Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Neulich in Berlin – aba-Jahrestagung 2023 (III):

Quo vadis, lebenslang?

Heute geht es auf LEITERbAV um Direktzusagen mit hoher Quote an Entgeltumwandlern, den Druck der Inflation sowie um die Rentenanpassung in voller Höhe unter Vorbehalt versus eine zeitlichen Verteilung des Anpassungsbedarfs. Erster Teil eines zweiteiligen Beitrages von Lisa Martiund Sven Scholz.

LEITERbAV hatte bereits zwei Mal von der diesjährigen aba-Jahrestagung berichtet, die im Mai in Berlin stattgefunden hat. (s. hier und hier). Heute nun weitere Berichterstattung zu Teilen der Veranstaltung (wie stets im Indikativ der Referenten):

Noch keines mit Direktzusage – Unmut wegen Schriftform – U-Kasse mit Wunschliste

Dietmar Droste, E.ON.

Dietmar Droste, Leading Expert Pensions bei dem Versorger E.ON, Henriette Meissner, Chefin der Stuttgarter Vorsorge-Management, sowie Stefan Oecking Aktuar und Vorstand des Mercer Pensionsfonds starten den zweiten Tag der 85. aba-Jahrestagung mit kurzen Berichten aus den Fachvereinigungen der Direktzusagen, Unterstützungskassen und mathematischen Sachverständigen:

 

 

Anm.d.Red.: Auf LEITERbAV Dynamics findet sich ab sofort eine weitere ausführliche Fotogalerie der diesjährigen aba-Jahrestagung, die derzeit täglich erweitert wird.

 

 

Auch wenn in den vergangenen Jahren die digitale Rentenübersicht das dominierende Thema war, muss ernüchternd festgestellt werden, dass sich noch kein Unternehmen mit Direktzusagen aus der Deckung wagt und zur Anbindung bereit ist. Für viel Unmut auf dem Parkett sorgt das Nachweisgesetz nicht nur aufgrund des Schriftformerfordernisses, sondern laut Meissner auch aufgrund der weiteren Angaben bezüglich der U-Kasse. Hier besteht aber nach Andeutungen vom Vortag Hoffnung auf eine baldige Erleichterung für die bAV. Keine Hoffnung besteht hingegen, dass das BVerfG in nächster Zeit über die Verfassungsmäßigkeit des steuerbilanziellen Rechnungszinssatzes von 6% entscheiden wird.

Henriette Meissner, Stuttgarter.

Als durchweg erfreulich werden im U-Kassen-Universum der überraschende Wegfall des Ausscheideerfordernisses sowie die Möglichkeit fondsgebundener Rückdeckungsversicherungen wahrgenommen. Dennoch besteht weiterhin eine lange Wunschliste für die Zukunft: bessere Portabilität, Nachdotierungsmöglichkeiten und Vorsorgemöglichkeiten für Beschäftigte unter 23 Jahren sowie die Anhebung der Körperschaftsteuer-Höchstgrenzen, die Eliminierung der nachteiligen Berücksichtigung der Entgeltumwandlung beim Elterngeld und die, jedoch nach Aussage des BMAS vom Vortag schon abgelehnte, Anhebung der 4%-Entgeltumwandlungsgrenze.

Stefan Oecking, Mercer.

Oecking wagt einen spannenden Ausflug in die Welt der KI. Auf die Frage, mit welchen Maßnahmen eine auskömmliche bAV für 80% der Beschäftigten erreicht werden kann, liefert das KI-Tool ChatGPT erstaunlich zutreffende, wenngleich mit Vorsicht zu genießende Antworten, z.B. verpflichtende und niedrigschwellige Betriebsrentenangebote, steuerliche Anreize (für Unternehmen), automatische Einbeziehung der Beschäftigten sowie unabhängige Beratung und Transparenz für Beschäftigte, flexible Modelle, bAV als Teil der Gesamtvergütung sowie die Zusammenarbeit mit der Politik.

Transformation in der bAV – von der Pensionskasse zum fondsbasierten Pensionsplan

Sabine Fleischer (Albemarle) und Wilko Schmidt (Mercer) liefern einen erfrischenden Vortrag über die Neuordnung der bAV bei Albemarle, die im Jahr 2021 unmittelbar von der Einstellung des Neugeschäfts der Pensionskasse Dynamit Nobel betroffen war. Dies nutzte Albemarle dazu, erdiente Besitzstände zu garantieren, um für künftige Anwartschaften und Neueintritte einen einheitlichen kapitalmarktorientierten Plan mit geringer Bilanzberührung bei  gleichbleibendem Dotierungsrahmen sowie ohne Nachteile für die Beschäftigten (verhindert durch Besitzstandsgarantien) einzuführen.

 

 

 „… schnelle Entscheidungen, gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat, das Know-How und Konstanz im Projektteam … als wesentliche Erfolgsfaktoren.“

 

 

Ein Sozialpartnermodell und eine andere Pensionskasse kamen nicht in Betracht, Albemarle entschied sich für eine Direktzusage in Form eines fondsbasierten Vorsorgeplans (arbeitgeberfinanziert mit Garantie und mit optionaler und incentivierter Entgeltumwandlung) in Verbindung mit einer CTA-Konstruktion:

Das Publikum.

Der Fokus liegt auf den individuellen Beschäftigtenkonten mit der Auszahlung als Einmalkapital und der Option der Raten- bzw. Rentenauszahlung. Bei Auszahlung als Rente wird bei Eintritt des Versorgungsfalls eine RDV gegen Einmalbeitrag abgeschlossen. Von allen Beteiligten werden die schnellen Entscheidungen, die gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und das Know-How und die Konstanz im Projektteam auch nach der Implementierung des Plans als wesentliche Erfolgsfaktoren hervorgehoben. Für das Publikum erstaunlich war die außerordentlich hohe Teilnahmequote von über 90% an der optionalen Entgeltumwandlung.

Die Inflation und die bAV – wo die Musik spielt

Claudia Veh, Aktuarin und Director Deal Advisory Pensionsbei KPMG, läutet die Vorträge zu Inflation und Rentenanpassung ein. Die jüngsten Entwicklungen der Inflationsraten zeigen deren weitere Relevanz, da die monatlichen Inflationsraten im laufenden Kalenderjahr zwar einen klaren Trend nach unten zeigen (von 8,7% im Januar und Februar auf 7,2% im April und – wie zwischenzeitlich bekannt geworden – 6,1% im Mai), sie jedoch immer noch deutlich oberhalb des langfristigen EZB-Ziels von 2% p.a liegen.

 

Die Musik spielt v.a. bei laufenden Leistungen.“

 

Die Inflation führt in der bAV bei aktiven Beschäftigten überall dort zu erhöhten Aufwänden, wo eine Kopplung der zugesagten Leistungen oder der vereinbarten Beiträge an das (aufgrund der Inflation zu erwartende ansteigende) Gehalt gegeben ist. Für mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschiedene Arbeitnehmer ergeben sich für den Arbeitgeber – bis auf sehr eng begrenzte Ausnahmefälle – keine erhöhten Aufwände, da die Anwartschaften regelmäßig statisch sind. Die Musik spielt v.a. bei laufenden Leistungen, wo die Kombination aus unmittelbarer Erhöhung der laufenden Renten und der Anpassung des Rententrends maßgeblich für den mitunter erheblichen Anstieg der Bilanzpositionen ist.

Claudia Veh, KPMG.

Es folgt auch ein Abstecher speziell zu den Auswirkungen der Inflation auf (rückgedeckte) U-Kassenzusagen, wenn die Überschüsse auf Grund der Inflation nicht zur Rentenanpassung reichen. Die realisierte Subsidiärhaftung wird regelmäßig als direkte Rentenzahlung des Unternehmens mit Bilanzberührung (zumindest nach HGB) und seltener über eine Nachdotierung abgewickelt.

Die Auswirkungen der Inflation können zusammenfassend sehr vielfältig sein, sodass sich jedes Unternehmen einen Überblick über die konkreten Gegebenheiten verschaffen sollte und für die Zukunft inflationsunabhängige Systeme empfohlen werden. Die Inflation verschärft die Versorgungslücke, was allen Beteiligten bewusst sein sollte, wobei die Verantwortung zur Problemlösung auch bei den Unternehmen liegt, schließt Veh.

Rentenanpassung und wirtschaftliche Lage – wohin es geht

Johannes Heiniz, WTW.

Johannes Heiniz von WTW fragt: Quo vadis, lebenslange Rente? Während sich Beschäftigte überwiegend eine lebenslange Rente wünschen, besteht bei den Unternehmen weiterhin das Bestreben eines De-Risking durch Vermeidung des Langlebigkeits- und Inflationsrisikos, so dass der Trend zur Ratenzahlung bzw. zu niedrigeren Renten mit Überschussbeteiligung oder gar schwankenden Zielrenten sowie Anpassungsbegrenzungen auf 1% geht.

 

Beide Optionen können den Inflationsdruck auf die Unternehmen entschärfen.“

 

 

Damit eine Anpassung rechtmäßig wegen schlechter wirtschaftlicher Lage unterbleiben kann, sind im Vorfeld jedoch Prognoserechnungen notwendig. In diesem Zusammenhang bringt Heiniz zwei theoretische Möglichkeiten einer Flexibilisierung durch spätere Justierungsmöglichkeiten abhängig von der tatsächlichen Entwicklung der wirtschaftlichen Lage ins Spiel: die Rentenanpassung in voller Höhe unter Vorbehalt oder eine zeitliche Verteilung des Anpassungsbedarfs.

Beide Optionen können den Inflationsdruck auf die Unternehmen entschärfen und auch zu mehr Generationengerechtigkeit führen, da bei laufenden Renten ein deutlich höheres Versorgungsniveau vorherrscht, während es bei jungen Beschäftigten aufgrund der Inflation und der 1%-Garantieanpassung sinkt, so der Referent abschließend.

Der vierte und letzte Teil zur Berichterstattung zur aba-Jahrestagung 2023 findet sich zwischenzeitlich auf LEITERbAV hier.

Lisa Martin, H2B.

Ende des ersten Teils eines zweiteiligen Beitrages von Lisa Martin und Sven Scholz.

Der zweite Teil des Beitrages findet sich zwischenzeitlich auf LEITERbAV hier.

Lisa Martin ist Juristin bei der H2B Aktuare GmbH.

 

 

Sven Scholz, H2B.

Sven Scholz ist Aktuar (DAV/IVS) und Senior Consultant bei der H2B Aktuare GmbH.

Von ihnen bzw. anderen Autorinnen und Autoren der H2B sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:

 

 

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II):
Alle für eine
von Korbinian Kolb, 23. Oktober 2022

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I):
Zwischen Hoffnungsschimmer und ...
von Korbinian Kolb, 23. Oktober 2022

Neulich in Berlin – aba-Jahrestagung 2023 (IV):
Zurück zur Sieben?
von Lisa Martin und Sven Scholz , 28. Juni 2023

Neulich in Berlin – aba-Jahrestagung 2023 (III):
Quo vadis, lebenslang?
von Lisa Martin und Sven Scholz , 13 Juni 2023

aba-Tagung Mathematische Sachverständige:
Kostenlose Vertragsprüfung von Amts wegen
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 24. Oktober 2022

Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (III):
Von DRÜ und doppelten Steuern, von Wiki UND IAS 19 ...
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 21. Oktober 2021

Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (II):
De-Risking mit und ohne EBIT-Power
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 19. Oktober 2021

Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (I):
Alte Welten, neue Welten, dritte Quartale
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 15. Oktober 2021

Versorgungsausgleich:
Karlsruhe konkretisiert Karlsruhe …
von Jan Hartloff, 14. Juni 2021

Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (IV):
Rückwirkende Disqualifikation?
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 26. Oktober 2020

Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (III):
Live and let die...
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 21. Oktober 2020

Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (II):
Aktuare pandemiefest
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 16. Oktober 2020

Deutschland im Herbst – aba-Mathetagung (I):
Von 79 Milliarden, Optimisten, Pessimisten …
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 15. Oktober 2020

Neulich in Erfurt:
Altersteilzeit kann Teilzeit sein
von Dr. Günter Hainz, 25. März 2020

aba-Pensionskassentagung in Bonn (II):
Auch rückwirkend Schluss mit Privilegien ...
von Caroline Braun und Günter Hainz, 10. Oktober 2019

aba-Pensionskassentagung in Bonn (I):
Ora live on Stage
von Caroline Braun und Dr. Günter Hainz, 2. Oktober 2019

81. aba-Jahrestagung in Bonn (III):
Wenn best practices Druck machen…
von Dr. Günter Hainz, 11. Juni 2019

81. aba-Jahrestagung in Bonn (II):
Kaum mehr zu bewerkstelligen“
von Sven Scholz, 28. Mai 2019

Die aba neulich in Königswinter (IV):
Von Einstandspflichten und Portfolios. Und ein Abschied.
von Caroline Braun, 22. Oktober 2018

Die aba neulich in Königswinter (III):
Von Vaus und Feldberg
von Caroline Braun, 15. Oktober 2018

Die aba neulich in Königswinter (II):
Wir brauchen ein bAV-PEPP“
von Caroline Braun, 2. Oktober 2018

Die aba in Königswinter (I):
Der Aktuar in der Funktion
von Caroline Braun, 27. September 2018

BGH zum Versorgungsausgleich:
Was wie zu teilen wäre...
von Jan Hartloff, 24. Mai 2018

BMF-Schreiben vom 30. November 2017:
Auf BFH folgt AIFM folgt BMF
von Dr. Günter Hainz, 7. Dezember 2017

aba-Tagung Fachvereinigung Pensionskassen:
Kein Strom aus der Steckdose
von Dr. Günter Hainz, 17. Oktober 2017

Neues BMF-Schreiben:
Zwischen praktikabel und kompliziert
von Dr. Günter Hainz, 28. September 2017

BGH zum Versorgungsausgleich:
Externe Teilung fondsgebundener Zusagen
von Dr. Günter Hainz, 7. September 2017

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.