Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

It’s the Resilience, stupid Kassandra!

Unregelmäßig freitags bringt PENSIONSINDUSTRIES eine kommentierte Presseschau zur bAV. Seien Sie gewarnt: Heute gibt es übelste Polemik wie selten zuvor, zuerst zu Deutschland, dann OFF TOPIC zu ein paar unserer geliebten Nachbarn. Immerhin: Eines Tages wird dieser Krieg enden.

BILD (8. März): „Altersarmut in Deutschland: Jahrzehnte malocht, aber als Rentner müssen sie zur Tafel – Immer mehr Senioren stehen Schlange vor der Essensausgabe.“

tagesschau (7. November 23): „Hunderttausende betroffen – Zahl der Wohnungslosen deutlich gestiegen.“

Thema Rente: Hier ein kleiner BILD-Bericht aus dem wahren Leben, den die Tagesschau (im vergangenen November, aber ungebrochen aktuell) quasi sekundiert.

Es sei zum wiederholten Male daran erinnert: Das hier sind die guten Jahre, in denen die stärkste, breiteste Alterskohorte (also die Mitte der 60er Geborenen) auf dem Höhepunkt ihrer Steuer- und Abgabenkraft und –last sind. Und trotzdem benötigt das GRV-Umlagesystem schon heute pro Jahr circa 115 Mrd. Euro Steuerzuschuss, nur um nicht auf der Stelle zu kollabieren – und um genau die Performance abzuliefern, welche die BILD hier beschreibt (und solche Meldungen sind natürlich kein Einzelfall, s. nur bspw. hier und hier sogar mit dem BMAS als Quelle). Analoge Defizite bspw. im Gesundheitswesen treten hinzu.

Wie gesagt: Das hier sind die guten Jahre. Die schlechten kommen erst noch. Und warum? Das ist an sich offenkundig:

Kassandra beunkt seit 11 Jahren an dieser Stelle die industriepolitischen Defizite dieses Landes, das sich seit mindestens einer Dekade nur noch nach unten weiterentwickelt. Schon vor dem Krieg im Osten war hier regelmäßig von einer strategischen „Multiproblemlage“ Deutschlands (und Europas nicht minder) die Rede. Selten zwar, doch zuweilen gab es für diesen Pessimismus sogar wütende Leserbriefe. Doch mittlerweile sollte jedem noch so Gutwilligen in Deutschland klar werden, dass der Dampfer „D“ Kurs 180 Grad steuert.

Und nicht nur hat die Insuffizienz der deutschen Wirtschafts- und Industriepolitik derartig Fahrt aufgenommen, dass es zuweilen ans Kafkaeske grenzt. Nein, auch besagte Multiproblemlage hat sich durch diesen elenden Krieg im Osten weiter erheblich verschärft.

Und wer das immer noch nicht sehen will, dem wird die Zeit auf die Sprünge helfen. Denn allerspätestens zur Mitte des Jahrhunderts, eher schon ab 2035 kommt ja wirklich alles zusammen:

Nicht nur die starke Kohorte der Leistungsträger, sondern auch die vielen Menschen, die heute kaum oder gar keine Mittel zur Vorsorge haben, gehen dann in Rente in einem Land, das am Vorabend seines demographischen Zusammenbruchs (Achtung, es folgt die pure Polemik):

  • es völlig versäumt hat, sich in der Dekade der stabilen Konjunktur und des billigen Geldes wetterfest zu machen

  • selbst in Phasen des Rekordbooms am Ende Rekordbeschäftigung, Rekordsteuer- und Abgaben-Aufkommen, Rekordhaushalte v.a. umgesetzt hat in Rekordstaatsverschuldung und Rekorddefizite der öffentlichen Haushalte (zwischenzeitlich durch die Sparerenteignung mittels Niedrigzins nur kaschiert), Rekordverfall der Infrastruktur (Universitäten, Schwimmbäder, Kindergärten Bundeswehr…), Rekord-Target-II-Salden, Rekord-Mini-Median-Vermögen, Rekord-Renteneintrittsalter und Rekord-Wahrscheinlichkeit an Altersarmut
  • dann ab 2035 mehr ein großes Altersheim als eine Industrienation sein wird
  • seine Sozialsysteme so überdehnt hat, dass sie vor dem Zusammenbruch stehen

  • weiterhin die Weltmarktführerschaft bei Steuerbelastung wie bei Renteneintrittsalter hält

  • weiter unter dem ungehemmt auf Hochtouren laufenden Brain Drain jüngerer Leistungsträger leidet

  • aus allen infrastrukturellen Nähten platzt und längst mehr als 90 Mio. Einwohner zählt

  • erfolgreich die Abwicklung seiner Kerndindustrien v.a. rund um den Verbrenner feiert

  • dabei die Hochzeiten seiner Industrie- und Technologieführerschaft längst hinter sich hat

  • seine Menschen zunehmend v.a. über Almosen etc. incentiviert

  • aus Kohle, Gas und Atom parallel ausgestiegen ist, gleichzeitig aber die Menschen zu E-Autos und E-Wärmepumpen drängt und außerdem das Weltklima unverdrossen mit Hunderten Mrd. Euro Aufwand weiterrettet

  • mittels Inflation (wenn auch derzeit rückläufig) Nicht-Real-Asset-Vermögende ständig ärmer macht

  • sich kulturell umso mehr infantilisiert, je mehr es demographisch vergreist, und in seinem politischen Diskurs sich den Luxus leistet, mit Inbrunst von einer Katastrophen-Hysterie in die nächste zu torkeln

  • in einer Pandemie Krankenhausbetten ebenso abbaut, wie es in einer Energiekrise Kraftwerke abschaltet

  • angesichts vieler selbstgemachter Defizite gern von der „Notwendigkeit europäischer Lösungen“ fabuliert, damit bei den europäischen Nachbarn zunehmend bestenfalls Hohn erntet – wobei doch eben diese Nachbarn auf dem gesamten Kontinent alle mehr oder weniger die gleichen Probleme haben.

Und das ist nur die optimistische Perspektive für 2035. Bei der pessimistischen kommen ein immer noch nicht ausgetretener Krieg im Osten samt tiefer europäischer Rezession/Depression und totaler Währungsverfall hinzu.

Kassandra bleibt dabei: Ab 2035 tun alle, die nicht erstens über ein ordentliches und real-nachhaltiges, steueroptimiertes Vermögen und dabei bestenfalls noch über nachhaltige Altersversorgungen verfügen (v.a. gute bAV!), und/oder die zweitens als höhere Beamte von Staats wegen auf ausreichendem Niveau oder besser versorgt werden und/oder die drittens über starke familiäre Strukturen verfügen, in denen sich alle gegenseitig auffangen, gut daran, für ihr Dasein im Alter im Deutschland der Mitte des 21. Jahrhunderts die Entwicklung beim Flaschenpfand aufmerksam im Auge zu behalten.

Doch bevor jetzt die ersten aus dem Fenster springen, hier nach so viel Pessimismus eine kleine Gegenrede: Gibt es angesichts von Lage und Perspektive denn gar nichts Positives zu vermelden? Doch, und zwar gleich mehrere Aspekte.

Erstens: Durch die deutsche De-Industrialisierung lösen sich manche Probleme von allein. Zum Beispiel der Fachkräftemangel.

Zweitens: Kassandra musste leider die eigene Fehlbarkeit erkennen. Jahrelang gab sich die Kröte als radikale Verfechterin der Unmöglichkeit einer jeden Leitzinserhöhung – und musste dann hilflos mitansehen, wie die Notenbanken sich einen feuchten Kehricht um der Kröte Prognose scherten und im Rekordtempo aus dem Nullzins ausstiegen (richtig ist aber auch, dass bei dem M3-Tapering an sich eigentlich noch gar nicht viel passiert ist). Also, warum soll sich Kassandra mit ihrem Pessimismus nicht erneut irren? Es wäre nicht das erste Mal.

Drittens: Die Stimmung auch an den deutschen Kapitalmärkten ist derzeit mal wieder bestens. Platzen Ihre Depots auch aus allen Nähten, liebe Leserschaft?

Viertens: Ganz profan der Blick auf die Erscheinungsbilder der wirtschaftlichen Lage: Wirtschaftskrise? Welche Wirtschaftskrise? Beispiel Köln vor genau einer Woche, Freitag Abend: Ausgehen in der Ecke Aachener Straße/Rudolfplatz: Kaum möglich. Denn: So gut wie alle Parkhäuser voll, so gut wie alle Bars, Kneipen und Restaurants voll. Und mit voll ist wirklich voll gemeint. Der Chronist muss 5-6 Parkhäuser anfahren, um einen Platz zu kriegen. Er muss 5-6 Restaurants ansteuern, um einen Platz zu kriegen. Auf der Aachener Straße sind trotz der frischen Temperaturen Anfang März sogar die Außenplätze noch gegen Mitternacht fast alle besetzt.

Insofern kann man zumindest festhalten: Die offenkundige und zwingende Logik der – nachhaltigen und strukturellen – Depression, in die sich Deutschland entwickelt, steht auf jeden Fall im krassen Gegensatz zu dem, was man zuweilen im realen Verhalten der Menschen so feststellt, sei es an der Frankfurter Börse oder auf der Aachener Straße in Köln. Diese Lücke, die sich hier auftut, ist wirklich bemerkenswert.

Vielleicht gilt ja am Ende doch wie schon nach den Lockdowns und nach dem Nullzins-Ausstieg – vor allem: It’s the Resilience, Stupid.

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

Unter OFF TOPIC heute ein bisschen Militaria:

Frankfurter Rundschau (20. Februar): „Fregatte ‚Hessen‘ im Roten Meer – Warum sie zu den stärksten deutschen Kriegsschiffen zählt.“

Der redaktionell-überschwängliche Stolz auf angebliche deutsche Spitzenwehrtechnik war drei Wochen später wieder genauso Schnee von gestern wie diese Technik selbst es ist:

Die Welt (12. März): „Deutsche Marine: Völlig veraltete Technik – die brisante Mängelliste der Fregatte ‚Hessen’“.

Zu dieser internationalen Peinlichkeit – durch die nicht minder international peinliche Webex-Sache fast schon (und zu Unrecht) vergessen – ist schon viel geschrieben worden. Hier trotzdem zwei Ergänzungen, die in der Öffentlichkeit zu kurz gekommen sind:

Erstens: Peinlich genug, dass das deutsche Schiff einen entenlahmen alliierten Flugkörper nicht von vermutlich noch lahmeren der Huthis unterscheiden kann. Noch peinlicher und wichtiger: Dass man sie noch nichtmal abgeschossen hat. Die Drohne vom Typ MQ-9A Reaper ist propellergetrieben und unter 500 km/h lahm. Und so etwas trifft die Bundeswehr auch mit zwei mehrere Mio. Euro teuren Boden-Luft-Raketen nicht? Das lässt für die deutsche Flugabwehr im Zeitalter der Hyperschallwaffen Schlimmes befürchten (und spricht übrigens dafür, dass die USA offenbar über moderne Defensivsysteme selbst bei ihren Drohnen verfügen, von der die Bundeswehr nicht mal weiss, dass es sowas gibt – aber gut, die wissen ja auch nicht, wie man digitale Kommunikation verschlüsselt).

Zweitens: Bevor jemand jetzt denkt „Bundeswehr kaputtgespart“: Mitnichten! Hier erneut der Hinweis, dass die Bundeswehr – und das seit Ewigkeiten und schon vor dem 100 Mrd.-Paket – über nicht weniger als den siebtgrößten Vereidigungsetat der Welt und den drittgrößten der NATO verfügt.

In diesem Land wird im öffentlichen Sektor nichts kaputtgespart. Weder der Staat noch das Militär. Das Problem heißt nicht zu wenig Geld, das Problem heißt auch nicht Miss Germany, sondern Miss Management.

SZ (14. März): „Krieg in der Ukraine: Macron schließt westliche Bodentruppen in der Ukraine erneut nicht aus.“

Frankreich ist als Land und Staat nicht gerade klein, v.a. aber gerne groß. Und kaum hat sich die Aufregung um seinen Satz von den Bodentruppen gelegt, wiederholt der französische Präsident ihn nochmal. Warum? Unklar. Irgend ein taktisches, geschweige denn strategisches Element in dieser Aussage kann man jedenfalls nicht erkennen. Der Satz dürfte Russland, das derzeit wirklich andere Sorgen hat (s.u.), schließlich weder sonderlich abschrecken noch sonderlich provozieren. Vermutlich ist Macrons Motiv banal: präsidiale Eitelkeit.

Wichtiger ist jedoch eine Einordnung, Stichwort gerne groß: Es sei betont, dass das i.A. als zögerlich angesehene Deutschland Stand heute 27 (in Worten siebenundzwanzig) mal soviel Waffen in die Ukraine liefert wie Frankreich, dessen Präsident nun über Bodentruppen sinniert.

Für Macron im Übrigen hier noch ein Buchtipp. Wenn er damit fertig ist, kann er danach ja das hier lesen; besonders das Kapitel über die Beresina sei ihm empfohlen.

Doch nun zu einem, der richtig in der Tinte steckt:

Die Welt (16. Februar): „Putin fordert russische Familien zum Kinderkriegen auf.“

Schon zu Kriegsbeginn und seitdem mehrfach hatte Kassandra geunkt, dass Putin mit diesem Krieg die beiden schwersten geostrategischen Defizite des „geostrategischen Krüppels namens Obervolta-Russland“ nur noch weiter verschärft:

Der russische Brain Drain wird noch schlimmer, der russische Geburtenausfall noch dramatischer – in der Summe also das, was Gunnar Heinsohn so treffend „Dummvergreisung“ genannt hat.

Jetzt hat der russische Präsident es wohl selbst gemerkt. Nützen wird ihm diese Erkenntnis nichts. Tja, hätte er mal früher PENSIONSINDUSTRIES gelesen.

Kassandra bleibt dabei: Vermutlich wird Russland diesen Krieg militärisch nicht verlieren. Aber es wird sich von diesem Krieg nicht mehr erholen. Nie mehr.

Es gibt nur eine gute Nachricht: Eines Tages wird auch dieser Krieg enden.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.