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Die bAV im Koalitionsvertrag:

Fünfeinviertel Zeilen

Gestern also ist der Koalitionsvertrag vorgelegt worden, 144 Seiten stark. Dort kommt naturgemäß auch die Altersvorsorge vor, und im Vergleich zu den Sondierungsgesprächen wird man sogar in Sachen bAV einigermaßen konkret. Einigermaßen. Greifen wir einige Punkte heraus …

Insgesamt wenden die beiden bzw. drei Partner 4.588 Zeilen auf 144 Seiten auf, davon 5 1/4 Zeilen für die bAV. Das sind satte drei Zeilen weniger als noch 2013, aber immerhin eine mehr als 2021.

Hier zunächst leicht gerafft der gesamte Text, der sich der Altersvorsorge insgesamt widmet:

Rente, Alterssicherung, Reha, Sozialversicherungen und Selbstverwaltung

Wir werden die Alterssicherung für alle Generationen auf verlässliche Füße stellen. Deshalb werden wir das Rentenniveau bei 48% gesetzlich bis 2031 absichern. Die Mehrausgaben gleichen wir mit Steuermitteln aus.

Am Nachhaltigkeitsfaktor halten wir fest. Nur wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, hohe Beschäftigung und angemessene Lohnentwicklung ermöglichen es, dies dauerhaft zu finanzieren. Deshalb werden wir 2029 die tatsächliche Entwicklung des Beitrags und des Bundeszuschusses evaluieren, um ggf. weitere Maßnahmen zu ergreifen.

In einer Rentenkommission werden wir bis zur Mitte der Legislatur eine neue Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Säulen prüfen.

Zum 1.1.2026 wollen wir die Frühstart-Rente einführen. Wir wollen für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einzahlen.

Der angesparte Betrag kann anschließend ab 18 bis zum Renteneintritt privat bis zu einem jährlichen Höchstbetrag weiter bespart werden. Die Erträge sollen bis zur Rente steuerfrei sein. Das Kapital ist vor staatlichem Zugriff geschützt und wird erst zur Regelaltersgrenze ausgezahlt.

Zusätzlich werden wir die betriebliche Altersversorgung stärken und deren Verbreitung besonders in KMU und bei Geringverdienern vorantreiben. Die Geringverdienerförderung werden wir verbessern. Wir werden die betriebliche Altersvorsorge digitalisieren, vereinfachen, transparenter machen und entbürokratisieren. Die Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge bei einem Arbeitgeberwechsel wollen wir erhöhen.

Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren wird auch künftig möglich bleiben. Gleichzeitig schaffen wir zusätzliche finanzielle Anreize, damit sich freiwilliges längeres Arbeiten mehr lohnt. Statt Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters wollen wir mehr Flexibilität beim Übergang. Dabei setzen wir auf Freiwilligkeit. Arbeiten im Alter machen wir mit einer Aktivrente attraktiv. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei. Wir erleichtern die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber nach Erreichen der Regelaltersgrenze, indem wir das Vorbeschäftigungsverbot aufheben und dadurch befristetes Weiterarbeiten ermöglichen. Darüber hinaus verbessern wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente. Wir prüfen, wie wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten in der Grundsicherung im Alter verbessern.

Im Vergleich zum Sondierungspapier erfährt man also mehr.

Erste Würdigung

Greifen wir einige Aspekte kommentierend heraus. Zur Gesetzlichen:

… das Rentenniveau bei 48% bis 2031 absichern. Die Mehrausgaben gleichen wir mit Steuermitteln aus.“

Bisher belaufen sich Steuerzuschüsse in die DRV insg. auf circa 115 Mrd. Euro p.a.. Und das sind die guten Zeiten; Sie wissen es, die schlechten kommen erst noch. Man kann also davon ausgehen, dass die Steuerzuschüsse weiter zulegen, absolut sowieso, aber auch in Relation zum DRV-Gesamtbudget, zum gesamten Steueraufkommen als auch zum BIP. Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht.

Wir erleichtern die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber nach Erreichen der Regelaltersgrenze, indem wir das Vorbeschäftigungsverbot aufheben.

Zu begrüßen, auch weil dort ggf. die etablierten bAV-Strukturen des AN weiterlaufen können.

Zur bAV:

Zusätzlich werden wir die betriebliche Altersversorgung stärken und deren Verbreitung besonders in KMU und bei Geringverdienern vorantreiben. Die Geringverdienerförderung werden wir verbessern. Wir werden die betriebliche Altersvorsorge digitalisieren, vereinfachen, transparenter machen und entbürokratisieren. Die Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge bei einem Arbeitgeberwechsel wollen wir erhöhen.

Die bAV, wie auch immer man sie schreibt, im Koalitionsvertrag.

Klingt alles gut, wenn auch nicht nach großem Wurf. BRSG 2.0-Entwurf wieder aufgreifen, und das zeitnah, wäre schon ein Erfolg. Wenn dort noch Fortschritte gelingen, umso besser. Ansonsten muss man abwarten, welche Taten diesen Worten folgen werden, das gilt v.a. für die Vorhaben vereinfachen, transparenter machen und entbürokratisieren. Da darf man regelrecht gespannt sein.

Im Übrigen etwas peinlich, dass man wahllos beide Schreibweisen betriebliche Altersversorgung/Altersvorsorge verwendet (die erste ist übrigens die bessere).

2026 wollen wir die Frühstart-Rente einführen. Wir wollen für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr … pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einzahlen.“

Kommt natürlich 70 Jahre zu spät. Aber gleichwohl: Absolute Zustimmung des Autors, und das aus mehreren Gründen:

Zunächst einmal ist alles, (wie hier stetig gepredigt wird, neulich erst hier in ähnlichem Zusammenhang) was in Deutschland der Investment- und Asset Owner-Kultur dient, grundsätzlich zu begrüßen, nicht zuletzt industriepolitisch. Deutschland hat in seiner Genese als Industrienation viel zu wenig Wert auf Asset Ownership der eigenen Bevölkerung gelegt – das gilt auf der individuellen wie auf der Makro-Ebene der großen Pensionsfonds, wie man sie aus anderen Staaten kennt: Entwicklungsland Deutschland!

Allerdings wird das Ding kein Selbstläufer, gerade nicht in diesem unserem Staate. Wichtig bei dieser Frühstartrente ist:

  • dass wie im SPM Garantien hier nicht zur freiwilligen Disposition gestellt, sondern klipp und klar verboten werden (weil sonst die Versicherer – nicht alle, aber einige – und ihre Strukki-Truppen landauf, landab ihre insuffizienten Angst-Produkte unters Volk bringen, die mit Asset Ownership so viel zu tun haben wie ein Hedge-Fonds mit dem Sozialismus)

  • dass man im Gegenzug nicht dem verführerischen Fehler unterliegt, zur Kompensation der (hoffentlich) verbotenen Garantien ein Dutzend andere Handbremsen einzuführen

  • dass das Eigentum an diesem Depot grundgesetzlich unangreifbar abgesichert wird

  • dass strenge Kostenvorgaben gemacht werden

  • dass man die Sache nicht so wie bei Riester damals durch einen undurchdringlichen Dschungel an Fördertatbeständen – Zuschüsse, Zulagen, Steuern, Kindergelder … – den Menschen verleidet, sondern KISS muss die Maxime lauten: keep it short and simple

  • dass nicht so wie bei Riester damals jede Interessengruppe auf dem Parkett ihre dümmlichen Bedürfnisse dort reinschmuggeln kann (Stichwort Wohn-Riester)

  • dass man – bitte, bitte – auf einen bescheuerten Politiker-Nickname verzichtet; das gilt auch für die Medien

  • dass man im Gegenteil die Image-Frage nicht unterschätzt; für junge Leute muss der Besitz eines solchen Depots wie selbstverständlich zum Erwachsenwerden gehören (es sollte sich was lebendigeres finden lassen als „Frühstartrente“, notfalls eben etwas „denglisches“)

  • dass das Produkt wie auch immer möglichst Real Asset-orientiert wird

  • dass es in der Tat individuell und nicht kollektiv strukturiert wird (kollektive Systeme sind stark und haben in der bAV ihren festen Platz, hier aber gehören sie nicht hin).

Wem das alles zu liberal und investment- bzw. renditeorientiert und damit zu „gefährlich“ erscheint: Bitte vor Augen halten, dass wir hier von einer kleinen Zusatzvorsorge reden in einer Altersvorsorgestruktur dieses Landes, wo die mit Abstand dominierende Säule umlagefinanziert und gleich mehrfach garantiert ist. Also: Entweder man schafft hier echtes Investment-Potenzial für die Menschen, und zwar in der ganzen Breite der Bevölkerung. Oder man spart sich die ganze Sache und lässt alle Kinder ab 6 einfach in die GRV einzahlen. Nur bitte keine Halbschwangerschaft.

Und wer auf unserem Parkett die Sorge hat, hier könnte ein Prämienwettbewerber zur bAV aufgebaut werden, dem sei zugerufen: Entspann dich! Und denk’ an die Sache insgesamt.

Eigentum emanzipiert

Nochmal: Deutschland hat es über viele Jahrzehnte versäumt, die für einen solchen Industriestandort adäquaten Asset Owner und Pensionseinrichtungen zu entwickeln. Das ist ein industriepolitisches Defizit, aber auch eine Frage der demokratischen Stabilität. Gemeint ist das Bewusstsein für echtes Eigentum:

Der Autor ist jedenfalls überzeugt davon, dass das eigene, individuelle, unangreifbare Eigentum an den Real Assets dieses Landes (bzw. der Welt) eine der Voraussetzungen, eine der tragenden Säulen ist, damit schon junge Menschen zu freien, emanzipierten Bürgern werden, die sich zur Demokratie, zu ihrem demokratischen Staat, zur sozialen Marktwirtschaft und zur Freiheit insgesamt committen und an diesen Werten nicht rütteln lassen – übrigens auch nicht von dem Staat selbst. John Locke at his best.

Soviel auf den ersten Blick. Doch viel wichtiger ist: Papier ist geduldig, und das gilt besonders für Papier, auf dem Koalitionsverträge geschrieben sind.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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