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Rethinking Pension:

Inflation enteignet

Ein Consultant hat die neue Rentenpolitische Sprecherin der FDP im Bundestag und bAV-Vertreter der Versicherungswirtschaft an einen Tisch gebracht. Die Politikerin referiert die Pläne ihrer Fraktion, und die Versicherer wollen Taten sehen – und zwar bevor die Gerichte es der Politik befehlen. Utta Kuckertz-Wockel dokumentiert für LEITERbAV die wichtigsten Aussagen.

 

20. Januar 2022, Round Table Rethinking Pension der Lurse: Zu Gast Anja Schulz, MdB und Rentenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag (alle folgenden Aussagen im Indikativ der Referenten).

 

Schulz stellt die wesentlichen Eckpunkte zur Altersversorgung im Koalitionsvertrag vor.

 

Die Gesetzliche als Grundstock

 

Anja Schulz, FDP MdB.

Die Politikerin berichtet, dass die Ampelregierung sich zu allen drei Säulen der Altersversorgung bekennt. Die GRV ist der Grundstock der Altersversorgung, das Rentenniveau wird bei 48, der Beitragssatz bei 20% stabilisiert. Außerdem soll der Nachhaltigkeitsfaktor reaktiviert werden. Rentenkürzungen und eine Erhöhung des Rentenalters sind unter der Ampelregierung nicht vorgesehen.

 

Stattdessen plant man für die GRV einen Einstig in die Teilkapitaldeckung. Bereits 2022 soll der GRV ein Kapitalstock von 10 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt zugeführt werden. Die FDP setzt sich zusätzlich für die Einführung einer Aktienrente nach dem schwedischen Modell ein.

 

 

 

Keiner kann von 48% seines Erwerbslebenseinkommens leben.“

 

 

 

Die Gesetzliche Rente reicht nicht, um den Lebensstandard im Alter zu erhalten“, so Schulz. Die Bevölkerung muss sowohl privat als auch betrieblich vorsorgen, um ausreichendes Einkommen im Alter zu erreichen. Die Koalition hat sich vorgenommen den Menschen, das drohende Pension Gap offener und ehrlicher zu kommunizieren. „Die Rente ist sicher, die Frage ist nur in welcher Höhe,“ sagte Schulz. „Keiner kann von 48% seines Erwerbslebenseinkommens leben.“

 

Die Private mehr fördern

 

Private Vorsorge ist unerlässlich, und hier ist die Politik gefragt, attraktive Förderungen auf den Weg zu bringen. „Bei dem derzeitigen Zinsniveau müssen die richtigen Anreize zum Sparen geschaffen werden,“ sagte Schulz.

 

 

 

Es ist schwierig, den Bürgerinnen und Bürgern neue Vorsorgeprodukte anzubieten, wenn zuvor andere Produkte als sicher und nachhaltig vermittelt wurden.“

 

 

 

Die Ampelregierung hat sich vorgenommen, neue geförderte Anlagekonzepte für die private Altersvorsorge zu prüfen. Schulz hält es für sinnvoll, die Riester-Rente in den Reform-Fokus zu stellen und attraktiver zu gestalten; es wird verkannt, dass die geringen Renditen bei Riester-Produkten maßgeblich mit der Ausgestaltung des Produktes zusammenhängen. Die Riester-Rente hat in den vergangenen Jahren unter den niedrigen Zinsen und an der 100%igen Beitragsgarantie gelitten. Die große Koalition versäumte, rechtzeitig zu handeln, und ist für die schlechte Entwicklung des Produktes verantwortlich. „Private Vorsorge hat viel mit Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu tun. Es ist schwierig, den Bürgerinnen und Bürgern neue Vorsorgeprodukte anzubieten, wenn zuvor andere Produkte als sicher und nachhaltig vermittelt wurden,“ meint Schulz.

 

bAV: SPM und weniger Garantien

 

Zur bAV: Hier bietet das Sozialpartnermodell gute Chancen. Leider wird es noch nicht aktiv eingesetzt und genutzt. Die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Es wird geprüft, wie es für nicht tarifgebundene Unternehmen Anwendung finden kann.

 

Gerade bei kleinen Unternehmen ist die Durchdringung mit bAV gering. Hintergrund sind Haftungsängste bei den Unternehmern. Aus Sicht von Schulz ist es zudem sinnvoll, das Garantieniveau bei bAV-Produkten zu senken.

 

Selbstständige müssen mit

 

Für Selbstständige wird die GRV obligatorisch. Allerdings wird Selbstständigen die Option angeboten, durch ein Opting-out privat vorzusorgen. Dazu ist ein Nachweis auf gleichwertigen Schutz vorzulegen. „Ich gehe davon aus, dass sich die Mehrheit der Selbstständigen für eine private Altersvorsorge entscheidet“, sagte Schulz.

 

Handlungsbedarf: zwischen 70 Prozent und 6a

 

Nach dem Kurzvortrag stellte sich Anja Schulz MdB den Fragen und Statements der 13 bAV-Experten der Versicherungswirtschaft. Diese machen auf den dringenden Handlungsbedarf in der bAV durch die Politik aufmerksam und stellten die folgenden Aspekte heraus:

 

Einfache Zugangswege und klare regulatorische Rahmenbedingungen werden für das Sozialpartnermodell benötigt. Sozialpartnermodellen wird der Zugang zum Markt durch fehlende gesetzliche Regelungen nicht ermöglicht.

 

Rechts- und Handlungssicherheit für Arbeitgeber und Produktgeber bei zeitgerechten Produktgarantien in der bAV sind notwendig. Die Balance zwischen Sicherheit und Rendite muss neu ausgerichtet werden. Ein Garantieniveau von 70 bis 80% sollte gesetzlich verankert werden.

 

Lösungen für die aufkommende Inflation mit Blick auf die nachgelagerte Besteuerung der Leistungen in der bAV müssen gefunden werden. Inflation bedeutet eine schleichende Enteignung für die bAV.

 

Eine Anpassung des Rechnungszinses für die Steuerbilanz in §6a EstG ist lange überfällig. Unternehmen mit Pensionsverpflichtungen zahlen erheblich mehr Steuern, als es bei Anwendung eines durchschnittlichen Marktzinses der Fall wäre.

 

Die bAV-Experten forderten die Politik zum Handeln auf, bevor die Rechtsprechung aktiv werde. Die Zeit drängt!

 

Die Pläne der Versicherer für 2022

 

Björn Achter, Württembergische.

Aktuell besteht hoher Beratungs- und Anpassungsbedarf bei unseren KMU-Kunden. Insbesondere die Umsetzung des Arbeitgeberzuschusses und die Umstellung der Versorgungsordnungen aufgrund der Produktanpassungen durch Rechnungszinsabsenkung erfordern intensive Begleitung. Darüber hinaus sind wir gefordert, die bAV auch im KMU Bereich noch weiter zu vereinfachen und zu digitalisieren.“

Björn Achter, Leiter bAV, Württembergische Lebensversicherung

 

 

Frederick Krummet, AXA.

Wir werden auch in diesem Jahr neue digitale Services für Kunden sowie den stetigen Ausbau der digitalen Unterstützung unserer Vertriebspartner in der Beratung und im Verkauf vorantreiben und setzen dabei auf die Bündelung aller Aktivitäten in dem Geschäftsfeld Corporate Employee Benefits.“

Frederick Krummet, Leiter Corporate Employee Benefits, AXA Deutschland.

 

 

Jan Niebuhr, Ergo.

Ausbau unserer digitalen Prozesse, denn diese sind der Schlüssel zu einer langfristigen Kunden- und Vermittlerbindung. Vertrieblich stehen die staatlich geförderten bAV-Lösungen, wie z.B. der Arbeitgeberförderbetrag, aber auch die Absicherung biometrischer Risiken durch Arbeitgeberbeitrag und die Finanzierung von bisher unterfinanzierten Alt-Zusagen im Fokus.“

Jan Niebuhr, Mitglied des Vorstands, ERGO Vorsorge Lebensversicherung AG

 

 

Stefan Opel, Gothaer.

Marktweit abgesenkte Garantien, teilweise noch nicht umgesetzte Arbeitgeber-Zuschüsse sowie Run-Offs bei einigen Versicherern fordern Kunden, Vermittler und Mitarbeiter 2022 in besonderem Maße. Auch gemeinsam mit unseren Töchtern GBG und pensus setzen wir den Schwerpunkt weiter auf passgenaue, individuelle Lösungen für den Kunden und seine Berater, um auf diese Herausforderungen rechts- und zukunftssichere Antworten zu haben.“ Stefan Opel, Bereichsleiter, Gothaer Lebensversicherung

 

 

 

Henriette Meissner, Stuttgarter.

bAV und Know-how gehen auch 2022 Hand-in-Hand. Der Fokus liegt klar auf der zusätzlichen, arbeitgeberfinanzierten Versorgung, die für Arbeitgeber jetzt demografisch immer wichtiger wird. Know-how stellen wir auf bavheute.de sowie online- und live-Veranstaltungen zur Verfügung.“

Henriette Meissner, Geschäftsführerin, Stuttgarter Vorsorge-Management und Generalbevollmächtigte für die bAV, Stuttgarter Lebensversicherung a.G.

 

 

Michael Reinelt, Alte Leipziger.

Die strategische Weiterentwicklung ist zentrales Thema unserer Aktivitäten im Jahr 2022. Wir setzen auf Digitalisierung im Mindset und nicht nur bei technologischen Prozessen. Darüber hinaus passen wir das Produktportfolio den Anforderungen des Marktes an. Ein besonderes Augenmerk legen wir im Jahr 2022 auf den Pensionsfonds.“

Michael Reinelt, Bereichsleiter, Alte Leipziger Lebensversicherung a.G.

 

 

Holger Rössig, VGH.

Wir arbeiten daran, die Durchdringung der bAV weiter zu erhöhen. Die bestehenden Fördermöglichkeiten bieten dafür für Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich gute Anreize. Vor dem Hintergrund bestehender Haftungsrisiken ist es im aktuellen Niedrigzinsumfeld jedoch schwierig, für attraktive Produkte die richtige Balance zwischen Garantieniveau und Renditechancen zu finden. Hier ist die Politik gefordert, durch klare Vorgaben Rechtssicherheit für Anbieter und Arbeitgeber zu schaffen.“

Holger Rössig, Abteilungsdirektor, VGH Versicherungen

 

Daniel Strohbach, SV SparkassenVersicherung Pensionsfonds AG.

 

Wir werden 2022 den begonnenen Weg der Digitalisierung der Geschäftsprozesse in der bAV fortsetzen. Unser Anspruch ist es, Anliegen innerhalb von 24h fallabschließend zu bearbeiten.“

Daniel Strohbach, Leiter Vertriebsdirektion bAV, SV Sparkassenversicherung, Sprecher der Geschäftsführung, SV bAV Consulting GmbH

 

 

 

 

Utta Kuckertz-Wockel, Lurse. Foto: Dietmar Gust.

Die Autorin ist Senior Managerin bei Lurse

 

Von ihr und anderen Autorinnen und Autoren der Lurse sind zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAV erschienen:

 

Zeitgemäße Benefits:
Die Betriebsrente gehört immer dazu
von Sandra Mekler und Philipp Dienstbühl, 11. Dezember 2024

Lurse Round Table Pensionskassen – BRSG 2.0 (VI):
Der Blick auf die Pensionskassen, namentlich ...
von Utta Kuckertz-Wockel, 7. November 2024

Kommunikation und Mitarbeiterportale:
Tue bAV – und rede darüber!
von Anika Krist und Carsten Ganz, 24. April 2024

Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz:
Von der Übergangszeit zur Automatisierung
von Dr. Stefan Birkel, 16. Februar 2024

Lurse Round Table:
Wenn drei Große gleichzeitig schwächeln …
von Utta Kuckertz-Wockel, 23. Januar 2024

Lurse-Webinar am 7. Dezember:
Neugestaltung einer bAV nach Konzernausgliederung
von Utta Kuckertz-Wockel, 21. November 2023

Lurse Round Table „Frauen in der bAV“:
Update aus der Wilhelmstraße
von Utta Kuckertz-Wockel, 26. Juli 2023

Betriebliche Altersversorgung:
Ordnung ist das halbe ...
von Miroslaw Staniek. 5. Juli 2023

Lurse Round Table „Frauen in der bAV“:
Munter“ in das Jahr
von Utta Kuckertz-Wockel, 6. Februar 2023

Lurse Round Table „Pension Asset Management“:
In dieser Form noch nicht erlebt“
von Utta Kuckertz-Wockel, 12. Dezember 2022

Kostenloses Webinar zu Zeitwertkonten:
Viele Wege, keine Blaupause ...
von Utta Kuckertz-Wockel, 1. September 2022

Lurse Round Table Frauen in der bAV:
Viele offene Türen
von Utta Kuckertz-Wockel, 1. August 2022

Das BMAS zu Perspektiven in der Altersversorgung:
Es hat nicht an dem Gesetz gelegen“
von Utta Kuckertz-Wockel, 20. Juni 2022

In den Zeiten des Fachkräftemangels:
Multimediale bAV-Kommunikation stärkt Mitarbeiterbindung
von Adelheid Lanz, 24. März 2022

Rethinking Pension:
Inflation enteignet
von Utta Kuckertz-Wockel, 17. Februar 2022

Round Table Frauen in der bAV (II):Covid, Frauen, bAV ...
Corona vertieft Pension Gap
von Utta Kuckertz-Wockel, 12. Juli 2021

Round Table Frauen in der bAV (I):
Zwischen Eis und Pipeline
von Utta Kuckertz-Wockel und Isabel Noe, 8. Juni 2021

REthinking Pensions:
auch außerhalb eines Sozialpartnermodells
von Utta Kuckertz-Wockel und Matthias Edelmann, 8. Januar 2021

Studie: Das BRSG …
und der Verlauf der Entgeltumwandlung
von Miroslaw Staniek und Björn-Schütt-Alpen, 9. November 2020

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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