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BAG urteilt zum 16er:

In der Praxis meist erfüllt …

doch heißt meist nicht immer. Ende 2019 hatte das BAG zur Anwendung der Escape-Klausel“ für die Anpassung von Pensionskassenrenten zu entscheiden und die Gelegenheit genutzt, zahlreiche Anforderungen zu konkretisieren. Ein Ergebnis: Nicht alles, was versicherungsrechtlich möglich ist, ist arbeitsrechtlich unkritisch. Alexander Bauer schildert, analysiert und bewertet das nun vorliegende Urteil.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung vom 10. Dezember 2019 (3 AZR 122/18) die Voraussetzungen der sog. „Escape-Klausel“ des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG präzisiert (LEITERbAV berichtete).

Nach der Escape-Klausel des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG entfällt bei Durchführung der betrieblichen Altersversorgung über eine Direktversicherung oder über eine Pensionskasse die gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG bestehende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Anpassungsprüfung und -entscheidung hinsichtlich laufender Leistungen der bAV, wenn „ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden“.

Konkrete Voraussetzungen …

In dem Verfahren vor dem BAG ging es darum, welche Voraussetzungen konkret erfüllt sein müssen, damit der Arbeitgeber von der Anpassungsprüfungspflicht befreit ist und den Betriebsrentner ausschließlich auf die Rentenanpassung aus Überschüssen nach § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG verweisen darf. Strittig war die Erhöhung einer Rente, die von einer aufsichtsrechtlich regulierten Pensionskasse auf der Grundlage einer beitragsorientierten Leistungszusage gezahlt wurde.

Die Entscheidung des BAG bedeutet, dass folgende Anforderungen erfüllt sein müssen, damit die Escape-Klausel, soweit sie einschlägig ist, angewendet werden kann:

1. Die Verwendung sämtlicher auf den Rentenbestand entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen der bAV muss aufgrund einer vertraglichen Regelung oder aufgrund gesetzlicher Ansprüche bei Beginn der Rentenleistung unabdingbar rechtlich feststehen; eine bloße praktische Handhabung ist unzureichend. Ausreichend ist eine vertragliche Regelung zwischen Arbeitgeber und Pensionskasse, die die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen sicherstellt, da diese nach dem Vertragszweck auch nicht mehr ohne Zustimmung des Versorgungsberechtigten zu dessen Lasten geändert werden kann. Es bedarf also nicht zwingend einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

2. Zum Zeitpunkt des Rentenbeginns muss unabdingbar rechtlich feststehen, dass die in der RfB für die Überschussbeteiligung reservierten Mittel im Falle ihrer Verwendung

a. den Rentnerbeständen sowie innerhalb des Rentnerbestands dem einzelnen Vertrag verursachungsorientiert zugeordnet werden und

b. die so vertragsindividuell zugeordneten Überschussmittel ausschließlich für eine Erhöhung der laufenden Leistungen eingesetzt werden, insbesondere

c. eine Verwendung zugunsten der Arbeitgeber oder der Kasse grundsätzlich ausgeschlossen ist.

3. Die bloße Existenz wirksamer satzungsmäßiger Änderungsvorbehalte steht dabei dem BAG zufolge der geforderten rechtlichen Verbindlichkeit der Festlegungen nicht entgegen, und zwar auch dann nicht, wenn sich ein solcher Vorbehalt auf die Regelungen zur Überschussbeteiligung erstreckt. Denn ein solcher Änderungsvorbehalt wäre keine ausreichende Rechtsgrundlage für Neuabgrenzungen des Versicherungsbestandes, die die Überschusssystematik grundlegend verändern und damit gegen Treu und Glauben verstoßen.

Insofern ist entscheidend, dass die zu Rentenbeginn getroffenen Festlegungen zur verursachungsorientierten Abgrenzung des Versicherungsbestandes aus Sicht des BAG auf der Grundlage eines Änderungsvorbehalts überhaupt nicht wirksam nachträglich gegen den Willen des Rentenbeziehers ausgehebelt werden können. Dies gelte selbst dann, wenn die Aufsicht der Änderung zugestimmt haben sollte.

4. Die auf den Rentenbestand entfallenden Überschussanteile müssen den Leistungsempfängern zum Zeitpunkt des Versorgungsfalls rechtlich durchsetzbar zustehen. Dies sieht das BAG nach den spezifischen Grundsätzen des Versicherungsrechts, insbesondere des § 139 Abs. 1 VAG (unmittelbare Überschusszuteilung oder Einstellung in die RfB), des § 140 VAG (insbesondere angemessene Zuführung zur RfB und deren Verwendung), des § 141 VAG (Berücksichtigung der dauernden Erfüllbarkeit bestehender Verpflichtungen beim Vorschlag zur Überschussbeteiligung durch den verantwortlichen Aktuar) sowie des § 153 VVG (Anspruch auf Überschussbeteiligung, wenn nicht abbedungen) als sichergestellt an.

Eine Bestimmung der Überschussbeteiligung nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) lehnt das BAG ab.

5. Da die Überschussanteile „gerade dem Rentenbestand zugeordnet sein“ müssen, erfordert dies nach dem BAG eine sachgemäße Zusammenfassung der Versicherungsverträge, denen die Überschussanteile zugeordnet sind, und innerhalb der Zuordnung eine sachgemäße Zuschreibung von Überschussanteilen auf den einzelnen Vertrag.

Ausdrücklich billigt das BAG deshalb, dass Verträge zum Zweck der verursachungsorientierten Zuordnung von Überschussanteilen zu Teilbeständen (Bestandsgruppen, Gewinnverbände, Abrechnungsverbände) zusammengefasst werden.

Die Zusammenfassung muss verursachungsorientiert im versicherungsrechtlichen Sinn (§ 153 VVG) erfolgen. Die Abgrenzung zwischen Rentenbestand und Anwartschaftsbestand selbst sieht das BAG als unproblematisch an, da nach allgemeinen rechtlichen Vorgaben (§ 138 Abs. 2 VAG) die Überschussanteile gleichmäßig auf Anwärter und Rentner zu verteilen seien.

6. Im Hinblick auf die verursachungsorientierte Gruppierung und Zuordnung sowie die sachgemäße Zuschreibung von Überschussanteilen auf den einzelnen Vertrag bleibt der aus der Versorgungszusage verpflichtete Arbeitgeber gegenüber seinem ehemaligen Arbeitnehmer im Streitfall allerdings darlegungs- und beweispflichtig.

Der Arbeitgeber kann dieser Nachweispflicht nur dann nachkommen, wenn ihm die Pensionskasse die erforderlichen Informationen zur Verfügung stellt. Insofern ist nicht auszuschließen, dass künftig Arbeitgeber sich mit entsprechenden Informationsbegehren an ihre Pensionskasse wenden und die Pensionskasse auffordern darzulegen, wie sie die verursachungsorientierte Zuordnung von Überschussmitteln auf den Rentnerbestand und die ausschließliche Verwendung zur Erhöhung der laufenden Leistungen sicherstellt.

7. Das BAG stellt klar, dass es für die Anwendung der Escape-Klausel unerheblich ist, ob Überschussanteile überhaupt anfallen. Demnach ist es unschädlich, wenn eine Kasse nach ihrer wirtschaftlichen Situation zum Zeitpunkt der Bestimmung über die Überschussverwendung zu dem Schluss kommt, dass (ggf. auch nur bestimmten Teilbeständen) keine Überschussmittel zugeordnet und aus diesem Grund die laufenden Leistungen nicht erhöht werden können. Eine Überschussbeteiligung von „Null“ steht insofern der Anwendung der Escape-Klausel nicht entgegen.

8. Dem Rentenbestand zugeordnete bzw. dem einzelnen Leistungsempfänger zugeteilte Überschussmittel müssen grundsätzlich zur dauerhaften Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden. Ein Überschusssystem, das in der Rentenphase ausschließlich zeitlich befristete Erhöhungen vorsieht, ist im Umkehrschluss schädlich.

Es ist aber zulässig, einen Teil der Überschussmittel für eine zeitlich befristete Erhöhung der Leistungen zu verwenden. Dauernde Erhöhungen und zeitlich befristete Erhöhungen müssen dabei nach den maßgeblichen Regelungen in den Versicherungsbedingungen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen; dies ist etwa bei vorrangig dauernden Erhöhungen der Fall. Zudem darf der Anteil der lediglich befristeten Erhöhungen der Rente nicht unangemessen hoch sein. Im vorliegenden Fall hat das BAG zeitlich befristete Erhöhungen bis zu 25% der Stammrente als unkritisch angesehen.

Reine Rentenzuschlagssysteme, bei denen Rentenerhöhungen immer nur zeitlich befristet gewährt werden, um die in der RfB gebundenen Überschussmittel weiterhin für die Bedeckung der Solvabilitätsspanne nutzen zu können, gefährden insofern die Anwendbarkeit der Escape-Klausel.

9. Verwendet werden müssen die auf den Rentenbestand entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung laufender Leistungen der bAV. Eine Verwendung etwa für Sterbegeldleistungen, die arbeitsrechtlich nicht als betriebliche Altersversorgung eingeordnet werden, hindert die Anwendung der Escape-Klausel.

10. Ausdrücklich offen lässt das BAG im Rahmen der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG, ob § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG überhaupt europarechts- und verfassungskonform für Anpassungsstichtage vor dem 1. Januar 2016 geändert worden ist. Denn vormals war gesetzliche Voraussetzung der Escape-Klausel, dass zur Berechnung der garantierten Leistung der aufsichtsgesetzliche Höchstzinssatz zur Berechnung der Deckungsrückstellung nicht überschritten wird. Die Streichung dieser Voraussetzung zielte darauf ab, versicherungsförmige Zusagen auf der Grundlage aufsichtsrechtlich genehmigter Tarife, auch solche aus der Zeit vor Inkrafttreten der Deckungsrückstellungsverordnung am 16. Mai 1996, durch die Escape-Klausel zu erfassen. Die Klärung dieser Fragen obliegt nun dem LAG. Insofern besteht diesbezüglich weiterhin leider keine abschließende Rechtssicherheit.

in der Praxis meist erfüllt

Die in der Praxis vorherrschenden Überschussbeteiligungssysteme von Pensionskassen dürften die Voraussetzungen für die Anwendung der Escape-Klausel regelmäßig erfüllen. Dies gilt auch für den Durchführungsweg Direktversicherung, für den die Escape-Klausel ebenfalls einschlägig ist.

Dienstsitz des BAG in Erfurt. Foto: BAG.

Aus der ausdrücklichen Bezugnahme des BAG auf die §§ 140 und 141 VAG ergibt sich implizit, dass die Verwendung von Rohüberschüssen zur Stärkung der Verlustrücklage oder der Deckungsrückstellung nicht bereits eine schädliche Verwendung von Überschüssen zugunsten der Kasse darstellt.

Das BAG betont ausdrücklich, dass eine Überschussbeteiligung nur insoweit in Betracht kommt, als die dauernde Erfüllbarkeit der sich aus den Versicherungsverträgen ergebenden Verpflichtungen beachtet ist. Zudem wird durch die gesetzlichen Vorschriften des § 140 VAG sichergestellt, dass einmal für die Überschussbeteiligung in der Rückstellung für Beitragsrückerstattung reservierte Mittel grundsätzlich nur den Versorgungsberechtigten zugutekommen und nur in Ausnahmefällen und nur mit Genehmigung der Aufsicht zur Verlustdeckung herangezogen werden dürfen.

Und schließlich stellen sowohl der verantwortliche Aktuar als auch die Versicherungsaufsicht sicher, dass bei der Zuteilung von Überschüssen die Grundsätze der Angemessenheit und Verursachungsorientierung eingehalten werden. Insofern werden grundlegende arbeitsrechtliche Anforderungen an die Überschussbeteiligung bereits durch versicherungsrechtliche Vorschriften gewährleistet.

Keine guten Nachrichten, aber etwas Trost

Allerdings schiebt das BAG einer risikoarmen Überschussverwendung, beispielsweise in Gestalt zeitlich befristeter bzw. nicht garantierter Rentenzuschläge teilweise einen Riegel vor. Für Pensionskassen, die derzeit jeden Cent für die Stärkung ihrer Risikotragfähigkeit benötigen und denen insofern an Überschusssystemen gelegen ist, bei denen aus Überschüssen nicht immer weiter garantierte Leistungen erwachsen, sind das keine guten Nachrichten; tröstlich mag es aber sein, dass das BAG aber befristete Rentenerhöhungen aus Überschüssen nicht schlechthin verwirft.

Als nicht unproblematisch dürfte sich für die Arbeitgeber die im Streitfall bestehende Nachweispflicht gegenüber ihren ehemaligen Arbeitnehmern erweisen, da sie diesbezüglich auf entsprechende Auskünfte der Pensionskassen angewiesen sind. Nur die Kassen können am Ende bestätigen, dass ihr Überschusssystem den Anforderungen des BAG genügt.

Alexander Bauer ist Leiter des Rechtsberatungsbereichs der Heubeck AG in Köln.

Von ihm und anderen Autorinnen und Autoren der Heubeck AG sind zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAV erschienen:

Wachstumschancen-Gesetz:
Eine Chance für das Wachstum?
von Martin Knappstein und Dmitrij Heimann, 26. April 2024

DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (VI):
Reden wir über unsere Generation
von Katja Jucht und Kai Spier, 17. Juli 2023

Heubeck-Kolloquium 2022:
Von langen Wegen, kurzen Läufern und Alleskönnern
von Martin Knappstein und René Kublank, 22. November 2022

15. IVS-Forum:
Von Widerspruch, Politik und Passgenauigkeit
Dr. Christoph Poplutz und Daniel Fröhn, 4. November 2021

Konkretisierungen aus der Wilhelmstraße:
Klar, unklar, Vorfreude
von Martin Knappstein, 21. September 2021

BAG zur Einstandspflicht des Arbeitgebers:
Abgerechnet wird zum Schluss
von Alexander Bauer, 21. Juli 2020

BAG urteilt zum 16er:
In der Praxis meist erfüllt …
von Alexander Bauer, 26. Mai 2020

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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