Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate hat des Bundesarbeitsgericht mit einer Entscheidung zur Ermittlung betriebsrentenrechtlicher Ansprüche bei Teilzeitarbeit für Aufsehen gesorgt. Der Sachverhalt war außergewöhnlich, die Ableitungen des Gerichts sind naheliegend, die Grenzen der Entscheidung aber – und das mag beunruhigen – möglicherweise unklar. Judith May und Thomas Bader analysieren.
Der Sachverhalt zur Entscheidung vom 23. Februar 2021 (3 AZR 618/19)

Im Rahmen eines „Teilzeitvertrags zur Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall“ wurde mit dem Kläger im Bereich der Catering-Tätigkeiten für Fluggesellschaften ein Einsatzumfang von 40 Stunden pro Monat festgelegt. Gleichzeitig war eine Erhöhungsmöglichkeit im gegenseitigen Einvernehmen vorgesehen.
Die tatsächliche Arbeitszeit des Klägers betrug in den Jahren 2005 bis 2016 dann auch zwischen 116 und 170 Stunden pro Monat und näherte sich damit einer regulären Vollzeitbeschäftigung an.
Auf Basis des einschlägigen Tarifvertrages hatte der Beklagte für den Mitarbeiter auf Abruf lediglich die vertraglich vereinbarte Grundarbeitszeit als rentenfähiges Einkommen anerkannt, während bei regulären Mitarbeitern im Tarifbereich die monatliche Grundvergütung zu berücksichtigen war. Insoweit regelte § 5 Abs. 1 des Tarifvertrages:
§ 5 Rentenfähiges Einkommen
(1) […] Als rentenfähiges Einkommen für einen Jahresrentenbaustein wird die Summe der folgenden im Bemessungszeitraum bezogenen Vergütungen zugrunde gelegt:
a) Im Tarifbereich die monatlichen Grundvergütungen zzgl. des Grundvergütungsanteils des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes, des Zuschlags zum Urlaubsgeld gemäß Vergütungstarifvertrag, des Grundvergütungsanteils der tariflichen Vergütungsfortzahlung nach § 31 Abs. (1) und (2) Manteltarifvertrag Boden, § 7 Tarifvertrag Schutzabkommen.
[…]
c) Für Mitarbeiter auf Abruf bei der LSG gemäß Manteltarifvertrag für Mitarbeiter zur Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall die Vergütung für die vertraglich vereinbarte Grundarbeitszeit (Stundenvolumen) zuzüglich des anteiligen Urlaubs- und Weihnachtsgeldes und des anteiligen Zuschlags zum Urlaubsgeld gemäß Vergütungstarifvertrag für Mitarbeiter auf Abruf bei der LSG.“
Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob dies eine unzulässige Benachteiligung gegenüber solchen Arbeitnehmern darstellt, die auf Basis des Manteltarifvertrages eine feste Arbeitszeit hatten und deren dadurch erzieltes Einkommen als monatliche Grundvergütung rentenfähiges Einkommen bildet.
Entscheidung des Dritten Senats
Nach Auffassung des BAG ist die Tarifnorm nach § 134 BGB teilnichtig, da sie gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt. Auch wenn im Zuge der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Tarifautonomie eine Differenzierung nach Entgeltbestandteilen zulässig sei, sei die Ungleichbehandlung vorliegend nicht mehr gerechtfertigt, die Tarifautonomie insoweit eingeschränkt.
„Das Urteil des BAG überzeugt als Einzelfallentscheidung im Ergebnis. Inwieweit hieraus Ableitungen auf andere Konstellationen vorgenommen werden können ist jedoch offen.“
Zwar könne ein Tarifvertrag zur Altersversorgung vorsehen, dass im Regelfall Überstunden bei der Betriebsrentenberechnung ebenso ausgeblendet werden wie unregelmäßig anfallende Vergütungsbestandteile bzw. Vergütungsbestandteile in wechselnder Höhe. Etwas Anderes gelte aber für verstetigte Mehrarbeit, die regelhaft in erheblichem Umfang anfalle. Es dürfe nicht nur rein formell an den Vertragstyp angeknüpft werden, wenn dies dazu führt, dass nahezu 75% des Einkommens bei der Bemessung der Rentenbezüge unberücksichtigt bleibt.
Dementsprechend sei eine Betriebsrente zu gewähren, bei deren Berechnung die Vergütung für die tatsächlich geleisteten Stunden (begrenzt auf die regelhafte Vollzeit) zugrunde zu legen ist.
Einordnung und Handlungsempfehlung
Das Urteil des BAG überzeugt als Einzelfallentscheidung im Ergebnis. Inwieweit hieraus Ableitungen auf andere Konstellationen vorgenommen werden können ist jedoch offen.
Vereinzelt ist bereits Kritik geäußert worden, wie die sporadisch anfallende Mehrarbeit, die bei der Betriebsrentenberechnung ausgeblendet werden kann, von der „regelhaft anfallenden verstetigten Mehrarbeit“ abzugrenzen sei.
„Zur Abgrenzung von ‚echten‘, für die Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigenden Überstunden und regelmäßiger Arbeitszeit existiert eine umfangreiche Kasuistik.“
Allerdings hat die Abgrenzung von „echten“ Überstunden von einer – über der vertraglich vereinbarten liegenden – regelmäßigen Arbeitszeit die Arbeitsgerichte in der Vergangenheit bereits intensiv beschäftigt, zwar nicht im Zusammenhang mit der bAV, aber im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Diese Rechtsprechung erwähnt auch das BAG in seiner Entscheidung (Rn. 59); es erscheint daher gut möglich, dass das BAG dort auch für die Frage der Berücksichtigung von Überstunden im Rahmen der bAV Anleihen nehmen will.

Für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gilt das modifizierte Entgeltausfallprinzip. Dabei fließen nach § 4 Abs. 1a EFZG Überstunden nicht in die Entgeltfortzahlung ein. Zur Abgrenzung von „echten“, für die Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigenden Überstunden und regelmäßiger Arbeitszeit existiert eine umfangreiche Kasuistik, aus der sich im Kern Folgendes ergibt:
Überstunden werden wegen bestimmter besonderer Umstände zusätzlich geleistet; wenn der Arbeitnehmer ständig über seine individuelle Arbeitszeitdauer hinaus arbeitet, handelt es sich daher nicht um Überstunden. Dabei ist eine ständig über die individuell vereinbarte Arbeitszeitdauer hinaus erbrachte Mindestarbeitsleistung (Arbeitszeitsockel) als regelmäßige Arbeitszeit zu berücksichtigen. Bei einer schwankenden Arbeitszeit ist eine Durchschnittsbetrachtung über einen Zeitraum von in der Regel zwölf Monaten vorzunehmen. Auf Basis dieser Grundsätze dürften sich „echte“ Überstunden auch für Zwecke der bAV von der regelmäßigen Arbeitszeit abgrenzen lassen.
„Spannend bleibt die Frage, ob eine Berücksichtigung von Mehrarbeit im Rahmen der bAV schon ab der ersten über die vertragliche Arbeitszeit hinausgehenden, in Wahrheit der regelmäßigen Arbeitszeit zuzurechnenden und vergüteten Überstunde geboten ist.“
Allerdings ist eine über die vertragliche Arbeitszeit hinaus betrachtete Arbeitsleistung für Zwecke der bAVwohl nur zu berücksichtigen, wenn sie auch zu einer Zahlung von Entgelt führt. Das BAG spricht insoweit von „über die vertragliche Grundarbeitszeit hinausgehenden und entlohnten Arbeitsleistungen“. Dies dürfte eine Berücksichtigung ausschließen, wenn die Überstunden mit dem Grundgehalt abgegolten sind oder in Freizeit ausgeglichen werden.

Spannend bleibt die Frage, ob eine Berücksichtigung von Mehrarbeit im Rahmen der bAV schon ab der ersten über die vertragliche Arbeitszeit hinausgehenden, in Wahrheit der regelmäßigen Arbeitszeit zuzurechnenden und vergüteten Überstunde geboten ist. Das dürfte nicht der Fall sein. Das BAG spricht in seinem Urteil an mehreren Stellen davon, dass Zusatzarbeit „in erheblichem Umfang“ o. ä. nicht unberücksichtigt bleiben dürfe; allerdings findet sich im amtlichen Leitsatz und in den Orientierungssätzen keine solche Einschränkung. Ein gewisser Toleranzbereich dürfte aber jedenfalls bei kollektivrechtlichen Regelungen wegen des Gestaltungsspielraums der Tarif- bzw. Betriebsparteien anzunehmen sein. Der Umfang eines solchen Toleranzbereichs ist ebenso offen wie die Frage, ob er auch für individualrechtliche Versorgungsregelungen anzuerkennen ist, die der AGB-Kontrolle unterliegen.
Angesichts der Aufmerksamkeit, die das Urteil des BAG bereits kurz nach seiner Veröffentlichung erfahren hat, ist zu erwarten, dass die Rechtsprechung bald Gelegenheit erhalten wird, zu den derzeit noch ungeklärten Fragen Stellung zu nehmen. In Branchen, die systematisch mit einem nicht unerheblichen Anfall von Überstunden kalkulieren und operieren kann es dabei angezeigt sein, schon jetzt eine Überprüfung ihrer Bemessungsgrundlagen für die betriebliche Altersversorgung anzustoßen.
Thomas Bader ist Partner bei maat Rechtsanwälte in München.
Dr. Judith May ist Head of Legal & Tax Consulting, Mercer Deutschland GmbH in München.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.
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Erneut Erfurt zu Teilzeit und bAV:
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Aufklärungspflichten in der Entgeltumwandlung:
Fürsorgepflicht und Informationsgefälle …
von Christian Betz-Rehm, 23. Oktober 2020
Kein Freifahrtschein für Eingriffe
von Christian Betz-Rehm, 14. Juli 2020
Von May und anderen Autorinnen und Autoren von Mercer sind zwischenzeitlich auf LEITERbAVerschienen:
Das könnt Ihr doch nicht ernst meinen!
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von Thomas Hagemann, Mannheim, 9. Mai 2017
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Die EIOPA wächst mit ihren Aufgaben
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