Unregelmäßig freitags, heute wegen der gestrigen Wahlen zum EP ausnahmsweise am Montag, bringt PENSIONS●INDUSTRIES eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Wer verzwergt werden soll, wer Lichtjahre von seiner Ambition entfernt bleibt, wer Überraschungssiegerin auf niedrigem Niveau ist, wer offenbar Null Mobilisierungspotenzial hat … und für wen in der bAV nun die Bahn frei ist.
Vor der Wahl hatte Kassandra eine analytische Prognose zur EU-Wahl abgegeben, dann muss heute auch die Würdigung folgen:
Die Welt (9. Juni): „Union mit Abstand vorn – Absturz von Grünen und SPD – AfD zweitstärkste Kraft.“
Tagesschau (9. Juni): „AfD bei der Europawahl: Stark trotz Gegenwind.“
Wer Stabilität in Berlin und Brüssel für einen Wert an sich hält, der kann mit dem Ergebnis der Europawahl zufrieden sein. Grundsätzlich können eigentlich sogar alle (mit Ausnahme der ohnehin scheintoten Linken) mehr oder weniger zufrieden sein. Doch eigentlich ist es für alle zuwenig. Im Einzelnen:
SPD, Grüne: Unbestreitbar beide eindeutige Wahlverlierer. Aber: Das fällt ja nicht vom Himmel, sondern mit den Ergebnissen war klar zu rechnen, und das wird in den Parteigremien wohl hoffentlich nicht anders gewesen sein. Beide Parteien sind exakt dort gelandet, wo es auch auf dieser Plattform hier punktgenau prognostiziert worden ist, und explizit die Grünen haben unter Beweis gestellt, dass – egal was passiert – sie immer gut zweistellig stabil sind.
Allerdings: Ein denkbarer und eigentlich auch zu erwartender Effekt, das links stets vorhandene Nichtwählerpotential gegen eine erstarkende Rechte zu mobilisieren, ist praktisch vollständig ausgeblieben, im Gegenteil.
Wie dem auch sei, können denn beide trotz der schwachen Ergebnisse zufrieden sein? Ja, im Prinzip schon, denn die Berliner Koalition kann weitermachen. Beide, Grüne und SPD, werden niemals vor der Zeit diese Koalition aufgeben, egal welche Wahlniederlagen sie noch erleiden. Daran werden auch die drei absehbaren Katastrophen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nichts ändern. Das schwächste Glied der Ampel heißt FDP, dazu unten mehr.
AfD: Wie erwartet ein starkes Ergebnis, weder haben ihr Themen wie Sylt geschadet, noch konnte sie von Themen wie Mannheim profitieren (bzw. beide Effekte haben sich die Waage gehalten). Stärker als die SPD und damit zweistärkste Kraft bundesweit, und im Osten bemerkenswerterweise trotz eines dort auch starken BSW satt stärkste Kraft. Ergo kann die AfD also auch zufrieden sein. Eigentlich, denn …
… klar (s. auch den Beitrag der Tagesschau) ist ebenso, dass das Wahlergebnis nur ein taktischer Erfolg ist: Von ihrer strategischen Ambition, gestalterische politische Kraft zu werden, an denen in Deutschland keiner vorbeikommt, ist sie nach wie vor Lichtjahre entfernt. Ob die Herbst-Wahlen im Osten die Weichen hier grundsätzlich anders stellen, bleibt abzuwarten.
BSW: Respektabler Start, von 0 auf 6%, aber im Prinzip gilt hier das gleiche wie für die AfD: Man kann zufrieden sein, aber angesichts ihres Anspruchs, eine echte politische Lücke in Deutschland zu schließen, ist das eigentlich zu wenig. Auch ihr Lackmustest werden die Wahlen im Osten.
FDP: Für Kassandra die „Überraschungssiegerin auf niedrigem Niveau“. Das Ergebnis war nicht auszuschließen, ist aber angesichts der Umstände außerordentlich bemerkenswert. Denn:
Ampel in Berlin mit erratisch-schlechter Performance, Wahlbeteiligung angestiegen, mehrere neue Parteien unter Sonstige greifen Stimmen ab, eine äußerst polarisierende, schwer vermittelbare Spitzenkandidatin, starke Wählerwanderung zu AfD und Union … und trotzdem landet die FDP bei circa 5%. Für Kassandra ist das eigentlich ein Rätsel.
Aber wie dem auch sei, die – zumindest vorläufige – Selbstbehauptung der FDP bedeutet zweierlei: Erstens kann und wird die Ampel wie erwähnt weitermachen (daher die heutige Headline), da die FDP in Berlin nun keine Notbremse ziehen muss, und zweitens können die Liberalen etwas entspannter auf die nächsten Bundestagswahlen gucken (im Osten werden sie wie ihre rot-grünen Verbündeten gleichwohl scheitern).
Und nun endlich auch ein direkter Link zur bAV: Dass die Koalition weitermachen kann, heißt das nun Bahn frei für das BRSG II. Das ist auf unserer Habenseite zu verbuchen.
„Wer die Sorge hat, es könnte sich etwas ändern, kann beruhigt sein. Wer die Hoffnung hat, es könnte sich etwas ändern, muss enttäuscht werden.“
Union: Dass sie zufrieden sein darf, daran kann offenkundig keinerlei Zweifel bestehen: mit großem Abstand stärkste Kraft, darauf lässt sich aufbauen. Aber auch hier gilt: Angesichts der spektakulären Schlagzeilen der letzten Monate rund um die AfD hatte man sich wohl eigentlich mehr Momentum erhofft. Wichtig ist jedoch der Süden: Wie bei der FDP kann auch die CSU sich trotz der steigenden Wahlbeteiligung (und ungeachtet des Antretens der Freien Wähler) offenbar oberhalb von 5% etablieren. Das dürfte die Bayern sichtlich entspannter in die Bundestagswahl gehen lassen (wenn das neue Wahlrecht nicht ohnehin noch von Karlsruhe gekippt wird).
Kurzes Fazit: Manch ein Kommentator, zahlreiche sogar, wollen angesichts der rot-grünen Einbrüche nun eine Art „Wende“ sehen. Das ist Unfug. Wer die Sorge hat, es könnte sich etwas ändern, kann beruhigt sein. Wer die Hoffnung hat, es könnte sich etwas ändern, muss enttäuscht werden. Strategisch ist das Ergebnis ein stabiles weiter so!
Am Rande: Zufrieden sein können auch so manch gewählte Kandidaten, die nun ihre langsam auslaufenden Bundestagsmandate gegen frische, ohnehin sichtlich lukrativere EP-Mandate tauschen, nur bsphft. genannt seien Petr Bystron (AfD) oder Agnes Strack-Zimmermann (FDP).
DAVA: Schließlich noch zu dieser mutmaßlich aus der Türkei gesteuerten Partei. Wählerpotenzial: wie hier schon mehrfach erläutert zig Millionen in Deutschland, erst recht in Westeuropa. Mobilisierungspotenzial: offenbar gleich Null! Grund hierfür dürfte sein, dass in der Partei offenbar keinerlei professionelle Management-Kompetenzen etabliert werden konnten. Das kann man bei aller partei-politischen Neutralität wohl erst mal als positiv verbuchen, und für Deutschland wäre es wohl besser, es bliebe so.
FAZ (9. Juni): „Macron löst nach Wahlniederlage Nationalversammlung auf.“
Noch zu der ebenfalls in der Vorwahl-Presseschau angesprochenen europäischen Perspektive. Zunächst einmal gilt auch hier die Headline: Stabil weiter so. Grundsätzlich ändern wird sich nichts.
Auffallend aber der Rechtsruck in Frankreich: Dass Macron nach der Klatsche durch den RN nun flugs Neuwahlen der Nationalversammlung anberaumt (eines der fundamentalen Rechte des Präsidenten im System der V. Republik), dürfte taktische Gründe haben. Der Mann weiß, was er tut – nämlich den einzig greifbaren Weg gehen, Marine Le Pen als Präsidentin Frankreichs noch zu verhindern:
Vermutlich will er dann bei dem absehbaren Wahlsieg der Rechten deren Chefin Marine Le Pen in das Amt der Premierministerin drücken (sie könnte sich dem wohl kaum verweigern; also eine sog. Cohabitation, die Macron sehenden Auges in Kauf nimmt), um sie dann in den verbleibenden Jahren bis zur Präsidentschaftswahl als seine Premierministerin nach Strich und Faden zu verzwergen. Riskante Strategie, könnte aber aufgehen, immerhin hat Le Pen keinerlei Regierungserfahrung. Zeit genug, sich zu blamieren hätte sie also. Und dafür, dass sie auch ausreichend Gelegenheit dazu erhält, wird Monsieur le Président schon sorgen.
Warum riskant also? Nun, wenn Le Pen trotz des Präsidenten Störfeuer performen wird, dann geht sie am Ende mit einem Amtsbonus in die Wahl zur Präsidentschaft. Dann ist sie endgültig nicht mehr aufzuhalten. Macron geht gerade also all-in.