Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Theater, Theater, der Vorhang fällt

Unregelmäßig freitags bringt PENSIONSINDUSTRIES eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Wie jetzt Bankenkrise? Und: Reichtum ist nichts für Kleingeister, CDU allein zu Haus, Hamburg knackt die zwei Millionen, die AKP wagt den großen Wurf, Chinas verlorene Jahre, wem Signa viel Geld schuldet, Deutschlands Fast-Billionen-Segen – und wenn die Spannung da ist, so lasst sie uns genießen.

cryptonews (31. Januar): „Crypto Bank Savior New York Community Bancorp Sees 40% Drop in Shares.“

FT (1. Februar): „US office building losses hit Japanese lender Aozora.“

Wohl niemand auf dem Parkett hat so energisch und gebetsmühlenartig wie Kassandra behauptet, dass Staatshaushalte, Real- und Fiskalwirtschaft von der Dekade des billigen Geldes viel zu drogenabhängig seien, als dass die Notenbanken, namentlich die EZB, die Möglichkeit hätten, aus dieser Politik ohne weiteres wieder auszusteigen. Das galt umso mehr, als auch noch der Krieg gegen die Ukraine ausbrach, deren Aufbau ja auch eines Tages wieder bezahlt werden muss – von wem, wenn nicht der Notenpresse?

Es kam bekanntlich anders: Die Notenbanken unter der Führung der Fed rissen das Ruder schnell und hart rum, ohne Rücksicht auf Verluste. Und eben diese Verluste blieben nicht aus, aber hielten sich in tragbaren Grenzen.

Erster Unsicherheitsfaktor: die Banken, die (anders als EbAV) unter Stornorisiko gepaart mit Fristentransformation leiden. Einige Einschläge, darunter fast unbemerkte, gab es, doch konnten die Systeme diese einigermaßen störungsfrei auffangen.

Gleichwohl soll man den Tag nicht vor dem Abend loben, und zwei aktuelle Friktionen im westlichen Bankwesen – New York Community Bancorp und Aozora Bank – sollen hier dokumentiert werden; erst recht, da die Fälle (deren Namen man nichtmal kannte) in der deutschen Presse kaum Niederschlag gefunden haben. Eine wesentliche Ursache der Probleme offenbar: Gewerbeimmobilien.

Jedenfalls bleibt weiter zu hoffen, dass Fed und EZB ihr viel zu hohes Tempo nicht noch um die Ohren fliegt. Denn nichts wäre schlimmer, als dass beide unfreiwillig im schnellen Krisenmodus in den Minizins zurückfallen müssten. Jo-Jo ist in der Geldpolitik keine stabile Option.

Bild (28. Januar): „Immobilien-Beben in China! Evergrande wird aufgelöst – Konzern hat rund 300 Milliarden Schulden.“

China von außen zu bewerten, ist wohl etwas nur für Fachleute. Dass es aber dort in den letzten 10-20 Jahren viel Spekulation, besonders mit Immobilien, gegeben hat, sieht auch der Laie. Angesichts der gigantischen Ausmaße des Landes und seiner Märkte fragt man sich daher schon, wie es dort weitergehen soll, wenn im Westen die schnell gestiegenen Zinsen nun auf höherem Niveau verharren?

Entweder China geht die Entwicklung mit – mit allen Folgen für seine spekulationgetriebenen Märkte. Oder es hält eben diese Märkte weiter mit billigen Geld am laufen – dann fließt Kapital in den Westen ab.

Keiner weiß. Aber was man weiß, ist, dass die chinesischen Dimensionen gigantisch sind. Zum Vergleich: Evergrande fast 300 Mrd. Euro Schulden. In Europa Signa rund 5 Mrd. Euro.

Nun, 5 Mrd. sind 5 Mrd., immerhin. Interessant daher die Liste mit den Gläubigern der Signa in der „Bild“. Durchblättern lohnt. Die gute Nachricht: offenbar keine ausgewiesene EbAV dabei. Neben vielen Banken (was an die erste Meldung in dieser Presseschau erinnert) ist die Assekuranz am Start, teils mit veritablen Summen:

Erwähnt seien: die Allianz mit 300, die Münchner Rück mit 700, R+V mit 386 und die Signal Iduna (jüngst erst von der Bafin mit einem Kapitalaufschlag freundlich bedacht worden) mit satten 912. Alle Angaben übrigens in Millionen Euro.

Allerdings: Verbindlichkeiten dort zu haben, heißt noch lange nicht Totalausfall. Die Entwicklung bleibt abzuwarten.

Die Welt (30. Januar): „Verlorene Jahrzehnte für China? Was die Evergrande-Pleite so riskant macht.“

Hier in der „Welt“ noch mehr Details zu dem Evergrande-Problem, ergänzt mit einem bemerkenswerten und wenig optimistischen Blick auf das Große und Ganze in China – übrigens das Land, von dem manche Auguren glauben, dass es das Zeug habe, eine neue Weltleitwährung zu etablieren.

Kassandra hält das seit jeher für eine Chimäre. Und viel interessanter wird die Frage werden, ob ein sozialistisch-autoritäres System wie die Volksrepublik China, das nun möglicherweise mit voller Wucht mit den Erschütterungen konfrontiert wird, die der Kapitalismus neben all seinen Segnungen nun mal auch mit sich bringt, dort die Flucht sucht, wo schon manch Regime die Flucht aus hausgemachten Problemen gesucht hat: im Krieg.

Ihre Vorsorge (18. Januar): „45 Milliarden Euro: Neue Rekordreserve in den Rentenkassen.“

Diejenigen, die regelmäßig diese Presseschau verfolgen, wissen, welche klitzekleine Angabe wie so oft bei dem Thema auch in diesem Artikel fehlt – insb. an der Stelle, wo es um die Mittelherkunft der gRV geht: die über 100 Mrd. Euro Steuerzuschuss p.a., die das umlagefinanzierte System auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft seiner stärksten und gleichzeitig ältesten Alterskohorte benötigt, nur um nicht heute schon auf der Stelle zusammenzubrechen.

Eben diese Kohorte wird in 10 bis 20 Jahren im Ruhestand sein. Und wie immer nie vergessen: Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung. Das hier sind die guten Jahre.

NRD (31. Januar): „Statistikamt: Hamburg hat 2030 zwei Millionen Einwohner.“

Wenn hier auf PI oft die Rede von den 90 Mio. Einwohnern ist, die dieses Land 2030 laut Kassandrischer und später auch Scholzenscher Schätzung beherbergen wird, dann schlägt sich das natürlich auch in den Städten nieder.

Hier vermeldet Hamburg, bald endlich die 2-Mio.-Marke zu knacken. Um den hier üblichen Blick des Pensions-Investors einzunehmen: Man muss wohl kein lokaler Immobilienmakler sein, um sich vorstellen zu können, was sich auf dem Hamburger Wohnungsmarkt tagtäglich abspielen dürfte (der hohen Zinsen zum Trotz). Und bei allen Formen der Infrastruktur – vom Verkehr über Schulen, Gesundheitswesen, Sicherheit, Freizeit bis hin zu Friedhöfen – dürften die Herausforderungen ebenso steil ansteigen wie die Nachfrage.

Erst im Oktober vergangenen Jahres hatte Hamburg vermeldet, bei der Wohnraum-Bereitstellung schon auf Wigwams ausweichen zu müssen und außerdem verstärkt Gewerbeimmobilien anmieten zu wollen (wohl eher: müssen). Das wurde hier als Bestätigung angeführt für die schon nicht mehr ganz junge Kassandra-These, dass Pensions-Investoren in ihren Immobilien-Portfolios erstens die Umwidmung von Gewerbe in Wohnen in ihre Überlegungen einbeziehen und sich zweitens auf den Staat als Nachfrager konzentrieren sollten – ein Akteur, bei dem die Handlungszwänge ebenso hoch wie seine Taschen tief sind.

FAZ (31. Januar): „Norwegischer Pensionsfonds mit Rekordgewinnen im Jahr 2023.“

So, nun endlich raus aus der Tristesse und wieder in den stets hellen Norden: Die gute Performance des norwegischen Pensionsfonds kommt nicht überraschend, sondern hatte sich im Sommer schon angekündigt.

Doch erneut sei in den Februar vor einem Jahr zurückgeblickt. Damals hieß es in dieser Presseschau:

Alle paar Jahre nach schlechten Börsenphasen das gleiche Spiel: Die Medien vermelden die horrenden Verluste des norwegischen Pensionsfonds. Diesmal für 2022 ein Minus von 1,64 Bio NOK = 152 Mrd. Euro (wohl ca. 15%).“

Doch Kassandras Hinweis:

Der Fonds kauft weiterhin mit großen Summen weltweit ein. Wenn er nun 2022 also satte Verluste von rund 15% gemacht hat, dann sind die relativ günstigen Einstiegskurse von heute die Gewinne von morgen, vielleicht übermorgen oder wann auch immer.“

Und genauso ist es nun gekommen: Einen 23er Gewinn von 2.222 Mrd. norwegischen Kronen, entsprechend ca. 197 Mrd. Euro (ca. 16%), weiss die FAZ zu berichten.

Rechne man das auf die 85. Mio. Einwohner des sich nur noch um sich selbst drehenden (besser taumelnden) Deutschlands um: Hätte sich die Bundesrepublik jemals so aufgestellt wie Norwegen (über Jahrzehnte wäre das für ein Deutschland in seinen prosperierenden Zeiten wirklich ein leichtes gewesen), so entspräche des einem deutschen Gewinn von 3.350 Mrd. Euro, entsprechend 3,35 Bio. Euro.

Alles eine Frage Governance. Und des Blickes auf die Welt. Mit dem der IG Metall wird man da niemals hinkommen. Und das ist vermutlich auch gut so. Reichtum ist nichts für Kleingeister.

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

Jetzt ans Eingemachte: Wie hier erläutert, dominiert die Politik weiter die deutschen Schlagzeilen mehr als alles andere. Kaum noch nichtpolitische Themen schaffen es auf die ersten Seiten. In der Innenpolitik drehen sich die Auseinandersetzungen faktisch nur noch um einen Akteur: AfD.

Eigentlich ist das kein Wunder, nimmt die Rechtsaußen-Partei doch in praktisch allen wichtigen Politikfeldern die diametrale Gegenposition zu den anderen Parteien (mit punktuellen Ausnahmen zur Union) ein: in der Industrie- und Arbeitsmarktpolitik, der Euro-, EU- und Außenpolitik, der Ukraine-Frage, der Haushaltspolitik und v.a. in der Migrationspolitik – und letztere spaltet das Land ohnehin wie nichts anderes.

Was aber in der medialen Öffentlichkeit meist viel zu kurz kommt, ist die Analyse der wahl- und parteitaktischen und -strategischen Implikationen dieser sehr schnellen Entwicklungen. Das erfolgt zum Ausgleich dafür regelmäßig hier in dieser Presseschau, und so auch heute wieder – trotz immanenter bAV-Berührung heute wieder unter OFF TOPIC:

ZDF (1. Februar): „Grundrechtsentzug gefordert – 1,67 Millionen Unterschriften gegen Höcke.“

An dieser Stelle hat es in der letzten Presseschau geheißen, dass die Auseinandersetzungen in der Gesellschaft an Schärfe zunehmen – und offenkundiger als in den letzten Wochen kann das ja kaum geschehen; man achte nur auf die politische Sprache, die teilweise schon das Gossen-Niveau unterschritten hat.

Die jüngsten, äußerst gut besuchten Demonstrationen gegen Rechts und die satten 1,7 Mio. Unterschriften unter die o.a. Petition gegen Höcke zeigen dabei, dass sich neben der Mitte v.a. das linke Lager (das – wichtig! – traditionell auch über eine hohe Nichtwähler-Reserve verfügt) erheblich mobilisiert. Sollte diese Mobilisierung kein Strohfeuer bleiben, dann wird sie auch an der Wahlurne Folgen haben, denn:

Je stärker die AfD, desto mehr wird auch links zur Wahl gegangen“, hieß es hier vor drei Wochen, und genau auf diesem Weg sind wir. Wirklich überraschend ist auch das nicht, denn dies ist ein Verhalten der Wähler auf der politischen Linken, das man auch schon in den USA und Frankreich beobachten konnte.

Natürlich nimmt auch das bürgerliche Lager an diesen Anti-AfD-Manifestationen teil, doch wer hofft, dass sich auch bei diesem nun die Mobilisierung an der Wahlurne entsprechend auswirke, der irrt. Dieser Protest ist  eine Angelegenheit der Mitte, klar mehrheitlich aber des Lagers links der Mitte, da dieses stets auf ein Erstarken der äußeren Rechten viel heftiger reagiert als die Bürgerlichen; und außerdem verfügt das bürgerliche Lager längst nicht über so ein üppiges Nichtwähler-Reservepotenzial wie die Linke. Bei dieser werden bisherige Nichtwähler zur Wahl gehen, eben um explizit gegen die AfD zu wählen. Die bürgerliche Mitte – wo die Wahlbeteiligung ohnehin meist gut ist – hat diese Reserve nicht.

Was bedeutet nun diese Mobilisierung und Dynamisierung vornehmlich des linken Lagers? Zunächst einmal offenkundig, dass der Höhenflug der AfD und der Niedergang der politischen Linken erstmal gestoppt ist; ob dauerhaft und ob auch im Osten, wird man sehen.

Jedenfalls kann man mit einer gewissen Berechtigung schätzen, dass in Deutschland (ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, v.a. Schweden, die Niederlande, Frankreich und Spanien) das stramm rechte bis harte rechtsaußen Potenzial in der Wählerschaft 30% nur schwerlich überschreiten sollte, und auch diese Marke nur in außergewöhnlichen Zeiten erreichen kann (diese allerdings haben wir, und da hat die Ampel offenkundig ihren erheblichen Anteil dran.)

Außerdem wird diese Mobilisierung des linken Nichtwähler-Potentials im Zuge der schärferen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen für zwei Parteien katastrophale Folgen haben, die ohnehin stets hart an der 5%-Grenze taumeln, daher keinerlei strategische Tiefe haben und schnell bei den Wählern Misstrauen erzeugen, ob sie es überhaupt in den Bundestag schaffen – was eine selbstverstärkende Abwärtsdynamik schafft. Und die wie erläutert zu allem Überdruss von der höheren Wahlbeteiligung nur unterproportional profitieren: Klar, die Rede ist von FDP und CSU.

Übrigens: Für beide, besonders natürlich für die CSU, verschärft sich das Problem noch erheblich, sollten auch die Freien Wähler in Bayern für die BTW antreten. Für den Fall dürfte die CSU im Bund genauso tot sein wie die FDP.

Also gilt für den neuen Bundestag aller Wahrscheinlichkeit nach: FDP tot, CSU am neuen Wahlrecht gescheitert, CDU mutterseelenalein eingeklemmt zwischen der starken AfD rechts und SPD/Grüne/BSW links, denen man ständig Konzessionen machen muss, um die AfD im Zaum zu halten.

Dieses Herumkrebsen an bzw. unterhalb der 5%-Hürde macht es übrigens für Söder nicht einfacher, eine etwaige Kanzlerkandidatur durchzusetzen – politisch zumindest (rechtlich wäre das kein Problem, denn der Kanzler muss nicht MdB sein. Einziges Beispiel bisher: Kurt Georg Kiesinger, der als MP von Baden Württemberg ins Kanzleramt wechselte).

MDR (25. Januar): „Sachsentrend: AfD stärkste Kraft – Wagenknecht-Partei verdrängt Linke.“

Bezüglich der Liberalen – die offenkundig fest entschlossen sind, den Kelch bis zur Neige zu leeren – sei noch auf diese Umfrage aus Sachsen hier hingewiesen: Die FDP taucht hier in der Ergebnisliste bereits bereits gar nicht mehr auf. Mögliche Ursache: Dem Layouter ist die Farbe gelb ausgegangen. Oder aber, und das ist wohl wahrscheinlicher, die Autoren haben sie schon längst abgeschrieben.

Die BSW kommt in dieser Umfrage übrigens auf 8%. Am Rande sei wiederholt, dass Kassandra ein Antreten des BSW für die drei Wahlen im Osten ausschließt:

Erstens fehlen ihr die Strukturen in der Fläche, zweitens gibt es im Europaparlament die lukrativeren Mandate zu holen als im deutschen Osten. Und drittens siehe man auf die Umfrage: Auch Grüne und SPD könnten leicht scheitern. Und dann? Soll denn die BSW gleich mal den Steigbügelhalter der CDU spielen, nur um einen AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern? Den Druck, der hier auf Wagenknecht entstünde, wird sie zu vermeiden wissen – indem das BSW gar nicht erst antritt. Ergo stelle man sich darauf ein: Möglicherweise werden im sächsischen Landtag am Ende nur zwei Fraktionen Platz nehmen – CDU und AfD.

Also auch hier: CDU allein zu haus.

Am Rande: Was man an der FDP vermissen wird, ist die wohltuend kultivierte Intellektualität und die Weltläufigkeit ihrer Protagonisten. Ein Beispiel ist der neuliche Auftritt Lindners auf dem WEF: Bestes Englisch, geschliffene Rhetorik, fast muttersprachliches Niveau, die Ergriffenheit der Gesprächspartner, die an seinen Lippen hängen, mit Händen zu greifen … wenn Sie sich hier an den legendären Günther Öttinger erinnert fühlen, dann sind Sie nicht der einzige…

Merkur (31. Januar): „Erdogan legt SPD und Grüne rein: Erst Doppelpass, dann neue Partei.“

Das einzige, was Kassandra an dieser Meldung überrascht, ist, dass diese AKP-nahe Parteigründung in Deutschland namens DAVA erst so spät erfolgt. Seit 20 Jahren ist damit zu rechnen, und seit 20 Jahren wundert sich Kassandra, warum es nicht passiert. Auch auf dieser Plattform hat Kassandra diese Frage schon vor fast sieben Jahren gestellt. Der nicht mehr ganz junge Erdogan hat hier viele wertvolle Jahre verloren. Wie dem auch sei, nun ist es also offenbar soweit.

Wie damals sei betont: Smart wäre es für Erdogan und Co., für die Partei in Deutschland darauf zu drängen, dass sie von der 5%-Hürde befreit werde – analog bspw. zum SSW in Schleswig-Holstein. Ob das gelingen kann, ist unklar, aber aus seiner Sicht sollte es ein Versuch wert sein.

Ebenfalls smart wäre eine schelle europäische Ausdehnung in andere westeuropäische Länder … Schweden, Frankreich, Niederlande, Belgien, Österreich … gerade auch mit Blick auf die Europa-Wahl im Juni. Die Zahl der klaren AKP-Anhänger in der EU dürfte in die zig Millionen gehen; und auch die vielen Millionen nicht-AKP-affinen türkischstämmigen EU-Bürger (sowie auch die nicht-türkischstämmigen, die aber islamischen Glaubens oder aber zumindest orientalischer Herkunft sind) könnten der Partei ihre Stimme geben, wenn sie es attraktiv finden, dass die türkisch-islamisch-orientalische Welt eine starke politisch-parlamentarische Stimme in der EU und in vielen Landes- und Lokalparlamenten in mehreren westeuropäischen Staaten bekommt.

Fünf bis zehn Prozent sollten in den allermeisten westeuropäischen Parlamenten – von den Hauptstädten bis zur Gemeinde – leicht möglich sein. Damit würde die AKP zu einem relevanten politischen Akteur in West-Europa. Das dürfte die europäische Landschaft, namentlich die ohnehin in starke Bewegung geratene deutsche Parteienlandschaft, in zusätzlich Unruhe versetzen. Und die ohnehin schon einsame Union muss ihre Brandmauern langsam durchnummerieren, AfD, Werteunion, DAVA, Linkspartei … man droht, den Überblick zu verlieren.

Übrigens: Auch diese Neugründung wäre eigentlich für FDP und Union ein weiterer Grund, jetzt energisch Neuwahlen herbeizuführen, denn auch diese Partei – so sie denn überhaupt gegründet wird – wäre dann noch nicht einsatzbereit.

Und wie ist das ganze politisch zu bewerten? Nun, auf dieser Plattform werden parteipolitische Gemengelagen zwar gern taktisch und strategisch analysiert, eine jede parteipolitische Positionierung jedoch explizit vermieden. Das soll auch hier gelten. Gleichwohl: Ob eine solche von der türkischen AKP maßgeblich beeinflusste Partei das ist, was die von Multi-Problemen schwer pressierte Bundesrepublik Deutschland (und auch diese EU) im 21. Jahrhundert so braucht, das darf man wohl – selbst bei aller Neutralität – ernsthaft bezweifeln. Jedoch: Zig Millionen Menschen ein Europa dürften das anders sehen.

Wie dem auch sei, irgendwie passt es ja auch in die Zeiten – in die Zeiten, in denen in diesem Deutschland ständig neue Parteien gegründet werden; übrigens auch ein untrügliches Krisenanzeichen (falls jemand diese zur Erkenntnis überhaupt noch benötigt). Positiv: Der Unterhaltungswert des deutschen politischen Theaters steigt weiter. Nur dass man zuweilen den Eindruck hat, das der Vorhang nicht aufgeht, sondern eher fällt.

Und zum Schluss sei auch hier darauf verwiesen: Auch eine solche Partei, die vor allen Dingen türkisch-orientalische Wähler und damit also v.a. bisherige Nichtwähler anspricht, wird die Wahlbeteiligungen in Deutschland nach oben treiben. Und die Leserschaft hier weiss es längt nur zu gut, was das heißt: Das ist ein weiterer bundespolitischer Sargnagel für die Parteien, die mangels strategischer Tiefe an der 5%-Hürde zu scheitern drohen, also FDP (überall) und CSU (im Bunde). Für beide ist die Neugründung des AKP-Ablegers eine doppelte Hiobsbotschaft.

Tagesschau (30. Januar): „Werteunion: Maaßen will nicht in Thüringen kandidieren.“

So, so. Über die Gründe schweigt sich Maaßen offenbar aus. Man sollte ja nichts unterstellen. Aber es würde nicht wundern, wenn für die Protagonisten der neuen Rechtspartei das gilt, was auch für die Protagonisten der neuen Linkspartei BSW gilt: Ein Mandat im Europaparlament ist einfach viel attraktiver als die ostdeutsche Provinz. Vor allen Dingen finanziell.

Aber abwarten. Bald wissen wir mehr.

Gibt es zu deutschen Politik denn wirklich gar nichts Erfreuliches zu vermelden? Doch! Denn wenn an der ganzen Entwicklung überhaupt irgendetwas Gutes ist, dann, dass dieses Polit-Theater täglich unterhaltsamer und spannender wird. Gut, auf diese Art der Spannung würden wir alle sicher gern verzichten. Aber wenn sie nun mal da ist, so lasst sie uns genießen.

Die Welt (31. Januar): „Frankreichs Premierminister stellt Bauern Ausnahmen von EU-Regeln in Aussicht.“

Nu raus aus Deutschland und ein Blick zu den westlichen Nachbarn: Und da bekommt der neue französische Premierminister von der „Welt“ gleich mal viel Lob: „Politisches Wunderkind“, „Chuzpe“, „rhetorisch brillant“ …

Abwarten. Zunächst einmal hat er wohl nur das vorgelesen, was sein Präsident von ihm hören wollte. Und wer die V. Republik kennt, der weiß, dass Premierminister regelmäßig nicht viel mehr sind als nur Lakaien des allmächtigen Präsidenten, des unumstrittenen Chef de l’Etat. Der smarte Gabriel Attal wäre jedenfalls nicht der erste französische Premierminister, der als Tiger springt und als Bettvorleger landet.

Jedoch noch ein paar Kommentare zu seinen Plänen:

1.: Wenn er den französischen Bauern wirklich Zugeständnisse macht, wird das die Proteste der deutschen Kollegen aufs Neue befeuern?

2.: Pflichtdienst für alle: natürlich volle Zustimmung, auch für Deutschland. Aber: Dies sollte Männer und Frauen gleichermaßen erfassen, Deutsche und Zuwanderer ebenfalls gleichermaßen (und die Ableistung unabdingbare Voraussetzung für den Erwerb nicht nur der Staatsbürgerschaft, sondern für jeden Aufenthalt schlechthin sein – und gleich der Auftakt eines jeden Aufenthalts überhaupt sein). Doch genau das dürfte in Deutschland niemals realisierbar sein. Ob der verkrustete französische Staat dies wird zustande bringen, wird jedenfalls spannend zu beobachten. Prognose: aussichtslos.

3.: Aktive Sterbehilfe: ein hochkomplexes Thema, dass lange nicht so einfach ist, wie es in vielen Diskussionen leider passiert und das meist viel zu schnell als eindeutig positiv gehandelt wird. Wie dem auch sei, Kassandra hatte schon hier wertfrei geäußert, dass angesichts der demographischen Entwicklung ein Trend zur Liberalisierung des Freitodes in den westlichen Staaten nicht überraschen würde. Nun also kündigt Frankreich Schritte an.

Übrigens werden bei dem Thema in einigen Jahren am Ende auch KI-gestütze Pflegeroboter ein terminales Wörtchen mitzureden haben – werden sie doch am Ende die sein, welche erheblichen Einfluss auf den Patienten haben. Und sie werden es sein, welche die Sterbebegleitungen der Einsamen übernehmen. Dazu in Kürze mehr in einer PI-Presseschau.

n-tv (24. Januar): „Boeing-Flieger verliert kurz vor Start ein Rad.“

Was soll man dazu noch sagen? Wenn es nicht so gefährlich wäre, und wenn nicht wegen des Miss Managements bei Boeing schon mehrere Hundert Menschen gestorben wären, könnte man ja darüber lachen.

So bleibt nur als kleiner Trost festzuhalten: Die alte Regel – dass wenn einmal der Wurm drin ist, er dann auch richtig drin ist – nicht nur für uns normal Sterbliche gilt, sondern auch für gestandene Weltkonzerne.

Und möge dieser Wurm nicht noch mehr Menschenleben fordern.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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