… and to whom it may concern only! Nach langer Zeit am heutigen katholischen Feiertag in aller Düsternis mal wieder ein ätzender Blick auf die Lage – und das ohne direkten Bezug zur bAV: vom Kollaps und tickender Zeitbombe, von der FDP in der Momentum-Spirale, von Wagenknecht in der selbstgestellten Falle, wie die neue Bundesregierung aussehen wird, wo das Messerverbot schon wirkt, warum Donald wie Kamela gefährlich für Europa sind – und Friedrich Merz spricht im Kassandra-Slang.
Focus (16. Oktober): „Tickende Zeitbombe“: Experte erklärt verheerende Folgen des Krankenkassen-Dilemma für den Arbeitsmarkt.“
Bild (7 Oktober): „Pflegeversicherung steht vor der Pleite!“
Hier mal wieder ein schönes Beispiel, wie sich die derbe Kröten-Sprache in den Mainstream frisst:
Kassandra unkt regelmäßig, dass die deutsche gRV trotz der guten Zeiten (die sehr breite Boomer-Kohorte ist jetzt noch steuer- und abgabenstark; die schlechten Jahre kommen also erst noch) ohne den Steuerzuschuss von ca. 115 Mrd. Euro pro Jahr auf der Stelle zusammenbrechen würde – und bezieht bei dieser Betrachtung die gKV zuweilen ein.
Und nun? Sprechen die Fachleute draußen schon in aller Öffentlichkeit von „Kollaps“ und „tickender Zeitbombe“. Wunderbar.
Die Welt (23. September): „22 Krankenkassen erhöhen im laufenden Jahr den Zusatzbeitrag.“
Wo wir schon beim Thema sind: Sehr gut! Harmoniert das nicht wunderbar mit dem Rekord-Sprung der BBG?
DLF (29. Oktober): „Koalitionskrise: Vorgezogene Neuwahlen am 9. März?“
Nun wieder ein kleiner Blick auf die taktische Lage der Parteien in diesen politischen, angespannten Zeiten:
Zum BSW:
Schon als sich die Gründung der Wagenknecht-Partei abzeichnete, prognostizierte Kassandra für die Dame zwei grundsätzliche strategische Probleme:
Erstens, dass ihre Partei schnell Personal von der agonischen Linkspartei anziehen werde, und damit Wagenknecht beizeiten in ihrer eigenen Partei so isoliert sein werde wie zuvor in der alten Linkspartei.
Sahra Wagenknecht, BSW. Foto: DiG Trialon.
Zweitens, dass der Spagat, einerseits eine Alternative zur Alternative-fD sein zu wollen (also strikt im Lager des „Nicht-weiter-so-Deutschland“), andererseits aber im Osten unter den Druck zu geraten, mit der Union koalieren zu wollen/müssen (die aber klar im Lager des „Weiter-so“ steht). Die Wähler der linksalternativen Wagenknecht-Partei werden kaum akzeptieren, BSW zu wählen und dafür eine Unions-Regierung zu bekommen. Wagenknecht erkennt das natürlich und will mit Blick auf die kommende BTW diese strategische Falle um jeden Preis vermeiden – mit etwas Verspätung allerdings: Ursprünglich hatte Kassandra angenommen, dass Wagenknecht ihre Partei eben wegen dieser Falle im Osten gar nicht antreten lasse. Sie hat es doch getan – und möglicherweise schnappt die Falle nun zu.
Denn genau das kann man jetzt am Horizont anhand der Ereignisse in Thüringen beobachten, angetrieben von der dortigen BSW-Chefin und ExLinken Katja Wolf, die partout mit der Union regieren will. Egal, ob diese Koalition in Erfurt nun zustande kommt oder nicht: Beide kassandrischen Probleme Wagenknechts drohen, sich langsam, aber sicher zu materialisieren. Man wird sehen, ob es ihr gelingt, dies einzufangen. Wenn nicht, ist das Thema BSW genauso schnell zu Ende, wie es angefangen hat.
Zur FDP:
Die FDP ist und bleibt in der ihr hier früh diagnostizierten, längst aber für jedermann unübersehbaren Agonie, und kein Weg wird dort herausführen. Im Gegenteil, seit den Ostwahlen, wo die FDP in drei Wahlen auf erbärmliche 2,8% INSGESAMT kam, hat sich ihre Lage auch taktisch weiter verschlechtert.
Denn nun ist ihr Zug für vorzeitige Neuwahl end-end-endgültig abgefahren. Grund: das negative Momentum, dass sie kontinuierlich unter der 5%-Hürde bleibt. Dieses Momentum erzeugt bei den wenigen Wählern, die sie überhaupt noch hat, die Angst, wegen der 5%-Hürde die eigene Stimme zu verschwenden (die in polarisierenden Zeiten ansteigende Wahlbeteiligung rund um den nationalen Reizpunkt AfD gibt der FDP dann rechnerisch den Rest). Ihre letzten Wähler wandern dann zur Union (konnte man im Osten schon beobachten), und damit verschärft sich dieses Problem für die FDP selbst weiter nach unten. Diese Spirale nennt Kassandra stets das Problem der mangelhaften strategischen Tiefe.
Aber: Sollten die Berliner Gerüchte von baldigen Neuwahlen sich bewahrheiten, Lindner also ausgerechnet jetzt Neuwahlen ungeachtet seines enormen negativen Momentums zustimmen (statt auf die Hamburg-Wahl im März zu hoffen), dann sind seine taktischen Defizite offenbar noch größer, als selbst Kassandra es je erwartet hätte (und in Sachen BRSG II hätten wir hier alle mit den berühmten Zitronen gehandelt).
Die mangelnde strategische Tiefe ist nicht das einzige Dilemma der FDP – der Hauptgrund ihres endgültigen Run offs ist, dass ihre Stammwählerschaft es ihr nicht verzeiht, FDP zu wählen, aber dann mit den Liberalen als Steigbügelhalter rot-grüne Industriepolitik zu bekommen.
Es bleibt dabei: Lindner bleibt der finale Abwickler der deutschen FDP, und politisch wickelt er sich selbst gleich mit ab. Es sei wiederholt: Wenn er Glück hat, findet er was in Brüssel. Dschungelcamp wäre ihm zwar durchaus zuzutrauen, Kassandra rät ihm davon aber ab; das ist für einen Ex-Minister auch heute noch nicht standesgemäß. Da sei ihm eher diese seltsame Tanzsendung empfohlen, die es da irgendwie gibt.
Übrigens: Wenn jemand meint, dass der Begriff des angekündigten Selbstmordes, den Dr. Kassandra als Hobby-Pathologin bereits vor einem Jahr für die Lindner-FDP gewählt hat, zu harsch sei: Exakt die Formulierung hat sich nun auch der CDU Vorsitzende Merz zu eigen gemacht. Und warum? Weil sie es trifft!
Zur Union:
Unterm Strich gilt: Der Hauptprofiteur der Entwicklung bleibt die Union. Dass sie strikt im „Weiter-so“-Lager steht, dass sie für viele der gegenwärtig angespannten Entwicklungen (vorneweg die Grenzöffnung 2015, der Atomausstieg etc.) direkt verantwortlich ist, dass sie in fünf Bundesländern mit den Grünen koaliert … all das interessiert kaum einen mehr, das Gedächtnis der Wähler ist kurz, und Unions-Wähler sind die pflegeleichtesten überhaupt. Die Union sammelt mit ihrem Spagat weiter den gesamten Unmut in den Grauzonen zwischen Grünen, SPD und Union sowie zwischen Union und AfD ein; und dort bei denen, die zwar unzufrieden sind, aber nicht AfD wählen wollen.
Es bleibt der einzige Wermutstropfen für die Union, dass ihr mit der FDP ihr natürlicher Koalitionspartner abhanden kommt. Aber auch hier sammelt sie wenigstens die kleinen Trümmer ein.
Wie hier prognostiziert, wird sie im Osten zwei Ministerpräsidenten stellen, und es sei jetzt schon geunkt, dass die nächste Bundesregierung aus Union und SPD bestehen wird, vermutlich mit dem Duo Merz/Pistorius an der Spitze. Viel ändern dürfte sich in Deutschland nicht, strategisch schon gar nicht, nur die Industriepolitik dürfte ein wenig besser werden. Ungeachtet dessen dürfte eine solche Regierung zumindest anfangs durchaus Popularität bei großen Teilen der Bevölkerung genießen.
Die Grünen:
Viel muss man zu ihnen nicht sagen. Sie werden derzeit abgestraft, weil sie eigentlich doch nur das umsetzen, was sie zumindest bei den beiden gegenwärtigen Power-Themen – Migration und Industriepolitik – seit jeher propagieren und versprechen. Insofern sollte eigentlich kein Wähler überrascht sein. Ihre gegenwärtige Performance dürfte allerdings auch – nicht nur in der Außen- und der Wirtschaftspolitik – maßgeblich mit der oft bemängelten Insuffizienz ihrer Intellektualität zuweilen bis hin zu ihrem Spitzenpersonal zu tun haben.
Ihr Vorteil ist, dass sie grundsätzlich mit jedem außer der AfD koalieren und sich normalerweise auf 10-12% Stammwählerschaft verlassen können, egal welche bizarren und skurrilen Polit-Stilblüten sie in die Welt setzen. Bemerkenswert ist aber, dass es ihnen derzeit offenbar gelingt, in den Umfragen einstellig zu werden. Noch sind wir davon weit entfernt, aber insofern ist nicht auszuschließen, dass selbst die Grünen irgendwann sich mit dem Dilemma der mangelhaften strategischen Tiefe analog zur FDP wiederfinden können – also in dem Abwärts-Strudel rund um die 5%-Hürde, in dem es eigendynamisch nach unten geht. Profiteure: SPD und Union.
Personalmeldung am Rande: Der StS im Wirtschaftsministerium, Sven Giegold, räumt seinen Posten, um eine Funktion in der Spitze der grünen Partei zu übernehmen. Das ist an sich nicht weiter bemerkenswert, außer dass Giegold auch auf unserem Parkett kein Unbekannter ist. Während seiner Zeit als MdEP in Brüssel hat er sich auch mit der bAV befasst, namentlich mit PEPP (der Totgeburt mit Ansage) und bei der Bewertung von EIOPA-Stresstests. Dabei legte er zuweilen einen Alarmismus an den Tag („773 Mrd.“), den nicht wenige Fachleute unseres Parketts völlig unangemessen fanden.
Zur SPD:
Von allen drei vor sich hin taumelnden Ampel-Parteien ist ihre Situation noch die beste. An strategischer Tiefe hat sie zwar auch verloren, aber immer noch genug. Und in Brandenburg hat sie gezeigt, dass – wenn anders als im Bund der Amtsbonus stimmt – mit der alten Tante immer zu rechnen ist.
Wie oben erwähnt, wird sie aller Voraussicht nach auch Teil der nächsten Bundesregierung sein.
Zur Linkspartei:
Die stirbt, und fertig. Eine Renaissance kann nur indirekt erfolgen, nämlich wenn wie o.a. Wagenknecht beizeiten aus dem BSW gedrängt wird und dann die alten Kader übernehmen. Ständige Namens- und Strukturwechsel gelten linksaußen anders als im bürgerlichen Lager nicht als Peinlichkeit.
Zur AfD:
Klar, ebenfalls mit gutem Lauf. Scheitert aber strategisch an ihrer 30%-Polit-Asymptote – wie auch in den Ostwahlen gesehen – bzw. daran, dass links von ihr die Union wie erwähnt ständig das Auffangbecken des Unmuts darstellt, weil dieser der schon erwähnte Spagat erstaunlich gut gelingt, klar im „Weiter-so“-Lager zu sein und mit allem und jedem links von ihr zu koalieren (bevorzugt mit den Grünen, so in fünf Bundesländern), aber glaubhaft zu versichern, dass sich mit ihr trotzdem etwas ändern würde. Bestes Beispiel dafür: NRW. Diese Strategie dürfte erst dann an ihr Ende kommen, wenn sich die Lage auf den diversen Politikfeldern noch weiter zuspitzt, namentlich bei Migration und innerer Sicherheit – womit aber zu rechnen ist. Kurz- und mittelfristig besteht für die Union jedoch keinerlei Anlass, ihre Brandmauer-Strategie anzupassen – derzeit funktioniert sie bestens.
Strategisch gilt für die AfD also, dass sie zwar gute Ergebnisse einfährt, es aber keinen echten, flächendecken Rechtsruck gibt, weder in Deutschland, noch in Europa.
Taktisch würde die AfD wegen ihres Momentums aber wie die Union auch nach wie vor von vorgezogenen Neuwahlen profitieren.
Fazit:
Que sera, what ever will be … Kassandra jedenfalls beneidet keinen, der in diesem Land künftig das Steuer übernimmt. „Roßkur“ wird die Aufgabe lauten; und ein echter Pferdedoktor wird es sein, den das Land brauchen wird. Großbritannien hatte mal so eine(n).
Die Welt (28. Oktober): „Japans Premier verkalkuliert sich – Neuwahl schwächt die Regierung.“
Trost am Rande: All das, was wir hier in diesem Deutschland in der Politik vergegenwärtigen müssen, muss einen nicht grämen. Denn ein Blick ins Ausland zeigt: verzocken gehört offenbar zum politischen Handwerk – sei es im fernen Japan, sei es im nahen Frankreich.
Bundesregierung.de (26. Oktober): „Indien-Reise des Bundeskanzlers: Zusammen wachsen – mit Innovation, Mobilität und Nachhaltigkeit.“
Auch das hier an sich ist nicht weiter bemerkenswert – außer dass Reisen deutscher Regierungschefs nach Indien (oder Treffen in Berlin) für den deutschen Steuerzahler äußert kostspielig werden können.
Auf irgendwelche diesbezüglichen Angaben hat man diesmal verzichtet. Übrigens: Auch der auf unserem Parkett wohlbekannte BMF-StS Florian Toncar (FDP) war bei der Reise an Bord (wie er auf LinkedIn mitteilte), vielleicht weiss er ja mehr.
Manager Magazin (27. August): „Briten kaufen deutschen Ölproduzenten: Harbour Energy zieht Wintershall-Dea-Übernahme vor.“
Süddeutsche Zeitung (1. August): „Jedes zweite Dax-Unternehmen gehört mehrheitlich ausländischen Investoren.“
ZDF (1. Oktober): „adnoc schluckt Dax-Konzern: Ölriese aus Abu Dhabi übernimmt Covestro.“
FT.com (17. Oktober): „Corporate Germany is on sale.“
Endlich: Der deutsche Export nimmt wieder Fahrt auf.
Die Zeit (21. Oktober): „An Berliner S-Bahnhof gefundener Sprengstoff war offenbar hochexplosiv.“
T-online (21. Oktober): „Hamburg: Täter flüchtig – 31-Jähriger erschossen.“
WDR (17. Oktober): „Explosionen und Schüsse in NRW: Was bisher über die Täter bekannt ist.“
RBB (16. Septembrer): „Berlin: Drei Verletzte bei Schießerei in Reinickendorf.“
tagesschau (5. September): „Schüsse in Münchner Innenstadt – Tatverdächtiger tot.“
Die gute Nachricht: Quer durch Deutschland halten sich die ersten an das Messerverbot.
FR (31. Oktober): „Düstere Experten-Prognose zur US-Wahl: Erdrutschsieg Trumps droht.“
Blick voraus auf die US-Wahl am Dienstag – und die geopolitischen Folgen für Europa. Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten, und beide sind für Europa schlecht:
Fall A: Donald Trump gewinnt die Wahl, scheitert mit seinen angekündigten Fireidensbemühungen und leitet ohne Rücksicht auf die Europäer einen schnellen Rückzug aus dem Ukraine-Krieg ein (dem sich die Briten als ihr dressierter Pudel schnell anschließen werden). Dann darf Kontinentaleuropa, das sich bisher im Schatten von US/UK hier sehr klar positioniert hat, seine Position alleine durchstehen – politisch, militär-technologisch, nachrichtendienstlich, finanziell … Positiv könnte man formulieren: Das wird lustig.
Fall B: Kamela Harris gewinnt die Wahl, und das Gegenteil passiert, die amerikanische und britische (und im Kielwasser die europäische) Unterstützung wird mindestens aufrechterhalten, eher verstärkt. Und dann? Dazu muss man einen genaueren Blick auf den Zustand Russlands werfen:
Das völlig insuffiziente Land, taumelnd in der Grauzone zwischen Realität und Irrationalität, weiss weder ein noch aus und hat seit Kriegsbeginn den Schwarzen Peter in der Hand, den des „Wie-soll-die-Sache-eigentlich-weitergehen?“. Zwar wird das vergreiste, vom Braindrain geplagte Russland diesen Krieg eines fernen Tages vermutlich gewinnen, aber schon jetzt steht fest, dass es sich abseits des Militärischen nicht mehr von ihm erholen wird – nicht diplomatisch, nicht ökonomisch, nicht politisch. Und am allerwenigsten demographisch.
Ein Donald Trump, der in seiner Art – vielleicht, vielleicht auch nicht – einen schnellen Frieden erzwingt, der gleichzeitig für Russland halbwegs gesichtswahrend wäre, ist faktisch Putins letzte Hoffnung, aus seiner selbstverschuldeten Sackgasse wieder herauszukommen. Sollte diese letzte Hoffnung trügen – was bleibt ihm dann strategisch? Entweder das agonische Weiter-so – oder nur die Eskalation in die weiche Nato-Ostflanke oder nach Mitteleuropa (sei es konventionell, sei es mini-nuklear), um den Schwarzen Peter, irgendetwas ändern zu müssen, an die Europäer abuzgeben.
Kassandra legt sich in aller Düsternis fest: Verliert Trump die Wahl, wird das wankende, semi-rationale Russland diesen Krieg Richtung Westen eskalieren – egal wie.