Das BMAS hat sein Konzept zur Verbreitung und Stärkung der bAV insbesondere bei KMU über sozialpartnerschaftlich getragenen Einrichtungen grundlegend weiterentwickelt. Ein Kurzkommentar von Bernhard Wiesner.
Bereits der erste Vorschlag des BMAS beinhaltete trotz notwendiger Verbesserungen eine bemerkenswerte Rückbesinnung auf das kollektive Kernstärkenprofil der bAV und ihre diesbezüglichen Effizienz-Mechanismen.
Für die Politik schlägt 13 Jahre nach der Riester-Reform jetzt in der bAV die Stunde der Wahrheit. Wird sie bei ihrer Entscheidung zur Verbreitung der bAV insbesondere bei KMU den 2002 eingeleiteten, die gesamte bAV immer mehr belastenden Trend einer sich zügig verstärkenden Koordinatenverschiebung in der bAV in Richtung der Markt- und Produktinteressen weiter voranschreiten oder sich gar verstärken lassen?
Nach der jüngsten, vom BMAS veröffentlichten bAV-Statistik weist beispielsweise zum dritten Mal in Folge das Finanzprodukt Direktversicherung (unter Solvency II) die höchste Anzahl der „aktiv Versicherten“ auf. Hier ist nicht der Platz dies zu bewerten. Aber niemand kann glauben, dass eine Fortsetzung oder gar Verstärkung eines solchen Trends in der bAV in allen Durchführungen ohne Wirkung bleiben wird.
Die Chance zur Trendwende
Die unschlagbare Effizienz der bAV beruht vor allem darauf, dass es sich um eine von Unternehmen und Sozialpartnern organisierte Sozialleistung handelt und nicht um ein Finanzprodukt. Dies wird ganz besonders deutlich in der energischen, einhelligen Ablehnung der existenzgefährdenden Solvency-II-Mechanismen für bAV-Einrichtungen der Unternehmen und Sozialpartner durch die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die Politik und Fachverbände. Gerade Arbeitnehmer von KMU und Arbeitnehmer mit oft begrenzten finanziellen Spielräumen benötigen bestmögliche Leistungen zu geringstmöglichen Kosten. Individualisierte und vertriebsgestützte Konzepte haben sich als zu teuer und zu ineffektiv erwiesen. Diese Arbeitnehmer brauchen wirklich vertrauenswürdige Optionen und verlässliche Gewährsträger.
Jetzt hat die Politik die große Chance, mit den geeigneten Rahmenbedingungen für den Aufbau hocheffizienter Einrichtungen für die Verbreitung der bAV bei KMU und zugleich mit diesem Beitrag zur nachhaltigen Stärkung der bAV insgesamt eine Trendwende einzuleiten.
Konzept für alle Pensionsfonds und Pensionskassen öffnen?
Der weiterentwickelte Vorschlag des BMAS weist bei sachgerechter Betrachtung eine aus Sicht der Arbeitgeber und der Gewerkschaften nachhaltige Eignung zur Verbreitung, Stärkung und Weiterentwicklung der bAV auf.
Der §17b (neu) ermöglicht eine insbesondere für KMU mehr als gebotene, vollständig periodengerechte Finanzierung der bAV unter Verzicht auf gerade auch in der aktuellen Niedrigzinsphase zu Tage tretende erhebliche Bilanzrisiken. Der Schwerpunkt auf der richtigerweise beim PSV gesicherten Beitragszusage mit Mindestleistung eröffnet für die Begünstigten eine leistungsstarke allwetterfeste (!) Balance zwischen Sicherheit mit hoher Risikotragfähigkeit und guten Ergebniserwartungen, ohne ihnen eine sicherungslose bAV ohne Netz nach anglosächsischem Muster aufzuerlegen.
Zu überlegen ist, ob es nicht besser wäre, eine unglückliche Divergenz zwischen Einrichtungen der Sozialpartner und Einrichtungen der Unternehmen zu vermeiden. Es könnte sich empfehlen, das Konzept des §17b (neu) für alle Pensionsfonds und Pensionskassen zu öffnen. Dies stärkt auch die speziell auf bAV gerichtete Perspektive unter IORP II (statt Solvency II).
Auch sollte sich der PSV-Beitragssatz für Pensionsfonds und Pensionskassen fachlich begründet an der jeweiligen Zusageform orientieren. Eine Differenzierung nach Durchführungswegen hätte sachlich nicht begründbare, kontraproduktive Wirkungen.
Weichen richtig stellen
Auch für die Sozialpartner, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften, schlägt also jetzt – wohl mehr noch als für die Politik – die Stunde der Wahrheit. Lassen die Sozialpartner die Chancen insbesondere für Arbeitnehmer ohne bAV auf hocheffiziente Einrichtungen und leistungsstarke Konzepte vorübergehen? Lassen sie den Trend zur Koordinatenverschiebung in Richtung der Markt- und Produktinteressen weiterlaufen oder sich gar noch verstärken mit perspektivisch nachteiligen Auswirkungen auf die gesamte bAV in allen Durchführungen?
Oder übernehmen jetzt die Sozialpartner die gemeinsame Verantwortung für hocheffiziente Einrichtungen zur Verbreitung der bAV und ziehen zukünftig zusammen mit den Durchführungen der Unternehmen an einem Strang zur gemeinsamen Stärkung leistungsstarker bAV ohne eigene Markt- und Produktinteressen?
Es bleibt den Arbeitgebern, den Gewerkschaften und vor allem den Arbeitnehmern zu wünschen, dass die bevorstehenden Entscheidungen der Politik und der Sozialpartner für die Zukunft der bAV wohlüberlegt die richtigen Weichen stellen. Denn kommt es jetzt zu grundsätzlichen Fehlentscheidungen, werden diese kaum mehr korrigierbar sein.
Der Autor war bis 2015 Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA. Er ist Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba).
Von ihm und anderen Autoren erschienen zwischenzeitlich bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:
von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.
„Paradigmenwechsel mit Folgen“
von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.
von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.
„bAV in der Breite voranbringen”
von Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.
„Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“
von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.
„Warum nicht die Rosinen picken?“
von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.
von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.
„Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“
von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.
Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:
„Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.
„The Great Game“, 18. November 2014.
„The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.