Unregelmäßig freitags bringt PENSIONS●INDUSTRIES eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Wer bei Cum/Ex und Cum/Cum die richtigen Fragen stellt, wer was stärker in den Fokus rücken muss, wer die Wahlen in Brandenburg gewinnt, wer sich schonmal in Brüssel umsehen sollte, wer ein Händchen fürs Timing hat, wer aus dem französischen Hute gezaubert wird – und wer zwar stets jubelt, aber zum Sterben zuviel und zum Leben zuwenig bekommt.
Deutscher Bundestag (3. September): „Kleine Anfrage: Steuerschäden Cum-Ex und Cum-Cum.“
Die Linke im Bundestag (nach dem Abgang Wagenknechts keine Fraktion mehr, sondern nur noch Gruppe) erkundigt sich nach den Steuerschäden von Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäften – dem größten Steuerraub der Geschichte, unvergessen bis in höchste Kreise reichend – und rechtlich alles andere als eine Grauzone – und sie stellt die richtigen Fragen: Zahl der Verdachtsfälle, Schäden, zurückgeholte Steuern, geplante Maßnahmen zu Aufarbeitung und Rückholung von Steuerschäden …
Bei den Schäden war in der Vergangenheit übrigens bereits mal die Hausnummer 150 Mrd. Euro aufgerufen worden. Auf die Antworten darf man gespannt sein; bleibt zu hoffen, dass bei den Verantwortlichen keine akute Amnesie dazwischenkommt.
BaFin (27. August): „Lebensversicherungen müssen einen angemessenen Kundennutzen bieten.“
Mit Blick auf die deutschen Versicherer – die sich gerade mit dem BVI in Sachen Fondsrente in einem scharfen Disput befinden – teilte die Anstalt mit einer gewissen Unzufriedenheit jüngst mit, dass Lebensversicherer den Kundennutzen ihrer Produkte stärker in den Fokus nehmen müssen.
„Lebensversicherungen sollen den Absicherungsbedürfnissen und den Renditeerwartungen der Kundinnen und Kunden gerecht werden. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber leider nicht“, moniert BaFin-Exekutivdirektorin Julia Wiens. Mehrere Versicherer müssten dringend nachbessern, so die Anstalt mit Blick v.a. auf die Kosten und wie immer ohne Namen zu nennen.
13 Lebensversicherer, die besonders auffällig geworden waren, hat die BaFin mittlerweile einer wohlverhaltensaufsichtlichen Prüfung unterzogen. Ergebnis: Neben formalen Defiziten genügten manche Versicherer bei Weitem nicht den Vorgaben. Dabei geht es der BaFin insb. um Effektivkosten, Vertrieb außerhalb des Zielmarkts und sehr hohe Stornoquoten.
Wer sich nun fragt, was mit Pensionskassen und Pensionsfonds ist: Die in dieser Sache rechtlich zugrundeliegenden Vorgaben zum Produktfreigabeverfahren gelten nicht für Pensionskassen bzw. Pensionsfonds. Damit sind auch die Überlegungen zum Kundennutzen nicht auf diese anwendbar.
Rechtsgrundlage bildet hier die Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD), die Anwendung auf VU nach Solvency II findet, nicht jedoch auf EbAV. Im nationalen Recht ist das Produktfreigabeverfahren in § 23 Abs. 1a bis 1c VAG geregelt. Dass die Vorgaben für Pensionskassen bzw. Pensionsfonds nicht gelten, ergibt sich aus § 234a Abs. 2, § 237 Abs. 1 Satz 1 VAG, wie die Anstalt gegenüber PENSIONS●INDUSTRIES erläuterte.
Wie dem auch sei, guter Anlass, das BMF erneut zu mahnen, sich bei dem Vertrieb der geplanten Fondsrente nicht auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu verlassen. Diese sind zwar fast überall sehr gut wirksam und in Deutschland eher zu stark zurückgedrängt – aber die Erfahrung zeigt seit Jahrzehnten: Der Vertrieb von Finanzprodukten ist das Paradebeispiel für die wenigen Fälle, wo man sich nicht auf den Markt verlassen sollte.
BdV (30. August): „Lebensversicherung als Altersvorsorge? Lieber nicht!“
Der BdV nahm den öffentlich geäußerten Unmut der Aufsicht prompt zum Anlass für eine Breitseite gegen seinen Lieblingsfeind: „Eine kapitalbildende Lebensversicherung abzuschließen, ist ein Fehler. Denn davon profitieren letztlich nur der Vertrieb und die Versicherer“, schrieb BdV-Vorstand Bianca Boss, und „Versicherte merken meist leider zu spät, dass sie bei diesem Produkt nur draufzahlen.“
Am besten sei es, so der BDV, erst gar keine kapitalbildende Lebensversicherung abzuschließen: intransparent, renditeschwach und in der Ansparphase unflexibel.
Aber auch Fondspolicen – jüngst erst vom ifa Ulm für die kommende neue Fondsrente ins Spiel gebracht – hält der BDV in der Altersvorsorge für ungeeignet, insb. wegen der Kostenbelastung, und schlägt als Alternative ETF-Sparpläne vor.
OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN
Bild (2. September): „Lindner platzt der Kragen – ‚Die Leute haben die Schnauze voll‘“.
Nachdem Kassandra schon bei der Europawahl sehr gut mit der Prognose lag, hat sich dies mit Blick auf Thüringen und Sachen wiederholt. Daher erneut kurze Kommentare zu den beiden ersten Wahlen im Osten samt Ausblick auf Brandenburg:
Erstes Fazit: Genau wie bei der Europawahl gibt es keinen Grund, hier von einem Rechtsruck zu reden. Es gibt keinen Rechtsruck. Im Gegenteil:
Nie war der Unmut über das Top-Thema Migration so groß wie jetzt, selten waren Schrecken und Entsetzen so gewaltig wie jetzt nach Solingen (Mannheim ist längst vergessen), die Medien kommen mit den täglichen Gewalt-Meldungen kaum noch hinterher, und noch nie war das Momentum der AfD so stark wie jetzt wie in ihren beiden Stammländern in Sachsen und Thüringen.
Und was kommt dabei raus? Wie von Kassandra geunkt eine AfD, die bei mehr oder weniger 30% quasi polit-asymptotisch an ihre strategischen Grenzen stößt (analog zu vielen anderen Ländern in Europa). Das ist für die AfD – wie stets seit 2013 – zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig; vor allem zu wenig, um politischen Gestaltungsspielraum zu gewinnen.
Und die Union: Wie prognostiziert hat sie ihren guten Lauf fortgesetzt und wird vermutlich beide Ministerpräsidenten stellen – jede Art von Koalition/Kooperation links von ihr – SPD, Grüne, BSW, Linkspartei – wird sie im Zweifel eingehen. Was soll sie auch sonst tun? Von all ihren Brandmauern ist ohnehin nur die nach rechts echt. Und dass ihre Wähler dann werden feststellen müssen, dass sie CDU gewählt haben, aber Linkspartei/grün/BSW bekommen? Ist das ein Problem? Nein, CDU-Wähler sind traditionell duldsam und pflegeleicht. Ob das umgekehrt das BSW bei seiner Wählerschaft auch aushalten kann – BSW wählen, aber CDU kriegen – wird man in gut zwei Wochen sehen.
Kassandra erwartet nach wie vor, dass sich all das in Brandenburg ähnlich wiederholt (Unterschied: Einzig die SPD wird stärker werden als in Thüringen und Sachsen, weil sie – analog zur agonischen Linkspartei in Thüringen – einen etablierten, aber letztmaligen Amtsbonus genießt). Die Union wird auch in Potsdam den MP stellen und dazu Koalitionen aller Art eingehen. Die AfD wiederum wird auch in Brandenburg – nicht ihr Stammland – bärenstark werden, ihre Vertreter werden sich in die Brust werfen, ihre Anhänger jubeln, wie sie jetzt in Thüringen und Sachsen gejubelt haben, aber sie wissen es eigentlich selbst: strategisch außer Spesen nichts gewesen.
Erneut sei betont: Wenn die Menschen in Deutschland die Wahl haben zwischen einer Wende (AfD) und leicht verschiedenen Varianten des grundsätzlichen Weiter-so (alle anderen), dann wählen je nach Region 60 bis 90 % das Weiter-so – und sollten die Zeiten noch so unruhig sein. Das gilt erst recht, wenn der Union so geschickt ihr hier schon thematisierter, üblicher Spagat zwischen Weiter-so und Diesmal-wird-wirklich-alles-anders gelingt. Solange diese Strategie (die das BSW analog und erstaunlich erfolgreich fährt) aufgeht, greift sie bei fast allen anderen ab – zuvorderst bei der AfD.
Aber: Wie schon vor Monaten sei noch mal betont, dass es mehr als nur irritierend ist, wie enttäuschend zahnlos Friedrich Merz sich in dieser Situation verhält. Anstatt die scheintote Ampel nun final aufzubrechen, bietet er – es wirkt fast schon verzweifelt – händeringende Kooperation an statt eisenharte Konfrontation (wie es sich für eine Oppositionspartei gehören würde, die am Ende vor allem im Bund regieren will).
Wichtig natürlich das alte Kassandra-Thema FDP. Wie schon seit zig Monaten vielfach geunkt– und nur durch die Europawahl kurz unterbrochen – taumelt Christian Lindners FDP in ihren Freitod mit Ansage. Die Ergebnisse der Liberalen lagen in Thüringen und Sachsen bei sagenhaften 1,1, bzw. 0,9%; das ist nur unwesentlich besser als diese völlig insuffiziente Werteunion-Splitterpartei des geborenen Wahlverlierers Hans Georg Maaßen.
Das wird sich in zwei Wochen in Brandenburg – und dazu muss man nun wirklich kein Prophet mehr sein – nahtlos fortsetzen, denn wer soll dort noch überhaupt seine Stimme an die FDP verschwenden, wenn klar ist, dass sie nun endgültig ohne jede Chance auf einen Einzug in das Landesparlament ist? Und dazu kommt wie oft betont: Sobald die Wahlbeteiligung hochgeht – und in diesen polarisierenden Zeiten tendiert sie dazu – wird die FDP mit ihrer strategischen Tiefe von genau Null komplett chancenlos. Kann also gut sein, dass es ihr in Brandenburg gelingt, noch unter 0,5% zu kommen.
Ob Lindner (die beiden anderen werden kleben bis zum letzten Tag) dann die Koalition platzen lässt? Vermutlich ist es dann für jede glaubwürdige Notbremse viel zu spät. Er hätte viel früher handeln müssen, jetzt hat er die Zukunft längst verspielt. Dass er jede Kontrolle über die Lage verloren hat, zeigt sein oben verlinktes, bemerkenswert lächerliches „Schnauze-voll-Statement“, das jedem Oppositionspolitiker gut zu Gesicht gestanden hätte, für das jemand mit zentralen Ministerposten in der Regierung aber zu Recht nichts als Spott erntet.
Ergo: Wenn nicht noch ein Wunder passiert (never say never), dann wird diese FDP, nachdem sie in den Ländern fast alles verspielt hat, auch bei der nächsten Bundestagswahl vernichtet. Und dies geschieht dann mit einer solchen Nachhaltigkeit in einem politischen Umfeld, in dem es für sie vermutlich kein Comeback geben wird – weil sie in diesen polarisierenden Zeiten in dieser Form schlicht nicht mehr gebraucht wird.
Fun Fact am Rande: Fragt sich, was aus Lindner persönlich werden soll. Wie erwähnt, wird Florian Toncar auf unserem Parkett schon standesgemäß untergebracht werden können (auch wenn er sich mit seiner Fondsrente in der Assekuranz derzeit keine Freunde macht; allerdings zahlen die Asset Manager ohnehin besser).
Aber Lindner? Wer soll denn jemandem, der als FDP-Totengräber in die Bundesgeschichte eingehen wird, 200K im Jahr dafür zahlen, dass er zwar nicht vom Fach ist, aber einem seinen politischen Habitus ins Unternehmen einschleppt? Nur weil er die Mobilnummer von Kevin Kühnert und Ricarda Lang kennt? Nein, Lindner ist in Deutschland raus. Kassandras Tipp: Für ihn bleibt nur Brüssel, und er tut gut daran, seine Beziehung zur dort residierenden Agnes Strack-Zimmermann zu hegen und zu pflegen (und übrigens sein peinliches Mittelstufen-Englisch endlich mal zu verbessern).
Wenn für Lindners FDP also gilt, den Krug nun bis zur Neige zur leeren, bevor dieser endgültig bricht, dann kann man das politisch bedauern, weil Deutschland seine weiland einzige explizit liberale Kraft verliert (faktisch schon vor vielen Jahren verloren hat). Für die Union, die sie zwar teil-beerbt, ist es dabei mehr als ein Wermutstropfen, dass ihr ihr natürlicher Koalitionspartner abhanden kommt (allerdings hat sie ja derzeit zwischen Linkspartei und Freien Wählern bis zu fünf Alternativen).
Verengen wir dagegen den Blick auf unser Parkett, können wir Lindners selbstmörderisches Durchhalten allerdings durchaus begrüßen, da die laufenden Reformen – bekanntlich keine großen Würfe, dafür aber längst überfällige Baustellen – bei einem zeitnahem Zerbrechen der Ampel im parlamentarischen Orkus verschwinden würden. Das würde die deutsche bAV um ein paar Jahre zurückwerfen.
Wie geht es nun weiter? Im März sind Wahlen in der Hansestadt Hamburg mit ihrem ganz eigenen West-Habitus zwischen linker Szene und chicem Blankenese. Diese Wahlen werden – auch wenn quantitativ ebenfalls nicht sehr bedeutend – für zwei Parteien zum ultimativen Lackmustest, der klarmachen wird, wo die beiden wirklich stehen und wie es für sie weitergehen wird: FDP und AfD. Kleine Früh-Prognose schon jetzt: Beide werden in Hamburg (für die FDP eines ihrerStammländer, für die AfD schon immer fremdes Terrain) hart um die 5 % Hürde mäandrieren.
Vau Max (30. Mai): „Volkswagen zahlt 4,5 Milliarden Euro aus – Geldsegen für VW-Aktionäre.“
Focus (2. September): „Sparprogramm beschlossen – VW fehlen fünf Milliarden Euro.“
Und als wäre all das nicht genug, geht unterdessen auch die De-Industrialisierung Deutschlands ungebremst weiter – oder besser: in eine neue Runde. Allerdings scheint man in Wolfsburg dabei zusätzlich auch noch ein gutes Händchen fürs Management-Timing zu haben
Und auch für die kommenden VW-Schließungen gilt wie für die deutsche Wirtschaft insgesamt etwas, das bitte nie vergessen wird: Was hier einmal weg ist, kommt nicht wieder.
Die Welt (5. September): „Macron ernennt früheren EU-Kommissar Michel Barnier zum Premier.“
Wie bitte? Michel Barnier? Wo kommt der denn her? Dachte man, dass er – der weiland eisenharte EU-Bürokrat-Kämpfer für ein Solvency-II-EbAV-Regime, der nur nach konzertiertem und jahrelangem Widerstand aus mehreren europäischen bAV-Staaten zur Kapitulation gezwungen werden konnte – längst irgendwo den Ruhestand genießt, schickt er sich nun an, das höchste Amt seines äußert postenreichen Lebens zu bekleiden. Das ist nun wirklich nicht weniger als eine faustdicke Überraschung!
Aber so ist die V. Republik Frankreich: Linker Wahlsieg, doch am Ende macht ein starker Präsident, was er will. Hier zeigt ein Macron, dass er – wider Erwarten – auch nach der etwas unklugen Parlamentsauflösung alles andere eine Lame Duck ist.
Ehrlich, auch wenn Barnier ein alter Brüssel-Bürokrat ist: Sollte er sich in dem Amt durchsetzen, wäre das für Frankreich ein echter Glücksfall – denn eine strammlinke Regierung ist das letzte, was das vor enormen Herausforderungen stehende Frankreich heute braucht.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.