Die europäische Aufsichtsbehörde EIOPA hat gestern den Auswertungsbericht zum ersten europaweiten Stresstest für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung veröffentlicht. LEITERbAV dokumentiert die Ergebnisse und erste Reaktionen.
Dieser erste Stresstest der EIOPA für EbAV, der mit einer Marktabdeckung von mindestens der Hälfte des jeweiligen nationalen EbAV-Sektors operierte, betraf Leistungs- wie Beitragszusagen und erfasste 140 DB/hybrid-EbAV und 64 DC-EbAV in 17 EWR-Staaten, deren EbAV-Sektoren mehr als 500 Millionen Euro an Assets aufweisen.
Zu den EbAV im Sinne des Tests zählen in Deutschland Pensionskassen und Pensionsfonds. Die Marktabdeckung betrug hier 57 Prozent (DC wurde in Deutschland, wo das BetrAVG keine reinen Beitragszusagen zulässt, nicht erfasst). Mit dem Test sollte die Widerstandsfähigkeit des europäischen EbAV-Sektors gegen mögliche negative Entwicklungen am Kapitalmarkt und gegen eine steigende Lebenserwartung untersucht werden.
Der Test für Leistungszusagen wurde sowohl auf Grundlage der jeweiligen nationalen Rechnungslegungs- und Aufsichtsstandards als auch auf der einheitlicher europäischer Rechnungslegungsstandards der EIOPA durchgeführt, das heißt mit mark-to-market-Bewertung und risikolosen Zinssätzen für die technischen Rückstellungen („Market consistent valuation, in particular for liabilities uses realistic assumptions and market risk-free rate for discounting“).
Gemäß der Idee vom Holistischen Bilanzansatz wurden Sicherheitsmechanismen in die Bewertung einbezogen, in Deutschland vor allem die Nachschusspflichten des Arbeitgebers respektive Trägerunternehmens sowie die Existenz des PSV.
Knackige Technik
Die Stress-Kriterien waren knackig: Das DB-Szenario „Adverse Market 1“ sah beispielsweise vor
EU property (price downward shock): -55 Prozent.
EU stock prices (price downward shock): -45 Prozent.
EU government bonds (spread widening): 120 bps.
Corporate bonds (spread widening): 120 bps.
Euro-dollar exchange rate: +20 Prozent.
Nach diesem Szenario fehlen den gestressten IORPs unter nationaler Rechnungslegung 373 Milliarden Euro, unter EIOPA-Kriterien sind es deren 755 (im Pre-Stresstestszenario schon 428 Milliarden). Allerdings relativiert die Behörde die Ergebnisse höchstselbst gleich in dreierlei Hinsicht:
– „Liabilities have a very long-term nature.“
– „Regulatory regimes usually include substantial recovery periods.“
– „Future gaps can usually be covered by sponsor’s contributions and/or benefit adjustment mechanisms.“
Eben diese Szenarien waren – unter anderem – schon im Vorfeld in die Kritik geraten, so äußerte beispielsweise Stefan Nellshen, Chef der Pensionskassen des Bayer-Konzern nicht nur grundsätzliche Skepsis an Sinn und Zweck des Tests an sich, sondern konkret auch angesichts der angenommen Rückgänge bei den Immobilienpreisen.
Für die getesteten deutschen EbAV liegen die Überdeckungen nach nationalen Vorschriften ungestresst bei rund 5 Prozent, Funding Ratio also 105 Prozent (sonst hätten wir auch eine eingreifende BaFin. Nach EIOPA-Rechnungslegung ergibt sich eine Unterdeckung von 15 Prozent). In den Niederlanden liegt der Wert der Funding Ratio nach nationaler Rechnungslegung übrigens bei 78 Prozent, in Großbritannien bei 85.
Das Fazit des Initiators
Die EIOPA selbst fasst zieht aus den Ergebnissen folgende Schlüsse:
– „A prolonged period of low interest rates will pose significant future challenges to the resilience of defined benefit IORPs.“
– „IORPs are relatively more resilient to an increase in longevity than to market adverse scenarios.“
– „Absorption of these shocks depends heavily on the time element for realising liabilities and the mitigation and recovery mechanisms in place in each country.“
– „The results of the severe stress scenarios applied reveal a number of risks and vulnerabilities that deserve proper attention from IORPs and supervisors.“
BaFin: Herausforderung Niedrigzinsphase
Die BaFin hat die Ergebnisse bereits gestern nachmittag kommentiert. Laut Anstalt bestätigten die Ergebnisse, dass eine andauernde Niedrigzinsphase für den deutschen EbAV-Sektor eine große Herausforderung bliebe. Dies gelte erst recht für die Szenarien der negativen Entwicklung der Kapitalmärkte und der steigenden Lebenserwartung der Leistungsbezieher, die im Stresstest simuliert wurden. Damit kämen laut BaFin Nachschusspflichten ins Spiel:
„Es ist davon auszugehen, dass es in diesen Fällen zusätzlicher Zahlungen der Arbeitgeber bedürfte, um die Leistungen zu erbringen, die sie oder die EbAV den Versorgungsberechtigten versprochen haben.“
Bei Pensionsfonds ist die Möglichkeit zusätzlicher Zahlungen von Arbeitgebern in der Regel von vornherein in den Pensionsplänen vorgesehen, da der Pensionsfonds normalerweise nicht selbst eine Garantie gibt, sondern ausschließlich der Arbeitgeber, wie die BaFin die Unterschiede zu Pensionskassen erläutert. Bei Pensionskassen greift dagegen meist die im Betriebsrentengesetz verankerte Subsidiärhaftung des Arbeitgebers für die zugesagten Leistungen. Legislativ vorgesorgt ist dabei: Um Sonderzahlungen des Arbeitgebers an die Pensionskasse zu erleichtern, hat der Gesetzgeber bereits das Einkommensteuergesetz geändert. Sonderzahlungen führen nun nicht mehr zu einer Besteuerung des Versorgungsberechtigten, betont die Anstalt.
Im Übrigen hätten deutsche Pensionskassen in den vergangenen Jahren in Reaktion auf die niedrigen Zinsen bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, so die BaFin. Das gelte insbesondere für verstärkte Deckungsrückstellungen. Doch sei dieser Anpassungsprozess, den die Anstalt eng begleiten will, ist in den nächsten Jahren fortzusetzen. Das alles sorgt offenbar für Entspannung, zumindest resümiert Frank Grund, der neue Exekutivdirektor der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht,
„dass die Anpassungsmaßnahmen der Unternehmen – gegebenenfalls verbunden mit zusätzlichen Zahlungen der Arbeitgeber – in aller Regel sicherstellen werden, dass die den Versorgungsberechtigten versprochenen Leistungen erfüllt werden können“.
Vorsicht: only a small portion!
Ebenfalls umgehend äußerte sich der europäische Pensionsverband. Dabei rät man aus Brüssel zur Zurückhaltung:
„PensionsEurope advises to be very cautious with the interpretation of EIOPA’s IORP stress test results. […] As this test covers only a small portion of the total number of IORPs PensionsEurope concludes that the results do not necessarily give the correct picture of the European IORPs’ ability to cope with stress scenarios.“
Der Niederländer Janwillem Bouma, der frischgebackene Chair of PensionsEurope, ließ sich ebenfalls mahnend vernehmen, auch mit Blick auf den HBS:
„One has to be very careful not to draw too far reaching conclusions from these results. I also have serious doubts about a Holistic Balance Sheet model or other common European methodologies used by EIOPA. The results based on existing prudential frameworks in each member state are in many ways different than those based on the European methodology and I am not convinced that a European framework as envisaged by EIOPA is suitable or useful.”
Sein CEO, der Finne Matti Leppälä, sieht eine mangelhafte Aussagekraft der Ergebnisse:
„The results can be read in many different ways since there is no common interpretation of what certain result figures would really mean in practice. A misinterpretation of these numbers can lead to wrong conclusions and negative consequences for IORPs and their stakeholders, such as members and sponsoring companies.”
Dramatisch. Düster. Finster.
Geradezu alarmistisch äußert sich der Grüne Sven Giegold, MdEP und dort Mitglied des ECON.
„Die nun veröffentlichten Ergebnisse zeichnen ein düsteres Bild. Die bAV-Systeme mit garantierten Pensionszusagen leiden unter dramatischer Unterdeckung. Die Rückstellungen der Unternehmen reichen bei weitem nicht aus, um die Pensionen zu finanzieren. Besonders in Großbritannien und den Niederlanden aber auch in Deutschland und Irland müssten dann die Unternehmen einspringen. Ganz finster wird es, wenn die Zinsen weiter niedrig bleiben.“
Die EIOPA habe nun die schlimmsten Befürchtungen mit Zahlen bestätigt. In den Kassen der bAV-Systeme fehlten bei einem Stressszenario 773 Milliarden Euro an Rückstellungen, und selbst wenn sich das Zins- und Vermögenspreisniveau stabilisieren sollte, 428 Milliarden Euro, so der Sprecher der Grünen im Econ in einer Mitteilung. In Deutschland fehlten bei 57prozentiger Markterfassung entsprechend mindestens 15 Milliarden Euro, nach dem härteren Stressszenario sogar 33 Milliarden Euro, so Giegold weiter. Der Grüne bezieht sich hier allerdings auf die Rechnungslegung nach EIOPA, nicht nach nationalen Vorschriften. Grämen tut ihn das nicht:
„Die nationalen Buchhaltungsvorschriften verdecken die Deckungslücke in den Bilanzen vieler Unternehmen.“
Die Lage der bAV sei übrigens noch dramatischer als der Stresstest zeige. Denn ein realistisches Szenario mit langfristig niedrigen Zinsen und längeren Lebenserwartungen sei gar nicht erst gerechnet worden. Zudem wäre laut Giegold die Unterdeckung schon im Basisszenario viel höher ausgefallen, wenn mit realistischen Zinssätzen auch gerechnet worden wäre. Nach wie vor gehe die EIOPA im Referenzszenario von risikofreien Zinssätzen von 4,2% bei langen Laufzeiten aus („ultimate forward rate“).