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Gestern 3 x in Erfurt (II):

Das Ende des Ping-Pong-Spiels

Das Bundesarbeitsgericht hat gestern eine offene Frage geklärt, die zu den meistdiskutierten der bAV gehört(e), und damit nach einer jahrelangen Serie von Auseinandersetzungen zwischen den Gewalten schlussendlich für Rechtssicherheit gesorgt.

 

 

Bertram Zwanziger, Dritter Senat. Foto: BAG.

Gestern Vormittag in Erfurt: Der Dritte Senat des BAG verhandelt in zwei Verfahren über eine ewige Untote“ (LEITERbAV), nämlich die Frage um die rückwirkende Anwendung der 2017er-Gesetzesänderung in Zusammenhang mit Escape-Klausel und Anpassungsprüfpflicht gem. § 16 Abs. 3 Nr. 2 in Zusammenwirken mit § 30c Abs. 1a BetrAVG, die über Jahre einem Ping-Pong-Spiel ähnlich zwischen den Polen Exekutive/Legislative und Judikative pendelte.

 

Kernsatz einer gestrigen Mitteilung des Dritten Senats:

 

Wird die bAV u.a. über eine Pensionskasse im Sinne von § 1b Abs. 3 BetrAVG durchgeführt und ist nach den Regelungen der Pensionskasse sichergestellt, dass ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallenden Überschüsse zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden, entfällt nach § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG die Verpflichtung des die Versorgung zusagenden Arbeitgebers zur Anpassungsprüfung und -entscheidung nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG.“


Außerdem verstößt die Regelung nicht gegen EU-Recht und ist v.a. im Einklang mit dem Grundgesetz auch rückwirkend anwendbar, wie der Senat weiter erläutert:

 

Durch das Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-RL vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2553) fiel ab dem 31. Dezember 2015 die weitere Voraussetzung in § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG weg, wonach zur Berechnung der garantierten Leistung der nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a VAG festgesetzte Höchstzinssatz zur Berechnung der Deckungsrückstellung nicht überschritten werden darf. Dies ist mit Unionsrecht vereinbar. Die durch § 30c Abs. 1a BetrAVG angeordnete Geltung der am 31. Dezember 2015 in Kraft getretenen Änderung auch für Anpassungszeiträume, die vor dem 1. Januar 2016 liegen, stellt keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar.“


Erfurt grüßt Berlin


Wie erwähnt hatte der Dritte Senat gestern zwei derartige Fälle (neben einem dritten, zu dem noch keine Informationen vorliegen) auf dem Tisch: Zunächst den Fall 3 AZR 374/21 (dessen Einzelheiten am vergangenen Freitag auf LEITERbAV erläutert worden waren), bei dem der Senat jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG nicht abschließend beurteilen konnte und die Sache deshalb an das LAG Schleswig Holstein zurückverwiesen hat.


Der zweite und ähnlich gelagerte Fall, der die o.a. Kernsätze hervorgebracht hat, firmiert unter 3 AZR 408/21, hat das Hessische LAG mit Urteil vom 17. Februar 2021 mit Az 6 Sa 480/20 zugrundeliegend und betrifft den BVV. Im Einzelnen zu dem Fall:


Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern langjährig als Angestellte beschäftigt. Seit 1. Oktober 2011 bezieht sie bAV-Leistungen über die regulierte Pensionskasse des BVV. Seit Rentenbeginn war die Betriebsrente der Klägerin nicht mehr erhöht worden.


Mit ihrer Klage machte die Rentnerin u.a. eine Anpassung des auf Beiträgen der Arbeitgeberin beruhenden Teils ihrer Betriebsrente nach § 16 Abs. 1 BetrAVG zum 1. Oktober 2014 geltend und verlangt daraus folgend für die Zeit ab dem Anpassungsstichtag monatlich eine weitere Betriebsrente iHv. 37,72 Euro brutto. Sie vertrat die Auffassung, die Ex-Arbeitgeberin könne sich nicht auf § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG berufen, da dieser auf den streitgegenständlichen Anpassungsstichtag 2014 nicht anwendbar sei. Die Änderung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG sei mit Unionsrecht nicht vereinbar. Außerdem verstoße die Übergangsbestimmung in § 30c Abs. 1a BetrAVG gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Jedenfalls seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG nicht erfüllt.


Gesetzgeber korrigiert Rechtsprechung


Schon die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Das BAG hatte jedoch mit Urteil vom 10. Dezember 2019 (3 AZR 122/18) das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Dieses hatte der Klage iHv. 16,92 Euro brutto monatlich stattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Es hat hinsichtlich des von ihm abgewiesenen Teils der Klage iHv. 5,04 Euro brutto monatlich die Auffassung der Beklagten bestätigt, sie sei gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG nicht zur Prüfung einer Anpassung verpflichtet.


Die dagegen von der Klägerin neuerlich geführte Revision hatte wie eingangs beschrieben gestern vor dem Dritten Senat keinen Erfolg. Die bei der Pensionskasse für den Tarif DA geltenden Regelungen erfüllen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG in seiner seit dem 31. Dezember 2015 geltenden Fassung. Die Neufassung des § 16 Abs. 3 Nr. 2 zum 31. Dezember 2015 verstößt nicht gegen das Verschlechterungsverbot aus Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2014/50/EU (Mob-RL). Dieses soll verhindern, dass die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zur Absenkung des bestehenden Schutzes genutzt wird.

 

Vorliegend hat der Gesetzgeber, wie der Senat mit sicherlich wohlüberlegter Wortwahl schreibt, jedoch ‚lediglich‘ zeitgleich mit und bei Gelegenheit der Umsetzung eine außerhalb des Regelungsbereichs der Richtlinie bestehende Rechtsprechung des Senats korrigiert.“

 

Und weiter: Die Übergangsvorschrift des § 30c Abs. 1a BetrAVG ist nicht wegen unzulässiger Rückwirkung verfassungswidrig. Die Betriebsrentner der Beklagten mussten bereits ursprünglich davon ausgehen, dass eine Anpassungsprüfungspflicht nicht unverändert bestehen bleiben würde. Die vom Gesetzgeber gewählte Stichtagsregelung orientiert sich am Sachverhalt und ist vertretbar.“

 

Bemerkenswerte Wortwahl

 

Mit dem Urteil dürfte die Frage der rückwirkenden Anwendbarkeit der vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber mit unzweideutig kommuniziertem Willen angepassten 16er-Escape-Klausel wohl endgültig geklärt sein – und bei Pensionskassen wie Arbeitgebern für Erleichterung sorgen.

 

Marco Herrmann, BVV.

In einer ersten Reaktion begrüßte Marco Herrmann, Vorstand des BVV, gegenüber LEITERbAV das Urteil ausdrücklich. „Der Dritte Senat hat mit heutiger Entscheidung in Sachen Anpassungsprüfungspflicht des Arbeitgebers Rechtssicherheit geschaffen.“ Auch Herrmann fiel eine Formulierung des Senats offenbar besonders auf, wenngleich er diese explizit nicht weiter kommentieren wollte: „Bemerkenswert ist die Aussage in der diesbezüglich veröffentlichten Mitteilung des Gerichts, dass der Gesetzgeber ‚lediglich‘ zeitgleich mit und bei Gelegenheit der Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie eine Rechtsprechung des Senats korrigiert hat. Dem ist nichts hinzuzufügen.“

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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