… und wenn doch, verlierst Du deinen Versorgungsausgleich. Unregelmäßig freitags bringt PENSIONS●INDUSTRIES eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Deutschland ist ein lustiges Land. Wunderbares Uralt-Deutsch zumAnstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Wer die Musik bezahlt, der bestimmt auch, was sie spielt. Kann-sein, Kann-auch-nicht-sein. Bitte keine Krokodilstränen – und auch keine garantierte Totgeburt. Und: Kassandra sieht die Wahlen im Osten längst entschieden.
Versicherungsjournal (18. August): „Neue geförderte Altersvorsorge wird konkreter.“
Es sei wiederholt: Alles, was dem Investment-Gedanken der breiten Massen dient, ist vorsorge- und industriepolitisch für Deutschland dringend zu begrüßen. Das kommt zwar alles Jahrzehnte zu spät, aber besser spät als nie.
Jedoch muss betont werden: Hier kommt Förderung mit Steuerzahlergeld ins Spiel. Das kann man zwar gut und richtig finden (würde man sich für die bAV auch mehr wünschen), doch muss dann dem federführenden BMF eines klar sein:
Wenn mit Steuerzahlergeld gefördert wird, dann muss es auch Regulierung geben, und zwar vor allen Dingen mit Blick auf den Vertrieb und seine Kosten. Wenn der Staat die Produkte fördert, muss er auch klare Regeln machen, Motto: Wer die Musik bezahlt, der bestimmt auch, was sie spielt. Hier auf den Markt als Regulator zu setzen, ist zu dünn – gerade in so einem sensiblem Feld wie der Altersvorsorge.
Es kann nicht sein, dass hier beizeiten hochkostenbelastete Produkte mit Masse vertrieben werden, bei denen die Performance am Ende für den Sparer sich nur deshalb rechnet, weil er dazu die staatliche Förderung bekommt. Es gab Zeiten, da haben die Versicherer bei Riester-Produkten ernsthaft so argumentiert.
Sollte das BMF die Regulierung unzureichend umsetzen oder gar ganz versäumen, dann ist – das prognostiziert Kassandra hier schon jetzt – die Totgeburt garantiert. Dann werden die einschlägigen Vertriebsstrukturen dafür sorgen, dass Produkte in den Markt kommen, die von Anfang an nicht überlebensfähig sind und irgendwann das ganze System in Mitleidenschaft ziehen. Am Ende gucken alle Beteiligten dann wieder dumm aus der Wäsche. Und das wollen wir doch nicht.
Bild (28. August): „Aufschubprämie: Neuer Renten-Plan mit Bonus-Knall.“
Deutschland ist ein lustiges Land, in dem lustige Dinge passieren:
Erst führt die SPD – deren Arbeitsminister jüngst lockere acht Millionen Eure Steuerzahlergeld für eine Imagekampagne ausgeschrieben hat – mit bester Laune die Rente mit 63 ein, dann folgt frohgemut die Rentenaufschubprämie.
Das ist fast so nachhaltig wie eine Industrienation, die in die Atomenergie einsteigt, wieder aussteigt, wieder einsteigt, wieder aussteigt, den Ausstieg etwas streckt, dann endgültig aussteigt und bald wieder einsteigen wird.
VJ.de (27. August): „Konto geplündert: Ehefrau geht beim Versorgungsausgleich leer aus.“
Das Versicherungsjournal fasst einen Fall aus dem Versorgungsausgleich zusammen, in dem eine beklagte Akteurin eine fast schon grotesk anmutende Skrupellosigkeit an den Tag zu legen scheint.
Gut zu sehen jedenfalls, dass sehr allgemein gehaltene Paragraphen (das Wesen der Legislative in der Demokratie), die nur durch Auslegung des Gerichts konkrete Wirkung entfalten (das Wesen der Judikative in der Demokratie) können, dies in der Realität auch tun. Auch im hochkomplexen Versorgungsausgleich gilt also: Man sollte in dieser Welt kein … siehe Headline.
Im Übrigen fühlt sich Kassandra dabei zurückversetzt in das erste Semester, als u.a. die „Guten Sitten“ erläutert wurden, in grauer Vorzeit weiland in wunderbarem Uralt-Deutsch legaldefiniert als das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“.
BaFin (29. August): „BaFin warnt vor angeblicher europäischer Aufsichtsbehörde.“
Dachten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, bei dem ersten Blick auf die Headline auch zuerst, die BaFin habe die EIOPA nach all den Jahren nun endlich als Fake enttarnt?
Nein, die Realität ist leider viel profaner, irgendein Akteur namens FINA EU versucht offenbar, sich mit falschen Federn zu schmücken.
OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN
Nur kurz zu den beiden Wahlen im Osten am Sonntag: Wie schon mehrfach erläutert (zuletzt hier mit den „Zitronen“), hat die Union derzeit starkes taktisches und strategisches Momentum. Auch ihr zuletzt etwas eingeschränktes Koalitionsspektrum verbessert sich durch das BSW wieder. Und wenn nun …
Handelsblatt (26. August): „Solingen – Merz fordert Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen.“
Deutschlandfunk (28. August): „Nach Terroranschlag von Solingen – Merz relativiert Forderung nach Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan.“
Stuttgarter Zeitung (29. August): „Nach Anschlag in Solingen: Lindner für Verschärfung bei Heimaturlaub von Flüchtlingen.“
Die Welt (29. August): „Grüne fordern in Positionspapier konsequente Abschiebungen von Gefährdern.“
Die Welt (29.August): „Gregor Gysi: ‚Wir sind die Partei, die am wirksamsten Zahl der Flüchtlinge reduzieren will.‘“
… nach Solingen (Mannheim ist längst vergessen) sich alle etablierten Parteien selbst bis hin zur Gysis Linkspartei in dem nicht unüblichen Polit-Spagat üben zwischen „Weiter so“ und „Nun wird sich aber wirklich was ändern“, gelingt dies Merzens Union am geschicktesten. Dass sie in NRW, dem Land Solingens, regiert, mit den Grünen übrigens, und so für die teils wirklich merkwürdigen Umstände des Anschlages maßgeblich Verantwortung trägt, tut dem keinerlei Abbruch.
Und die sagenhaft starke AfD? Ach was! Je nach Region stehen in Deutschland – zumindest wenn es am Ende darum geht, sein Kreuz in der Wahlkabine zu machen – geschätzt weniger als 10 (Hamburg) bis maximal 35% (Osten) der Menschen gegen das weiter so, 65-90% dafür. Damit sind am Ende die Verhältnisse unmissverständlich klar (zählt man die Nichtwähler hinzu – denn auch Nichtwähler sind faktisch Wähler; man kann nicht nicht wählen –, wird die Dominanz der Mehrheit gegenüber der AfD noch signifikanter).
Selbstverständlich wird die AfD am Sonntag stark werden, aber: Bisher war die AfD bei praktisch allen Wahlen der letzten 11 Jahre am Ende immer schwächer als zuvor prognostiziert. Das wird diesmal nicht anders sein, sondern wie immer: starkes Ergebnis, jubelnde Anhänger, erschrockenes Medienecho – doch null strategischer Effekt! Das haben auch die jüngsten EU-Wahlen wieder gezeigt, die für die Partei de facto eine erneute Niederlage waren. Ergo: Die AfD wird keinen der drei Ministerpräsidenten stellen können und wie immer in der Opposition landen.
Diese These wird auch untermauert von den Trends in anderen großen europäischen Staaten, wo die politischen Auseinandersetzungen mit ähnlicher, eher mehr Schärfe geführt werden als in Deutschland. So zeigte v.a. Frankreich, dass die Parteien von links außen bis Mitte rechts auch in vom Mehrheitswahlrecht geprägten Systemen am Ende kein Problem haben, analog zu Deutschland per wirksamer Brandmauer gemeinsam die örtliche Rechtspartei in Schach zu halten. Auch dort gilt: Wenn die Menschen einzig die Wahl haben zwischen Weiter-so und Wende, dann wählen sie mehrheitlich das Weiter-so.
All das zusammengenommen, ist das Ergebnis der zwei bzw. drei Ost-Wahlen recht vorhersagbar:
Kassandra tippt darauf, dass die Union am Ende beide Ministerpräsidenten stellen wird – und wenn sie das Momentum mitnehmen kann, in drei Wochen den brandenburgischen auch. Irgendwelche Koalitionspartner und Dulder wird sie schon finden.
Und noch für alle, die nun angesichts der o.a. markigen Aussagen aller Parteien fürchten, es könnten an der deutschen Willkommenskultur substantielle Abstriche gemacht werden – und so bspw. die Asset Klasse Real Estate noch weiter pressiert werden, weil die Bevölkerung nicht weiter wachse und der Druck auf den Staat als Wohnungsnachfrager nachlassen könnte: Fürchtet euch nicht! Nach dem 22. September, den Wahlen in Brandenburg, ist das alles vorbei. Alles bleibt beim alten.
Insofern ist für unser Parkett relevant einzig und allein die Frage, ob die Katastrophe für die Ampel bei den drei Ost-Wahlen Ausmaße annimmt, welche selbst die an sich äußerst posten-beharrlichen Koalitions-Granden nicht aushalten – und so im Zuge eines Ampel-Bruchs auch die laufenden Reformen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge zunächst wieder auf Null gestellt würden. Das zu prognostizieren ist allerdings schwer, hier gilt ein klassisches Kann-sein, Kann-auch-nicht-sein.
Handelsblatt (29. August): „Merz fordert von Scholz einen Bruch mit Grünen und FDP.“
Es sei wiederholt: Deutschland ist ein lustiges Land. Besonders Friedrich Merz hat Humor. In nicht weniger als fünf Bundesländern koalieren Union und Grüne miteinander, mit NRW und BW in zwei der wichtigsten, und u.a. auch in Sachsen; zuzüglich der Duldung in Thüringen (und bis vor kurzem zählte auch noch Hessen dazu). Und ausgerechnet der CDU-Chef fordert von der SPD einen Bruch mit den Grünen! Warum nur? Will er sie für sich alleine haben?
Bemerkenswert aber vor allem: Er fordert den Bruch der SPD mit der FDP, nicht aber den der FDP mit der SPD. Hatte er die FDP schon komplett abgeschrieben? Ist er etwa eine wahre Kassandra? Verübeln könnte man es ihm nicht.
Bild (29. August): „Abschiebe-Irrsinn: So tanzen uns EU-Länder auf der Nase herum.“
Nein, nein nein! Jetzt mit dem Finger auf Bulgarien zu zeigen, ist unfair und zeugt von Unverständnis gegenüber unseren europäischen Nachbarn. Bitte keine Krokodilstränen hier vergießen.
Unabhängig von Rechtsfragen und Friktionen im Einzelfall: Die Willkommenskultur ist eine deutsche Erfindung, sie wird in Deutschland verehrt und aufrechterhalten, sie ist weltweit mit ihren Verheißungen – von Wohnraum, Sozialleistungen, Betreuung bis hin zur schnellen Einbürgerung – als typisch deutsch bekannt und populär. Aber: Sie wird deshalb noch lange nicht von unseren Nachbarn geteilt, weder vom Wahlvolk noch von den Politikern dort. Das gilt es zu akzeptieren.
Und die Realität ist, dass die Menschen, die nach Europa kommen, zum allergrößten Teil genau wegen der Willkommenskultur explizit nach Deutschland streben. Auch der Täter von Solingen wollte nie nach Bulgarien, und Bulgarien wollte ihn nie. Er wollte und kam nach Deutschland im Zuge der deutschen Willkommenskultur, und Deutschland hieß ihn willkommen wie Millionen andere auch.
Es wäre daher völlig vermessen, von anderen Ländern zu verlangen, dass sie sich gemäß den Parametern der typisch deutschen Willkommenskultur verhalten mögen. Jedem muss klar sein: Deutschland hat sich mit den Chancen wie mit den Herausforderungen der Einwanderung alleine auseinanderzusetzen! Nochmal: Jetzt nicht mit dem Finger auf andere zeigen!
Insofern sei wiederholt: Das Gerede von einer europäischen Lösung in der Migrationsfrage ist nichts als eine reine Chimäre, die seit 2015 rauf und runter gebetet wird und nicht das geringste mit irgendeiner Realität zu tun hat und niemals zu tun haben wird.
Das zur heutigen Headline anregende Stück – zugegebenerweise nicht gerade von überragender kultureller Bedeutung – findet sich hier.