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BRSG 2.0 (XV) - Opting out im Regierungsentwurf:

Weder gezwungen noch überrumpelt …

wird der Arbeitnehmer im Optionsmodell, sondern begünstigt. Warum also bleibt der Gesetzgeber nun hinter seinen guten Reformbemühungen aus dem Referentenentwurf zurück? Jedenfalls sieht Reinhold Höfer keinen rechtlichen Grund hierzu, einen wirtschaftlichen oder sozialpolitischen erst recht nicht.

Prof. Reinhold Höfer.

Ende September wurde der Regierungsentwurf zum zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetz veröffentlicht. Wie im vorangegangenen Referentenentwurf soll die Ausbreitung der betrieblichen Altersversorgung durch die Einführung des sog. Optionsmodells in Form einer Betriebsvereinbarung gefördert werden. Sie regelt, dass ein Teil des Gehalts des Arbeitnehmers mittels Entgeltumwandlung für eine bAV abgezweigt wird. Wenn dem der Arbeitnehmer nach schriftlicher Aufklärung nicht widerspricht, wird die Entgeltumwandlung «automatisch» durchgeführt.

Durch diesen Automatismus erhalten, wie die Erfahrungen im Ausland zeigen, bedeutend mehr Arbeitnehmer eine bAV. Zudem soll der Entgeltverzicht durch einen zwanzigprozentigen Arbeitgeberzuschuss gefördert werden.

Bislang nur tarifvertragliches Optionsmodell

Seit dem Jahr 2018 kann ein Optionsmodell nur auf tarifvertraglicher Grundlage eingeführt werden (§ 20 Betriebsrentengesetz). Die Tarifvertragsparteien haben hier bislang aber wenig Engagement gezeigt. Deshalb wurde im Referentenentwurf auch der betrieblichen Ebene die Möglichkeit eröffnet, ein Optionsmodell durch Betriebsvereinbarung zu begründen.

 

Diese Betriebsnähe vermag ein Branchen- oder Flächentarifvertrag nicht zu bieten.“

 

Dies bietet zudem den Vorteil größerer Betriebsnähe. So kann betriebsindividuell der Umfang des Gehaltsverzichts zugunsten der Altersversorgung geregelt und der Versorgungsplan den speziellen Wünschen der Belegschaft angepasst werden. Das Unternehmen entscheidet, welchen Durchführungsweg der bAV es wählt. Diese Betriebsnähe vermag ein Branchen- oder Flächentarifvertrag nicht zu bieten. Auch bieten die Gesetzentwürfe dem Arbeitnehmer den Vorteil eines zwanzigprozentigen Arbeitgeberzuschusses, den das tarifvertragliche Optionsmodell nicht kennt.

Warum kein betriebliches Optionsmodell bei tarifvertraglichem Einkommen?

Der Referenten- und der Regierungsentwurf unterscheiden sich in einem ganz wesentlichen Punkte:

Während der Referentenentwurf noch jegliches Einkommen, also auch tarifvertragliches Einkommen, für die Einführung eines auf Betriebs- oder Dienstvereinbarung beruhenden Optionsmodells öffnete, untersagt dies nun der Regierungsentwurf. Damit wird ein großer Teil der Arbeitnehmerschaft von den Vorteilen eines betrieblich begründeten Optionsmodells ausgeschlossen. Man fragt sich: warum?

Der Ausschluss des Tarifeinkommens vom betrieblichen Optionsmodell wird mit § 77 Abs. 3 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz begründet. Er lautet.

Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.“

Daher scheint es auf den ersten Blick einleuchtend zu sein, dass eine Betriebsvereinbarung die Verwendung von tarifvertraglichem Einkommen nicht regeln darf. Es würde gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz verstoßen.

Aber der erste Blick wäre zu schnell, wie nachfolgend begründet wird.

1. Der Gesetzgeber ist berechtigt, in Spezialgesetzen Ausnahmen von der generellen Norm eines anderen Gesetzes zu regeln. Das Betriebsrentengesetz wäre dann hinsichtlich der betrieblich geregelten Entgeltumwandlung die Ausnahmevorschrift zu § 77 Abs. 3 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz. Diese Ausnahmeregelung wäre ja auch nicht willkürlich, sondern beruht auf einem guten Grund, nämlich der vom Gesetzgeber gewünschte Ausbreitung der bAV, um die Versorgungssituation der Arbeitnehmerschaft zu verbessern.

2. Der Arbeitnehmer kann grundsätzlich frei über die Verwendung seines tarifvertraglichen Einkommens entscheiden. Er kann es z.B. konsumieren oder zum Aufbau einer privaten Altersversorgung verwenden. Diese grundsätzliche Freiheit wird durch die Verwendung seines tarifvertraglichen Einkommens zum Aufbau einer bAV auch nicht beschnitten. Denn das betriebliche Optionsmodell zwingt ihn ja nicht, sich ihm zu unterwerfen. Er kann seiner Anwendung widersprechen. Der Gesetzgeber verlangt zudem die rechtzeitige, schriftliche und tiefgehende Aufklärung des einzelnen Arbeitnehmers über sein Widerspruchsrecht. Er wird also von dem Optionsmodell nicht überrumpelt.

3. Der Arbeitnehmer wird durch das betriebliche Optionsmodell begünstigt. Denn er erhält bei ihm den gesetzlich verordneten zwanzigprozentigen Arbeitgeberzuschuss, den das tarifvertragliche Modell nicht bietet. Auch im Vergleich zum fünfzehnprozentigen Arbeitgeberzuschuss aus dem Entgeltumwandlungsanspruch des Arbeitnehmers ist er etwas günstiger (§ 1a Abs. 1a Betriebsrentengesetz).

Fazit

Der Regierungsentwurf nutzt im Gegensatz zu dem Referentenentwurf den Ausweitungsimpuls des Optionsmodells für die bAV nicht konsequent, da dies für tarifvertragliches Einkommen nicht zulässig sein soll. Hierfür gibt es keine rechtlichen Gründe, geschweige denn wirtschaftliche oder sozialpolitische. Zudem sollte man das grundsätzliche Recht des Arbeitnehmers, über sein Tarifeinkommen frei zu entscheiden und dabei günstige Wege zu nutzen, nicht begrenzen.

Auch die Unternehmen werden den Vorteil einer betriebsindividuellen Gestaltung ihrer Altersversorgung schätzen. Der Gesetzgeber sollte daher bei tarifvertraglichem Einkommen die Anwendung des betrieblichen Optionsmodells nicht ausschließen.

Der Autor ist Mitverfasser eines Standardkommentars zum Arbeits-, Steuer-, Sozialabgaben-, Bilanz- und IFRS-Recht der betrieblichen Altersversorgung.

In dem im Oktober erscheinenden Heft 7 der aba-Zeitschrift BetrAV befasst er sich ausführlich mit dem betrieblichen Optionsmodell.

Von Höfer sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONSINDUSTRIES erschienen:

BRSG 2.0 (XV) - Opting out im Regierungsentwurf:
Weder gezwungen noch überrumpelt …
von Prof. Reinhold Höfer, 9. Oktober 2024

aba-Forum-Steuerrecht (IV):
Nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen
von Professor Reinhold Höfer, 8. August 2023

Gegenwart und Zukunft von BOLZ und BZML:
Zwischen Historie und Unmöglichkeit
von Professor Reinhold Höfer, 7. April 2021

bAV für die Mitarbeiter von Freiberuflern:
Rückgedeckte Direktzusage versus Geringverdienerförderung – ein Vergleich
von Prof. Reinhold Höfer, in der Tactical Advantage Vol 2 im Oktober 2019

Zwei Mal dritter Senat:
Der Vorrang des Versorgungszwecks
von Prof. Reinhold Höfer, 11. Juni 2015

Trennung von Arbeits-, Steuer- und Versicherungsaufsichtsrecht:
Die „Reine Beitragszusage“ über den Pensionsfonds (II)
von Prof. Reinhold Höfer, 15. April 2014

Trennung von Arbeits-, Steuer- und Versicherungsaufsichtsrecht:
Die „Reine Beitragszusage“ über den Pensionsfonds (I)
von Prof. Reinhold Höfer,14. April 2014

Diskussion um die entgeltliche Übernahme von Versorgungsverpflichtungen:
Teilwertverfahren statt PUC nicht folgerichtig
von Prof. Reinhold Höfer, 17. April 2013

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