Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Auftaktveranstaltung der Pensions-Akademie (I):

Godot aus der Wilhelmstraße

Viel vor hatte diese Bundesregierung in der zweiten und dritten Säule der Altersversorgung – passiert ist bisher wenig. Auf der Agenda steht bis heute allerdings noch einiges, so manches hat auch Chancen, Realität zu werden – und dazu gab ein Fachmann jüngst einen Überblick.

Frankfurt am Main, 16. Februar, Haus am Dom, diesjährige Jahresauftaktveranstaltung der Pensions-Akademie. Gute Agenda. Und gleich eingangs widmet sich Georg Thurnes, Inhaber der ThurnesbAV GmbH und Vorsitzender der aba, dem Pensions-Überthema Regulierung.

Schwerpunkt seines Vortrages: Die Umsetzung des Koalitionsvertrags zur kapitalgedeckten Altersvorsorge, die sich bekanntlich zunächst im Fachdialog zur zweiten Säule im BMAS und in der Fokusgruppe des BMF zur dritten Säule materialisiert hat.

Darüber hinaus ist bis dato bekanntlich viel diskutiert, aber wenig bis nichts passiert, was Thurnes veranlasst, seinen Vortrag mit Bezug auf das Drama Samuel Becketts zu übertiteln.

Papier ist geduldig

Thurnes ruft in Erinnerung: Ausweislich des Koalitionsvertrags wollte die Bundesregierung insb.:

  • die bAV in Arbeits-, Steuer- und Aufsichtsrecht stärken
  • das Sozialpartnermodell umsetzen
  • Pensionskassen Anlagen mit höheren Renditen ermöglichen
  • für kleine VU und Pensionskassen für eine stärker proportionale Regulierung sorgen
  • die Einführung eines öffentlich verantworteten Altersvorsorgefonds prüfen.

Wir müssen draußen bleiben

In diesem Medium wird seit langem regelmäßig Freitags geunkt, dass die deutsche Politik täglich auf zahlreichen Politikfeldern ständig stärker pressiert wird und demzufolge ihre Ressourcen, ausgerechnet in der Altersvorsorge kleine Baustellen aufzumachen (von großen ganz zu schweigen), täglich schwinden dürften.

Georg Thurnes während seines Vortrages vor der Pensions-Akademie. Foto: C. Schneider.

Vielleicht geht die Entwicklung in der Tat in diese Richtung; jedenfalls beginnt Thurnes seinen Vortrag mit einem Blick auf die Liste derjenigen regulatorischen Maßnahmen, auf welche das Parkett das Warten wohl einstellen kann – sprich: die wohl keine absehbare Chance mehr haben, noch Gesetz zu werden:

Im Steuer und Sozialrecht:

  • Reform des § 6a EStG hinsichtlich Rechnungszins und Finanzierungsverfahren
  • Abschaffung der Doppelverbeitragung
  • Ausweitung der Freibetragsregelung für KV-Beiträge auf PflegeV-Beiträge
  • Anhebung der 4%-Grenze für Beitragsfreiheit von Sozialabgaben bei DV, PF und PK
  • Anhebung der Obergrenzen von § 3 Nr. 63 EStG

Im Arbeitsrecht:

  • Absenkung des Mindestgarantieniveaus bei der BZML
  • Klarstellung bzgl. etwaiger Mindestleistung bei der boLZ

Wenig überraschend: Alles Dinge, die zumindest kleines Steuergeld kosten.

Was alles kann, aber nicht muss

Gleichwohl: Die Liste der Dinge, die man laut Thurnes noch nicht vorschnell abschreiben sollte, ist nicht kurz, im Gegenteil:

Im Betriebsrentenrecht:

  • Erweiterung der Abfindungsmöglichkeiten
  • § 6 BetrAVG: Anpassung an neue Hinzuverdienstregelungen (auch Definition PK im VAG)
  • Opting out Modelle rechtssicher auch als betriebliche Lösung

Im Sozialpartnermodell:

  • Modifikation der „Einschlägigkeit“ gem. § 24 BetrAVG (AT-Mitarbeiter, nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Ermöglichung „Andock-TV“, Öffnung auf Zuständigkeitsbereich eines beteiligten Sozialpartners)
  • Mehr Rechtssicherheit bei Durchführung und Steuerung
  • Lösung von Konflikten zwischen Aufsichts- und Arbeitsrecht
  • erweiterte Abfindungsmöglichkeiten

Versicherungs-/Aufsichtsrecht:

  • Fortführung bAV bei allen ruhenden Arbeitsverhältnissen, insb. Elternzeit (VVG)
  • Überarbeitung AnlV (u.a. Erweiterung von gewissen Anlagequoten)
  • Flexibilisierung bei Bedeckungsregelungen für gewisse Pensionskassen (VAG)
  • Harmonisierung der Auszahlungsoptionen beim Pensionsfonds

Im Steuerrecht:

  • Verbesserung der Geringverdienerförderung gem. § 100 EStG; auch Empfehlung der Fokusgruppe; ggf. Evaluierungsverfahren abzuwarten
  • evtl. Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Auslagerungen
  • KSt-Befreiung: Vermeidung der steuerlichen Infizierung bei Ausstattung direkt gehaltener Immobilien mit Photovoltaik und E-Ladesäulen – bereits erl. via BMF-Schreiben
  • ggf. Überprüfung der Leistungsobergrenzen für KSt-Befreiung

Hier also wenig überraschend (von Kleinigkeiten im Steuerrecht abgesehen) alles etwaige Maßnahmen, die weitestgehend aufkommensneutral wären – also das, was auf PENSIONSINDUSTRIES gemeinhin Good Governance genannt wird, bekanntlich für den Staat kostenfrei ist und seit jeher in der deutschen Altersvorsorge zu kurz kommt. Jede Verbesserung wäre hier natürlich ausdrücklich zu begrüßen.

In der dritten, da simmer dabei

Der Schwerpunkt der Fokusgruppe für private Altersvorsorge lag auf der 3. Säule. Gleichwohl ist die bAV hier mit im Boot. Das BMF hat am 18. Juli 2023 den Abschlussbericht der Fokusgruppe veröffentlicht. Thurnes rekapituliert, das, was aus Sicht der aba gut klingt:

  • Unterstützung besserer Geringverdienerförderung gem. § 100 EStG
  • etwaige Anpassungen/Ersetzungen der Riester-Förderung sollen weiterhin auch für die bAV verwendbar bleiben
  • Öffentlich verantworteter Altersvorsorgefonds ohne Mehrheit

… und weniger gut:

  • Aufgabe der Förderungsvoraussetzung „Absicherung des Langlebigkeitsrisikos“
  • Empfehlung, Altersvorsorgekapital im Leistungsfall auch in die gRV einbringen zu können (wobei sich die Redaktion fragt, welcher Betriebsrentner jemals auf die Idee kommen sollte, sein erdientes Kapital in ein System zu stecken, das schon heute in seinen noch guten Zeiten 115 Mrd. Euro Steuerzuschuss p.a. benötigt, nur um nicht schon jetzt auf der Stelle zusammenzubrechen)

Beyond BMAS

Fokusgruppe hin, Fachdialog her – auf der Regulierungsagenda steht noch mehr, viel mehr – so viel, dass Thurnes ohne Anspruch auf Vollständigkeit nur anreisst:

in der nationalen und europäischen Aufsicht:

Überprüfung der EbAV-II-Richtlinie − EIOPA hat Ratschlag am 28. September 2023 der EU-Kommission übermittelt

▪ EbAV-Kostenberichtswesen – Ergebnisse der BaFin-Vorabuntersuchung erwartet

▪ Lieferkettensorgfaltspflichten-RL (CSDDD)

▪ Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD)

▪ Offenlegungsverordnung (SFDR)

▪ DORA-Verordnung – Level-II-Regulierung

FIDA – Verordnungsvorschlag für den Zugang zu Finanzdaten

▪ ESAP-Verordnung – Zentrales europäisches Zugangsportal für den Zugriff auf öffentlich verfügbare, für Finanzdienstleistungen, Kapitalmärkte und Nachhaltigkeit relevante Informationen als European Single Access Point

▪ BaFin-Rundschreiben zur fachlichen Eignung

Übersicht auf der Zielgeraden

Zum Schluss geht Thurnes auf Endspurt der DigiRü ein:

Am 5. Februar ist die RentenÜAV vom 31. Januar veröffentlicht worden. Die Verordnung gilt für Vorsorgeeinrichtungen, die nach § 7 Abs. 1 S. 3 des RentÜG zur Anbindung an ZfDR verpflichtet sind (> 1.000 Altersvorsorgeansprüche, die noch nicht Auszahlungsphase sind).

Zeitplan laut Thurnes:

  • Anmeldung bis 31. März
  • danach Terminvergabe für Schnittstellentests durch ZfDR (wird vermutlich etwas Zeit brauchen)
  • Einrichtung der Schnittstelle bis 30 September
  • danach Tests der Schnittstelle
  • Datenlieferfähigkeit ab 31. Dezember verpflichtend

Fazit von PENSIONSINDUSTRIES

Will man in die Zukunft der Regulierung blicken, könnte in Deutschland und der EU eine gewisse, zugegeben recht grobe Klassifizierung helfen, kommende Entwicklungen besser abzuschätzen:

  • alles, was Good Governance ist, kann zuweilen kommen (im Rhythmus von Jubeljahren), muss aber nicht – wenn, dann eher punktuell (bspw. jüngst in der Frage der steuerlichen Infizierung Photovoltaik und E-Ladesäulen).
  • alles, was Bürokratie mit sich bringt, hat stets beste Chancen auf Realisierung (derzeit bspw. FIDA).
  • und auf alles, was Steuergeld kostet (und im Weltanschauungs-Ranking der jeweils Regierenden nicht weit oben steht), kann man lange warten – wie auf Godot.

Mehr zu dem zur heutigen Headline anregenden Kulturstück findet sich hier.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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