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bAV in der Corona-Krise:

Kein Freifahrtschein für Eingriffe

Die Corona-Krise beeinflusst – trotz sukzessiver Lockerungen – nicht nur unser tägliches Leben, sondern in besonderem Maße auch die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Der Lockdown hat viele Unternehmen hart getroffen, massive Umsatzeinbrüche und ein historischer Höchststand an beantragter Kurzarbeit waren und sind die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die bAV hat, erläutert Christian Betz-Rehm.

 

 

Auswirkungen von Kurzarbeit auf Entgeltumwandlung

 

Christian Betz-Rehm, maat RAe.

Eindeutig sind die Folgen bei einer dynamisch an der Gehaltshöhe ausgerichteten Entgeltumwandlung (Umwandlung von x% des monatlichen Bruttogehalts):

 

Hier führt eine Reduzierung des Arbeitsentgelts infolge von Kurzarbeit zu einer unmittelbaren Absenkung (oder bei Kurzarbeit Null zu einem Ausfall) der Entgeltumwandlung.

 

Arbeitgeberzuschüsse, die an eine solche Entgeltumwandlung gekoppelt sind (wie z.B. der gesetzliche Zuschuss gem. § 1a Abs. 1a BetrAVG) reduzieren sich im Regelfall entsprechend. Bei der Vereinbarung eines festen, fortlaufenden Umwandlungsbetrags bleibt die Entgeltumwandlung durch Kurzarbeit demgegenüber zunächst unbeeinflusst. Aus Sicht der Mitarbeiter ist dann aber wesentlich:

 

Reicht das infolge der Kurzarbeit reduzierte Gehalt noch für die Entgeltumwandlung und den laufenden Lebensunterhalt? Hier stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten einer Anpassung der Entgeltumwandlung. Der erst Blick sollte dabei immer den bestehenden vertraglichen Regelungen gelten:

 

 

Arbeitgeber zahlen aber häufig auch einen Zuschuss zum KuG; kann dann zumindest dieser für eine Fortsetzung der Entgeltumwandlung genutzt werden?“

 

 

Sieht die Entgeltumwandlungsvereinbarung selbst Möglichkeiten zur Kündigung/Änderung vor? Aber auch wenn dies nicht der Fall ist, wird man unter dem Gesichtspunkt einer Änderung/Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) regelmäßig von einem Recht der Arbeitnehmer auf Anpassung der Entgeltumwandlung an die aktuelle Situation ausgehen können.

 

Unzweifelhaft ist, dass das Kurzarbeitergeld (KuG) als solches für eine Entgeltumwandlung nicht genutzt werden kann, da es sich nicht um Entgelt, sondern um eine staatliche Lohnersatzleistung handelt. Arbeitgeber zahlen aber häufig auch einen Zuschuss zum KuG; kann dann zumindest dieser für eine Fortsetzung der Entgeltumwandlung genutzt werden?

 

Diese Frage ist nicht unstrittig, richtigerweise aber zu bejahen. Ein Zuschuss des Arbeitgebers zum KuG ist arbeits-/betriebsrentenrechtlich Entgelt und kann als solches für eine Entgeltumwandlung verwendet werden.

 

Hinsichtlich der Verbeitragung in der gesetzlichen Sozialversicherung ist ein solcher Zuschuss zum KuG gem. und in den Grenzen von § 1 Abs. 1 Nr. 8 SvEV sozialversicherungsbeitragsfrei.

 

Nach bisherigem Recht war ein Zuschuss zum KuG steuerpflichtiger Arbeitslohn, der als solcher unzweifelhaft gem. § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei für eine Entgeltumwandlung genutzt werden kann. Aufgrund einer gesetzliche Neuregelung durch das sog. Corona-Steuerhilfegesetz sollen gem. § 3 Nr. 28a EStG (neu) allerdings Zuschüsse des Arbeitgebers zum KuG als solche nunmehr zeitlich befristet für Lohnzahlungszeiträume nach dem 29. Februar 2020 und vor dem 1. Januar 2021 im gleichen wie in § 1 Abs. 1 Nr. 8 SvEV geregelten Umfang steuerfrei bleiben, aber ebenso wie das KuG dem Progressionsvorbehalt unterliegen (§ 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. g EStG).

 

Diese (befristete) Neuregelung wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die Vorschriften zueinanderstehen, ob also trotz § 3 Nr. 28a EStG (neu) weiterhin eine nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfreie Entgeltumwandlung möglich ist. Es sprechen aus unserer Sicht gute Gründe dafür, dass dies weiterhin möglich ist und § 3 Nr. 63 EStG als Lex specialis angesehen werden kann, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bei § 3 Nr. 28a EStG (neu) bestehenden Progressionswirkung. Abzuwarten bleibt freilich, ob das BMF hierzu noch klarstellende Hinweise veröffentlichen wird.

 

Wichtig für Arbeitnehmer ist insgesamt: Eine bestehende Entgeltumwandlung sollte nicht ohne sorgfältige Prüfung vorschnell ausgesetzt oder reduziert werden, da unter Berücksichtigung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Förderung der bAV das verfügbare Netto hierdurch häufig nicht wesentlich entlastet wird, demgegenüber aber (insbesondere unter Berücksichtigung etwaiger Arbeitgeberzuschüsse) wesentliche Einschränkungen bei der bAV drohen.

 

Zu beachten ist auch, dass für beitragsfrei gestellte Versicherungen regelmäßig Fristen bestehen, innerhalb derer ein Wiederinkraftsetzen erfolgen muss, und dass während einer Beitragsfreistellung regelmäßig ein Verlust der Risikovorsorge (Tod oder BU) eintritt. Es sollte deshalb bei den Versicherungen nachgefragt werden, ob diese eine sog. „Corona-Pause“ anbieten (vorübergehende Aussetzung der Beitragszahlung mit der Möglichkeit einer Beitragsnachzahlung). Ggf. empfiehlt es sich, eine Versicherung während der Kurzarbeit mit eigenen Beiträgen fortzuführen. Bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis ohne Entgeltanspruch (z.B. bei Kurzarbeit Null) besteht hierauf auch ein Rechtsanspruch (§ 1a Abs. 4 BetrAVG).

 

Auswirkungen von Kurzarbeit auf arbeitgeberfinanzierte bAV

 

Vorweg ist festzuhalten: durch Kurzarbeit (auch Kurzarbeit Null) werden das Arbeitsverhältnis und damit die Betriebszugehörigkeit ebenso wie die Dauer einer Versorgungszusage nicht unterbrochen. Kurzarbeit führt also nicht zur Unterbrechung der Unverfallbarkeitsfristen. Allerdings kann die Kurzarbeit Auswirkungen auf die Höhe der Versorgung haben.

 

 

Das KuG als solches ist als staatliche Lohnersatzleistung nicht dem versorgungsfähigen Gehalt zuzurechnen.“

 

 

Auch bei arbeitgeberfinanzierter bAV kommt es zunächst darauf an, ob eine Verknüpfung von Beiträgen oder Leistungen der bAV mit dem zu zahlenden Entgelt besteht. Dann gilt auch hier: Durch die Absenkung des Entgelts infolge von Kurzarbeit erfolgt eine unmittelbare Absenkung der bAV (insbesondere bei BOLZ und BZML).

 

Bei beitragsorientierten Systemen ohne eine solche unmittelbare Verknüpfung ist zu prüfen, ob Beitragspausen für entgeltfreie Zeiten geregelt sind und ob dies auch auf die Kurzarbeit angewendet werden kann. Das KuG als solches ist als staatliche Lohnersatzleistung nicht dem versorgungsfähigen Gehalt zuzurechnen. Was diesbezüglich für etwaige Arbeitgeberzuschüsse gilt, muss durch Auslegung der konkreten Versorgungsregelungen ermittelt werden. Bei Versorgungssystemen, die eine Verknüpfung der bAV-Leistungen mit dem Beschäftigungsgrad vorsehen, wird man regelmäßig die Kurzarbeit einer (temporären) Teilzeit gleichsetzen können. In jedem Fall gilt: Es muss eine sorgfältige Prüfung der vorhandenen Versorgungsregelungen vorgenommen werden.

 

Eingriffe in die bAV wegen Corona

 

Mindert sich die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers aus der bAV in Zeiten von Corona nicht automatisch (z.B. bei Kurzarbeit), stellt sich die Frage nach Eingriffsmöglichkeiten. Dabei ist zu beachten: Corona ist kein „Freifahrschein“ für Eingriffe in betriebliche Versorgungsregeln. Es bleibt auch in Zeiten von Corona bei den altbekannten Spielregeln.

 

Im ersten Schritt ist zu klären, durch welches Änderungsinstrument eine Versorgungsregelung geändert werden kann, dies hängt von ihrer Rechtsgrundlage ab. Folgendes Raster kann dabei als Leitschnur dienen:

 

Quelle: Betz-Rehm, maat. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

 

Für die Reichweite und die Anforderungen an die Begründung bei Eingriffen in die bAV sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten, konkret also das vom BAG in ständiger Rechtsprechung angewandte dreistufige Prüfungsschema (sog. Drei-Stufen-Theorie):

 

Quelle: Betz-Rehm, maat. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

 

Künftige Beitragsabsenkungen in beitragsorientierten Systemen sind z.B. ein Eingriff auf der dritten Stufe, für den sachlich-proportionale, d.h. nachvollziehbare, anerkennenswerte und damit willkürfreie Gründe erforderlich sind.

 

Die Corona-Krise hinterlässt derzeit in der deutschen Wirtschaft unzweifelhaft tiefe Spuren. Unternehmen sind teilweise von dramatischen Umsatzeinbußen betroffen. Wenn Kosten nicht kurzfristig reduziert werden können, drohen die Anhäufung erheblicher Verbindlichkeiten oder der „Verbrauch“ von Eigenkapital. All dies kann ein Anlass dafür sein, auch über eine Reduzierung der aus der bAV folgenden Kosten nachzudenken. Eine durch die Corona-Krise verursachte wirtschaftlich ungünstige Entwicklung des Unternehmens kann einen Eingriff in künftige dienstzeitabhängige Zuwächse (3. Stufe) dabei dann rechtfertigen, wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten vorliegen, auf die ein vernünftiger Unternehmer reagieren darf und der Eingriff in die bAV in der eingetretenen wirtschaftlichen Situation nicht unverhältnismäßig ist. Eine insolvenznahe Lage, eine langfristig unzureichende Eigenkapitalverzinsung oder langfristige Substanzgefährdung muss dafür nicht vorliegen.

 

Der Eingriff aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten darf aber nicht weiter gehen, als ein vernünftiger Unternehmer dies zur Kosteneinsparung in der konkreten wirtschaftlichen Situation für geboten erachten durfte, und er muss sich in ein auf die Beseitigung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgerichtetes plausibles Gesamtkonzept einpassen. Ein Sanierungsplan, der die Sanierungslasten angemessen und ausgewogenen verteilt, ist dafür aber nicht erforderlich.

 

Wie so häufig steckt hier der Teufel im Detail, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung den Unternehmen im Streitfall eine erhebliche Darlegungs- und Beweislast aufbürdet:

 

Konkret darzulegen ist, welche wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorliegen, der Gesamtumfang des deshalb erforderlichen Einsparvolumens ebenso wie die Art und Weise seiner Ermittlung. Weiterhin muss das geplante Gesamtkonzept dargelegt werden, einschließlich aller anderen kostensparenden Maßnahmen, die prognostizierten Beiträge zur Kosteneinsparung für jede Maßnahme sowie die Art und Weise der Ermittlung des jeweiligen Einsparpotentials.

 

 

Der maßgebliche Zeitpunkt für die rechtliche Überprüfung, ob die Ablösung einer Versorgungsordnung wirksam erfolgt ist, ist der Zeitpunkt, zu dem die ablösende Neuregelung in Kraft tritt.“

 

 

In gleicher Weise ist die „Einbettung“ der Absenkung der bAV in das Gesamtkonzept, also der prognostizierte Umfang der Kostensenkung durch die Neuregelung der bAV und die Art und Weise seiner Ermittlung, zu belegen. Sollte sich ein betroffener Versorgungsbegünstigter schließlich im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung darauf berufen, muss der Arbeitgeber zusätzlich in der Lage sein zu erläutern, warum er vom Mitarbeiter behauptete andere kostensenkende Maßnahmen unterlassen oder etwaige kostensteigender Maßnahmen vorgenommen hat.

 

Der maßgebliche Zeitpunkt für die rechtliche Überprüfung, ob die Ablösung einer Versorgungsordnung wirksam erfolgt ist, ist der Zeitpunkt, zu dem die ablösende Neuregelung in Kraft tritt. Bezogen auf diesen Zeitpunkt müssen die von der Rechtsprechung geforderten Kriterien vorliegen und auch nachweisbar sein.

 

Eine Entscheidung, in Besitzstände der bAV für die Zukunft einzugreifen, muss also nicht nur ausführlich vorbereitet, sondern auch dokumentiert und die Dokumentation langfristig vorgehalten werden (regelmäßig dürfte eine gerichtliche Auseinandersetzung häufig erst nach vielen Jahren eintreten).

 

Auch in Zeiten von Corona gilt: Ohne konkrete Berechnungen und Prognosen unter Beachtung der juristischen und versicherungsmathematischen Erfordernisse kann eine Neuregelung der bAV zur Kostensenkung letztlich nicht erfolgversprechend durchgeführt werden.

 

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, gehalten beim HDI bAV Expertenforum am 9. Juni 2020.

 

Der Autor ist Rechtsanwalt, FA für Arbeitsrecht und Partner bei maat Rechtsanwälte.

 

Von ihm sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:

 

Erneut Erfurt zu Teilzeit und bAV:

Zeit um Zeit

von Dr. Judith May und Thomas Bader, 1. Dezember 2021

 

Aufklärungspflichten in der Entgeltumwandlung:

Fürsorgepflicht und Informationsgefälle …

von Christian Betz-Rehm, 23. Oktober 2020

 

bAV in der Corona-Krise:

Kein Freifahrtschein für Eingriffe

von Christian Betz-Rehm, 14. Juli 2020

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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