… Unzufriedenheit auf hohem Niveau, von tatsächlichen Leistungszusagen, den Folgen eines Fachdialoges, nicht funktionierender Proportionalität und mehr. Teil I einer zweiteiligen Berichterstattung von Korbinian Kolb zum neulichen Szenetreff von Deutschlands Pensions-Aktuaren.
Bonn, 13. September 2023, Tagung der Fachvereinigung Mathematische Sachverständige: Auch in diesem Jahr wieder im hybriden Format, auch in diesem Jahr wieder enorm inhaltsdicht – und auf LEITERbAV so gerafft wie eben möglich (alle Aussagen im Indikativ der Referenten):
Der Bericht der Leitung
Stefan Oecking (Mercer Pensionsfonds) eröffnet als Vorsitzender der Fachvereinigung die Tagung und freut sich mit den überwiegend in Präsenz Teilnehmenden über den herrlichen Ausblick auf den Rhein.
In seinem Bericht der Leitung informiert Oecking über den Kontakt und Austausch mit dem BMF und dem BZSt (die drei laufenden Arbeitsgruppen zu den Themen Rechnungslegungs-Wiki, Bewertung von Auszahlungswahlrechten sowie Rentnergesellschaften berichten im weiteren Verlauf der Tagung selbst):
Der aktuelle Entwurf der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2024 sieht einen Anstieg der einschlägigen Bemessungsgrößen vor; bspw. ist der Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung (im Westen von 7.300 Euro p.m. auf 7.550 Euro p.m.) zu nennen. Die durch den Zinsanstieg in Fahrt gekommenen fachlichen Überlegungen zum HGB-Rechnungszins führen zu dem vom IVS unterstützten Vorschlag des IDW, den Zins möglichst auf einen konstanten Wert festzusetzen.
Ein Hoffnungsschimmer in Sachen Schriftformerfordernis ist die vom BMJ angestoßene Initiative zum Bürokratieabbau, die eine Ablösung des Erfordernisses im Nachweisgesetz durch eine „gesetzliche elektronische Form“ vorsieht. Oecking schließt seinen Vortrag mit dem Hinweis auf das 75. Jubiläum bei der nächsten Tagung der Fachvereinigung am 18. September 2024 in Mannheim.
Den weiteren Vormittag moderiert Angelika Brandl, Partner bei Aon:
Porsche/Aon: Ein kapitalmarktorientiertes bAV-System in der Praxis …
Christoph Stureiner, Abteilungsleiter bAV bei der Porsche AG, stellt im ersten Vortrag zusammen mit Gundula Dietrich, Partner bei Aon und Geschäftsführerin der Aon Solutions Germany GmbH, die Einführung eines kapitalmarktorientierten bAV-Systems bei Porsche („Porsche Pensionsplan“) vor:
Das neue bAV-System gilt im Wesentlichen nur für Neueintritte ab dem 1. Januar 2022 und nur für die rein arbeitgeberfinanzierte bAV.
Die Hauptmerkmale des Porsche Pensionsplans sind das Sicherungsniveau von 80% der Gesamtbeiträge mit einem zusätzlichen Sicherungsmechanismus gegen Kapitalmarktschwankungen kurz vor Rentenbeginn sowie die kollektive Kapitalanlage mit virtuellen Einzelkonten (kein Lebenszyklusmodell).
Während der Anwartschaftsphase erfolgt der Aufbau eines Kapitalvermögens durch eine vollständige Beteiligung an der Kapitalrendite. Ab dem Erreichen des Sicherungseintritts 3 Jahre vor dem durchschnittlichen Rentenbeginn mit aktuell 63 Jahren erfolgt nur noch eine reduzierte Renditeweitergabe von dann 70% der Rendite zur Finanzierung des Sicherungsmechanismus. Zum Rentenbeginn wird der höchste Betrag aus 80% der eingezahlten Beiträge, dem Kapitalstand zum Sicherungseintritt und dem Kapitalstand zum Rentenbeginn ausgezahlt. Die Auszahlungsoptionen sehen neben dem Einmalkapital ein Rentenwahlrecht vor, die Einführung einer Ratenoption ist geplant.
Zusätzliche Risikoleistungen bei Invalidität und Tod werden daneben als jährlich neue Zusage gemäß eines kollektiven Versicherungstarifs (kongruente Rückdeckung bei einem Risikoträger im Ausland) gewährt.
… und die Hintergründe seiner Genese: mit Parallelen zum SPM
Nach Stureiners kompaktem Überblick über das neue System geht Dietrich näher auf die Hintergründe des Projekts ein.
Das wirtschaftliche Umfeld bei der Einführung der neuen Zusage war insb. durch die sehr niedrigen, z.T. negativen, Zinsen für risikoarme Anlagen geprägt. Auch wenn sich zwischenzeitlich ein deutlicher Anstieg des Zinsniveaus beobachten lässt, passt nach Ansicht von Dietrich das neue System in alle wirtschaftlichen Umfelder; die viel diskutierte abgesenkte Beitragsgarantie von 80% hat sich zwischenzeitlich am Markt etabliert.
„Kein neues Pensions-System sollte darauf ausgelegt sein,
dass die Garantie wirklich benötigt wird.“
Dietrich betont zudem grundsätzlich, dass kein neues Pensions-System in seiner Struktur darauf ausgelegt sein soll, dass die Garantie wirklich benötigt wird: Bei der Einführung neuer bAV-Systeme stehen die „im Wesentlichen immer gleichen Ziele“ im Fokus. Ein attraktives, effizient verwaltbares, kapitalgedecktes Modell mit möglichst wenig Risiken wünschen sich die meisten Arbeitgeber. Die Gestaltungselemente zur Zielerreichung reichen dabei vom Beitrag über die Wertentwicklung zu den Auszahlungsoptionen, so die Aon-Chefin weiter.
Die neue Beitragsgestaltung bei Porsche kommt ohne Anpassungen gegenüber dem Vormodell aus. Bei der Kapitalanlage wird über den Rentenbeginn hinaus gedacht; Aufgrund der bei der Einführung geringen Renditen für sichere Anlagen setzt der neue Plan auf ein kollektives Modell mit Puffersystem, inspiriert durch das SPM. Um möglichst schnell ein großes Volumen der Kapitalanlage zu erreichen, werden die Beiträge laufend monatlich und nicht etwa nur einmal im Jahr eingezahlt.
Als Herausforderung sieht Dietrich derzeit im vorliegenden Modell noch die Auszahlungsoptionen, da bei Festschreibung der Rente sofort wieder eine tatsächliche Leistungszusage entsteht. Für die laufenden Renten bietet sich eine Auslagerung des Risikos auf einen externen Träger, Versicherung oder Pensionsfonds, als Lösung an.
APG: ein Blick zu den Nachbarn – Pension Reform in den Niederlanden
Es folgt ein Blick ins benachbarte Ausland durch Johan Barnard, Head of international Public Affairs bei APG, mit einem Überblick über die Reform der zweiten Säule des niederländischen Pensionssystems unter dem Leitzitat „Everything must change for everything to remain the same“.
Das niederländische Pensionssystem basiert auf den drei auch hierzulande bekannten Säulen aus öffentlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge. Im Unterschied zu Deutschland ist die Leistung der ersten Säule unabhängig von der beruflichen Laufbahn und den eingezahlten Beiträgen. Um Ansprüche zu erwerben, ist die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts entscheidend. Die Leistungshöhe bietet jedoch nur eine Grundsicherung. Die (quasi) obligatorische zweite Säule leistet einen entscheidenden Beitrag zur Altersversorgung und wird i.W. über Pensionsfonds durchgeführt.
„In kaum einem EU-Land wird so viel Geld für die Rente
gespart bei gleichzeitiger Unzufriedenheit mit der Rente.“
Die laufende Reform zieht sich schon seit dem Jahr 2009 hin, ausgelöst durch die niedrigen (Garantie-)zinsen nach der Weltfinanzkrise. Geprägt sind die Diskussionen u.a. durch das „Dutch Paradox“: In kaum einem anderen Land der EU wird so viel Geld für die Rente gespart wie in den Niederlanden bei gleichzeitiger Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Rente. Der aufwändige Prozess zum neuen Gesetz führt nach Einschätzung von Barnard dazu, dass auch nach den anstehenden Neuwahlen die auf den Weg gebrachte Reform wohl nicht nochmals über den Haufen geworfen wird.
Das Kernelement des neuen Gesetzes ist die Neugestaltung der Pensionsverträge mit Überführung sämtlicher Anspruchsberechtigter. Es gibt künftig zwei Vertragsausgestaltungen, die beide grundsätzlich als DC zu klassifizieren sind. Der sog. „Solidarity Contract“ mit kollektiver Kapitalanlage fühlt sich jedoch etwas mehr nach DB an als der „Flexible Contract“ mit einem Life Cycle-Modell. Die Rentenzahlungen können in beiden Systemen variabel sein und somit im Bezugszeitraum auch sinken – mit der entsprechenden Herausforderung dies zu kommunizieren.
Der geplante Zeitraum sieht vor, dass nun alle Verträge bis spätestens 2028 überführt werden. Im Unterschied zu Deutschland haben Einzelne kein Recht, gegen die neue Gesetzgebung und die Überführung zu klagen. Es ist jedoch nicht ganz auszuschließen, dass es dennoch jemand versuchen wird, blickt Barnard voraus.
BMAS: Stärkung der Betriebsrente – Umsetzung der Vorschläge und Ideen aus dem Fachdialog
Einen Blick in die Zukunft der bAV in Deutschland wirft Mario Löffler, Referent für zusätzliche Altersvorsorge des BMAS:
Ausgangspunkt ist der Koalitionsvertrag mit den zwei Aufträgen, die bAV durch höhere mögliche Renditen zu stärken und zusätzlich für eine Umsetzung des SPM zu sorgen. Die Vorschläge und Ideen des durch BMAS und BMF angestoßenen Fachdialogs „Stärkung der Betriebsrente“ sollen nun auch zu Ergebnissen führen (s. auch die zwischenzeitlich erfolgten Ausführungen von BMAS-Ministerialrat Peter Görgen auf der neulichen aba-Tagung Aufsichtsrecht). Da die Gesetzesentwürfe sich jedoch noch auf der Arbeitsebene befinden, ist – Hinweis des Autors – der Indikativ des folgenden Texts eigentlich als Konjunktiv zu verstehen:
Die geplanten arbeitsrechtlichen Anpassungen sind vielfältig und reichen von der Ausweitung des Fortsetzungsrechts für die Entgeltumwandlung (§ 1a Abs. 4 BetrAVG, § 212 VVG) über die Verdopplung der Abfindungsobergrenzen aus § 3 Abs. 2a BetrAVG bei Zustimmung des Arbeitnehmers und gleichzeitiger Übertragung auf die GRV bis zur Erleichterung der Vereinbarung von Rentenbezug und gleichzeitigem Erwerbseinkommen in § 6 BetrAVG.
„Der Fokus eines möglichen Gesetzesentwurfs
durch das BMAS liegt auf dem SPM.“
Auch zur Anpassung von § 232 VAG für den Durchführungsweg Pensionskasse steht das BMAS mit dem BMF im Austausch. Die Verbreitung der bAV soll zudem über eine Ausweitung der Opting Out-Systeme gem. § 20 BetrAVG von Tarifverträgen auf Betriebsvereinbarungen vergrößert werden.
Der Fokus eines möglichen Gesetzesentwurfs durch das BMAS liegt jedoch auf dem SPM: Neben der Einführung einer klaren Definition des SPM im Gesetz, der Regelung der Rechtsfolgen mangelhafter Beteiligung der Tarifvertragsparteien (Ausschluss nachträglicher Haftung), der Klarstellung von Abfindungsmöglichkeiten (bei Zustimmung der Tarifparteien) und weiterer kleiner Anpassungen soll insb. die bessere Teilnahme Dritter ermöglicht werden. Hierzu sollen die Voraussetzungen abgemildert werden, erläutert Löffler.
Bei einer komplett unbegrenzten Teilnahmemöglichkeit besteht jedoch die Gefahr einer Beschädigung der bestehenden bAV-Systeme, mahnt der Referent. Daher ist nur eine maßvolle Erweiterung auf den Organisationsbereich der Gewerkschaften angedacht:
Zur Teilnahme von Arbeitnehmern im Organisationsbereich einer Gewerkschaft mit SPM müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die vollumfängliche Bezugnahme regeln und die Tarifpartner formlos zustimmen. Es besteht jedoch kein Zustimmungszwang. Zudem soll die Teilnahme von Mitarbeitern der Tarifpartner und von Beschäftigten der freien Berufe ermöglicht werden. Eine Regelung zur Beteiligung von Dritten an den Kosten muss mit BMF und BaFin noch abgestimmt werden, so der Plan des Ministeriums.
Podiumsdiskussion – der unternehmerische Blick auf die Dinge
In der folgenden Podiumsdiskussion mit Brandl, Löffler, Oecking, Beate Petry (BASF) und Gordon Teckentrup (Bosch) stellen letztere besonders die Sicht der Unternehmen auf den Fachdialog heraus.
„Das Proportionalitätsprinzip funktioniert
in der Praxis nicht ausreichend.“
Sowohl Teckentrup als auch Petry begrüßen die Einbeziehung und die Aufnahme vieler in den Fachdialog eingebrachter Punkte. Wichtig für beide: bestehende Systeme zu stärken und diesen ausdrücklich auch nicht zu schaden. Ihre Sorgen: der Kostentreiber „Aufsichtsrecht“, bei dem EbAV in einen Topf mit großen Banken geworfen werden. Große Herausforderungen insb. für kleinere EbAV sieht Petry namentlich durch VAIT und DORA: Das Proportionalitätsprinzip funktioniert in der Praxis nicht ausreichend.
Aus der Sicht Petrys könnte die geplante Ausweitung der Abfindungsgrenze deutlich weiter gehen, bspw. auf das Achtfache des aktuellen Wertes bei einer Übertragung auf die Deutsche Rentenversicherung. Außerdem betont sie, dass eine flexible Bedeckung der Verpflichtungen bei Pensionskassen – vor dem Hintergrund der lebenslangen Leistungen ohne Storno – aus Sicht der Einrichtungen wünschenswert wäre. Die Anregung, dass sich die Entgeltumwandlung nicht auf das Elterngeld auswirken soll, wird laut Löffler wohl nicht aufgegriffen werden.
Die herausfordernde Frage Oeckings zur baldigen Einführung eines SPM bei Bosch oder gar für Beamte führt weder bei Teckentrup noch bei Löffler zu Prognosen, dass die etablierten Modelle in naher Zukunft von der reinen Beitragszusage abgelöst werden.
Ende des ersten Teils der Berichterstattung zu der Tagung. Teil II folgt in Kürze auf LEITERbAV.
Der Autor ist Aktuar bei der H2B Aktuare GmbH in München.
Von ihm bzw. anderen Autorinnen und Autoren der H2B sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:
86. aba-Jahrestagung (V): 86. aba-Jahrestagung (IV): aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II): aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I): Neulich in Berlin – aba-Jahrestagung 2023 (IV): Neulich in Berlin – aba-Jahrestagung 2023 (III): aba-Tagung Mathematische Sachverständige: Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (III): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (II): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (I): Versorgungsausgleich: Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (IV): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (III): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (II): Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (I): Neulich in Erfurt: aba-Pensionskassentagung in Bonn (II): aba-Pensionskassentagung in Bonn (I): 81. aba-Jahrestagung in Bonn (III): 81. aba-Jahrestagung in Bonn (II): Die aba neulich in Königswinter (IV): Die aba neulich in Königswinter (III): Die aba neulich in Königswinter (II): Die aba in Königswinter (I): BGH zum Versorgungsausgleich: BMF-Schreiben vom 30. November 2017: aba-Tagung Fachvereinigung Pensionskassen: Neues BMF-Schreiben: BGH zum Versorgungsausgleich:
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