Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

21. Handelsblatt Jahrestagung bAV (II):

„Die Rolle der bAV muss stärker werden, nicht schwächer“

Die Aufsicht über EbAV konzentriert sich aktuell vor allem auf Pensionskassen – kennt aber weitere Felder. LbAV-Autor Detlef Pohl dokumentiert Auszüge aus der inhaltsreichen Rede von Frank Grund auf dem virtuellen Forum, mit welcher der BaFin-Exekutivdirektor über Lage und Perspektive der Aufsicht über EbAV informierte.

 

LEITERbAV befasst sich regelmäßig mit aktuellen Fragen der Aufsicht über EbAV, so auch zu Maßnahmen bei notleidenden Pensionskassen.

 

Nachdem Frank Grund sich jüngst erst in der Tactical Advantage ausgiebig zur Aufsicht über EbAV geäußert hat, gestern nun der zweite Tag der virtuellen HB-Tagung, und der Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin berichtet erneut über aktuelle Aspekte der EbAV-Aufsicht. Wegen der Dichte der Informationen dokumentiert LEITERbAV Impressionen seiner Aussagen im Telegrammstil (sämtlich im Indikativ).

 

 

Wir haben beobachtet, dass regulierte Pensionskassen in vor Jahren genehmigte Tarife mit vergleichsweise hohen Garantiezinsen auch im aktuellen Niedrigzinsumfeld weiterhin neue Kunden aufnehmen.“

 

 

Grund spricht über Pensionskassen, Direktversicherungen und Pensionsfonds, auf die zusammen 46 Prozent der bAV-Deckungsmittel entfallen:

 

Regulierte: 0,9 Prozent bitte schließen!

 

Frank Grund, BaFin. Foto: Frank Beer.

+++ Deckungsmittel der Pensionskassen mittlerweile über 183 Mrd. Euro +++ BaFin beaufsichtigt 135 Kassen; diese zahlen ausschließlich lebenslange Renten mit teils hohen Garantien, sind von Niedrigzins besonders betroffen +++ für Aufsicht nicht unerheblich, ob Kasse reguliert (70% Marktanteil) oder dereguliert +++

 

+++ regulierte Kassen müssen sich AVB und Tarife bekanntlich von BaFin genehmigen lassen, aber Genehmigung kein Freifahrtschein für die Zukunft +++ BaFin beobachtet, dass regulierte Kassen in vor Jahren genehmigte Tarifen mit vergleichsweise hohen Garantiezinsen auch im aktuellen Niedrigzins weiter neue Kunden aufnehmen +++ dies ist kritisch, da veränderte ökonomische Rahmenbedingungen angemessene Reaktionen der Geschäftsleitung verlangen +++

 

+++ BaFin verlangt, Tarife mit mehr als 0,9% Rechnungszins zu schließen +++ Aktion bisher sehr zufriedenstellend angelaufen, nur in wenigen Sonderfällen müssen noch Lösungen gefunden werden +++ in neuen Tarifen regulierter Kassen werden Rechnungszinsen über 0,25% nicht mehr unbefristet genehmigt +++

 

Nicht regulierte: bitte maximal 0,9%!

 

+++ nicht regulierte Pensionskassen benötigen für AVB und Berechnungsgrundlagen keine Genehmigung; müssen sie der BaFin lediglich vorlegen +++ im Neugeschäft darf maximal Garantiezins auf Niveau des Höchstrechnungszinses aufgerufen werden (derzeit 0,9%); wie stark Kasse HRZ ausschöpft, liegt in Verantwortung der Geschäftsleitung +++ letzte Anpassung des HRZ erfolgte zum 1. Januar 2017 (neuerliche) Anpassung laut BMF-StS Jörg Kukies nicht als Schnellschuss) +++

 

+++ für regulierte wie für nicht regulierte Pensionskassen gilt: unreflektierte Verwendung des HRZ als Garantiezins mit gutem Risikomanagement nicht vereinbar +++

 

 

Die Lage von Pensionskassen, die in der Vergangenheit bereits Unterstützung erhalten haben, könnte sich dadurch verschlechtern, dass Trägerunternehmen die zugesagten Mittel Corona-bedingt nicht aufbringen können.“

 

 

Drei mal Kürzungen, weitere Fälle nicht bekannt

 

+++ 36 Pensionskassen derzeit unter intensivierter Aufsicht, weil vertragliche Verpflichtungen möglicherweise nicht dauerhaft erfüllbar +++ BaFin drängt betroffene Kassen, bei Trägerunternehmen oder Aktionären für die Zukunft finanzielle Unterstützung anzufordern +++ Lage von Kassen, die bereits Unterstützung erhalten haben, könnte sich dadurch verschlechtern, dass Träger die zugesagten Mittel Corona-bedingt nicht aufbringen können +++

 

+++ in Corona-Pandemie hat BaFin bis zum 1. Oktober längere Fristen als drei Monate eingeräumt, um Bedeckungsplan einzureichen, von der allerdings nur wenige Pensionskassen Gebrauch machten (wegen kleinerer Unterdeckungen) +++

 

+++ BaFin musste einzelnen Pensionskassen Neugeschäft untersagen +++ bei Versicherungsvereinen können Leistungen notfalls gekürzt werden, bisher bei drei Pensionskassen; neue Fälle derzeit nicht bekannt +++

 

+++ BaFin begrüßt neue PSV-Pflicht für Pensionskassen +++ Anwartschaften aus Eigenbeiträgen von Versicherten nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis unterliegen aber weiterhin idR keiner Subsidiärhaftung, damit auch künftig nicht durch den PSV geschützt +++

 

Direktversicherung und Pensionsfonds: Unterschiedliche Aufsichtsregimes

 

+++ Direktversicherung rund 70 Mrd. Euro Deckungsmittel +++ Lebensversicherer unterliegen zwar anderem Regime als Pensionskassen (Solvency II), aber Gebot der Zinszurückhaltung, Prognoserechnung zum 30. September sowie Instrument der intensivierten Aufsicht auch hier +++ Ergebnisse dazu nennt Grund nicht +++ Pensionsfonds haben mit mittlerweile fast 50 Mrd. Euro Deckungsmitteln die U-Kassen deutlich hinter sich gelassen +++ Pensionsfonds sind keine Versicherer, sagen nicht durchgehend versicherungsförmige Garantien zu, sondern verfolgen hauptsächlich nicht-versicherungsförmige Pensionspläne; viele Vorschriften aber analog +++ im Vergleich zu Pensionskassen können sie risikoreicher investieren, da kaum Vorgaben zur Mischung der Kapitalanlagen +++ derzeit beaufsichtigt BaFin 33 Pensionsfonds, die vorab ihre Pensionspläne vorlegen (Leistungszusage oder BZML) und jährliche Prognoserechnungen erstellen +++ bei vorübergehender Unterdeckung muss Plan zur Wiedererlangung vollständiger Bedeckung vorgelegt werden +++

 

Reine Beitragszusage: bisher nur voreilige Vollzugsmeldungen

 

Grund beleuchtet auch vier übergreifende bAV-Aufsichtsthemen: reine Beitragszusage (rBZ), Berichtspflichten, BaFin-Rundschreiben und Nachhaltigkeit, im Einzelnen:

 

+++ in Niedrigzins (durch Corona weiter verfestigt), sind rBZ, die einem Weniger an Sicherheit potenzielles Mehr an Rendite entgegenhalten, interessante Alternative, um im Neugeschäft zu weniger toxischen Konstellationen zu kommen +++ am Garantieproblem im Bestand ändert rBZ nichts +++ rBZ betrifft exakt jene Durchführungswege, die BaFin-Aufsicht unterliegen: PK, PF und DV +++ BaFin würde prüfen, ob rBZ dort entsprechend den Vorgaben der Tarifparteien und der aufsichtsrechtlichen Vorschriften umgesetzt wird: durch Einblick in Tarifvertrag, schriftliche Vereinbarung der Tarifparteien mit durchführendem Unternehmen, in AVB sowie in technischen Berechnungsgrundlagen +++ laufend müssten Unternehmen Informationen über Kapitaldeckungsgrad und etwaige Anpassungen der Renten geben, regelmäßige Risikoberichte liefern +++ das sind viele Konjunktive, da noch kein Tarifabschluss existiert, aber BaFin ist bereit +++

 

Berichtspflichten: aktualisierte Allgemeinverfügung ab Q IV 2020

 

Am 30. September 2019 ist eine Allgemeinverfügung der BaFin in Kraft getreten, wonach Pensionskassen und Pensionsfonds verpflichtet sind, bestimmte Pensionsdaten zu melden, die BaFin an EIOPA weiterleitet und an die Bundesbank, die sie zur EZB gibt:

 

+++ Erhebung ist kein Selbstzweck: EIOPA will herausfinden, wie es um bAV in Europa grundsätzlich steht +++ BaFin selbst nutzt Daten als Ergänzung zu bereits vorliegenden Informationen +++ Infos zu Kapitalanlagen bringen erheblichen Mehrwert +++ BaFin hat Allgemeinverfügung zwischenzeitlich aktualisiert (wegen Fehlerkorrekturen seitens EIOPA, s.o.) +++ keine Änderung des Inhalts und der Meldebögen +++ aktualisierte Allgemeinverfügung erstmals bei Datenübermittlung für Q IV 2020 und Jahresmeldung 2020 zu berücksichtigen +++

 

BaFin-Rundschreiben: einige Anmerkungen werden noch berücksichtigt, keine fundamentalen Änderungen mehr

 

Zwei BaFin-Rundschreiben sind lang ersehnt, „Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von EbAV“ und „Aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen an die eigene Risikobeurteilung von EbAV“:

 

+++ in beiden Fällen lief Konsultationsfrist der Entwürfe am 27. September 2020 aus +++ Fazit aus dem Feedback: Branche wird mit den Rundschreiben gut umgehen können +++ einige Anmerkungen werden noch berücksichtigt, fundamentale Änderungen aber nicht mehr +++

 

+++ BaFin sieht Rundschreiben als Hilfestellung für die EbAV, wenn diese ab 2021 regelmäßig ORA vornehmen +++ Unterstützung für EbAV auch bei Geschäftsorganisation gewollt, etwa bei Anwendung des Grundsatzes der Proportionalität bei Schlüsselfunktionen oder die Ausgliederung von Tätigkeiten +++ finale Fassung wird spätestens im Dezember 2020 veröffentlicht +++

 

Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage: nicht per se risikolos

 

+++ bei Energiewende packen Unternehmen aus der Finanzbranche mit an +++ BaFin etwa hat vor Monaten „Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken“ mit empfehlenswerten, aber unverbindlichen Verfahrensweisen veröffentlicht +++ manche wittern versteckte grüne Regulierung +++ die gibt es auch, kommt aber nicht von Aufsicht, sondern vom Gesetzgeber +++

 

Die BaFin in Frankfurt am Main. Foto: Kai Hartmann.

+++ europäische Transparenz-Verordnung und EU-Taxonomieverordnung gelten auch für EbAV und sehen vor, dass EbAV nachhaltigkeitsbezogene Angaben auf Website, in vorvertraglichen Informationen und in der regelmäßigen Berichterstattung machen +++ BaFin stellt sich auf erste Offenlegungen ein, die schrittweise ab März 2021 erfolgen sollen +++ diese EU-Verordnungen schreiben aber keine grünen Anlagen vor; gut so, da nachhaltige Anlagen zumindest nicht per se risikolos sind +++

 

+++ Fazit: Kein Altersvorsorgesystem kann absolute Sicherheit bieten +++ spricht aber nicht gegen die bAV, im Gegenteil: trägt als eine von drei Säulen das Dach der Alterssicherung in Deutschland entscheidend mit +++ Rolle der bAV muss stärker werden, nicht schwächer +++

 

Weitere Berichterstattung zur diesjährigen 21. Handelsblatt Jahrestagung bAV findet sich zwischenzeitlich auf LEITERbAV hier und hier.

 

 

Anm. der Redaktion: Die Berichterstattung zu Veranstaltungen erfolgt auf LEITERbAV regelmäßig im Indikativ der Referentinnen und Referenten, nicht im Konjunktiv.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.