Die erste Lesung hat das BRSG im Bundestag hinter sich, morgen beginnen die Beratungen im A+S-Ausschuss. Abgesehen von den vielen positiven Elementen im Steuer- und Sozialrecht, die die bAV voranbringen werden, bleibt das Verbot jeglicher Arten von Garantien, selbst für Invaliditäts- oder Hinterbliebenenleistungen und in der Rentenphase, streitig. Peter Schwark nimmt Stellung.
Der Bundesrat sieht bei Direktversicherungen keinen Bedarf für ein Garantieverbot und will dies zugunsten der Gestaltungsfreiheit der Tarifpartner aufheben. Unausgesprochen bejaht hat er es damit zwar für Pensionskassen und Pensionsfonds. Das ist auch nachvollziehbar, wurde doch seinerzeit der Ausschluss der EbAV aus Solvency II just mit der subsidiären Arbeitgeberhaftung begründet. Dass diese nun aber bei der reinen Beitragszusage entfallen soll, führt in ein strategisches Dilemma. Direktversicherungen dagegen unterliegen Solvency II – mit oder ohne Arbeitgeberhaftung.
Garantieverbot als Wettbewerbsverbot
Die Gegenäußerung der Bundesregierung für das umfassende Garantieverbot nennt einen überraschenden Grund: Pensionskassen und Pensionsfonds sollen vor Wettbewerbern geschützt werden, die Garantien geben. Überraschend zunächst, warum das für einen im Marktgeschehen neutralen Staat überhaupt ein relevanter Gesichtspunkt ist. Das Argument überzeugt aber auch in der Sache nicht:
Erstens stehen die Firmenpensionskassen und -fonds schon nach eigener Sichtweise nicht im Wettbewerb. Sie haben den exklusiven Auftrag, die bAV im je eigenen Betrieb durchzuführen. Da hat der hauseigene Versorgungsträger quasi ein natürliches Monopol.
Zweitens darf ohne Arbeitgeberhaftung keiner Garantien anbieten, ohne die Lasten von Solvency II zu tragen. Der jahrelange Kampf der EbAV gegen Solvency II ist Beleg genug, dass damit seitens der Pensionskassen und -fonds mehr Nach- als Vorteile assoziiert werden, es ergo keinen Wettbewerbsvorteil für Modelle mit Garantien gibt.
Drittens gibt es ja weiter Garantien, nämlich außerhalb des Sozialpartnermodells. Sollten die Arbeitnehmer unbedingt Garantien wollen, das Sozialpartnermodell diese aber nicht einmal in der Rentenphase bieten, könnten die neuen Systeme ein Imageproblem bekommen und wegen mangelnder Angebotsbreite zu leeren Hüllen werden.
Angebliche Kosten von Garantien massiv übertrieben
Bleibt noch das Argument der zu erwartenden höheren Rendite. Zitiert wird hier häufig eine von der Fondsgesellschaft der Deutschen Bank finanzierte Studie zu den angeblichen Kosten von Garantien. Die Fondsindustrie ist vehementer Befürworter eines Garantieverbotes für Versicherer.
Dem Autor von der Frankfurt School of Finance & Management zufolge belaufen sich die angeblichen Kosten von Garantien für einen Sparplan von 50 Euro im Monat über 42 Jahre auf 140.000 Euro, bei einer Einzahlungssumme von also nur 25.200 Euro. Vollzieht man die Berechnungen nach, so beruhen diese auf irrealen Prämissen. Seine Berechnungen basieren auf einer aus der Vergangenheit projizierten Aktienrendite von rund 8%, die einfach in die Zukunft übertragen wird. Demgegenüber gestellt wird nicht die vergangene Anleihenrendite, sondern die aktuell niedrigen 1% werden einfach für die nächsten 42 Jahre unterstellt. Die implizite Renditedifferenz bzw. Risikoprämie von Aktien über Anleihen soll damit historisch unbekannte 7% pro Jahr betragen – und das für die nächsten 42 Jahre.
Schon ein einfacher Plausibilitätstest widerlegt das: Laut BVI-Statistik haben Sparpläne in „Aktienfonds Europa“ über die letzten 35 Jahre, länger geht die Statistik nicht, 5,5% gebracht. In der gleichen Zeit brachten Europäische Rentenfonds mit langer Laufzeit 4,6%, also nicht einmal einen Prozentpunkt weniger. Und das obwohl die Aktienmärkte derzeit historische Höchststände markieren. Aktien- und Anleiherenditen sind nicht unabhängig voneinander. Es ist irreal, dass sich der Renditeunterschied in den nächsten 42 Jahren versiebenfachen sollte, wie in der Studie unterstellt wird.
Die vermeintliche Garantiekostenstudie untersucht insofern nicht die Kosten von Garantien, sondern die über 42 Jahre eindrucksvolle exponentielle Wirkung unrealistischer Renditedifferenzen.
EZB-Geldschwemme verteuert auch Aktien
Getragen wird die Studie von der Sichtweise, die Draghi´sche Niedrigzinspolitik würde an Aktien wirkungslos vorbeiziehen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: So drängen die über 1.500 Milliarden Euro aus der Druckerpresse der EZB nur vordergründig in Anleihen, sie fließen indirekt in erheblichem Maß weiter in die Aktien- und Immobilienmärkte. Die „Assetpreis-Inflation“ durch fallende Zinsen ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die Aktienmärkte in den letzten Jahren stetig gestiegen sind, wie die Anleihenmärkte im Übrigen auch, obwohl es große Zukunftsrisiken gibt: Unsicherheit über die Zukunft des Euros und der EU, Folgen des Brexit und nun auch noch drohender Protektionismus aus den USA, usw. usf..
Paradoxerweise werden die angesichts der Risiken mittlerweile teuren Aktienmärkte jedoch in der Öffentlichkeit genau umgekehrt interpretiert, nämlich als Beleg dafür, dass in Zeiten niedrigster Zinsen wenigstens unvermindert hohe Kursgewinne am Aktienmarkt zu erwarten seien. Es erinnert an die Zeit von 1998/1999, wenn nun allseits zum Einstieg in Aktien geblasen wird.
Politik vor einer wichtigen Weichenstellung
Im Hinblick auf das hier diskutierte Garantieverbot heißt das: Zwar mögen Aktien grundsätzlich auch künftig in guten Zeiten den einen oder anderen zusätzlichen Renditepunkt als Risikoprämie bieten. Die Trade offs zwischen sicherer und riskanter Anlage und damit die angeblichen Kosten von Garantien werden jedoch deutlich überschätzt, vor allem, wenn Risiken bei versicherungsförmigen Durchführungsformen über sehr kostengünstige kollektive Risikopuffer deutlich reduziert werden. Die relativen Ertragsunterschiede sind bei weitem nicht so, wie sie von interessierter Seite dargestellt werden.
Am Ende bleibt es ein Problem der Politik, wie sie es ihren Wählern erklären will, wenn sich die geweckten Erwartungen nicht realisieren. Insofern sollte in den nächsten Tagen gründlich diskutiert werden, ob der Weg in eine Welt „bAV II“ ohne jede Garantie, selbst in der Rentenphase, wirklich alternativlos ist. Schwankende oder sinkende Renten wären gerade für Geringverdiener besonders schmerzlich.
Der Autor ist Mitglied der Geschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV).
Von ihm und anderen Autoren erschienen zwischenzeitlich bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:
von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.
„Paradigmenwechsel mit Folgen“
von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.
von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.
von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.
„bAV in der Breite voranbringen”
von Peter Schwark, Mitglied der Geschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.
„Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“
von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.
„Warum nicht die Rosinen picken?“
von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.
„Kaisers neue Kleider statt großer Wurf“
von Manfred Hoffmann, Geschäftsführer der Versorgungswerk der Presse GmbH, 6. März 2017.
„Das Garantieverbot – überzeugend begründet?“
von Peter Schwark, a.a.O., 21. März 2015.
von Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer Südwestmetall – Verband der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie e.V., 30. März 2017.
Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:
„Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.
„The Great Game“, 18. November 2014.