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Im Gespräch – Marco Arteaga über das Sozialpartnermodell (I):

„Offensichtlicher Regelungsbedarf“

Er ist einer der maßgeblichen Entwickler von Sozialpartnermodell und reiner Beitragszusage und damit einer möglicherweise wegweisenden Reform des deutschen Pensionswesens. Doch die Realisierung stockt. Ein Interview mit Marco Arteaga in zwei Teilen. Heute Teil I: Über Ministerauftritte, über Kollisionen und über Kernaufgaben der Tarifvertragsparteien, um die man sie nicht beneiden muss.

 

Marco Arteaga, am 21. Juni wird der „Eberbacher Kreis“ in Berlin einen großen Kongress mit internationaler Beteiligung zu den Sozialpartnermodellen durchführen. Können Sie schon Konkreteres zu den Inhalten sagen?

 

Die Sozialpartnermodelle sollen nach dem Koalitionsvertrag in dieser Legislaturperiode endlich Wirklichkeit werden. Deshalb wird Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf der Tagung des Eberbacher Kreises zu diesem Thema sprechen. Aus den Niederlanden und der Schweiz erwarten wir die Chefs zweier der größten Pensionsfonds, die aus ihrer langen Erfahrung mit der Durchführung und Steuerung solcher großen kapitalgedeckten Vorsorgekassen zusammen mit den Tarifparteien berichten werden. Vertreter aus der Wissenschaft aus den USA und aus Deutschland werden dabei sein, die einige faszinierende Einblicke in die Gestaltungsmöglichkeiten für die Tarifparteien berichten werden.

 

Wer kann teilnehmen? Und kann das Parkett Neuigkeiten in Bezug auf die Wirklichkeitswerdung neuer Sozialpartnermodelle erwarten?

 

Marco Arteaga, Luther.

Grundsätzlich kann sich jeder Interessierte über die Website www.eberbacher-kreis.de per e-mail anmelden. Die Plätze werden in der Reihenfolge des Eingangs der Anmeldungen vergeben und entsprechend bestätigt. Ich denke, dass man von dieser Konferenz einiges erwarten kann, denn es sind in den bisherigen Gesprächen zwischen Sozialpartnern oder mit der BaFin Fragestellungen aufgetaucht, bei denen sich die Beteiligten gesetzliche Klarstellungen bzw. konkrete Vorgaben wünschen. Diese werden auf der Tagung präsentiert und diskutiert.

Und wir rechnen damit, dass der Minister durchblicken lassen wird, in welchen Bereichen die Regierung gesetzliche Änderungen für möglich hält. Und wir rechnen auch mit Ankündigungen, in welchen Wirtschaftsbereichen im Falle solcher Änderungen mit konkreten Abschlüssen zu rechnen sein wird. In der Tat tut sich derzeit nämlich etwas hinter den Kulissen. Wir glauben deshalb, dass die Konferenz vielfältige Impulse setzen wird und auch viele zusätzliche Anregungen zu den benötigten Gesetzesänderungen aus dem Auditorium kommen werden.


Hinter den Kulissen heißt: hinter den Kulissen, akzeptiert. Gleichwohl: Welche Informationen können Sie denn hier und heute davon schon vor die Kulissen holen?


Ich kann lediglich sagen, dass in einigen weiteren Wirtschaftsbereichen intensiv beraten wird. Ich rechne damit, dass am 21. Juni mehrere davon ihre Überlegungs- oder Entscheidungsstände darlegen werden.

 

 

 

 

 

Es gibt unterschiedliche Positionen in der Grundsatzfrage, ob sich die Tarifvertragsparteien überhaupt im Bereich der Altersversorgung betätigen sollten.“

 

 

 

 

 

Angekündigt sind – seit längerem – einige Sozialpartnermodelle, Realität ist noch keines. Woran hakt es?


Zunächst einmal gibt es unterschiedliche Positionen in der Grundsatzfrage, ob sich die Tarifvertragsparteien überhaupt im Bereich der Altersversorgung betätigen sollten. Und Widerstände gegen ein solches Engagement werden jedenfalls bestehen bleiben, solange die Beteiligten nicht erkennen, dass sie ein überzeugendes Konzept realisieren, welches auch wirklich zu den Aufgaben und Interessen ihrer Organisation passt. Die Sozialpartner müssen auf beiden Seiten klar erkennen können, dass sie hier etwas verwirklichen, was niemand anderes so kann und welches ihren Mitgliedern – auf beiden Seiten! – Vorteile verschafft, die sie nirgendwo sonst erhalten können. Dann schaffen sie exklusiv etwas Einzigartiges. Und dann lohnt sich auch ihr Engagement. 
Aber nach der geltenden Gesetzeslage sind diese Voraussetzungen noch nicht ganz in der erforderlichen Form gegeben. Deshalb gibt es vielfältige Wünsche nach gesetzlichen „Nachschärfungen“. Dazu zählen zum Beispiel die Beseitigung gewisser Spannungen zwischen den Regelungen des Tarifvertrags- und des Versicherungsaufsichtsrechts oder die Schaffung eines erleichterten Zugangs für nicht-tarifgebundene KMU zu branchenfremden Sozialpartnermodellen.


Beseitigung gewisser Spannungen zwischen Tarifvertrags- und Aufsichtsrecht, erleichterter Zugang für nicht-tarifgebundene KMU. Können Sie hier konkreter werden?


Natürlich. Nur beispielhaft sei hier die Verwendung von Vermögen genannt, welches aus Sicherungsbeiträgen gebildet wurde. Hier müssen die Tarifparteien völlig frei entscheiden können, ob, wann und wie sie dieses Vermögen für die Stabilisierung der laufenden Renten einsetzen. Dabei dürfen sie auch nicht an das Gleichbehandlungsgebot in § 138 VAG gebunden sein. Hier geht es um Verteilungsfragen und damit um den Kern der Arbeit der Sozialpartner. Ein Sozialpartnermodell ist gerade kein Versicherungsprodukt.

Hier muß man auch die BaFin aus der Schusslinie nehmen und klarer festlegen, was die Tarifparteien zu regeln haben und was das VAG zwingend verlangt. Und angesichts des schleppenden Ingangkommens der Sozialpartnermodelle ist es wichtig, dass Tarifungebundene, gerade also die KMU, die Möglichkeit erhalten, sich auch branchenfremden SPM anzuschließen, wenn bzw. solange ihre eigene Branche keinen für sie einschlägigen Tarifvertrag besitzt. Es geht also um eine gewisse Lockerung des § 24 BetrAVG.

 

 

 

 

 

Die Grenzziehung zwischen Aufsichts- und Tarifvertragsrecht sollte sorgfältiger definiert werden.“

 

 

 

 

 

Ich möchte hier noch etwas tiefer einsteigen. Wie genau stellt sich die Kollision zwischen dem Gleichbehandlungsgebot des § 138 VAG und den Vorstellungen der Gewerkschaften bzw. des Tarifvertragsrechts dar?


Die Diskussionen um die bisher konzipierten Modelle, die der Aufsicht vorgelegt wurden, zeigen, dass die Grenzziehung zwischen Aufsichts- und Tarifvertragsrecht sorgfältiger definiert werden sollte. Denn einerseits weist das BetrAVG den Tarifparteien die Hauptverantwortung für die tarifvertraglich organisierte bAV mit reinen Beitragszusagen zu. Andererseits verlangt das VAG von den Trägern – Pensionsfonds, Pensionskasse, LVU – in § 244a Abs. 1 die uneingeschränkte Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften.

Das ist zwar im Prinzip richtig, kollidiert aber dann, wenn etwa die Tarifparteien die alleinige Entscheidung über den Einsatz des aus Sicherungsbeiträgen gemäß § 23 Abs.1 BetrAVG beanspruchen. Hier besteht die Aufsicht unter Verweis auf § 138 VAG auf einer unbedingten Gleichbehandlung aller Versicherten. Dies aber ist aus Sicht der Tarifvertragsparteien keineswegs zwingend. Es ist ihr Geld und sie wollen über seine Verwendung entscheiden.


Wie würden sie es ggf. denn verwenden sollen, dass es mit den Vorgaben der Aufsicht kollidiert?


Die Aufsicht verlangt, dass dieses aus Sicherungsbeiträgen von den Tarifvertragsparteien freiwillig (!) gebildete Vermögen nur für die Auffüllung von Deckungslücken, also zur Auffüllung des Deckungskapitals verwendet werden darf. Damit aber wird die Wirkung dieses Vermögens sehr stark eingeschränkt. Eine flexible Abfederung von Schwankungen wird dadurch sogar verhindert. Gerade bei als temporär eingeschätzten Bewertungsminderungen wäre ein schlichter (temporärer) Ausgleich der Kürzungsbeträge sinnvoller, bis dann nach Erholung der Kurse wieder die ursprüngliche, ungekürzte Rente gezahlt werden kann. Würden dabei aber einzelne Kohorten stärker belastet oder andere stärker begünstigt, dann wäre man nach gegenwärtigem Stand im Widerspruch zur absoluten Gleichbehandlung, die § 138 VAG stets verlangt.


Anderer Knackpunkt ist die Gleich- bzw. Ungleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern.


Genau. Die Aufsicht sperrt sich auch dagegen, dass die Tarifvertragsparteien bei den Beiträgen oder den Leistungen zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtmitgliedern differenzieren wollen. Diese sog. Differenzierungsklauseln zugunsten von Gewerkschaftsmitgliedern sind tarifvertragsrechtlich anerkannt und auch ökonomisch gerechtfertigt, finanzieren doch die Gewerkschaftsmitglieder mit ihren Beiträgen das fortdauernde Engagement ihrer Gewerkschaft in der tarifvertraglich organisierten bAV. Auch hier besteht die Aufsicht unter Verweis auf § 138 VAG auf einer unbedingten Gleichbehandlung aller Versicherten, so als handele es sich um einen gewöhnlichen privaten Lebensversicherungsvertrag.

 

 

 

 

 

Eine platte Einteilung in zwei Tarife, ein etwas günstigerer für Gewerkschaftsmitglieder und ein etwas weniger günstiger für Nichtmitglieder würde provokativ wirken.“

 

 

 

 

 

Da bin ich gespannt, wie Nichtmitglieder reagieren werden, wenn sie erfahren, dass ihre Vorsorgeleistungen geringer ausfallen werden als die ihrer Kollegen in den Gewerkschaften.


Das muss natürlich klug gemacht werden. Eine platte Einteilung in zwei Tarife, ein etwas günstigerer für Gewerkschaftsmitglieder und ein etwas weniger günstiger für Nichtmitglieder würde – abgesehen von der Problematik aus § 138 VAG – sicherlich provokativ wirken und wäre vielleicht sogar eine Belastung. Außerdem wäre das administrativ aufwendig, denn auf welchen Zeitpunkt wird denn abgestellt, wenn ein Mitglied eine Begünstigung erhalten soll? Und was geschieht, wenn der Betreffende einen Monat nach Aufnahme in die Versorgung aus der Gewerkschaft austritt? So ganz einfach ist das also nicht. Aber es gibt auch andere, subtilere Möglichkeiten. So haben wir unlängst in einem Tarifvertrag eine einmalige Sonderzahlung für Gewerkschaftsmitglieder bei Rentenbeginn vereinbart, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den gezahlten Gewerkschaftsbeiträgen steht. Das Gewerkschaftsmitglied erhält von seiner Gewerkschaft eine Bescheinigung, wenn es die letzten fünf Jahre vor Eintritt in den Ruhestand Gewerkschaftsmitglied war. Dann erst zahlt der Arbeitgeber aus. Im Falle eines Pensionsfonds würde man das entsprechend anpassen.

Eine Alternative zu Differenzierungen auf der Leistungsseite könnte ein entsprechender geeigneter Mitgliedsbeitrag zum Versorgungswerk für tarifungebundene Arbeitgeber sein, zum Beispiel als Beitrag zur Deckung der Verwaltungskosten oder als zusätzlicher Sicherungsbeitrag.


Wie dem auch sei, auch hört man oft noch von der Frage der Ablösung älterer tariflicher Schemes sowie von der Generationengerechtigkeit. Welchen Regelungsbedarf gibt es hier?


Beides kann zusammentreffen. Offensichtlich ist der Regelungsbedarf für Fälle, in denen, Tarifvertragsparteien für sich das Recht beanspruchen, eine frühere tarifvertragliche Lösung durch eine Nachfolgende abzulösen. Dies könnte auch bei tarifvertraglich organisierter bAV im Zeitablauf erforderlich werden. Dabei könnten sogar schwierige Verteilungsfragen zu beantworten sein, etwa wenn man im Rückblick feststellt, dass bestimmte Jahre unverhältnismäßig stark von einer positiven Entwicklung der Kapitalanlage profitiert haben, andere hingegen nicht. Stünde in einem solchen Zusammenhang etwa eine intergenerationale Korrektur der Verteilung der Kapitalerträge an, dann wäre das jedenfalls eine der Kernaufgaben der Tarifvertragsparteien. Um diese wären sie nicht zu beneiden, aber sie hätten die Entscheidung zu treffen. Und zumindest soweit es arbeitsrechtlich zulässig ist, müßte das auch auf der Ebene des Versorgungsträgers vollzogen werden können. Denn Verteilungsfragen sind Fragen des sozialen Ausgleichs und letztlich der von den Tarifparteien zu beurteilenden „gerechten“ Behandlung aller Versorgungsberechtigten.

Das Gebot der „linearen“ Gleichverteilung im VAG hingegen ist demgegenüber eine eher mechanistische Regelung, die in Abwesenheit einer mit den Tarifvertragsparteien vergleichbaren Instanz bei privaten Versicherungsverträgen die beste Lösung darstellt – ohne damit allerdings zwingend auch „gut“ zu sein, wie die aktuelle Praxis der Verteilung von Vermögenserträgen auf die verschiedenen Tarifgenerationen mit unterschiedlichen Garantiezinsen zeigt.

 

 

Teil II des Interviews findet sich auf LEITERbAV hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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