Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Was die Fed von der EZB unterscheidet, wer meint mahnen zu müssen – und ob die Bundesregierung in Kürze überhaupt noch Ressourcen für die Altersversorgung frei haben wird.
Heute wieder eine kommentierte Presseschau auf LEITERbAV – angesichts des kölnischen Karnevals mit besonders optimistisch-fröhlichen Perspektiven und mit teils neuen Beiträgen, aber auch teils mit Bezug zu älteren, die bereits auf LbAV Dynamics gepostet worden sind, wo Kassandra in diesen Monaten bevorzugt ihr Unwesen treibt.
t-online (17 Februar): „20 Jahre altes Gesetz – So benachteiligt der Staat zwei Millionen Rentner.“
Eine mit ihren Rentensteigerungen unzufriedene Betriebsrentnerin wolle bis nach Karlsruhe klagen, so der Beitrag.
Nun, auf dem Parkett ist jedem professionellen Marktteilnehmer klar, welche Herausforderung die bAV für Arbeitgeber technologisch, arbeitsrechtlich, fachlich und natürlich auch ökonomisch oft darstellt. Wenn die Escape-Klauseln des 16er, die in den vergangenen Jahren regelmäßig von der Politik konkretisiert und in Erfurt verhandelt worden sind, nun aber infrage gestellt werden, und das, so der Artikel, möglicherweise bis nach Karlsruhe, bedeutet das wie so oft erneute Rechtsunsicherheit für die bAV-betreibenden Arbeitgeber.
Die bAV ist anspruchsvoll und teuer genug. Sollen Arbeitgeber nun also auch noch damit rechnen müssen, dass möglicherweise rückwirkend für viele Jahre/Jahrzehnte und Legionen an Ex-Beschäftigten die Betriebsrenten anzupassen sind? Eine solche Rechtsunsicherheit in Form eines jahrelangen Marsches durch die Instanzen wäre erneut ein weiterer Treiber für Arbeitgeber, die bAV möglichst draußen vor der Tür zu halten.
Wiederholt sei, was ein Arbeitgeber (je nach DFW) sich alles erspart, wenn ihm dies gelingt:
„Keine Versorgungsordnungen, keine VM-Gutachten, keine Aktuare, kein Dritter Senat, kein 6a, kein 253, kein IAS 19, keine Bilanzberührung, keine Doppelverbeitragung, kein Planvermögen, keine Kapitalanlage, kein Performancerisiko, kein Niedrigzins, keine Anpassungsprüfungspflichten, kein Versorgungsausgleich, kein 15%-Zuschuss, kein PSV, keine ESG-Pflichten, keine BaFin, keine EIOPA, keine Consultants, keine Anwälte, keine Asset Manage, usw usf… und vor allem: kein LEITERbAV mehr lesen müssen!“
Unangenehm wäre das Ganze auch für die Politik, die sich mit dem BRSG seit 2018 redlich bemüht hat, die bAV für alle Beteiligten zukunftsfest zu machen. Und wenn Verfassungswidrigkeit reklamiert wird, kann die Politik auch nicht viel mehr tun, als abzuwarten, ob die Sache wirklich nach Karlsruhe (oder möglicherweise und noch unkalkulierbarer: nach Luxemburg) geht und wie sie dort ausgeht.
Übrigens: Angesichts des Verhaltens dieser Betriebsrentnerin (wenn auch Stand heute wohl eher ein Einzelfall) muss man auch erneut infrage stellen, ob die bAV, die ja zumindest partiell meist auf einer freiwilligen Leistung des Arbeitgebers beruht (Matching) von den Berechtigten wirklich in dieser Art und Weise positiv honoriert wird, wie man sich das zuweilen gerne vorstellt. Man erinnere sich an die weitverbreitete Wut, welche die Doppelverbeitragung mit sich brachte (und wohl noch immer bringt). Damals war der Adressat des Unmuts die Politik allein. Hier aber wären die Arbeitgeber mit im Boot. Wenn also am Ende nach jahrzehntelangem Matching der bAV am Ende doch nur Ärger, Rechtsunsicherheiten und Nachzahlungen stehen, warum das Ganze? Dann doch, wie zuweilen in der Metallindustrie, lieber in die GRV zuschießen. Mehr pay and forget (und race to the bottom) geht nicht.
Gut, machen wir die Pferde nicht vor der Zeit scheu. Möglicherweise handelt es sich hier nur um das intuitive Gerede einer unzufriedenen Betriebsrentnerin; und die Sache ernst zu nehmen ist offenbar auch der ver.di zu lächerlich. Außerdem ist ein Gang durch die Instanzen und bis nach Karlsruhe am Ende auch nicht jedermanns Sache. Fragt sich aber, ob hier möglicherweise interessierte Kreise, beispielsweise Anwälte, die Sache vorantreiben werden. Wie dem auch sei, sollte es hier tatsächlich zum langen Marsch kommen, wäre der Schaden für die bAV mal wieder unabsehbar.
Board of Governors of the Fereal Reserve System (10. Januar:): „Panel on ‚Central Bank Independence and the Mandate—Evolving Views‘.“
Ein Beitrag von Anfang Januar, eine Rede, die Fed-Chef Jerome Powell jüngst in Schweden hielt, soll hier noch aufgegriffen werden, da in den deutschen Medien weitestgehend untergegangen. Ein Zitat:
„…without explicit congressional legislation, it would be inappropriate for us to use our monetary policy or supervisory tools to promote a greener economy or to achieve other climate-based goals. We are not, and will not be, a climate policymaker.“
Vergleiche man das mit der Hybris der EZB, die sich für viel mehr zuständig hält als nur Geldpolitik – und das, obwohl sie nicht mal die im Griff hat. In der jüngsten Presseschau schrieb Kassandra über den Fed-Chef:
„Powell macht alles richtig.“
Das schließt offenkundig das mit ein, was er nicht macht.
Finanzen.net (17. Februar): „EZB-Direktorin Schnabel warnt vor Unterschätzung der Inflation.“
Apropos EZB: Direktorin Isabel Schnabel hat sich allen Ernstes mit der Aussage zitieren lassen, die Finanzmärkte unterschätzten möglicherweise die Hartnäckigkeit der Teuerung in Euroland.
Vielleicht hat sie sogar recht, vermutlich sogar, doch kommt es darauf hier nicht an – sondern dass man sich als Beobachter fragt, wer hier mahnt. Ausgerechnet Schnabel gehörte doch genau zu denen, die höchstselbst die Inflation immer noch als „transitory“ bezeichnet haben, als die Markteilnehmer schon längst vom Gegenteil ausgingen, hier ein Beleg aus dem Spiegel vom vergangenen November (und nein, der Krieg hat in der Frage der Inflation nicht alles verändert, sondern nur beschleunigt).
Und solange die EZB QE nicht einstellt – angeblich soll es ab März soweit sein, man wird sehen – sondern (im klaren Verstoß gegen die Rechtssprechung des BVerfG) weiter ClubMed-Sovereigns kauft, sollte sie von der Bekämpfung der Inflation am besten eines tun: schweigen.
Die Welt (22. Januar): „Die Summen für den Ukraine-Wiederaufbau sprengen sämtliche Dimensionen.“
t-online (7. Februar): „Landrat schlägt Alarm: „Unsere Ressourcen sind am Ende“.“
Hier zwei zusammenwirkende Themenkomplexe, die auf den ersten Blick nichts mit der bAV zu tun haben, mittelbar aber sehr wohl Wirkung entfalten dürften.
Erstens Krieg, Zins und Geldpolitik: Seit vor einem Jahr der Krieg im Osten ausbrach und kurz zuvor die Inflation massiv anzog, stellt Kassandra – wie seit jeher – regelmäßig infrage, inwiefern die EZB ernsthaft zu einem Tightening in der Lage sein soll (s.o.). Sie hat zwar die Zinsen etwas angehoben, doch QE betreibt sie über den Kauf von Staatsanleihen weiterhin, von einem Tightening kann keine Rede sein.
Ein Grund für diese kassandrisch-pessimistische Perspektive ist stets, dass abgesehen von der ingesamt unübersehbaren Multi-Problemlage „ja auch die teilzerstörte und unter massivem Brain Drain leidende, aus allen Wunden blutende Ukraine, die ja nun auch noch Blitz-EU-Mitglied werden soll, irgendwann nach dem Krieg wieder aufgebaut werden muss. Wer wird das denn bezahlen? Die Russen? Kaum. Die Ukraine selbst? Unmöglich. Der deutsche Steuerzahler? Das ist selbst für ihn zuviel. Auch hier bleibt am Ende nur ein Finanzier: die Notenpresse in Frankfurt-Ostend.“
Hier kursierten im Januar Zahlen, in der „Welt“ war von bis zu 1,25 Bio. Euro die Rede – eine Größenordnung, die mit jedem Tag, die der Krieg andauert, wohl als moderater zu gelten hat. Da man zumindest zur Zeit noch jedwede Verhandlungen ablehnt und so als Option nur der sog. Ermattungskrieg/Ermattungssieg gegenüber dem Angreifer Russland bleibt (dessen unendliche Leidensfähigkeit Legion ist), tut jeder Politiker, Geldpolitiker, aber auch Pensions-Investor gut daran, mit vielen Jahren Krieg und ergo auch mit vielen Jahren Druck auf die Geldpolitik zu rechnen.
Zweitens der Druck der Zuwanderung: Migration ist ein Thema, dass bei den Betroffenen stets und immer von starken Motivationen getrieben ist. Von Kriegsflucht, politischer Verfolgung, Kampf um das Überleben, Familienzusammenführung, die Suche nach einem besseren Leben bis hin zur Einwanderung in Sozialsysteme ist alles dabei.
Wollen Staaten, besonders die Zielstaaten, Migration steuern, ist das demzufolge nur mit sehr entschiedener und konsequenter Politik möglich. Das lässt sich weltweit beobachten, natürlich besonders bei Staaten, die hier rigoros vorgehen. Es gibt in der Migrationsfrage für die Zielstaaten keinen An/-Aus-Schalter, keinen Schieberegler und erst recht kein Wünsch-dir-was.
Doch genau den Eindruck hat man zuweilen im Deutschland von heute. Aber nur weil jetzt ein paar grüne Landräte sich an die Grenzen ihrer Kapazitäten gebracht sehen, heißt das noch lange nicht, dass man hier nun einen Wendepunkt sieht. Im Gegenteil, die Entschiedenheit und die Entschlossenheit, Migration in Bahnen zu lenken oder gar zu begrenzen, ist in Deutschland weder in der Politik noch in der Gesellschaft in der Breite vorhanden (es sei daran erinnert, dass dieses Land 2015 bis heute seine Grenzen geöffnet hat – ein in der jüngeren politischen Geschichte weltweit nahezu einmaliger Vorgang – nur um hässliche Bilder zu vermeiden, wie es damals aus dem Kanzleramt hieß). Es ist (übrigens ganz im Gegensatz zu den meisten oder eher allen anderen Regierungen und Bevölkerungen Europas) der Wunsch Deutschlands und der Deutschen, den eingeschlagenen Weg (an dessen demokratischer Legitimation keinerlei Zweifel bestehen kann), weiter zu gehen, und man wird ihn ohne signifikante Abstriche weiter gehen. Deshalb gelten auch weiter die hier schon genannten Prognosen:
a) dieses Land wird bis Ende des Jahrzehnts 90 Millionen Einwohner haben (eine Zahl, die neben Kassandra auch Olaf Scholz höchstselbst neulich prognostizierte).
b) dies bringt große Chancen, aber natürlich auch große Herausforderungen mit sich, namentlich für sämtliche Infrastruktur (Schulen, Kitas, Polizei, Verkehr, Gefängnisse, Energie, Hospitäler etc. pp…), für Sozialsysteme, für innere Sicherheit, für die Arbeitsmärkte, für das Bildungswesen – und vor allem: für die Wohnungsmärkte!
c) im Zusammenwirken mit der oben erwähnten Inflation und den Zwängen der Geldpolitik und der gegenwärtigen großen Zurückhaltung bei den Bauvorhaben wird diese Entwicklung hin zu anziehender Wohnungsnot die Politik schon in Kürze dermaßen unter Druck setzen, dass sie in anderen komplexen Problemfeldern, bspw. in der Altersvorsorge, nicht in der Lage sein wird, kleine Baustellen aufzumachen – von großen, ganz zu schweigen. Wie immer gilt das Axiom, und das sollten sich auch alle Landräte gut merken: Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung!
Deshalb erneut: Kassandra ist sehr gespannt, ob und inwiefern die beiden Dialoggruppen von BMAS und BMF zur betrieblichen und zur privaten Altersvorsorge substantielle Ergebnisse hervorbringen werden. Wenn etwas passieren soll, dann muss es jedenfalls schnell passieren.
Schwarzmalerei? Beispiel gefällig? Schon im Oktober schrieb Kassandra auf LEITERbAV Dynamics, „dass angesichts der politischen und ökonomischen Multi-Problemlage Deutschlands i.A. und des dynamischen Migrationsdrucks in die Sozialsysteme i.Sp. die FDP-Aktienrente nichts weiter als die pure Chimäre ist, geprägt von völliger Irrationalität.“
Kurz darauf folgte das Einknicken mit Ansage der Bundesregierung. Von der großspurig angekündigten Aktienrente ist nur eine simple, kleine und auf Pump finanzierte Rücklage übrig geblieben. Man wird sehen, ob bei den Dialoggruppen mehr herauskommt.
Zum Schluss: Just während des Verfassens der letzten Zeilen dieser Presseschau kamen dem Autor Artikel unter, die geeignet sind, die Thesen Kassandras zu bestätigen.
Dass EZB und Schnabel mit ihrem QE die denkbar schlechtesten Akteure sind, vor der Inflation zu warnen:
Wall Street online (16. Februar): „Commerzbank wirft EZB heimliches Anheizen der Inflation vor.“
Dass der (politische) Druck von den Wohnungsmärkten dynamisch an Fahrt aufnimmt, so dass die Politik bald andere Sozial-Sorgen haben wird als der Altersvorsorge:
Die Welt (16. Februar): „1,4 Millionen Menschen werden im Jahr 2024 keine Wohnung mehr finden.“
Und schließlich dass gegenüber Russland der Ermattungskrieg/Ermattungssieg zunehmend zur einzigen Option wird, man sich also – egal ob man dies positiv oder negativ sieht – auf einen sehr langen Krieg einstellen sollte:
Die Welt (19. Februar): „Plötzlich wollen alle den Sieg der Ukraine – sogar Deutschland.“
Alaaf.