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Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

So deutsch wie dieser Whisky

Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Von überschaubaren Zuwächsen, Wirtschaftswundern, Einknicken, Hochmut und mehr. Und jeden Morgen steht irgendwo einer auf …

DWS (16. März): Ein weiterer volatiler Tag an den Finanzmärkten – Die Marktturbulenzen könnten letztlich dabei helfen, die Inflation einzudämmen.“

Ist Anlagevermögen das schönste Wort der deutschen Sprache? Und ist es nicht schön, EbAV zu sein und keine Bank? In diesen Tagen vielleicht schon. Wie dem auch sei, zu den Details und den Konsequenzen aus der Causa SVB ist in Deutschland rauf und runter geschrieben wurden, daher an dieser Stelle nur einige Ergänzungen:

1.) Was ist also der Unterschied zwischen einer EbAV und einer Bank? Sie wissen es alle: Jeden Morgen steht irgendwo einer auf und will von der Bank sein Geld wiederhaben. Auf unserem Parkett „leider“ ausgeschlossen.

Wenn man aber auf der Aktivseite Anleihen in den Büchern hat, die einen Marktwert haben (Wackelpudding) und auf der anderen Seite Einlagen (Amboss), die kurzfristig von den Bankkunden abgerufen werden können, dann spielt man welches Spiel? Richtig, die Fristentransformation. Hier haben wir sie, bei allen Unterschieden zu 2007, doch eine Gemeinsamkeit.

Auch EbAV haben stets mit Durations zu hantieren, teils in komplexer Art und Weise. Aber diese Spiel der Fristentransformation, das gibt es hier nicht.

2.) Dass die US-Aufsicht der SVB nun das Risiko der Fristentransformation abnimmt (die Fed kann ja verlustfrei alle Durations gehen), erscheint hier aus der Ferne betrachtet zumindest nicht unvertretbar und ist auch nicht über die Maßen teuer. Staatsanleihen gekauft zu haben kann man nun wirklich nicht als ein Zocken oder als planloses Einkaufen hochkomplexer Finanzprodukte wie 2007 im Sinne von „I am to big to fail anyway“ bezeichnen. Und wenn es der Sache dient – nämlich zu verhindern, dass man nun über Zinssenkungen seine Kapitulation eingestehen muss (dazu später mehr) – dann mache man dies halt. Ordnungspolitisch wichtig ist aber, dass die SVB-Aktionäre bei der Rettung der Bank leer ausgehen.

3.) Teil der Wahrheit ist aber auch, dass es nicht wenige Auguren gegeben hat, welche in den vergangenen Jahren Anleihen, namentlich Sovereigns, als gar nicht so konservatives Investment betrachteten, sondern stets angesichts der Geldschwemmenpolitik der Notenbanken bei Anleihen von nicht weniger als der „größten Blase aller Zeiten“ sprachen, die dort aufgepumpt werde und platze, sobald die Zinsen steigen.

Und was tun anständige Anleihen, wenn die Zinsen steigen? Richtig, sie fallen. Nur galt auch dort das schon reichlich bekannte Spiel: Wer so vor den Folgen des Staatshandels mahnte, musste sich schon fast dem Lager der Verschwörungstheoretiker zurechnen lassen.

Die Vorgänge bei den britischen Pensionskassen im Herbst 2022 hätten durchaus eine Mahnung sein können, welches Krisen-Potenzial Anleihen haben, wenn man hiervon große Bestände hält und dann zu schnell die Zinsen steigen (und auch die britischen Pensionskassen haben noch nichtmal das Storno-Risiko, sind also an sich stabiler).

4.) Auf dieser Plattform wurde von Kassandra seit einem Jahrzehnt weniger vor Blasen den Märkten gewarnt, sondern stetig davor, dass die Geldschwemmenpolitik systematisch Staaten sowie Real- und Finanzwirtschaft drogenabhängig macht von dem billigen Geld. Was wir jetzt sehen, sind also erste Entzugserscheinungen – hier also in der Finanzwirtschaft. Altes kassandrisches Axiom ist aber auch, dass die USA solche Fälle eher stemmen können als Euroland (s.u. zur EZB).

Jedenfalls hieß es hier schon vor sage und schreibe zehn Jahren in einer Presseschau (die damals noch nichtmal den Namen Kassandra trug) und seitdem immer wieder ununterbrochen:

Jeder kleinste Versuch eines Entzuges wird unsere ständig drogenabhängigeren Volkswirtschaften so massiv beeinträchtigen, dass die Notenbanken entsprechende Vorstöße schnell wieder werden kassieren müssen. Längst schon sind sie nur noch Gefangene des eigenen Handelns.“

Stets hiess es dazu, dass wir für jedes Jahr Null- und Niedrigzins zwei Jahre brauchen, um die ökonomischen und fiskalischen und staatlichen Strukturen von der Droge des billigen Geldes wieder zu entwöhnen. Das wären zwanzig Jahre gewesen.

5.) Nun also trat Powell an, endlich den Ausstieg aus dieser unseligen Nullzinspolitik anzugehen, und echte Friktionen traten bisher nicht auf. An dieser Stelle wurde vor kurzem geschrieben, dass er alles richtig mache und es für ihn keinen Grund gebe, die Zinsen zu senken oder mit seinem Zyklus aufzuhören, solange an den Märkten und der Realwirtschaft große Katastrophen weiter ausbleiben. Allerdings wollte Powell zur Überraschung vieler, auch der Kröte nichts bis wenig von langsamen Vorgehen wissen. Zwanzig Jahre? Nein, es musste in zweien gehen. Und nun? Die kassandrische Realität?

Wie dem auch sei, wenn Powell nun sein Tempo auf die Füße fällt, wäre er gut beraten, mit Verlaub, nun einerseits nicht einzuknicken und eine Kehrtwende hinzulegen, und andererseits ungeachtet aller hämischen Medienberichte, die darauf folgen würden, nun erst mal keine weitere Zinserhöhung vorzunehmen. Unklar, ob das alte Bonmot US-Notenbankern geläufig ist das da heißt: jetzt mal den Ball flach halten“. Es wäre jedenfalls gut, wenn die Fed und auch die gesünderen US-Banken das Feuer austreten können, ohne nun wieder die Stellschraube Zins zurückdrehen zu müssen.

6.) Allerdings hat die DWS wie oben verlinkt wirklich Schockierendes beobachtet: Der Markt erwartet mittlerweile keinen einzigen weiteren Zinsschritt der Federal Reserve (Fed) mehr, sondern drei Zinssenkungen noch im laufenden Jahr.“

Fed mit drei Zinssenkungen? Wie bitte? Das wäre aber nicht weniger als eine veritable Katastrophe! Das ultimative Eingeständnis, das selbst die USA aus der Falle des niedrigen Geldes nicht herauskommen – mindestens aber, dass Powells Tempo viel zu hoch gewesen wäre (was ja vermutlich stimmt, s.o.). Sollte er nun eine 180-Grad-Wende hinlegen müssen (in Deutschland spricht manch eine in solchen Fällen bekanntlich gern von einer „360-Grad-Wende“), dann würde dies Renommee und Vertrauen in die Fed massiv beschädigen, Powell klar reif sein für den Rücktritt und Kassandra entgegen ihrer neulichen Haltung Gold doch long gehen. Denn bekanntlich kommt es so anders …

Deshalb gilt: Wenn man schon ordnungspolitisch einknicken muss, dann lieber die Banken von den Lasten der Fristentransformation befreien, dabei die Aktionäre zum Friseur schicken („Einmal Glatze bitte“), die gesünderen Banken zum Mitmachen drängen und die Duration übernehmen – alles besser als nun erbärmlich zurückzufallen in den Drogenrausch der Geldschwemme.

7.) Zum Schluss nach Euroland: Bemerkenswert mutig und unverdrossen und für Kassandra äußerst überraschend derweil die EZB, die gestern 0,5 Punkte draufsattelte. Einst hinter der Kurve zurückgeblieben, will sie nun zum Musterschüler werden?

Das kann gut gehen, weil sie parallel die Fazilitäten für die Banken erhöht hat. Das kann aber auch schiefgehen. Seltsam ist das EZB-Verhalten aber allemal. In der derzeitigen Lage hätte sicher auch jeder geldpolitische Falke und jeder EZB-Kritiker Verständnis für ein behutsameres Vorgehen gehabt, für 0,25 oder gar eine kleine Auszeit.

Dass die EZB nun meint, weiter in die Vollen gehen zu können, beinhaltet das Risiko, dass wenn die Lage sich verschärft, sie über die Maßen zurückrudern muss (sich also die Frage wird stellen müssen, die sich Powell jetzt gerade stellt). Kleine Auszeiten oder kleine Schritte in einer solchen Lage bergen ungleich weniger Blamage-Potenzial, als wenn plötzlich und hektisch der Zins zurückgenommen werden muss, weil die Lage bei den Banken weiter eskaliert. Schließlich haben auch europäische Banken Staatsanleihen, das an sich grundsolide Investment, in den Büchern, die jetzt durch den EZB-Schritt weiter unter Druck kommen könnten. Und wenn Powell nun tatsächlich, wie die Märkte laut DWS erwarten, umkippt? Was dann, EZB?

Warum also ausgerechnet jetzt weiter in diesem Tempo gehen, wo es doch mehr zu verlieren als zu gewinnen gibt? Jedenfalls scheint die EZB, die erst lange gezögert hat, hier nun unnötig Gas zu geben und damit unnötig ein Risiko einzugehen. Fast schon hochmütig kann man das finden.

Allerdings, liest man diesen FAZ-Beitrag hier, der Stimmen von Ökonomen eingefangen hat, dann steht Kassandra mit dieser Meinung wohl ziemlich allein da. Nun, man wird sehen.

 

BMAS (13. März): „Trägerbefragung zur Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung 2021.“

Ende 2021 mehr als 21 Mio. aktive bAV-Anwartschaften vermeldet das BMAS gemäß Ergebnissen der Befragung der bAV-Träger, genaugenommen 21.165 Mio.

Im letzten Bericht für 2019 waren es 21,004 Mio.. Insofern kann man den Zuwachs als überschaubar bezeichnen.

 

BdV (13. März): „Damals und heute – Allianz fürs Leben?“

Der Bund der Versicherten widmet sich ausführlich der Frage, ob die Allianz ernsthaft ihre Leben-Bestände in den Run off schicken könnte, und beruft sich auf entsprechende Äußerungen von Allianz-CEO Oliver Bäte.

Der hat damit ein Händchen fürs Timing bewiesen, jedenfalls sollte man diese Äußerungen in BMF und BMAS, wo man sich gerade der Weiterentwicklung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge widmet, aufmerksam zur Kenntnis nehmen – und sich fragen, wie verlässlich die Akteure eigentlich sind, mit denen man da „Staat“ machen will.

 

VJ (13. März): „Durchschnittsrente liegt knapp über 1.000 Euro.“

1.000 Euro Durchschnittsrente? Und das in den demographisch stabilen Zeiten der Deutschen Rentenversicherung? Das ist angesichts der hier stets viel besungenen, erst im Entstehen begriffenen Multi-Problemlage Deutschlands genau das, was den Eckrentner für diese Zukunft wetter- und sattelfest macht.

Kassandra hatte es jüngst ausführlicher dargelegt. Daher reicht hier und heute: Stichwort Flaschenpfand.

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

Die Welt (15. März): „Bundesrechnungshof: ‚Die Deutsche Bahn entwickelt sich zu einem Fass ohne Boden‘.“

An dieser Stelle werden bekanntlich regelmäßig die Defizite der Deutschen Rentenversicherung, aber auch der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung adressiert. Zusammen verschlingen beide ca.130 Mrd. Euro Steuergelder pro Jahr, nur um in ihren guten Zeiten nicht direkt auf der Stelle zu kollabieren. Die schlechten kommen bekanntlich erst noch.

Da tut es gut zu sehen, dass die deutschen Sozialsysteme hier nicht alleine stehen. Schöner Artikel in der Welt, der beschreibt, dass die Deutsche Bahn mittlerweile fast 17 Mrd. Euro im Jahr benötigt an Steuergeldern, nur um überhaupt ihren Betrieb aufrecht zu halten.

Jedoch ist die Lage wirklich so ernst? Irgendwie scheinen beim Bundesrechnungshof notorische Schwarzseher am Werk zu sein. Ganz kassandrisch sprachen sie mit Blick auf dieses Land jüngst erst vom Kontrollverlust.

Denn umgekehrt wird ein Schuh draus: 17 Mrd. Steuergeld für die Bahn pro Jahr, ungefähr das gleiche für die gKV, dann noch knapp 120 Mrd. für die Rentenversicherung, alles mit Tendenz steigend, und die Liste ließe sich sicher fortsetzen (Bundeswehr, Brücken, sozialer Wohnungsbau…). Soll man sich also Sorgen machen?

Natürlich nicht! Denn erstens kann man sowas einfach in Sondervermögen umbenennen, und zweites steht Deutschland laut Aussage eines angehenden Weltökonomen ja bekanntlich nicht vor einer Rezession, wie so viele befürchten, sondern ganz im Gegenteil vor einer Art Wirtschaftswunder. Und ein bisschen Doppelwumms und ein paar Sondervermögen stellen doch kein Problem dar für ein Land, das vor einem Wirtschaftswunderwumms steht…

 

Die Welt (16. März): „‘Ich bin Robert, das ist Cem’ – Die Dschungelshow der grünen Minister im Amazonas.“

Es ist gut, dass angesichts der anstehenden Wirtschaftswunder im eigenen Land deutsche Minister nicht nur heimische Herausforderungen im Auge behalten (so viele gibt es da ja gar nicht), sondern sich stets auch um das große Ganze, die ganze Welt kümmern.

Etwas schwierig in dem Beitrag teilweise die Details. Habeck habe laut Welt gesagt, dass unser Wald mehr oder weniger weg“ sei. Da muss man ein wenig widersprechen. Hier wird amtlich dargelegt, dass immer noch ca. ein Drittel Deutschlands bewaldet ist. Richtig ist, Wald kann es gar nicht genug geben! Aber satt über 100.000 km2, das ist nicht „weg“, Herr Habeck.

Was Kassandra aber völlig unverständlich ist: Wenn man schon ferne Länder unterstützt, warum dann in dieser so unterschiedlichen Quantität? Warum erhält Indien von der Bundesregierung z.B. 10 Mrd. Euro Steuergeld zur Bewältigung des Klimawandels, Brasilien bspw. aber nur 200 Mio., Kenia gar nur 112 Mio. Euro? Hier kann Wirtschaftswunder-Deutschland sicher mehr leisten!

 

Die Welt (12. März): „Für deutsche Traditionsfirmen sind die USA immer öfter die bessere Wahl.“

Endlich, die deutsche Industriepolitik nimmt weiter Fahrt auf. Und immer schön dran denken: Was hier einmal weg ist, kommt nicht wieder.

Putzig übrigens, dass man in dem Artikel Linde offenbar noch als deutsches Unternehmen sieht. Linde ist so deutsch wie dieser Scotch“, würde es wohl Quentin Tarantino es in seiner schon ikonischen Barszene ausdrücken lassen.

Aber, liebe Leserschaft, wie immer in diesen Zeiten: … erst der Anfang der Entwicklung, noch die guten Jahre, Sie wissen schon…

Auf die Verlinkung des zur heutigen Headline anregenden Kulturstücks wird verzichtet, da es die Leserschaft verunsichern könnte. Kennt aber ohnehin jeder.

Kassandra bei der Arbeit.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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