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Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (I):

Mehr, mehr, mehr …

Bürokratie: 15er-Zuschuss, Waldverordnung, Nachweisgesetz … nur die allerjüngste Liste der bereits bestehenden oder kommenden zusätzlichen Bürokratie, mit welcher der Gesetzgeber– mit oder ohne EU-Vorgaben – diejenigen überschüttet, die zur Altersvorsorge der Menschen im Land beitragen, ist abschreckend. Doch mehr geht immer, denkt man sich wohl in Berlin.

Es war in der jüngsten Presseschau bereits aufgegriffen worden: Auf EbAV und Arbeitgeber kommt von unerwarteter Seite neue Bürokratie zu, und zwar in erheblichem Ausmaß. Der Reihe nach:

Am 7. April 2022 hat das BVerfG entschieden, dass im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung ungeachtet des 2004 eingeführten Beitragszuschlags für Kinderlose (zunächst 0,25 und seit 2022 0,35 Prozentpunkte) die von der Kinderzahl unabhängige gleiche Beitragsbelastung eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung begründet.

Die Bundesregierung will das Urteil nun umsetzen, und zwar auf Basis eines offiziell bislang unveröffentlichten Referentenentwurfs für ein „Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz“ (PUEG) des BM für Gesundheit.

Auf Versorgungsträger könnte damit erheblicher Umsetzungsaufwand als beitragsabführende Stellen zukommen, etwa im Rahmen des Zahlstellenverfahrens. Das dürfte die Bürokratiefolgen des jüngst erst über die EU-Vorgaben hinaus verschärften Nachweisgesetzes locker übersteigen.

Beleg- …

aba und AKA sind längst alarmiert; die aba hat die Einzelheiten des Entwurfs auf ihrer Internet-Seite dargelegt (hier gerafft):

Der Referenten-Entwurf sieht vor, den Beitragszuschlag um eine kinderzahlbezogene, lebenslange Ermäßigung zu ergänzen – ab dem zweiten Kind 0,15 Prozentpunkte pro Kind, max. 0,6 Punkte bei fünf oder mehr Kindern. Das umfasst u.a. Adoption, Stief- und Pflegeelternschaft – mit entsprechend vielen möglichen anzuerkennenden Belegen; die „Grundsätzliche Hinweise“ des GKV-Spitzenverbands umfasst 18 mögliche Arten. Erfasst werden ausnahmslos alle bestehenden und künftigen Berechtigten.

und Betroffenenvielfalt

Betroffen sind laut aba u.a. rund 50.000 Unternehmen als Versorgungsträger nach Direktzusagen, geschätzt über 3.000 U-Kassen, ca. 80 LVU, 130 Pensionskassen und 30 Pensionsfonds. Hinzu kommen die Träger der öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Zusatzversorgung und auch die DRV.

Erfasst wären in der bAV ca. 6 Mio. Betriebsrenten mit lfd. Renten sowie eine laut aba erhebliche, aber nicht präzise zu quantifizierende Zahl der Kapitalleistungsbezieher im Zeitraum von 120 Monaten nach der Auszahlung (120-tel-Methode nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V).

aba und AKA haben gegenüber dem Lauterbach-Ministerium bereits eine gemeinsame (ebenfalls öffentliche) Stellungnahme abgegeben und kritisieren u.a.:

den erheblichen (IT-)Aufwand, der Versorgungsträgern für die Erhebung der Kinderzahl entsteht

die Realitätsferne des vom BMG angenommenen Umsetzungsaufwands (laut Referentenentwurf nur fünf Minuten pro Fall)

dass grundlegende Alternativen für die Erhebung bzw. den Datenaustausch offenbar nicht erwogen wurden (bereits bestehende elektronische Meldeverfahren)

die kurze Umsetzungsfrist: Inkrafttreten 1. Juli, Übergangsfrist zur nachträglichen Berücksichtigung späterer Informationen bis 31. Dezember 2023.

Klaus Stiefermann, aba.

Außerdem drängt sich ein Déjà-vu zum Nachweisgesetz auf: Wie aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann gegenüber LEITERbAV erklärte, müssen die Berechtigten den Nachweis der Elterneigenschaft einschließlich der Nachweise für die Anzahl der Kinder papiergebunden pro Zahlstelle führen. Eine digitale Abfragemöglichkeit für die Anzahl der Kinder bei einer zentralen Stelle durch die Zahlstelle sei nicht vorgesehen und vermutlich so kurzfristig auch nicht umsetzbar.

Stiefermann zufolge soll der Entwurf bereits übermorgen zwar aktualisiert, aber nicht entschärft dem Kabinett vorgelegt werden.

Ernsthaft?

Jedenfalls hat man damit ein schönes weiteres Thema, bei dem das BMAS in seinem Fachdialog zeigen kann, wie ernst man es mit dem Anspruch meint, die bAV voranzubringen. Hubertus Heil und Karl Lauterbach sitzen ja Seite an Seite im Kabinett, und da kann der Kollege Genosse Arbeitsminister den Kollegen Genossen Gesundheitsminister ja am Mittwoch gleich mal fragen, ob er ihm schnell mal vorführt, wie er in fünf Minuten die erforderlichen Daten bearbeitet. Kabinettssitzungen haben sicher einen engen Zeitplan. Aber sind ja nur fünf Minuten.

Karl Lauterbach BMG, Foto BMG.

Übrigens gibt es einen im BMG, der an sich noch ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Versorgungseinrichtungen haben sollte, auch wenn sich viele in der Leserschaft wohl kaum noch an ihn erinnern können: Lauterbachs heutiger beamteter Staatssekretär Thomas Steffen, ehem. Staatssekretär im BMF, v.a. aber weiland als BaFin-Exekutivdirektor Chef der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht.

Wie dem auch sei, bemerkenswert ist, mit welcher Chuzpe und Unbeschwertheit die deutsche Politik meint, mitten in der sich ständig weiter verschärfenden, hier schon oft beunkten Multi-Problemlage dieses Landes die Aufgaben, Herausforderungen und Probleme eher zu verschärfen statt abzumildern. Das kennt man derzeit aus vielen Politikfeldern. Die hier betroffene Altersvorsorge ist nur eines davon.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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