitragsgarantie unter 100% in boLZ weit verbreitet +++ Gefahr einer Haftung für Arbeitgeber wirkt kontraproduktiv, insb. bei kleineren Unternehmen und Verträgen mit kurzer Laufzeit +++ Problem würde sich für Bestand selbst durch Erhöhung des Höchstrechnungszinses nicht lösen +++ BZML aktuell am Markt gar nicht mehr angeboten +++ zu diesen Themen muss das BMAS handeln +++

Marius Wenning: Werbung für die rBZ – Kommunikation ist wichtig

Marius Wenning, Fachreferent Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin, legt seine Ansichten zur reinen Beitragszusage (rBZ) dar:

Kernpunkte der rBZ +++ durchführende Einrichtungen (PK, PF, LVU) dürfen keine Garantie auf Leistung abgeben +++ Ziel: ertragreichere Anlagepolitik, denn Garantien teuer +++ Bewertung der Kapitalanlagen zum Zeitwert +++ lebenslange (Alters-) Renten erforderlich +++ Schwankungen der Renten zugelassen, aber ausgehend von potenziell höheren Startrenten +++ Berechnung der Startrente grundsätzlich mit „best Estimate“-Rechnungsgrundlagen +++

Marius Wenning, BaFin …

+++ Puffer zulässig und sinnvoll +++ auch für Anwartschaftsphase +++ Puffer können auch über Sicherungsbeitrag nach § 23 BetrAVG finanziert werden +++ aber Puffer teuer, mindern Ertrag +++ Schwankungen können auch durch Rückdeckung mit klassischer RDV vermieden werden +++ widerspricht allerdings der Idee der rBZ +++

+++ wichtige Rolle der TVP +++ ohne Tarifvertrag keine rBZ (§ 1 Abs. 2 Nr. 2a BetrAVG) +++ Beteiligung der TVP an Durchführung und Steuerung der rBZ nach § 21 BetrAVG insb. bzgl. Kapitalanlage und Pufferbildung und -verwendung +++ TVP sollten in der Praxis kein SPM ohne Versorgungsträger abschließen u.u. +++ Umlage von Kosten für Nicht-Tarifgebundene, die sich an SPM beteiligen, ist regelbar (ohne Verstoß gegen Gleichbehandlungsgebot des § 138 Abs. 2 VAG) +++

 

Die Durchführung bereits bestehender SPM als Pensionsfonds heißt nicht, dass Pensionskassen oder LVU nicht ebenso geeignet sind.“

 

+++ Rolle der BaFin und Empfehlungen: BaFin führt lediglich Aufsicht durch +++ stellt aber nicht sicher, dass Renten möglichst stabil sind +++ gewünschtes Stabilitätsniveau ist Sache der TVP +++ für Zusagen mit Garantien sollten klassische Zusageformen verwendet werden +++ BaFin gibt Unbedenklichkeitserklärung für Pensionsplan ab bzw. genehmigt bei regulierten Pensionskassen AVB und technischen Geschäftsplan +++ Durchführung bereits bestehender SPM als Pensionsfonds heißt nicht, dass Pensionskassen oder LVU nicht ebenso geeignet sind +++ rBZ wirft noch immer Fragen von hoher Komplexität auf, eröffnet aber auch zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten +++ frühzeitige Aufnahme von Gesprächen mit BaFin unbedingt empfehlenswert +++

Tanja Machalet: Tarifliche Lösungen sind erste Wahl

Tanja Machalet, MdB in der Fraktion der SPD und Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, erläutert die Perspektive ihrer Fraktion auf die bAV 2024:

+++ Fachdialog sehr hilfreich für Austausch über bestehenden Reformbedarf +++ SPD als „Geburtshelfer“ des SPM weiter sehr an dessen Verbreitung interessiert +++ aktueller Kern der Diskussion: wieviel Tarifbindung für „pay and forget“ erforderlich? +++ wichtig: Vertrauen in tarifliche Lösungen besonders hoch +++ tarifliche Lösungen obligatorischer bAV vorzuziehen +++

 

Die Koalition wird sich zur Frage von Beitragsgarantien verständigen müssen.“

 

+++ bei Diskussion BRSG II auch berücksichtigen: gRV (bspw. Grundrente, Einbeziehung Selbstständiger) und mögliche Anpassungen der geförderten pAV +++ Rahmen wird aber stets von finanziellen Möglichkeiten gesetzt, so auch bei Anpassungen des § 100 EStG +++ bestehender Skepsis gegenüber Kapitalmärkten mit Information und Beratung begegnen +++ veränderte Zinslandschaft hat auch Auswirkungen auf Diskussionen zur Garantiehöhe +++ Koalition wird sich zur Frage von Beitragsgarantien verständigen müssen +++ Altersvorsorgeprodukte müssen jedenfalls sicher und transparent sein +++

Jana Schimke: Freiheit und obligatorische Vorsorge

Jana Schimke, MdB in der Fraktion CDU/CSU und Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, stellt den Standpunkt ihrer Fraktion zur bAV 2024 dar:

+++ ob 2. oder 3. Säule – Staatsfonds wird es nicht geben +++ Aussage im Entwurf des Grundsatzprogramms zu kapitalgedeckter obligatorischer Altersvorsorge muss noch konkretisiert werden +++ grundsätzlich: Voraussetzung dafür schaffen, dass Menschen neben gRV vorsorgen +++ wie, sollte ihnen selbst überlassen bleiben +++ keine Vorgabe, ob in 2. oder 3. Säule und in welcher Form der Anlage +++ Riester aufrechterhalten und weiterentwickeln +++ Altersvorsorge muss sich lohnen +++ entscheidend für Reformen ist letztlich immer politischer Wille +++

 

Wenn Beitragsgarantien für die bAV-Verbreitung hinderlich sind, müssen sie angepasst werden.“

 

+++ für Ansatz kapitalgedeckter obligatorischer Altersvorsorge könnte sich § 100 EStG anbieten +++ jedenfalls: Fördergrenzen des § 100 EStG sollten dynamisiert werden +++ Verbesserungen der bAV im Austausch mit den Stakeholdern erarbeiten +++

Der Veranstalter im Gespräch mit Jana Schimke, CDU …

+++ Arbeitgeber nicht überfordern, bspw. durch bürokratische Vorgaben +++ wenn Beitragsgarantien für bAV-Verbreitung hinderlich, müssen sie angepasst werden +++ SPM: Erleichterungen beim Einschlägigkeitserfordernis kann hilfreich für Verbreitung sein +++

Anja Schulz: Information und klare Regeln

Anja Schulz, MdB in der Fraktion der FDP und Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, bezieht für die Liberalen Position:

… sowie Tanja Machelet (li.), SPD, und Anja Schulz, FDP, auf dem 8. Berliner bAV-Auftakt (alle Fotos: Yvonne Weigert).

+++ SPM müssen zielgenau wirken +++ Information über Altersvorsorge ist besonders wichtig +++ SPM grundsätzlich gute Idee, Praxistauglichkeit muss sich aber erst noch beweisen +++ SPM sollten Verbreitung der bAV in KMU erhöhen +++ leichtere Beteiligung Nichttarifgebundener am SPM erforderlich +++ weitverbreiteter „Abgesang auf Kapitalmarkt“ ist SPM nicht zuträglich +++ Impulse aus Ergebnissen der Fokusgruppe (bspw. zu Garantien) können auch für bAV hilfreich sein +++

 

Bezüglich des Garantieniveaus bei der boLZ sind klare Regeln erforderlich.“

 

+++ Klare Regeln zum Garantieniveau +++ sonstige bAV: § 100 EStG anpassen (Dynamisierung der Fördergrenzen) – sofern Haushalt das zulässt +++ Verbesserungen in der Portabilität +++ wichtig ist Beseitigung von Rechtsrisiken +++ klare Regeln bzgl. Garantieniveau bei der boLZ erforderlich +++ hier sollte eine gesetzliche Anpassung erfolgen +++ pAV: möglichst Umsetzung der Empfehlungen der Fokus-Gruppe in geförderter pAV +++ parlamentarisches Verfahren dazu soll Mitte 2024 beginnen +++

Der „9. Berliner bAV-Auftakt“ wird Anfang 2025 stattfinden.

Der Autor ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht, insb. für Arbeitsrecht an der Hochschule Schmalkalden. Darüber hinaus ist er Inhaber der Kanzlei für betriebliche Altersversorgung Prof. Dr. Ulbrich in Kooperation mit BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte in Köln und Geschäftsführer der Treuhand für betriebliche Vorsorge GmbH in Leipzig.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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