Die Diskussion um den Vorschlag des BMAS zur gesetzlichen Regelung von Tarifparteien getragener EbAV wird das Parkett noch länger beherrschen. Klaus Mössle kommentiert aus Sicht eines Asset Managers und Anbieters von bAV-Lösungen.
Der BMAS-Vorschlag zu einem Paragrafen 17b des BetrAVG ist zu begrüßen, weil er die Debatte um den besten Weg zu einer Stärkung der betrieblichen (bAV) und privaten Altersvorsorge (pAV) beflügelt. Der vorgeschlagene Weg führt allerdings nicht zu einer spürbaren Stärkung der deutschen bAV.
Warum ist der neue Vorschlag zu §17b nicht zielführend?
Wenn der BMAS-Vorschlag auf gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien in Form einer Pensionskasse oder eines Pensionsfonds setzt, so erkennt er damit implizit solche Modelle als „Best Practice“ an. Denn diese von den Sozialpartnern ausgearbeiteten und verantworteten Modelle weisen aufgrund ihres kollektiven Charakters (fehlende Vertriebs- und Abschlusskosten, weitgehende Steuerbefreiung) erfahrungsgemäß eine besonders hohe Qualität auf. Ein hervorragendes Beispiel für richtungweisende tarifliche Regelungen zur bAV ist die chemische Industrie, die bereits seit mehr als zehn Jahren umfangreiche Regelungen geschaffen und stetig weiterentwickelt hat. Ähnlich erfolgreiche Modelle gibt es in anderen Branchen.
Eine andere Frage ist es allerdings, ob solche ganzheitlichen Modelle der richtige Weg sind, um der bAV auch außerhalb der sozialpartnerschaftlich geprägten Branchen – nicht zuletzt im Mittelstand – zu einer stärkeren Verbreitung und Dotierung zu verhelfen. Der Wegfall der Arbeitgeberhaftung allein ist weder notwendig noch hinreichend, um die bAV auch im Mittelstand zu einem wichtigen Element der Gehaltspolitik für alle Mitarbeiter zu machen. Entscheidend für einen nachhaltigen Erfolg der bAV wird es vielmehr sein,
– dass die Arbeitgeber für jeden eingesetzten Euro eine entsprechende Wertschätzung der Mitarbeiter erfahren, denn nur dann kann die bAV ein Argument im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter sein,
– dass die Mitarbeiter wegen der objektiv gegebenen und subjektiv erkannten Attraktivität bereit sind, die Dotierung ihrer bAV durch Konsumverzicht in Form der Entgeltumwandlung maßgeblich zu unterstützen,
– dass für die Arbeitgeber die Risiken der bAV transparent und berechenbar sind und
– dass die eingezahlten Beiträge eine für die sehr langfristigen Anlagezeiträume angemessene Rendite nach Inflation und allen Kosten erwarten lassen.
Es ist fraglich, ob herkömmliche Modelle, zumal wenn sie versicherungstypischer Regulierung unterliegen, diese Voraussetzungen erfüllen können. Dies gilt umso mehr mit Blick auf das möglicherweise längerfristige Niedrigzinsumfeld sowie auf Solvency-II-Erfordernisse, die bei überbetrieblichen Einrichtungen ohne Subsidiärhaftung des Arbeitgebers langfristig nur schwer vermieden werden können.
Im Übrigen sind die Erfahrungen mit überbetrieblichen EbAV schon jetzt durchaus gemischt. Und bei der ebenfalls versicherungsähnlich ausgestalteten Riester-Rente werden Verträge bei enttäuschender Verzinsung des angelegten Kapitals in vielen Fällen nur wegen der staatlichen Zulagen weiter dotiert.
Welche „Best-Practice-Modelle“ lassen sich auch im Mittelstand umsetzen?
Moderne bAV-Modelle, die führende Unternehmen in Deutschland bereits umsetzen (zum Beispiel Daimler, Henkel, BMW, General Electric bis hin zu Mittelständlern mit 250 oder weniger Mitarbeitern), zeigen in eine andere Richtung. Hier bilden sich seit fünf bis zehn Jahren via Direktzusage – und neuerdings auch via Direktversicherung – kontenähnliche, beitragsorientierte Modelle heraus, die zwischen Anspar- und Auszahlungsphase unterscheiden und folgende weitere Hauptkomponenten aufweisen:
– Einzahlungen erfolgen monatlich durch Arbeitgeber und Mitarbeiter, wobei der Arbeitgeberbeitrag bisweilen als „Matching“-Beitrag geleistet wird.
– Seitens der Mitarbeiter erfolgt die Entgeltumwandlung automatisch mit flexiblem, monatlichem „Opt-Out“ oder „Opt-Down“.
– In der Ansparphase werden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge nach besten Erkenntnissen langfristig so angelegt, dass das Kapital bei Rentenbeginn erhalten bleibt und die Mitarbeiter am weltweiten Wachstum des Produktivkapitals teilhaben, insbesondere durch Anlagen in deutschen Aktien und weltweit diversifizierten Aktienanlagen.
– Hier beginnen sich sogenannte Lebenszyklusmodelle durchzusetzen, die eine für jede Altersstufe angemessene Anlagestrategie beinhalten – vereinfacht ausgedrückt: mehr Aktien bei jungen Mitarbeitern und mehr Anleihen und kurzfristige Geldmarktpapiere in Rentennähe.
– Mitarbeiter können den aktuellen Stand ihres Mitarbeiterkontos jederzeit online einsehen.
– Bei Rentenbeginn können die Mitarbeiter zwischen Leibrente und Auszahlung des Kapitals auf einmal oder in Raten wählen.
Das beim Arbeitgeber verbleibende Risiko des nominellen Kapitalerhalts bei Rentenbeginn wird bei solchen Modellen minimiert, ohne dass auf Produktgarantien zurückgegriffen werden muss, die gerade im Niedrigzinsumfeld extrem teuer sind. In der Auszahlungsphase wird das Langlebigkeitsrisiko auf die Mitarbeiter oder externe Versicherer verlagert. Die Mitarbeiter können vor Rentenbeginn entscheiden, ob sie eine „teure“ Leibrente zusätzlich zur GRV benötigen oder ob ein – das angesparte Kapital verbrauchender – Auszahlungsplan bis zum Alter 85 oder 95 bevorzugt wird.
Trotz der Risikoverlagerung handelt es sich keinesfalls um „Pay and Forget“- oder „Good bye and Good Luck“-Modelle. Vielmehr wird der Arbeitgeber über seine bAV-Geschäftspartner den Mitarbeitern Entscheidungshilfen anbieten, die es dem einzelnen Arbeitnehmer ermöglichen, die für ihn am besten geeignete Variante in der Auszahlungsphase zu wählen. Diese Beratung kann im persönlichen Gespräch, telefonisch über spezialisierte Call Center oder standardisiert über Online-Tools erfolgen. Bei standardisierten Kommunikationskonzepten, etwa für kleinere Mittelständler, kann dieser Service ohne zusätzliche Kosten erbracht werden.
Wichtig ist: Diese modernen, bei führenden DAX-Unternehmen praktizierten bAV-Modelle sind schon heute als Direktzusage oder Direktversicherung im Mittelstand umsetzbar – auch im „Zehn-Mann-Betrieb“.
Braucht die deutsche bAV eine Evolution oder eine Revolution?
Die bestehenden Durchführungswege der deutschen bAV ermöglichen im Einzelfall Gestaltungen, die sich mit einem weniger komplexen System nicht realisieren ließen. Allerdings wird dafür ein Preis gezahlt: Die bAV hat gerade im Mittelstand nicht den Ruf eines fortschrittlichen, transparenten und einfach umzusetzenden Modells. Und was problematischer ist: Die oben dargestellten „Best-Practice-Lösungen“, die im Rahmen des bestehenden BetrAVG von der Praxis entwickelt wurden, sind bei vielen, auch größeren Unternehmen, weder in den Personal- noch Finanzabteilungen bekannt. Hier besteht die Tendenz, den seit den neunziger Jahren andauernden, kostensenkenden Rückbau der bAV fortzusetzen; dies steht im Kontrast zu anderen Unternehmen, die ihre bAV inzwischen risikobegrenzend und in der Administration kosteneffizient umgebaut haben. Solche Unternehmen sind mit Blick auf den zunehmenden Wettbewerb um Mitarbeiter im Gegenzug wieder bereit, die bAV höher zu dotieren und proaktiv als Element der Personal- und Gehaltspolitik einzusetzen.
Diese Modelle sollten in einem ersten Schritt durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen der bAV und insbesondere der Direktzusage unterstützt werden. An dieser Stelle müssen einige Stichworte genügen: Ausweitung des steuerlichen Dotierungsrahmens, Erleichterung der Portabilität, Kostentragung bei Versorgungsausgleich, Riesterförderung für die bAV nutzbar machen, beitragsfreie Übertragung von Langzeitkonten, Beitragslast für die Sozialversicherung in der Rentenphase wieder halbieren, keine Anrechnung von bAV-Leistungen auf die Grundsicherung et cetera.
Solche Verbesserungen im Detail sind für die bAV außerordentlich wichtig und sollten vom Gesetzgeber kurzfristig umgesetzt werden. Allerdings werden sie für sich genommen die Verbreitung nicht signifikant steigern. Der Verfasser plädiert deshalb dafür, den bestehenden Anspruch auf Entgeltumwandlung durch einen gesetzlichen Automatismus mit Ausstiegsmöglichkeit zu ergänzen und ist überzeugt, dass eine solche Maßnahme des Gesetzgebers zu einer erheblichen Stärkung der bAV in verschiedener Hinsicht führen würde:
– Alle Arbeitgeber würden sich mit dem Thema bAV als zusätzliche, im Wettbewerb um gute Mitarbeiter wichtiger werdende Entgeltkomponente beschäftigen. Kleine Unternehmen können zum Beispiel eine einfach handhabbare Direktversicherung auswählen.
– Die Produktanbieter würden Vertriebs- und Beratungskonzepte entwickeln, die nach allen Kosten für jeden umgewandelten Euro eine positive Realrendite erwarten lassen. Über geeignete Zertifizierungsprozesse, eine Art „bAV-TÜV“, könnten Produktanbieter dem Arbeitgeber die arbeitsrechtlichen Risiken bei der Produktwahl weitestgehend abnehmen.
– Die positiven Erfahrungen mit der Entgeltumwandlung bei Langzeitkonten („Flexi II“) könnten in die Gestaltung von Produkten und technischen Prozessen einfließen, die auch für kleine Firmen passen.
Über die automatische Entgeltumwandlung mit Ausstiegsmöglichkeit (Opt-Out) ließe sich eine spürbar stärkere Verbreitung der bAV erreichen. Die Erfahrungen deutscher Unternehmen zeigen, dass bei einem Opt-Out die Teilnahmequote von rund 25 auf rund 80 Prozent steigt – analog zu den Erfahrungen etwa in Norwegen und Großbritannien.
Die zu kurze Revolution des 17b
Stellen die genannten Maßnahmen eine evolutionäre Weiterentwicklung der bAV dar, so geht der BMAS-Vorschlag zu Paragraf 17b mit dem an Bedingungen geknüpften Wegfall der Subsidiärhaftung des Arbeitgebers einen Schritt weiter in Richtung einer bAV-Revolution. Will man die mit der direkten oder subsidiären Arbeitgeberhaftung verknüpfte Systematik der bAV verlassen, greift der Reformvorschlag gleichwohl zu kurz: Konsequent wäre dann die Einführung eines Kontenmodells, wie es beispielsweise in den angelsächsischen Ländern, aber auch in Japan und ansatzweise in den Niederlanden umgesetzt wird.
Vereinfacht gesagt geht es dabei um Folgendes: Sowohl für die bAV als auch für die private Vorsorge werden steuerlich begünstigte Konten geschaffen, auf denen Fondsanteile, direkte Anlagen oder auch Versicherungspolicen gehalten werden können. Diese Konten können bis zu gewissen Höchstgrenzen aus dem Bruttogehalt bespart werden – ähnlich wie die beschriebenen deutschen „Best-Practice-Modelle“. Die Besteuerung erfolgt nachgelagert bei Entnahme der angesparten Mittel ab Rentenbeginn. Die entsprechenden privaten Konten sind ebenfalls steuerlich begünstigt. Das Risiko der arbeitsrechtlichen Arbeitgeberhaftung kann durch „Safe-Harbour-Ansätze“ geregelt werden. Danach ist der Arbeitgeber aus der Haftung, wenn er als Regellösung ein anerkanntes Modell in seinem Pensionsplan vorsieht. Mit diesen Kontenmodellen lässt sich nicht zuletzt die Portabilität der Vorsorgemittel besonders effizient sicherstellen: So kann ein Mitarbeiter in den USA bei einem Arbeitgeberwechsel sein Vorsorgevermögen auf dem bisherigen 401k-Konto stehen lassen, auf das 401k-Konto des neuen Arbeitgebers übertragen oder auf ein privates Individual Retirement Account (IRA) überführen, jeweils ohne einen steuerlichen Zufluss auszulösen.
Fazit
– Die Debatte um die Stärkung der bAV ist begrüßenswert, die im BMAS-Vorschlag zu §17b skizzierten Maßnahmen sind aber letztlich nicht zielführend.
– Die Anerkennung der besonderen Qualität von sozialpartnerschaftlich ausgearbeiteten Modellen ist zu begrüßen, allerdings eignen sich diese ganzheitlichen Modelle nicht für alle Arbeitgeber, schon gar nicht im Mittelstand.
– Gut funktionierende Praxisbeispiele zeigen, dass beitragsorientierte Pensionszusagen schon heute eine leistungsstarke bAV auch in der Breite im Mittelstand ermöglichen – in Form der Direktzusage oder der Direktversicherung.
– Um die bAV in der Breite als tragende Säule der Altersvorsorge zu entwickeln, sollte die automatische Entgeltumwandlung mit Opt-Out eingeführt werden.
– Für eine Enthaftung der Arbeitgeber sollte man konsequenterweise Kontenmodelle einführen, wie sie in angelsächsischen Ländern, aber auch in Japan oder Holland als Ergänzung zur klassischen bAV praktiziert werden. Auf diese Weise lässt sich auch das Problem der Portabilität ohne weiteres lösen.
Der Autor ist Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland.
Von ihm und anderen Autoren erschienen zwischenzeitlich bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:
von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.
„Paradigmenwechsel mit Folgen“
von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.
von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.
„bAV in der Breite voranbringen”
von Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.
„Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“
von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.
„Warum nicht die Rosinen picken?“
von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.
von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.
„Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“
von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.
Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:
„Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.
„The Great Game“, 18. November 2014.
„The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.