Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Muss man kein bAV-Einstein für sein, was sollen die Mütter denken, der Dame Eitelkeit – und alles eine Frage der Sichtweise.
IG-Metall (22.-26. Oktober): „Gewerkschaftstag 2023: Zeit für Zukunft.“
Handelsblatt (25. Oktober): „Gesetzliche Rente bevorzugt – IG Metall beerdigt das Sozialpartnermodell.“
Nun, das kann man wohl getrost als Rolle rückwärts bezeichnen, als Turnübung im einfachen Anachronismus.
Ob es sich hier wirklich um eine „Beerdigung“ handelt, wie nun zuweilen getitelt wird, das wird man sehen. Der Terminus „Beerdigung“ dürfte voreilig sein, aber in die richtige Richtung geht die Entwicklung jedenfalls nicht. Die IG-Metall ist eine bedeutende Gewerkschaft, und man kann wohl davon ausgehen, dass die Strahlkraft auf andere Gewerkschaften nicht unerheblich ist.
Bemerkenswert ist übrigens, wie schnell das Handelsblatt berichtet hat. Noch am gleichen Nachmittag war man mit der Meldung online. Das fällt insofern auf, als dass es sich bei dem Sozialpartnermodell um ein Spezialthema handelt, was selbst in einer Wirtschaftszeitung wohl eher ein Nischenthema darstellen sollte. Vermutlich hat der Redakteur einen entsprechenden Hinweis erhalten.
Wer mag und Muße, hat, der kann sich übrigens einige der immer dreiminütigen Redebeiträge auf dem (mehrtägigen) Gewerkschafts Tag mal antun (wenn überhaupt noch online verfügbar). Der Tenor ist überwiegend der, den man erwartet: „Kein Zocken an den Kapitalmärkten!“ „Keine Spekulation mit den Geldern der Arbeiter.“ „Kein Finanzcasino!“ „Die Arbeitgeber nicht aus der Haftung entlassen!“ usw. usw.. Ein aus NRW stammender Delegierter verwies gar auf das niederländische Pensionssystem und die gigantische PerCapita-Summen, die dieses aufgebaut hat. Zur Klarstellung: Er verstand das als Warnung. Schließlich komme es da zuweilen auch zu Verlusten an den Märkten!
In diesem Zusammenhang sei nochmal erwähnt, dass die Väter des Sozialpartnermodells, hier eher Mütter – Andrea Nahles und Yasmin Fahimi –, die beide bekanntlich eher dem linken Flügel der SPD zuzuordnen sind, in dem ach so kapitalistischen, ach so zockergetriebenen, ach so arbeitgeberfreundlichen Modell Arbeitgeber-Garantien nicht nur zur Disposition gestellt, sondern rundheraus verboten haben – und das gegen alle Widerstände, aber aus guten, nicht zuletzt industriepolitischen Gründen (diese hier erneut darzulegen, würde zu weit führen, ist vor dieser Leserschaft aber vermutlich auch gar nicht nötig).
Interessant auch, dass viele der Delegierten wieder die erste Säule als bevorzugten Weg der Altersversorgung auch mit Arbeitgeber-Beteiligung ins Spiel gebracht haben. Man muss kein bAV-Einstein sein, um schnell zu erkennen, dass es – wie hier von der IG-Metall auch schon mal durchexerziert – am Ende des Tages kein arbeitgeberfreundlicheres Modell gibt als Zusatzzahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Hier gilt wie bei der – Gott hab’ sie selig – Schnapsidee von der Deutschland-Rente. Mehr Pay and forget für Arbeitgeber gibt es jedenfalls nicht – und mehr Race to the Bottom für Arbeitnehmer wohl auch nicht.
Doch das ist nur das eine. Dass man am Vorabend des demographischen Zusammenbruch dieses Landes (mancher mag hinzufügen: und seiner industriepolitischen Abwicklung) ein umlagefinanziertes System, welches schon heute ohnehin den Löwenanteil der Altersvorsorge ausmacht, noch weiter überbetonen will, kann durchaus Rätsel aufgeben. Dass eben dieses System einen ständig größeren Anteil des deutschen Steueraufkommens braucht, nur um in seiner aufkommenstärksten Phase nicht auf der Stelle zusammenzubrechen, ist da nur eine Randnotiz.
Und auch unter einem anderen Aspekt mache man sich nichts vor: Am Ende hieße der Verzicht auf das SPM auch Alt vor Jung und Großindustrie vor KMU.
Wie geht es nun weiter? Wie gesagt, die IG-Metall ist nicht irgendwer in der Gewerkschaftswelt. Andererseits haben wir ja bereits bestehende Modelle, die durch ver.di und IGBCE umgesetzt worden sind. Außerdem ist der Beschluss auf dem Gewerkschaftstag für den IG-Metall-Vorstand nicht bindend, und auch in den Tarifrunden könnten die Ergebnisse anders aussehen. Auffallend aber schon, dass Arbeitsminister Heil sich in seiner anschließenden Rede auf dem Tag zu dem Thema nicht explizit positioniert hat.
Doch sei den Verantwortlichen zugerufen: Mit dem Sozialpartnermodell steht ein politisch, technisch und fachlich akzeptierter und einsatzbereiter „Durchführungsweg“ zur Verfügung. Will man diese Option wirklich tauschen gegen wahlweise ein Weiter-so und/oder vage Vorstellungen anderer Strukturen, die mehr oder weniger graue Theorie sind und in der gegenwärtigen politischen Konstellation (und vermutlich auch in künftigen) kaum politische Mehrheiten finden dürften?
Konkrete Prognosen sind schwierig. Dass aber das Thema SPM nun an Fahrt verliert, dürfte offenkundig sein. Und dass der vergangene Mittwoch – zunächst einmal – kein guter Tag für die deutsche bAV war, auch.
ifo-Institut (23. Oktober): „ifo-Präsident Fuest begrüßt Zinspause der Zentralbank.“
Muss man nichts zu schreiben. Uneingeschränkte Zustimmung.
Alles in Butter also an der Front der Geldpolitik? Nein, keineswegs:
Erstens kann mit zunehmender Maturity der billigen Kredite der Vergangenheit und dem daher täglich steigenden Druck der Re-Finanzierung in Finanz- und Realwirtschaft immer noch viel aufpoppen (Stichwort Zombies), zweitens hängt wiedermal Krieg in der Luft – und noch ein weiterer, sehr wesentlicher Aspekt: Die EZB fährt mit QE weiter fort, und das unter Verletzung des Capital Keys wohl v.a. zugunsten des italienischen und des griechischen Staatshaushaltes (wie Aegon Asset Management gestern kommentiert hat) und damit auch faktisch weiter unter Verletzung des Maastrichter Vertrags sowie des diesbezüglichen Voßkuhle-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.
OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN
Sahra-Wagenknecht.de (24. Oktober): „Unterstützen Sie das Bündnis Sahra Wagenknecht!“
So, jetzt kommt sie also wirklich, die Wagenknecht Partei. Die Vorstufe namens BSW geht jedenfalls an den Start.
Dazu ist an dieser Stelle eigentlich schon alles gesagt worden (s. hier und hier). Daher nur eine Wiederholung, die sich aufdrängt, da die Mit-Gründerin diese Partei-Vorstufe allen ernstes nach ihrem eigenen Namen nennt:
Abgesehen davon, dass sich hier die Frage nach der Dame Eitelkeit stellt: Parteien sind in Deutschland aus gutem Grund keine One Man Show und auch keine One Woman Show. Und wenn sie es doch versuchen, sie sind stets und immer zum Scheitern verurteilt. Das wird hier vielleicht nicht kurz-, aber doch mittelfristig auch der Fall sein.
Im übrigen bleibt auch der kurzfristige Erfolg abzuwarten. Er ist wahrscheinlich, doch haben zahlreiche Kommentatoren zu Recht daraufhingewiesen, dass es nicht die erste, mit viel Tamtam angekündigte Bewegung von Wagenknecht wäre, die mit Null Komma Nichts krachend scheitert.
Die Welt (5.10.): „Verschuldung der deutschen Kommunen innerhalb eines Jahres mehr als vervierfacht.“
Die Ursachen sind bekannt. Am besten gleich über eine Vermehrfachung der Grundsteuer lösen, die Gelegenheit ist günstig. Die letzten Schwimmbäder schließen könnte auch nicht schaden. Aber ein redaktioneller Hinweis: Richtig müsste die Headline im Deutsch der Bundesrepublik anno 23 lauten:
„Sondervermögen der deutschen Kommunen innerhalb eines Jahres mehr als vervierfacht.“
Sie sehen, liebe Leserschaft: alles eine Frage der Sichtweise.