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Sperrfeuer – der Kommentar auf LEITERbAV:

Kaisers neue Kleider statt großer Wurf

Jüngst erst hat der Gesetzgeber mit der Umsetzung von Solvency II die Pflicht zu einer Risikoaversion für einige Durchführungswege der bAV in ein Regularium gegossen. Im Sozialpartnermodell will er aber nun explizit mehr Risiko verankern. Manfred Hoffmann sieht einen Bruch mit bewährten Systemen.

 

Manfred Hoffmann.
Versorgungswerk der Presse GmbH.

In den letzten Jahrzehnten lag der Fokus in der bAV darauf, Mindestleistungen und Garantien sicherzustellen. Dabei wurden sowohl Arbeitgeber als auch Versorgungsträger mit einem verwirrenden Geflecht von Gesetzesvorschriften überzogen und in Haftung genommen. Diese Entwicklung gipfelte in den erst seit Anfang 2016 wirksam werdenden Vorschriften von Solvency II. Sie führen dazu, dass Freiheitsgrade bei der Kapitalanlage mehr denn je eingeschränkt werden und Zusagen mit vermeintlich risikoarmen langlaufenden Staatsanleihen abgesichert werden müssen, während langfristige Renditechancen ungenutzt bleiben. Nur die unternehmenseigenen EbAV konnten sich diesem Korsett im letzten Moment entziehen – zumindest vorläufig und erst nach massivem Widerstand. Da verwundert es doch sehr, wenn genau derselbe Gesetzgeber plötzlich eine Kehrtwende vollzieht und offenbar überzeugt ist, dass sämtliche Garantien und bestehende Sicherungsvermögen Teufelszeug sind und deshalb beim neuen Sozialpartnermodell Betriebsrente verboten beziehungsweise ausgeschlossen werden müssen. Gerade in der Altersvorsorge, wo Kontinuität über Akzeptanz entscheidet, ist dieser Bruch mit bewährten Systemen nicht nachvollziehbar. Das erinnert doch eher an des Kaisers neue Kleider als an den großen Wurf.

 

 

Paritätisch geht schon jetzt. Alternatives auch!

 

Dabei gibt es im Gesetzentwurf viele gute Ansätze: Die zielen zum Beispiel auf die Ausweitung des steuerlichen Förderrahmens, Anreize für Geringverdiener und die Problematik der Grundsicherung ab. In der aktuellen Fassung droht das Gesamtkonzept aber an den zu eng gefassten Vorschriften zu scheitern. Leider kommt dabei auch das mangelnde Vertrauen in die Sozialpartner zum Ausdruck. Dass die aber sehr wohl in der Lage sind, mit ihrer Verantwortung umzugehen, zeigen nicht zuletzt funktionierende Einrichtungen wie das Versorgungswerk der Presse. Es bietet seit seiner Gründung 1949 eine bAV auf tarifvertraglicher Basis für Redakteure und mittlerweile auch ein ganzes Spektrum an Vorsorgeprodukten für die freiwillige Entgeltumwandlung und die private Vorsorge für alle Mitarbeiter in der Medienbranche. Bei der Umsetzung nutzt es ein Konsortium von Lebensversicherern. Alle wesentlichen Entscheidungen werden dennoch von paritätisch besetzten Gremien aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreten getroffen. Genau diese Gremien haben seit langem erkannt, dass neben klassischen Garantieprodukten in der Altersvorsorge auch Alternativen für Kunden, die bereit sind, für höhere Renditechancen auf Garantien zu verzichten, gefragt sind. Und sie haben längst gehandelt. Da der Gesetzgeber solche Angebote im Rahmen der bAV aber nur eingeschränkt zulässt, bietet das Versorgungswerk der Presse diese Optionen bisher primär für die private Vorsorge an. Dort, wo nach wie vor zumindest eine Beitragsgarantie gewünscht wird, liegt die Gesamtverzinsung des Versorgungswerkes derzeit bei vier Prozent. Es gibt also keinen Grund zu bezweifeln, dass die Sozialpartner in der Lage sind, für sich selbst zu entscheiden, wie mit Garantien umzugehen ist und welche Alternativen über welche Durchführungswege angeboten werden sollten.

 

 

Gestern, heute, morgen? Flexibilität statt starrer Vorschriften!

 

Es ist deshalb sehr zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber mit dem Sozialpartnermodell Betriebsrente die Möglichkeit schafft, den Arbeitgeber zu enthaften und moderne, chancenorientierte Vorsorgeprodukte in der bAV anzubieten. Dabei gilt es aber Regelungen zu schaffen, die einem Test über viele Jahrzehnte standhalten. Die Kapitalmärkte beschäftigen sich heute mit der Niedrigzinsphase und Donald Trump. Womit sie sich in zehn oder mehr Jahren beschäftigen werden, weiß heute niemand. Ein Versorgungsträger muss sich dennoch flexibel auf Veränderungen am Kapitalmarkt einstellen können, um langfristig erfolgreich zu sein. Dass starre Gesetzesvorgaben das effektiver machen, hat sich bisher nicht erwiesen. Trotzdem versucht sich der Gesetzgeber bei der Betriebsrentenreform mit einem Garantieverbot und Vorschriften für ein separates Sicherungsvermögen. Er belegt das Verbot sogar mit einem Preis: Der Sicherungsbeitrag des Arbeitgebers. Wie hoch dieser Preis sein wird, ist unklar. Sollte es da nicht den Sozialpartnern überlassen werden, wohin die Mittel für die bAV fließen?

 

Die Enthaftung des Arbeitgebers und die Zielrente schaffen zusätzliche Möglichkeiten, und das ist auch dringend notwendig. Ein Zwang zu einem Junktim mit striktem Garantieverbot und enge Vorschriften für ein separates Sicherungsvermögen sind dabei kontraproduktiv. Dass kein unangemessener Wettbewerbsvorteil für Lebensversicherer erwächst, können die Sozialpartner durch die Ausgestaltung der Tarifverträge sehr wohl selbst kontrollieren. Wettbewerbsverzerrung entsteht erst durch das Garantieverbot, weil es schwache Versorgungsträger, die keine Garantien mehr darstellen können, vor den starken schützt. Die Reform der bAV hat nur dann Chancen auf Erfolg, wenn sie die Unzulänglichkeiten der Vergangenheit ausmerzt, ohne das Kind mit dem Bad auszuschütten. Wenn sie nicht den erwarteten Erfolg liefern kann, weil bewährte Modelle ausgegrenzt werden, droht sie zum Alibi für eine staatliche bAV-Pflichtversicherung zu verkümmern. Das sollte sich wirklich niemand wünschen.

 

 

Der Autor ist Geschäftsführer der Versorgungswerk der Presse GmbH (das Versorgungswerk der Presse wurde 1949 gegründet (der Vorläufer, die Versorgungsanstalt der Reichsarbeitsgemeinschaft der deutschen Presse entstand 1926 in Berlin). Den Gesellschafterkreis bilden heute der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) mit seinen Landesverbänden, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) sowie der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mit seinen Landesverbänden und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Das Versorgungswerk bietet Alters-, Hinterbliebenen- sowie Berufsunfähigkeits- und Pflegeabsicherung. Aktuell beträgt der Versicherungsbestand mit rund 160.000 Versicherungsverträgen knapp 10 Milliarden Euro, die Kapitalanlagen unter Verwaltung ca. 5,8 Milliarden Euro. Das Versicherungsrisiko wird von drei Lebensversicherern – Allianz (federführend; mit einem Anteil von 87,5 Prozent), HDI (8,6 Prozent) und AXA (3,9 Prozent) – gemeinsam getragen).

 

Von ihm und anderen Autoren erschienen bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:

 

Kein dritter Schuss“

von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.

 

Paradigmenwechsel mit Folgen“

von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.

 

Stunde der Wahrheit“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.

 

Evolution oder Revolution?“

von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.

 

bAV in der Breite voranbringen”

von Peter Schwark, Mitglied der Geschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.

 

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“

von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.

 

Warum nicht die Rosinen picken?“

von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.

 

Kaisers neue Kleider statt großer Wurf“

von Manfred Hoffmann, Geschäftsführer der Versorgungswerk der Presse GmbH, 6. März 2017.

 

Das Garantieverbot – überzeugend begründet?“

von Peter Schwark, a.a.O., 21. März 2015.

 

Enthaftung oder Totgeburt.“

von Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer Südwestmetall – Verband der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie e.V., 30. März 2017.

 

 

 

Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:

 

Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.

 

The Great Game“, 18. November 2014.

 

The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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