Viel zu besprechen hatten die aba-Mathematiker dieses Jahr mal wieder. Heute Teil II des Beitrags von Korbinian Kolb: was neu ausgelegt werden muss, wo die Betriebsprüfer vermehrt und Aktuare genau nachfragen sollten, was als lebendes Dokument gedacht ist, wo die Standardoption lenkt, wer wo welche bunte Vielfalt adressiert, wessen Rente schwanken kann, wer den Zinsanstieg genutzt hat, was erstmals für ganz Deutschland gilt, inwiefern es Überraschungen im Jahresabschluss zu vermeiden gilt und mehr …
Nach dem ersten Teil heute Teil II der Berichterstattung zu der diesjährigen aba-Tagung der Fachvereinigung Mathematische Sachverständige, die am 18. September in Mannheim stattgefunden hat (und wie stets PENSIONS●INDUSTRIES alle Aussagen im Indikativ der Referenten):
Aktuelle Stunde: Rentnergesellschaft – Neuauslegung der Rechtsprechung
Zum Nachmittag übernimmt PSV-Chef Benedikt Köster die Moderation, zu Beginn mit dem ersten Teil der diesmal ausgedehnten aktuellen Stunde, u.a. mit Kurzvorträgen aus den laufenden Arbeitsgruppen der Fachvereinigung:
„Die maßgebliche BAG-Rechtsprechung bedarf einer angemessenen Neuauslegung.“
Den Anfang machen Hanne Borst, Leiterin Retirement Deutschland bei WTW und Andre Geilenkothen, Partner bei Mercer, aus der Arbeitsgruppe Rentnergesellschaft.
Aufbauend auf den Berichten auf den letzten aba-Tagungen stellen die beiden den Ergebnisbericht zu diesem nicht ganz neuen Konstrukt vor, das durch die Möglichkeit der vollständigen Enthaftung für Pensionsverpflichtungen bei einer Übertragung auf einen externen Risikoträger jedoch auch aktuell Anwendung findet.
Die maßgebliche BAG-Rechtsprechung aus dem Jahr 2008 (Az. 3 AZR 358/06) bedarf jedoch einer angemessenen Neuauslegung, so die Referenten. Der Ergebnisbericht gibt insb. Anhaltspunkte für die Ausstattung einer Rentnergesellschaft unter wirtschaftlich sinnvollen Kriterien.
Die wesentlichen Ergebnisse zur Festlegung der Prämissen sind dabei der genaue Blick auf die künftig zu erwartenden Rentenanpassungen, der bAV angemessene biometrische Rechnungsgrundlagen mit Sicherheitszuschlägen sowie die Abzinsung mit einem IFRS-Zins mit zusätzlichem Sicherheitsabschlag. Das Ergebnispapier ist als „lebendes Dokument“ gedacht, welches kontinuierlich diskutiert und aktualisiert werden soll.
Auszahlung: Standardoption mit Lenkungswirkung
Für die Arbeitsgruppe zu Auszahlungsoptionen stellt Angelika Brandl, Partnerin bei Aon, erste Ergebnisse zur Auswertung von Inanspruchnahme-Wahrscheinlichkeiten von ca. 160 Direktzusagen vor:
Die Untersuchungen zeigen, dass bei einer Rentenanpassung nach VPI die lebenslange Rente als sehr attraktiv gegenüber Kapital- oder Ratenzahlung wahrgenommen wird. Aber auch ohne diese Bedingung ist die Rente gegenüber den zwei weiteren Auszahlungsformen (Hybridformen werden explizit nicht betrachtet) mit 46% die meistgewählte Option.
„Belastbare Auswertungen gestalten sich auf Grundlage der vorliegenden Daten als schwierig.“
Zudem ist eine hohe Lenkungswirkung bei der Vorgabe einer Standardoption zu beobachten. Belastbare Auswertungen zur Abhängigkeit von weiteren denkbaren Einflussfaktoren gestalten sich auf Grundlage der vorliegenden Daten jedoch als schwierig.
Bilanzierung rückgedeckter Pensionsverpflichtungen: Deckungskapitalverfahren etabliert
Friedemann Lucius, Chefaktuar bei Heubeck, gibt schließlich noch einen Einblick in die jüngste Wortmeldung der Wirtschaftsprüfer zur Bilanzierung von rückgedeckten Pensionsverpflichtungen:
Idealerweise sollten gemäß des IDW-Rechnungslegungshinweises aus Sicht der Wirtschaftsprüfer die genauen Zahlungsströme aus Rückdeckungsversicherung und Pensionsverpflichtung für die Bewertung herangezogen werden. Aufgrund der in der Praxis oft unvollständigen Informationen zu den Rückdeckungs-Zahlungsströmen hatten die Aktuare von DAV und IVS im April 2022 „faktorbasierte Verfahren“ zur Umsetzung des Rechnungslegungshinweises entwickelt.
„Wahl und Herleitung der Gesamtverzinsungsannahme sollten vom Unternehmen bzw. Aktuar kritisch hinterfragt werden.“
Dabei hat sich das Deckungskapitalverfahren zur Ermittlung des Aktivwerts der Pensionszusage aus der Umschätzung des Erfüllungsbetrags der Pensionszusage als Standardverfahren etabliert. Hierfür ist neben der Biometrie-Anpassung auf die DAV-Sterbetafeln auch eine Zinsanpassung unter Verwendung der Gesamtverzinsung der Rückdeckungsversicherung notwendig.
Die Wirtschaftsprüfer haben nun die bunte Vielfalt bei der Herleitung für die Gesamtverzinsungsannahme adressiert. Die Wahl und Herleitung dieser Annahme sollten vom bilanzierenden Unternehmen bzw. vom Aktuar kritisch hinterfragt werden, und das Ergebnis muss entsprechend dokumentiert sein, um mögliche Beanstandungen zu vermeiden.
Evonik: Neugestaltung einer bAV mit einer kapitalmarktorientierten Rentenphase
Dass die Idee einer möglichst chancenorientierten Kapitalmarktpartizipation nicht nur in der rBZ besteht, zeigt Barbara Schneider, Aktuarin bei Evonik Industries, mit der Vorstellung des Versorgungsplans 2023 des Konzerns:
Bei dem für Neuzugänge gestalteten Versorgungsplan handelt es sich um eine boLZ im Rahmen einer Direktzusage. Die Finanzierung erfolgt über ein CTA, und die Zusage beinhaltet ein Garantieniveau von 80% der Beiträge bei Erreichen der Regelaltersgrenze.
Die Kapitalanlage erfolgt über zwei Multi Asset Fonds mit einem altersabhängigen Gleitpfad für die Umschichtung in den Fonds mit dem geringeren Aktienanteil ab 25 Jahre vor Rentenbeginn. Die Auszahlung erfolgt grundsätzlich als Kapitalzahlung, ab einem gewissen Mindestkapital besteht zusätzlich ein Wahlrecht zur (Teil-)Verrentung.
„Die Differenz zwischen Garantie- und Gesamtrente wird als jährlicher Bonus ausbezahlt und kann schwanken.“
Bei der Ausübung des Rentenwahlrechts kommt dann der Mechanismus zur Beteiligung an den Überschüssen in der Rentenphase ins Spiel. Hierfür wird das bei Leistungsbeginn vorhandene Kapital in eine monatliche Garantierente und eine Rente mit Best Estimate-Annahmen (Gesamtrente) umgerechnet. Die Differenz zwischen Garantie- und Gesamtrente wird als jährlicher Bonus ausbezahlt und kann je nach Höhe des kollektiven Gesamtvermögens schwanken.
Zur Festlegung der Annahmen zur Ermittlung von Garantie- und Gesamtrente wurden zahlreiche Modellberechnungen mit unterschiedlichen Renditeannahmen durchgeführt, um eine möglichst gerechte Verteilung bei gleichzeitig attraktiven Rentenleistungen zu erreichen. Im Ergebnis unterscheiden sich die Annahmen lediglich im Rechnungszins von 0,5% für die Garantierente und 2,5% für die Gesamtrente. In der Praxis muss sich das Modell jedoch erst noch beweisen, da bisher noch keine Rentner im neuen Versorgungsplan sind.
DHL: Kapitalanlagestrategie von Buy and Maintain bis zu Return seeking
Die konkrete Ausgestaltung einer Kapitalanlagestrategie stellt Christian Mehlinger, Abteilungsleiter Group Pensions bei DHL, vor:
Auch wenn die DHL mit über 300 Pensionsplänen global unterwegs ist, liegt der Schwerpunkt der Pensionsverpflichtungen in Deutschland und UK. In Deutschland gibt es zwei Finanzierungsvehikel: ein CTA und den 2009 gegründeten Pensionsfonds.
„Der Zinsanstieg wurde genutzt, um die nicht zufriedenstellende Multi Asset-Strategie in einen Buy and Maintain-Ansatz mit IG-Anleihen zu überführen.“
Da sich im Pensionsfonds nur Leistungsempfänger mit Garantieanpassung befinden, ist der Cashflow für diesen Bestand sehr planbar. Daher wurde der Zinsanstieg im Jahr 2023 genutzt um die bisher nicht zufriedenstellende Multi Asset-Strategie mittels Buy and Maintain-Ansatz komplett in Investmentgrade-Anleihen mit planbaren Cashflows zu überführen und nun entspannt „dem Sonnenuntergang entgegenzureiten“.
Das CTA muss keine 100%-ige Ausfinanzierung der nach IFRS bilanzierten Pensionsverpflichtungen gewährleisten, die Anlagestrategie ist daher aufgeteilt. Ein Teil des Portfolios soll die vom Unternehmen geplanten Cashflows für die nächsten Jahre bedienen und hat hierfür ebenfalls eine Buy and Maintain-Strategie. Der zweite Teil, das Return seeking Portfolio, mit hohem Aktien- und Private Markets-Anteil, bietet mehr Spielraum und soll demnach auch mehr Rendite erwirtschaften. In UK ergibt sich aufgrund der dort geltenden regulatorischen Anforderungen eine etwas diffizilere Asset Allocation.
IFRS 18: ab 2027, aber auch für die Vorperiode
Zum Abschluss geht die aktuelle Stunde mit zwei weiteren Kurzvorträgen in die Verlängerung.
Zunächst gibt Jürgen Fodor, Director Retirement bei WTW, einen Ausblick auf die Auswirkungen des neuen IFRS 18 auf die Pensionsbilanzierung, der künftig den IAS 1 ablösen wird:
https://pensions.industries/ihren-ausweis-bitte/
Für die Pensionsgutachten selbst ergeben sich keine Auswirkungen, die bilanzierenden Unternehmen müssen jedoch insb. in der GuV die Zahlen ggf. anders ausweisen. Die bAV-Kosten müssen dabei den Kategorien „Operating“, „Investing“ und „Financing“ zugeordnet werden. Der Netto-Zinsaufwand fällt nun zwingend in die „Financing“-Kategorie, für die Berücksichtigung der Remeasurements im OCI ändert sich nichts, die Service Cost ist in der neuen „Operating“-Kategorie zu zeigen.
„Die neue Darstellung hat auch für die Vorperiode zu erfolgen.“
Sofern das Umsatzkostenverfahren angewendet wird, ist die Service Cost auf die einzelnen „Functions“ aufzuteilen, bei Anwendung des Gesamtkostenverfahrens erfolgt die Darstellung der Service Cost in den Employee Benefit Cost in einer Summe.
Ab dem 1. Januar 2027 ist die Anwendung von IFRS 18 verpflichtend. Zu beachten ist, dass die neue Darstellung auch für die Vorperiode zu erfolgen hat und somit auch die Quartalsabschlüsse 2016 nach IFRS 18 aufzubereiten sind.
Beitragsbemessungsgrenze: Der große Sprung nach oben
Zuletzt wirft Susanna Adelhardt, Vorstandssprecherin der Heubeck AG, einen Blick hinter die Kulissen des höchsten planmäßigen Anstiegs der BBG in der gRV seit 2003:
„Die bilanziellen Auswirkungen auf die Pensionsverpflichtungen hängen vom Einzelfall ab.“
Gemäß Referentenentwurf für die SV-Rechengrößen-Verordnung für 2025 soll die BBG, die 2025 erstmalig nicht mehr nach West und Ost unterschieden wird, von aktuell 90.600 Euro (West) um 6,62% auf 96.660 Euro (Gesamtdeutschland) ansteigen.
Ausschlaggebend hierfür: der starke Lohnzuwachs des Vorvorjahres auf das Vorjahr (also von 2022 auf 2023) von 6,44%, der üblicherweise weniger als halb so hoch ausfällt. Dieser Lohnzuwachs ist der Ausgangspunkt für die Berechnung der neuen BBG. Er verursacht auch einen Anstieg des vorläufigen Durchschnittsentgelts 2025 um mehr als 11% mit den damit verbundenen Auswirkungen auf das SV-Näherungsverfahren zur Schätzung von SV-Renten bei Gesamtversorgungszusagen.
Die bilanziellen Auswirkungen der neuen SV-Rechengrößen auf die Pensionsverpflichtungen hängen vom Einzelfall ab und sind entsprechend zu prüfen, um Überraschungen im Jahresabschluss zu vermeiden, schließt Adelhardt zum Ende der diesjährigen aba-Tagung der Fachvereinigung Mathematische Sachverständige.
Korbinian Kolb ist Aktuar bei der H²B Aktuare GmbH in München.
Von ihm bzw. anderen Autorinnen und Autoren der H2B sind zwischenzeitlich auf PENSIONS●INDUSTRIES erschienen:
aba-Mathetagung (II): aba-Mathetagung (I): 86. aba-Jahrestagung (V): 86. aba-Jahrestagung (IV): aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II): aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I): Neulich in Berlin – aba-Jahrestagung 2023 (IV): Neulich in Berlin – aba-Jahrestagung 2023 (III): aba-Tagung Mathematische Sachverständige: Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (III): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (II): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (I): Versorgungsausgleich: Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (IV): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (III): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (II): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (I): Neulich in Erfurt: aba-Pensionskassentagung in Bonn (II): aba-Pensionskassentagung in Bonn (I): 81. aba-Jahrestagung in Bonn (III): 81. aba-Jahrestagung in Bonn (II): Die aba neulich in Königswinter (IV): Die aba neulich in Königswinter (III): Die aba neulich in Königswinter (II): Die aba in Königswinter (I): BGH zum Versorgungsausgleich: BMF-Schreiben vom 30. November 2017: aba-Tagung Fachvereinigung Pensionskassen: Neues BMF-Schreiben: BGH zum Versorgungsausgleich:
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