Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Warnung des IVS:

Träum weiter, Jugend …

und rausholen, was geht: Die Niedrigzinsen führen in der bAV zu einer deutlichen Umverteilung zu Lasten der jüngeren Generationen, wurde vor allem die Politik gestern von berufener Seite gewarnt – und zum Handeln gemahnt. Nicht zum ersten Mal.

 

 

Friedemann Lucius, IVS und Heubeck.

In Anbetracht des anhaltenden Zinsverfalls hat Friedemann Lucius, Vorstandsvorsitzender des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. (IVS), gestern in Köln vor einem aufziehenden Generationenkonflikt in der bAV gewarnt.

 

Die historisch niedrigen Zinsen treiben den Finanzbedarf für die bestehenden Altzusagen mit ihren hohen Leistungsversprechen auf bislang nicht geahnte Höchststände. Dies führt zu einer erheblichen Mittelverlagerung zu Lasten der jüngeren Generationen“, beschreibt , der Aktuar die Lage.

 

 

Von dem Versorgungsniveau der heutigen Rentnergenerationen werden die Jüngeren nur träumen können.“

 

 

Lucius appelliert an die politischen Entscheidungsträger, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften, die bAV-Systeme zukunftsgerecht auszubalancieren, um eine dauerhafte Benachteiligung der jüngeren Generationen zu vermeiden. „Von dem Versorgungsniveau der heutigen Rentnergenerationen werden die Jüngeren nur träumen können: Einerseits wird ihre Versorgungslücke immer größer, andererseits treiben die niedrigen Zinsen den Aufwand für die eigene Vorsorge immer weiter in die Höhe. Gleichzeitig reduzieren viele Arbeitgeber die zusätzlichen betrieblichen Versorgungsleistungen, nicht selten, weil sie die Mittel für die Erfüllung bestehender Altzusagen benötigen“, erläutert Lucius den Druck, der gleich von mehreren Seiten kommt.

 

 

Aus den Beiträgen muss ein Maximum an Leistung herausgeholt werden.“

 

 

Dieses bislang in der Öffentlichkeit kaum diskutierte Problem besitze hohes gesellschaftliches Konfliktpotenzial. Alle Beteiligten müssten erkennen, dass dieser Konflikt jetzt und nicht erst in zehn bis 15 Jahren entschärft werden dürfe, so Lucius weiter, „denn dann wären die Versorgungslücken uneinholbar groß.“

 

Schwankungen nicht überbewerten

 

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, haben die versicherungsmathematischen Sachverständigen des IVS Vorschläge entwickelt. Diese betreffen die Komplexe Beitragserhalt, Garantie und Aufsichtsrecht:

 

 

Ziel muss es sein, von der vorherrschenden Garantiefixierung wegzukommen und Risiken im Hinblick auf die Vorsorgeerfordernisse sachgerecht und angemessen einzuschätzen.“

 

 

Aus den Beiträgen muss ein Maximum an Leistung herausgeholt werden“, fordert Lucius und ergänzt: „Mit der Garantie des Beitragserhalts wird das nicht gelingen; denn dann muss aufgrund der Niedrigzinsen der gesamte Beitrag sicher und ohne nennenswertes Überschusspotenzial angelegt werden, sodass am Ende mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich nur eine Leistung in Höhe der eingezahlten Beiträge herauskommt.“ Durch die Geldentwertung liegt diese Leistung betragsmäßig aber deutlich unter dem Wert der eingezahlten Beiträge. „Insofern verhindert der Beitragserhalt in Zeiten wie diesen den Werterhalt der eingezahlten Beiträge“, resümiert Lucius.

 

Vor diesem Hintergrund sei ein Umdenken erforderlich. „Ziel muss es sein, von der vorherrschenden Garantiefixierung wegzukommen und Risiken im Hinblick auf die Vorsorgeerfordernisse sachgerecht und angemessen einzuschätzen“, führt der Aktuar aus, „beispielsweise werden Schwankungsrisiken im Zusammenhang mit Aktien und anderen Sachwertanlagen aufgrund der in Deutschland vorherrschenden Risikoaversion dramatisch überbewertet.“ Diese Risiken seien jedoch über lange Zeiträume in einem Versorgungskollektiv und mit einem professionellen Risikomanagement sehr gut beherrschbar.

 

Nicht coronabedingt ausklammern

 

Nicht zuletzt deshalb sieht das IVS große Potenziale in der reinen Beitragszusage, die mit dem BRSG 2018 eingeführt wurde. Mit ihrem Verzicht auf Garantien eröffne sie deutlich größere Freiheitsgrade in der Kapitalanlage. „Dadurch kann ein nennenswerter Teil des Beitrags risikoreicher angelegt werden, was die Aussicht auf mehr Leistung auch für die jüngeren Generationen deutlich erhöht“, erläutert Lucius. In Anbetracht dieser Fakten sollten die Sozialpartner in den nächsten Tarifverhandlungen das gesellschaftsrelevante Thema bAV trotz der coronabedingten Verwerfungen nicht ausklammern.

 

Außerdem benötigten die versicherungsförmigen Durchführungswege der bAV mit Blick auf die erworbenen Besitzstände mehr Flexibilität im Arbeits- und Aufsichtsrecht. Ein wichtiger Schritt dorthin sei die Möglichkeit, Teilbestände bei regulierten Pensionskassen durch gezielte, bestandsbezogene Nachdotierungen der Trägerunternehmen zu sanieren.

 

Bislang musste die gesamte Pensionskasse gegen die Wand gefahren werden, bevor die Sanierungsklauseln greifen“, erläutert Lucius die aktuelle Rechtslage. Durch die separate Sanierung von notleidenden Teilbeständen könnte das gesamte Kollektiv wirkungsvoll gestärkt und ein Run-off der Pensionskasse verhindert werden. Daher begrüßt das IVS den vom Gesetzgeber hierzu jüngst vorgelegten Reformvorschlag.

 

Not the very first time

 

Stefan Oecking, IVS und Mercer.

Es ist alles andere als das erste Mal, dass das IVS seine Stimme erhebt. Im vergangenen September warnten die Aktuare, dass angesichts der corona-bedingten, weiteren Verfestigung des Nullzinses im Zuge der ständig dynamischer werdenden Geldschöpfung deutsche Versorgungswerke zusätzlichen Kapitalbedarf anmelden könnten.

 

Die Mahnungen des IVS waren den gestrigen ähnlich, doch ging man seinerzeit tiefer ins Detail. So äußerte IVS-Vize Stefan Oecking damals mit Blick auf die BZML, dass „das Arbeitsrecht dringend nachziehen muss, damit dem Arbeitgeber nicht Garantien aufgebürdet werden, die ein aufsichtsrechtlich regulierter Versorgungsträger so nicht mehr übernehmen kann.“ Das IVS könne sich in der bAV Garantieniveaus deutlich unterhalb des vollen Beitragserhalts vorstellen. Auf Nachfrage nannte Oecking damals einen Wert „oberhalb von 50 Prozent, da es weiter eine nennenswerte Garantie geben muss“. Zusätzliche seinerzeitige Kritik betraf den Reformstau bei den Paragrafen 253 HGB und 6a EStG.

 

Gegenüber LEITERbAV bekräftigte das IVS gestern jedoch, dass die seinerzeitigen Forderungen des IVS weiterhin volle Gültigkeit besitzen.

 

Fazit von LEITERbAV

 

Den Forderungen des IVS ist wenig hinzuzufügen. In der deutschen Altersvorsorge treffen seit über einem Jahrzehnt eine die Währungssubstanz hemmungslos aushöhlende EZB-Geldpolitik samt unausweichlichem Nullzins auf einen Gesetzgeber, der zwar in der ersten Säule gern ebenso kontraproduktive (Rente mit 63) wie teure (Mütterrente) Wahlgeschenke verteilt, ansonsten aber selbst bei der Minimalaufgabe, die Lage wenigstens durch Abstellen der gesetzlichen und aufsichtsrechtlichen Misstände etwas zu mildern, nur im Trippelschritt vorankommt und längst nicht mehr Gestalter, sondern nur noch getriebener der Entwicklung ist. Klar ist jedoch eines: Angesichts der Dynamik der Geldschöpfung wird er mit dieser völlig insuffizienten „Nicht-Strategie“ am Vorabend des demographischen Zusammenbruchs dieses Landes nicht mehr lange durchkommen.

 

Da weiss man gar nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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