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9. Berliner bAV-Auftakt (II):

Wer ist hier der Hidden Champion?

Wo und wie sehen die Fraktionen im Bundestag die Zukunft der bAV? Bemerkenswert jedenfalls, welche Regierungspartei das BRSG II modifizieren will und explizit ein bAV-Obligatorium nicht ausschließt. Außerdem gab es in der Hauptstadt die Analyse aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung aus erster Hand: Für PENSIONSINDUSTRIES dokumentiert Veranstalter Mathias Ulbrich die wichtigsten Aussagen in Teil II seines zweiteiligen Beitrages.

Wie berichtet, hat Ende Januar der 9. Berliner bAV-Auftakt stattgefunden, 120 persönlich eingeladene Teilnehmer (in Präsenz und digital) aus Politik, Verbänden, Ministerien und Rechtsprechung sowie von Beratern, Versorgungsträgern und der Sozialpartnern.

Moderator und Veranstalter Prof. Mathias Ulbrich gibt hier als Autor im zweiten Teil seines zweiteiligen Beitrages wesentliche Inhalte der Veranstaltung wieder – erneut im PIStakkato, die Aussagen der Referenten wie hier üblich im Indikativ (bei den Aussagen der MdB beachte man, dass die Veranstaltung ca. einen Monat vor der Bundestagswahl stattgefand):

Moritz Schumann: Auf die Rente kommt es an ..

Moritz Schumann, stellv. HGF im GDV, legt die Sicht der Versicherer auf die bAV 2025 dar, und seine Bestandsaufnahme lautet: nicht zufriedenstellend:

+++ Verbreitung der bAV trotz BRSG I seit 2019 leicht rückläufig +++ insb. zu geringe Verbreitung in unteren Einkommensgruppen und kleineren Unternehmen +++ gut: Entwicklungen der DigiRü +++ bAV ist Hidden Champion der Altersvorsorge +++ Versicherer spielen in der bAV entscheidende Rolle +++

sowie Lösungsansätze und Forderungen an die Bundesregierung

Moritz Schumann, GDV.

+++ kommende Legislaturperiode kann gute Phase für bAV werden +++ Fokus muss auf Erhöhung der Verbreitungsquote in KMU und bei Geringverdienern liegen +++ sämtliche DFW in den Blick nehmen +++ Kernanliegen 1: Optionsmodelle auch ohne tarifvertragliche Grundlage auf betrieblicher Ebene ermöglichen +++ Kernanliegen 2: Geringverdienerförderung gemäß § 100 EStG verbessern, insb. durch Dynamisierung der Einkommensgrenzen und der Förderhöhe +++ Kernanliegen 3: gesetzliche Garantieanforderungen flexibilisieren: Absenkung der gesetzlichen Vorgabe für die BZML (auf z.B. 80% der Beitragssumme) +++

+++ außerdem: geförderte private Vorsorge reformieren +++ Reform der 20 Jahre alten gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich +++ aber Zulagensystem nach wie vor richtiger Weg +++ Bestandsschutz für ca. 15 Mio. Riester-Kunden muss gewährleistet werden +++ mehr Freiheit bei der Produktgestaltung zwingend (bspw. Abkehr vom Erfordernis der Bruttobeitragsgarantie und steigender Rentenleistungen) +++ Fördersystem einfacher und attraktiver gestalten, insb. Komplexität reduzieren (bspw. durch Beitragsproportionalität und Dynamisierung der Förderung) +++ Förderung auch für Selbständige +++ kapitalmarktnähere Rentenleistungen zulassen +++ „echte“ Rente bis an das Lebensende als Standard in der pAV unverzichtbar +++

Stefanie Rachor: Neues aus Erfurt

Stephanie Rachor, Vorsitzende Richterin des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts, stellt einige wichtige Entscheidungen vor:

Freiheit des Arbeitgebers bei der Festlegung des künftigen ruhegehaltfähigen Entgelts (BAG vom 30. Januar 2024 – 3 AZR 144/23):

+++ hat der AG eine Versorgungszusage erteilt, ist er nicht ohne Weiteres verpflichtet, künftige Gehaltssteigerungen nur im Rahmen der Vergütungskomponenten vorzunehmen, die ruhegehaltsfähig sind +++ d.h., grundsätzlich können zeitlich nach Erteilung einer Versorgungszusage auch solche neuen Vergütungsbestandteile eingeführt werden, die nicht ruhegehaltsfähig sind +++ Voraussetzung aber, dass dadurch bereits bestehende ruhegehaltsfähige Gehaltsbestandteile nicht ausgehöhlt werden +++ das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die neuen Vergütungsbestandteile 20% der Gesamtvergütung nicht überschreiten +++

Jeweiligkeits-, Spätehen- und Mindestehedauerklauseln (BAG vom 21. November 2023 – 3 AZR 44/23 und vom 10. Oktober 2024 – 3 AZR 23/24):

Stephanie Rachor, BAG. Foto: BAG.

+++ Jeweiligkeitsklauseln: nach ständiger Rechtsprechung des BAG sind Versorgungszusagen, die auf die beim AG geltende Versorgungsregelung verweisen, im Regelfall dynamisch zu verstehen +++ das gilt jedoch ohne weitere Anhaltspunkte nicht für leitende Angestellte, wenn Änderung der Versorgungsregelungen durch Betriebsvereinbarung +++ denn leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3 BetrVG nicht vom Geltungsbereich einer Betriebsvereinbarung erfasst +++

+++ Späehenklauseln: wird Hinterbliebenenversorgung davon abhängig gemacht, dass Ehe vor Vollendung des 60. Lebensjahres geschlossen wurde, stellt das unmittelbare Altersdiskriminierung dar +++ denn dieses Erfordernis knüpft nicht an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an, das typischerweise mit Zäsur im Arbeitsverhältnis verbunden ist +++

+++ Mindestehedauerklauseln: wird Hinterbliebenenversorgung davon abhängig gemacht, dass Ehe am 1. Dezember vor Tod des AN nicht mindestens ein Jahr bestand, ist dies gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen benachteiligend +++ etwas anderes gilt, wenn Hinterbliebener die Möglichkeit zum Nachweis hat, dass sich Todesfallrisiko innerhalb dieser Frist noch nicht konkretisiert hatte +++ Ausschluss der Hinterbliebenenleistung, wenn Ehe innerhalb von drei Monaten vor Tod des AN geschlossen wurde und Tod nicht durch Unfall eintrat, ist hingegen keine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB +++

Festschreibeeffekt nach § 2a Abs. 1 BGB und Anhebung der gesetzlichen Regelaltersgrenze; untechnischer versicherungsmathematischer Abschlag (BAG vom 21. November 2023 – 3 AZR 1/23):

+++ ständige Rechtsprechung: eine vor Inkrafttreten des RV–Altersgrenzenanpassungsgesetzes am 1.Januar 2008 bestehende Versorgungsordnung, die als Regelaltersgrenze 65 enthält, ist regelmäßig so auszulegen, dass sie auf die jeweils geltende Regelaltersgrenze in gRV Bezug nimmt +++ für vor diesem Datum ausgeschiedene AN gilt das wegen des Festschreibeeffekts gem. § 2a Abs. 1 BetrAVG jedoch nicht +++ sieht eine „weit nach Inkrafttreten des BetrAVG“ geschaffene Versorgungsordnung zur Berechnung der vorgezogenen Altersleistung keine Abschläge vor, ist Annahme eines sog. untechnischen versicherungsmathematischen Abschlags fraglich +++

Ablösung einer Konzernbetriebsvereinbarung (BAG vom 2. Juli 2024 – 3 AZR 247/23):

+++ Vorliegen sachlich-proportionaler Gründe für verschlechternde Änderung richtet sich bei konzernweit geltenden Versorgungsregelungen nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Umständen des Konzerns als Ganzes und nicht nach denen der einzelnen Konzernunternehmen +++ das können nach ständiger Rechtsprechung nachvollziehbare Gründe sein, die vernünftig handelnden Konzernarbeitgeber zur Verschlechterung der Zusagen veranlassen können (bspw. negative wirtschaftliche Entwicklung des Konzerns; bereits eingetretene oder prognostizierte negative Entwicklung des Versorgungssystems) +++

Arbeitgeberzuschuss gemäß § 1a Abs. 1a BetrAVG und Tariföffnungsklausel (BAG vom 20. August 2024 – 3 AZR 285/23 und 3 AZR 286/23):

+++ von § 1a Abs. 1a BetrAVG kann gemäß § 19 Abs. 1 BetrAVG auch durch Tarifverträge abgewichen werden, die bereits vor Inkrafttreten des BRSG I (am 1.1.2018) geschlossen wurden +++ Voraussetzung, dass Tarifvertrag eigenständige, von § 1a BetrAVG abweichende Regelung zur Entgeltumwandlung enthält +++ ist das der Fall, so muss Tarifvertrag keinen Zusammenhang zwischen einem ggf. gezahlten Arbeitgeberbeitrag und den durch die Entgeltumwandlung eingesparten Sozialversicherungs-Beiträgen enthalten +++

Jana Schimke: BRSG II kommt nicht unverändert

Jana Schimke, MdB, Fraktion der CDU/CSU, Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, stellt die Haltung der Fraktion der CDU/CSU dar:

+++ alle drei Säulen der Altersvorsorge stehen gleichberechtigt nebeneinander +++ Ausgangspunkt muss Eigenverantwortung der Menschen sein +++ deswegen – auch in der bAV – Grundsatz der Freiwilligkeit prinzipiell zu bevorzugen +++ falls Obligatorium erforderlich, könnte es im Bereich der Geringverdienerförderung gem. § 100 EStG sinnvoll sein +++ pAV: Riester reformieren, aber kein staatlich verwalteter Fonds +++

Der Veranstalter im Gespräch mit Jana Schimke, CDU (Foto vom VJ).

+++ BRSG II-E enthält wichtige und sinnvolle Bestandteile +++ aber genaue Prüfung erforderlich, welche Inhalte sinnvoll sind und welche nicht +++ SPM können zwar wichtige Instrumente zur Verbreitung der bAV sein +++ wichtig ist es aber, auch die „klassische“ bAV im Blick zu haben +++ Frage der Mindest-Garantiehöhe in der bAV sollte gesetzlich geregelt und nicht der Rechtsprechung überlassen werden +++ RBZ zur Verbreitung der bAV auch außerhalb von SPM zulassen +++

Martin Rosemann: die Lösung liegt im Tarifvertrag …

Martin Rosemann, SPD.

Martin Rosemann, MdB und Sprecher der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion, Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, erläutert die Haltung der SPD-Fraktion1 auf das bAV-Jahr 2025:

+++ Einigkeit bei der Bestandsaufnahme, dass Verbreitung gerade bei bei KMU sowie unter Geringverdienern zu gering +++ BRSG II-E gelungener Entwurf, der Verbreitungshemmnisse abbaut und neue Anreize beinhaltet +++ Anstrengungen, den Verbreitungsgrad zu erhöhen, sollten sich verstärkt auf tarifvertragliche geregelte bAV fokussieren +++ dies gilt nicht nur für RBZ, sondern auch für „klassische bAV“ +++ dafür Steigerung der Tarifbindung erforderlich +++ auch darauf sollten gesetzliche Maßnahmen gerichtet sein +++

+++ eingeschlagener Weg, Verbreitung von SPM zu fördern, ist gut und zeigt Erfolge +++ RBZ auch künftig nur im Rahmen tarifvertraglicher Ausgewogenheitskontrolle anwenden +++ Erweiterungen der Nutzungsmöglichkeiten für Nichttarifgebundene wird zur Stärkung bereits bestehender SPM führen +++ Flexibilisierung des aktuell bestehenden Einschlägigkeitserfordenisses, entsprechend Vorschlag im BRSG II-E, dafür der richtige Weg +++

Anja Schulz: RBZ auch außerhalb von SPM

Anja Schulz, FDP MdB.

Anja Schulz, MdB, Fraktion der FDP, Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, erläuterte die Schwerpunkte ihrer Fraktion:

+++ Bewusstsein für Notwendigkeit von Eigenvorsorge bedarf grundsätzlicher Stärkung – besonders auch in der bAV +++ Versorgungssituation von Frauen muss bei Verbesserung der bAV-Rahmenbedingungen stärker in den Fokus +++ Erhöhung des Verbreitungsgrads v.a. durch Konzentration der Reformbestrebungen auf die Situation von KMU +++

+++ BRSG II-E insoweit nicht ambitioniert genug +++ RBZ sollte flächendeckend zugelassen werden, d.h. auch außerhalb tarifvertraglicher Lösungen +++ Garantieanforderungen an BZML sollten flexibilisiert werden +++ es sollte gesetzlich festgehalten werden, dass BOLZ nicht zwingend Summe der Beiträge garantieren muss +++

Markus Kurth: Bürgerfonds auch für die bAV

Markus Kurth, MdB Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth, MdB, Fraktion Bündnis 90/Grüne, Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, schildert die Sicht seiner Fraktion:

+++ aktuelle Situation nicht zufriedenstellend +++ zu fragen ist nach Gründen für die Stagnation der bAV-Verbreitung trotz BRSG I +++ einerseits (insb. bei KMU): Befürchtungen schwer beherrschbarer Komplexität, Risiken und Kosten in der „klassischen“ bAV +++ andererseits: aktuell nur vier bestehende SPM wegen hoher regulatorischer Hürden bei Gründung und Durchführung +++ außerdem kein Zugang für Unternehmen zur RBZ in Branchen ohne SPM +++

+++ Lösungsansätze: Ermöglichung der RBZ für Unternehmen mit bis zu 50 MA auch außerhalb eines SPM +++ Verbesserung der Geringverdienerförderung im Rahmen des § 100 EStG +++ Einführung einer Teil-Betriebsrente bei Weiterbeschäftigung im Ruhestand +++ flächendeckendes bAV-Angebotsobligatorium für Arbeitgeber +++ Pflicht zur Rente, um Langlebigkeitsrisiken abzusichern +++ Ausweitung der Möglichkeiten zur Zahlung freiwilliger Beiträge in die gRV +++ Verwendung eines öffentlich verwalteten Bürgerfonds auch für die bAV +++

Der Autor ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht, insb. für Arbeitsrecht an der Hochschule Schmalkalden, Inhaber der Kanzlei für bAV Prof. Dr. Ulbrich und of counsel von BLD Bach Langheid Dallmayr RAe in Köln sowie Geschäftsführer der Treuhand für betriebliche Vorsorge GmbH in Leipzig.

Von ihm sind zwischenzeitlich auf PENSIONSINDUSTRIES erschienen:

9. Berliner bAV-Auftakt (II):
Wer ist hier der Hidden Champion?
von Prof. Mathias Ulbrich, 4. April 2025

9. Berliner bAV-Auftakt (I):
In der Regulierungsküche zwischen …
von Prof. Mathias Ulbrich, 25. März 2025

8. Berliner bAV-Auftakt (II):
Von Geburtshelfern und keinen Staatsfonds …
von Prof. Mathias Ulbrich, 4. April 2024

8. Berliner bAV-Auftakt (I):
Von Revolutionen und halb so wilden …
von Prof. Mathias Ulbrich, 18. März 2024

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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