Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Seid ihr verrückt?

Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Fed geht weiter ins Risiko, EZB trottet hinterher, Staaten haben keine Freunde, Exzesse in Brüssel, die wahl- und parteipolitische Rolle der deutschen Empörungsonkel – und möge man Deutschland die Wagenknecht-Partei ersparen.

WiWo (4. Mai): „Das ist zu wenig, liebe EZB!“

Süddeutsche Zeitung (4. Mai): Es wäre so ein guter Moment zum Handeln.“

Aha, gute Zeit für Zinserhöhungen? Jetzt und mehr?

Kassandra bleibt dabei: Auch wenn die Politik der ein Jahrzehnt langen Geldschwemme in Ost und West und Ganz-West ein gigantischer Fehler war und der Ausstieg daraus dringend notwendig ist, so begrüßenswert Jerome Powells (der übrigens selbst viel zu lange von „transitory“ gesprochen hat) Einstieg in den Ausstieg also ist (und dieser ist hier immer begrüßt worden), so kritisch ist das Tempo, dass er vorlegt. Kassandras Axiom: Der Ausstieg, der Entzug von der Droge des billigen Geldes sollte gestreckt über 20 Jahre stattfinden statt über zwei. Eile mit Weile!

Denn erneut: Nichts wäre schlimmer, als mitten im Ausstieg aufgrund der Verwerfungen besonders im Bankensektor wieder in eine hektisch-lockere Politik einsteigen zu müssen. Und Bankenschieflagen müssen nicht täglich auftreten, um Verwerfungen im Sektor zu signalisieren. Besonders anfangs können auf einzelne Schieflagen Wochen oder gar Monate der Ruhe folgen – bis der Prozess wirklich ins Laufen kommt. Und dann bliebe den Zentralbanken nur die sofortige Kapitulation, hüben wie drüben; will sagen: die Supergeldschwemme ungeahnten Ausmaßes. Man kann eben nicht Staatshaushalte sowie Finanz-und Realwirtschaft über 10-15 Jahre in die Grütze des martkverzerrenden Niedrig- und Nullzinses reiten und dann meinen, dass man das in zwei Jahren wieder korrigieren könne.

Insofern bleibt Kassandra – im Gegensatz zu den meisten anderen Kommentatoren – dabei: Eine Zinspause, gerade nach dem jüngsten Problemen im US-Bankensektor, wäre schon anstatt der letzten Zinserhöhung angemessen gewesen – und jetzt erst recht. Hämische Kommentare von Analysten, die darin ein Einknicken sähen, könnte man getrost ignorieren. Gleichwohl geht man weiter voran, und geht damit weiter ins Risiko – und dieses ist kein kleines, im Gegenteil!

Gut, immerhin hat Powell nun endlich (!) eine Zinspause angekündigt – während Medienberichten zufolge bereits die nächste US-Bank in Schieflage gerät.

Da der EZB ohnehin nichts übrigbleibt, als zumindest grob dem Kurs der Fed zu folgen (wobei ihre Lage der der Fed ähnlich, nur noch vielfach prekärer ist), muss deren Entscheidung hier und heute nicht diskutiert werden. Dass Christine Lagarde eine Zinspause explizit ausgeschlossen hat, heißt gar nichts. Sie ist ohnehin Gefangene des eigenen Handels; was sie sagt, ist völlig irrelevant.

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

Die Welt (3. Mai): „Sahra Wagenknecht: Im Hintergrund werden längst Details für eine neue Partei ausgelotet.“

Parteipolitik zum Ersten. Schon im vergangenen Oktober hatte Kassandra angesichts des ständigen Geredes um eine neue, sog. „Wagenknecht-Partei“ auf LEITERbAV Dynamics gefragt, welchen Blick auf die Realität deutsche politische Kommentatoren zuweilen überhaupt noch haben. Und schickt sich das Gerede nun ernsthaft an, Realität werden zu wollen? Nicht zu fassen!

Wie im Oktober geschrieben: Was würde denn dann passieren? Sicher hätte Wagenknecht großen Erfolg und Zulauf, und die Partei Die Linke würde binnen kurzem atomisiert, gar systematisch aus den Parlamenten entfernt.

Und dann? Erfolg und Zulauf heißt: Zahlreiche der alten Mitglieder und Kader der Linken, zumindest die weniger prominenten unter ihnen, würden mit kurzer Schamfrist in die neue, erfolgreiche Wagenknecht-Partei eintreten. Welcher Linke soll denn da schon widerstehen? Und: Nicht wenige sind – wie gerade bei linken Parteien häufig – von ihren Mandaten gleich welcher Art auch wirtschaftlich völlig abhängig.

Ergebnis: Nach wenigen Parteitagen mit den entsprechenden Abstimmungsmehrheiten wird die ach so hoffnungsvolle Gründerin genauso isoliert in ihrer „eigenen“ Partei sein wie sie es jetzt schon in der Partei Die Linke ist. Denn da liegt der Hund begraben: Parteien sind in Deutschland aus gutem Grund keine OneManShow und auch keine OneWomanShow! Sondern sie funktionieren nach dem demokratischen Prinzip der Mehrheitsentscheidung. Niemand kann sich eine „eigene“ Partei backen, so wie es ihm/ihr gefällt. Insofern würde es auch keine „Wagenknecht-Partei“ geben, sondern eine Neugründung, die sich schnell zum Abklatsch der maroden Linken entwickelt.

Es ist zu hoffen, dass Wagenknecht diese Zusammenhänge kennt und so Deutschland (und sich selbst) das armselige Drama der Gründung einer weiteren Linkspartei, die nach 12 bis 24 Monaten praktisch genau die wäre, die die Linke jetzt schon ist, erspart.

 

Berliner Zeitung (2. Mai): „Führende Grünen-Politiker bedauern Boris Palmers Parteiausritt.“

Nochmal Parteipolitik: Fast jede Partei hat so den einen, der in fremden Gewässern fischt bzw. fischen soll. Will sagen: Fast jede Partei hat einen dieser Lautsprecher, die regelmäßig weit abseits der Parteilinie auf den Putz hauen, und das mit klarer Wortwahl und gehörigem Pragmatismus und die das aus Taktik, aus Unbedarftheit oder aus beidem tun – die aber gleichzeitig in ihrer Partei meist völlig ohne irgendeinen Einfluss sind. Aber stets erhebliche Popularität erreichen.

Bestes Beispiel war über viele Jahre in der Union der Kölner Wolfgang Bosbach, eine Art Empörungsonkel, der von Talkshow zu Talkshow tingelte und dabei mit dem, was man gesunden Menschenverstand nennen würde, in leicht verständlicher Sprache offenkundige Missstände (seine Lieblingsthemen waren Eurorettung und Migration) im Land ansprach – zuweilen als wäre er der leibhaftige Oppositionsführer. Dass es aber doch genau seine Partei war, die seinerzeit in Bund und vielen Ländern regierte, wurde er praktisch nie gefragt. Und er war gleichzeitig der vielleicht einflussloseste MdB, den die BT-Fraktion der Union jemals hatte – ebenso aber sicher einer der populärsten und wertvollsten, denn die Zahl der „Ich wähle CDU nur wegen Bosbach“-Wähler dürfte keine kleine gewesen sein. Wegen Bosbach CDU wählen, aber Merkel bekommen, lautete also lange das einfache, gleichwohl von vielen Wählern nicht durchschaute Prinzip.

Wie gesagt, das gibt es fast überall. In der SPD hatte lange Jahre Heinz Buschkowsky, populär-pragmatischer Bürgermeister von Neukölln und abseits seines Amtes ebenfalls ohne jeden Einfluss in der SPD, diese Rolle inne. Hier galt: SPD wählen wegen Buschkowsky, aber bspw. Schulz bekommen. In der FDP kann man Wolfgang Kubicki diesem Typus zuordnen (s.u.).

In der Linken übt, vermutlich ohne es zu wollen, die in ihrer Partei völlig isolierte Wagenknecht diese Funktion aus. Die Gruppe der „Ich wähle Die Linke nur wegen Wagenknecht“-Wähler dürfte hier sogar so stark sein, dass (s.o.) die Partei ohne diese kaum in irgendeinem Parlament vertreten sein dürfte (und es in dieser Form künftig dann ja, wie oben dargelegt, möglicherweise auch nicht mehr sein wird). Hier galt also stets: wegen Wagenknecht die Linke wählen, aber bspw. Kipping bekommen.

Umso bemerkenswerter, dass nun Boris Palmer, der Empörungsonkel der Grünen, der sich ebenfalls stets sehr populär-pragmatisch gibt, dabei ebenfalls schon länger isoliert, ergo parteipolitisch völlig einflusslos ist (und linguistisch nicht immer ganz kontrolliert wirkt) die Partei verlässt. Die Fraktion der „Ich wähle die Grünen nur wegen Palmer“-Wähler dürfte auch hier ähnlich wie bei den Linken durchaus ein paar Prozentpünktchen ausmachen. Hier also: Die Grünen wegen Palmer wählen, aber Lang, Roth, Habeck und Nouripour erhalten. Einen Ersatz hierfür haben die Grünen nicht, und das dürften sie im Zusammenwirken mit den Folgen ihrer viele Menschen irritierenden Energiewende-Politik und mit dem Niedergang des Der-Lack-ist-Habeck (der viel weniger intellektuell ist als er wirkt und geradezu kein bisschen raffiniert zu sein scheint) bei den kommenden Landtagswahlen deutlich zu spüren bekommen. Mal sehen, ob die Grünen in Bayern überhaupt den Einzug schaffen. Insofern haben sie in der Tat einiges zu bedauern.

 

Focus (3. Mai): „Kubicki wütet gegen Habeck und will grüne ‚Lieblingsprojekte‘ blockieren.“

Und während Kassandra den Kommentar zu Boris Palmer schreibt und dort Kubicki als Politiker analogen Stils zu Palmer nennt, liefert der FDP-Altstar prompt (und ungewollt) einen prägnanten Beleg, indem er (erneut) eine scharfe Attacke auf Robert Habeck reitet.

Allerdings muss man nicht sonderlich aufmerksam lesen, um zu erkennen, dass aus Kubickis Drohung umgekehrt ein Schuh wird:

Wenn er sagt, dass im Falle einer Habeckschen Sabotage des Ausbaus dieses norddeutschen Autobahnstücks die FDP grüne Lieblingsprojekte nicht „durchwinken“ werde, dann gibt er damit praktisch unumwunden zu, dass die FDP, so lange irgendwelche Kleinigkeiten wie Autobahnstückchen nicht angetastet werden, sie die großen, strategischen Weichenstellungen der Grünen mehr oder weniger voll umfänglich mitgetragen hat und weiter mitträgt (denn was soll „durchwinken“ sonst heißen?). Identifiziert Kubicki höchstselbst die FDP also „Durchwinke-Partei der Grünen“?

Das Problem ist grundsätzlicher: Die FDP (ohnehin mit schwacher Performance) müht sich erheblich und mit zweifelhaftem Erfolg, dass in ihrer öffentlichen Wahrnehmung zwischen den beiden Extrempolen „Verhinderer und Abmilderer radikal rotgrüner Politik“ einerseits und „Rot-grün-Steigbügelhalter“ andererseits sie vor allem im Sinne des Ersteren wahrgenommen wird. Mit ungeschickten Aussagen, wie Kubicki sie hier tätigt, ist sie damit jedenfalls auf dem falschen Weg.

Fazit des Ganzen: Kassandra prognostiziert (sicher nicht allein), dass die Grünen und die FDP, aber auch die SPD bei den kommenden LTW in Hessen und Bayern unter erheblichen Druck geraten werden. Frohlocken kann vor allem einer: Markus Söder. Es wird spannend zu sehen, ob es der CSU gelingen wird, die absolute Mehrheit in Bayern zurückzuerobern. Wenn Söder der Spagat gelingt, AfD und Freie Wähler auch noch klein zu halten, könnte er es schaffen.

 

BILD (3. Mai): „Kommt der SWEXIT?“

Das hier ist nur eine Momentaufnahme, nur eine einzelne Aussage eines Politikers (auch wenn es derzeit kein ganz unwichtiger ist). Insofern sollte man das nicht überbewerten.

Nicht unterschätzen sollte man aber auch, gerade wenn man in etwas längeren Zeiträumen von einigen Jahrzehnten denkt, dass es in der EU nach wie vor erhebliche Zentrifugalkräfte gibt, die sich mit dem Brexit bereits bei einem der drei wichtigsten EU-Mitglieder realisiert haben.

An dieser Stelle wurde schon mehrmals gemahnt, dass Skandinavier und vor allem die Niederländer sicherlich sehr genau beobachten werden, wie sich Großbritannien nach dem (hier übrigens früh vorhergesagten) Brexit entwickelt.

Dass es für die Briten hier in ohnehin schwierigen Zeiten nach einer 40-jährigen Mitgliedschaft in einer supranationalen Gemeinschaft jahrelang nach dem Austritt noch erhebliche Friktionen auf allen Ebenen geben wird, sollte man nicht als Garant dafür nehmen, dass die europäischen, namentlich die nordeuropäischen Wahlvölker und Politiker nun nachhaltig von einem EU Austritt abgeschreckt würden.

Denn bei allen Friktionen, die Großbritannien derzeit durchleidet, zeigt sich auch schon jetzt deutlich: Die Briten machen nur noch das, was sie selbst für richtig halten. Das ist etwas, was man gemeinhin Unabhängigkeit nennt und was für viele Menschen zunächst einmal durchaus ein politischer Wert an sich ist.

 

Die Bild (1. Mai): „Kosten für EU-Pensionen 61 Prozent rauf!“

Die Welt (3, Mai): „3000 Euro pro Monat: Kritik an Zusatzpensionen für hunderte EU-Politiker.“

Hier übrigens mal wieder Schlagzeilen, die das im vorherigen Kommentar Geschriebene nur weiter plausibel machen. Ansonsten kennt man solche Exzesse eher vom deutschen Staatsfunk.

 

Berliner Zeitung (2, Mai): „Das ist unser Wind“: Norweger wollen ihren Strom nicht mit Deutschland teilen.“

Kleiner Reminder für alle, die das nicht mehr präsent haben (wollen): Staaten haben Interessen, keine Freunde.

Bei Deutschland kann man allerdings zuweilen den Eindruck haben, dass es an beidem mangelt.

 

Reporter Luxemburg (1. Mai): „Cum-Ex-Skandal: Brite in Belgien zu Haftstrafe verurteilt.“

Wie bitte? Hat der Brite denn die belgischen Richter nicht darauf hingewiesen, dass es sich bei der ganzen Cum/Ex-Problematik um eine rechtliche Grauzone handelt? Genau so steht es doch in deutschen Zeitungen!

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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