Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Kassandra und die alten Ideen des jungen H …

und die Banalität der Diskussion. Unregelmäßig freitags bringt PENSIONSINDUSTRIES eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Des Roberts Pläne für das deutsche Sozialsystem. Wer den ganzen Tag ohnehin faul rumliegt. Die große Hannah Arendt. Was Nationalsozialisten noch 1979 in erster Line gewesen sein sollen. Von toten Gäulen und ewigen Untoten. Das Superdeutschland des frühen 21. Jahrhunderts. Und seine Vergangenheit, die nicht vergehen will.

BR24 (13. Januar): „Habeck will Sozialabgaben auf Kapitalgewinne – Lob und Kritik.“

Jüngst erst hatte PENSIONSINDUSTRIES die Wahlprogramme der Parteien unter dem Gesichtspunkt der Altersvorsorge, speziell der bAV analysiert. Man sieht nun wie stets: Papier ist Papier, Programme sind Programme.

Denn nur kurz darauf hat Robert Habeck einen weiteren Aspekt ins Spiel gebracht, dieser Tage der Aufreger schlechthin (und der sich in den Programmen nur bei der Linkspartei findet).

Des Wirtschaftsministers Vorschlag ist in all seiner Insuffizienz in den deutschen Medien rauf und runter diskutiert werden, besonders substanziell in den wenigen, die ihm nicht per se wohl gesonnen sind. Daher muss das hier nicht durchexerziert werden. Nur eine Sache: stumpf die Beitragsbasis zu verbreitern und zu erhöhen, wird die deutschen Sozialsysteme am Vorabend des demographischen Zusammenbruch dieses Landes und im laufenden industriepolitischen Desaster nicht retten. Diese Systeme, die selbst in ihren noch guten Zeiten stramm auf 150 Mrd. Euro Steuerzuschuss p.a. insgesamt zusteuern, sind tote Gäule. Mit mehr Geld allein wird man sie jedenfalls nicht ins Leben zurückholen. Nicht umsonst gilt Kassandras Wort: Dieses Land braucht einen Pferdedoktor.

Viel zu kurz gekommen in der öffentlichen Diskussion ist dagegen die parteipolitische Dimension des Ganzen. Und es gilt keinesfalls, dass politische Ideen, nur weil sie insuffizient sind, nicht politische Realität werden können, im Gegenteil. Sehen wir uns das hier genauer an:

Habecks Ideen sind nicht neu. Das einzige, was fehlt, um den Habeckschen Vorstoß legislative Realität werden zu lassen, ist (noch) das Fehlen einer entsprechenden Mehrheit im Deutschen Bundestag. Und dann wäre Habecks Vorschlag nur zarter Anfang. Kassandra schreibt es schon seit fast einem Dutzend Jahren sehr regelmäßig: Sollte es im Bundestag auch nur ein einziges Mal eine Mehrheit für rot, grün und Linkspartei geben (was 2013 der Fall war), die außerdem die Regierung stellt (was 2013 nicht der Fall war), dann wird innerhalb dieser einzigen Legislatur – denken Sie an Kassandras Worte – ohne Wenn und Aber folgendes geschehen:

  • Unmittelbare Abschaffung der privaten Krankenversicherung, Übertragung der Altersrückstellungen in eine neue Bürgerversicherung, im nächsten Schritt dann Beitragsbemessung über alle sieben Einkunftsarten ohne jede BBG.

  • Konzentration der Altersvorsorge auf die erste Säule auch zu Lasten der bAV, Ausdehnung der Kompetenzen und Möglichkeiten der gRV (bspw. freiwillige Zusatzbeiträge, zwangsweise Einbeziehung von Selbständigen), auch hier Beitragsbemessung über alle sieben Einkunftsarten ohne jede BBG.

  • In der bAV selbst Ausbau der Pflichten der Arbeitgeber, v.a. mit dem taktischen Hintergrund, die Arbeitgeber in das Pay-and-forget der freiwilligen Zusatzbeiträge in die GRV zu drängen.

Die Konfiszierung der Altersrückstellungen in der PKV geschähe dabei sicher nicht in den ersten 100 Tagen, aber noch während besagter erster Legislatur. Und mit der Enthauptung der PKV und der Vergesellschaftung ihrer Altersrückstellungen wäre mehr als nur ein Präzedenzfall geschaffen; es wäre geradezu die Vorzeichnung des Weges, der auch in der Altersversorgung gegangen werden könnte, wenn besagte politischen Mehrheiten sich als nachhaltig herausstellen. Denn wenn eine Vergesellschaftung individueller oder kollektiver, aber privater Vorsorgemittel durch Transfer in das gesetzliche System im Gesundheitswesen „funktioniert“ hat, warum nicht auch in der Altersvorsorge, namentlich der bAV und ihrer EbAV einschließlich der Berufsständischen?

Robert Habeck, BMWK. Foto: Grüne im Bundestag, S. Kaminski.

Die übliche kassandrische Schwarzmalerei? Natürlich. Aber weiter mit dem Beispiel PKV: Die Linkspartei fordert seit jeher deren Überführung in die gKV, die SPD wäre leicht für ihre alte Idee der „Bürgerversicherung“ zu begeistern (die ohnehin nach wie vor in ihrem Wahlprogramm steht). Und Fälle der Vergesellschaftung von privat-betrieblichem Pensionsvermögen in gesetzliche Systeme hat es in mehreren EU-Staaten schon gegeben. Zu hoffen, dass hier am Ende ein Bundesverfassungsgericht dem Einhalt gebiete, wäre gefährlich naiv.

Kassandra schlägt jedenfalls erneut vor, diese Politik infrastrukturell zu begleiten: nämlich Finanzverwaltung und AOK zu einer Super-Einzugsbehörde zusammenzulegen – der natürlich größten ihrer Art in der ganzen Welt, so ähnlich wie unser Parlament, unser Staatsfunk und unsere Sondervermögen.

Diese neue Superbehörde untersteht dann dem neuen Superministerium für Finanz, Wirtschaft, Soziales und Klima, welches – zum Bürokratie-Abbau – gleich in das neue Superkanzleramt (bekanntlich ja bald auch schon allein als Bau eines der größten der Welt) integriert wird – und all das natürlich unter der Führung des neuen Superkanzlers. Passen würde ein solcher Umbau der Sozialsysteme jedenfalls blendend gut zu dem Pfad, den das Superdeutschland des frühen 21. Jahrhunderts sich zu beschreiten entschieden hat. Weiterer Vorteil: Um so lästige Dinge wie plötzliche BBG-Sprünge müsste man sich dann auch nicht mehr kümmern. Denn wo keine BBG, da auch keine Sprünge.

Bleibt die Frage, ob es für eine solche Entwicklung wirklich einer R2G-Merhheit bedarf. Nun, mittlerweile steht mit dem BSW eine vierte politische Kraft bereit, welche diese Entwicklung im Zweifel mittrüge. Jedoch: Bei Linken wie dem BSW ist unklar, ob sie es überhaupt in den Bundestag schaffen. Die Linke muss auf ihre Direktmandate hoffen, und das BSW hat sich bekanntlich in die eigene strategische Falle gesetzt.

Aber: Aller Wahrscheinlichkeit wird doch ohnehin die Union im kommenden BT stärkste Kraft und den Kanzler stellen? Das stimmt, und dann würde das o.a. Szenario wohl auch kaum Realität, zumindest längst nicht so radikal.

Doch denke mal keiner, derartige Ideen, wie Habeck sie vorgetragen hat, habe die politische Linke exklusiv. In der Union gibt es längst Kräfte (Ausmaß unklar), die in diese Richtung drängen, wie Kassandra unter Verweis auf das DIA erst im September 2023 dokumentiert hat – und was die Öffentlichkeit längst wieder vergessen hat.

Am Rande (I): Hat Habeck eigentlich explizit gesagt, für welche Gesundheitssysteme die zusätzlichen Sozialbeträge aufgewandt werden sollen? Für die deutschen? Kann sein, muss aber nicht – kann man zumindest bei dieser Meldung der Tagesschau hier denken. However, wofür die Betriebsrentner mehr zahlen, kann ihnen dann auch egal sein.

Am Rande (II): Habeck ist in der grünen Partei nicht isoliert – im Gegenteil. Deshalb darf man seine Vorstöße auch nicht isoliert betrachten – sondern eingebettet in einen auf einer stabilen Weltanschauung basierenden Blick auf die Dinge. „Wie wäre es mit verpflichtender gemeinnütziger Arbeit für die größte Gruppe der Arbeitslosen, den 800.000 Privatiers in Deutschland? Die liegen den ganzen Tag doch sowieso faul rum und brauchen das Geld nicht.“ Damit ließ sich Chefin der Grünen Jugend, Jette Nietzard, jüngst zitieren.

Es fügt sich halt alles. Erst eins ins andere. Dann Deutschland.

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

Nun weg von der Tristesse der deutschen Sozialsystem hin zum schillernden Feuilleton. Aber Achtung, schwere Kost und dünnes Eis:

Deutschlandfunk (10. Januar): Weidel (AfD) ordnet Adolf Hitler in Gespräch mit Elon Musk als ‚Linken‘ und ‚Kommunisten‘ ein.“

Zu der Causa Musk/Weidel hatte sich Kassandra ja bereits geäußert. Das (übrigens bemerkenswert langweilige) Gespräch schaffte es leicht in die deutsche Presse – aber fast nur mit einem einzigen Aspekt: den Aussagen Weidels zu Hitler als Linkem und Kommunisten.

Hitler links und Kommunist? Dieses Fass aufzumachen, wäre zwar interessant, würde aber hier jeden Rahmen sprengen. Daher hier nur der Hinweis, dass Kassandra auch hier von der Flachheit der öffentlichen Debatte in Deutschland enttäuscht ist, denn auch das ist alles nicht neu:

Erstens haben die deutschen Feuilletons offenbar ein sehr kurzes Gedächtnis. Es ist noch gar nicht so lange her, und Kassandra zumindest erinnert sich noch gut an Edmund Stoiber, der erst 1979 (damals wurde er noch „das blonde Fallbeil“ gerufen) Unvergessliches kundtat: „Nationalsozialisten waren in erster Linie Sozialisten!“. Fragt sich nur, ob er es selber noch weiss.

Zweitens: Man kann keine Diskussion über den sozialistisch-pathogenetischen Charakter des Faschismus in seiner Epoche, erst recht nicht des Nationalsozialismus führen, ohne die große Hannah Arendt und ihre Totalitarismustheorie zu diskutieren (von Friedrich/Brezinski und – Gott sei bei uns – Ernst Nolte ganz zu schweigen). Belassen wir es dabei.

Am Rande ist bemerkenswert, wie der offenbar ewige Untote Deutschlands, Adolf Hitler, es seit vielen Jahrzehnten stets spielend leicht in die deutschen Feuilletons schafft. Die Intellektuellen in den renommierten deutschen Blättern mach(t)en dabei vor nichts halt. Sie interessieren sich zuweilen sogar für seine Sexualität, so hier vor rund einem Viertel Jahrhundert in dem Leib-und-Magen-Blatt der deutschen Intelligencija.

Ach Deutschland, Du und Deine Untoten. Es ist halt eine Vergangenheit, die nicht vergehen will.

Mehr zu dem zur heutigen Headline anregenden (und vermutlich längst vergessenen) Kulturstück findet sich hier.

Und mehr zu dem zum ersten Satz des heutigen Vorspanns anregenden politischen Bonmots (obwohl die darin ausgedrückte Hoffnung leider trügt) findet sich hier.

Kassandra bei der Arbeit.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.