In diesen Monaten hat die deutsche Wirtschaft schlechte Presse, die Negativschlagzeilen häufen sich. Schlussendlich muss sich eine Rezession auch im Insolvenzgeschehen und damit in den Zahlen des Pensions-Sicherungs-Vereins niederschlagen. Doch ist das so? Martin Lätsch und Benedikt Köster gucken genauer hin, schlagen weder Alarm noch geben sie Entwarnung – und erläutern, was sie für dieses Jahr erwarten.
„Pleite-Nation Deutschland“, „Pleitewelle rollt 2024 weiter“ oder „Insolvenzen nehmen 2024 dramatisch zu“, so lauten die Presseschlagzeilen zur aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Viele bekannte Firmen wie Arko, Euroboden, Galeria, Gerry Weber, Haba, Hussel, KaDeWe, Real, Reno, Römertopf, SportScheck usw. mussten Insolvenz anmelden. Gefühlt scheint gerade die ganze deutsche Wirtschaft im Krisenmodus zu sein.
Doch ist dieses Gefühl wirklich begründet? Wenn ja, lässt es sich mit dem tatsächlichen Insolvenzgeschehen belegen? Und wie sehen eigentlich die Insolvenzzahlen verglichen mit vergangenen Krisenzeiträumen aus? Was bedeuten die Insolvenzzahlen zudem für den PSVaG und seine Mitglieder?
Insolvenzgeschehen 2023
Die Anzahl der eröffneten Unternehmensinsolvenzverfahren ist 2023 gegenüber dem Vorjahr um ein Viertel auf 13.000 gestiegen. Hinzu kamen noch 5.000 Insolvenzen, bei denen die Verfahrenseröffnung mangels Masse abgewiesen wurde.
Insgesamt waren im Jahr 2023 160.000 Arbeitnehmer von einem Insolvenzverfahren betroffen. Das sind doppelt so viele wie 2022. Auch die Forderungshöhen in Insolvenzverfahren sind von 14 Mrd. Euro 2022 auf 26 Mrd. Euro 2023 deutlich gestiegen.
Die oben genannten Schlagzeilen scheinen somit insofern erst einmal gerechtfertigt. Bei einem Vergleich des Insolvenzgeschehens 2023 mit dem Zeitraum von 2017 bis 2020 relativieren sich die Zahlen jedoch:
„Eine Pleitewelle gab es 2023 nicht.“
Im Mittel wurden in den Jahren 2017 bis 2020 13.000 Unternehmensinsolvenzverfahren eröffnet, also ebenso viele wie 2023. Die Forderungshöhe lag mit durchschnittlich 30 Mrd. Euro sogar höher als im Jahr 2023. Die Anzahl der von einem Insolvenzverfahren betroffenen Arbeitnehmer war in den Jahren 2017 bis 2020 mit durchschnittlich 130.000 hingegen geringer als im Jahr 2023.
Eine Pleitewelle gab es 2023 nicht. Vielmehr haben die umfangreichen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen in den Jahren 2021 und 2022 zu einer deutlichen Reduzierung der Insolvenzzahlen beigetragen; 2023 hat sich mit dem Auslaufen der staatlichen Hilfsmaßnahmen das Insolvenzgeschehen somit lediglich wieder normalisiert.
Ausblick auf 2024
Wie geht es im Jahr 2024 weiter? Experten erwarten einen weiteren Anstieg der Insolvenzzahlen um 10 bis 30% für 2024. Damit würde sich die Anzahl der eröffneten Insolvenzen auf 14.000 bis 17.000 erhöhen. Dies liegt jedoch immer noch deutlich unter den 24.000 eröffneten Unternehmensinsolvenzen des Jahres 2009.
Im Handel sieht sich einer Umfrage des Ifo-Instituts zufolge jeder zehnte Einzelhändler durch die allgemeine Kaufzurückhaltung in seiner Existenz bedroht. 2023 haben zahlreiche Modehäuser Insolvenz angemeldet, obwohl der Umsatz mit Kleidung 2023 gegenüber dem Vorjahr um 4,6% gewachsen ist.
Die gestiegenen Zinsen und Baukosten führen insb. im Wohnungsbau zu einem Nachfragerückgang. Der Umsatz im Wohnungsbau ist 2023 um 11% eingebrochen und wird laut dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes 2024 um weitere 13% zurückgehen. Dieser deutliche Umsatzrückgang kann nicht durch die anderen Baubereiche kompensiert werden – zumal der Bereich Büroimmobilien mit eigenen Problemen zu kämpfen hat.
Im Gesundheitswesen wirken sich die gestiegenen Sach- und Personalkosten negativ auf die Entwicklung aus. Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKI Krankenhaus-Index Winterumfrage 2024) ist die Lage der Krankenhäuser so schlecht wie noch nie: 15% der Allgemeinkrankenhäuser schätzen ihr Insolvenzrisiko bis Ende 2024 als hoch oder sehr hoch ein. Bis Ende 2025 sind dies sogar ein Viertel der Allgemeinkrankenhäuser.
„In der Vergangenheit war die Anzahl der offenen Stellen ein guter Indikator für die der Insolvenzen.“
In der Gastronomie stiegen die Insolvenzen 2023 um 27% und damit deutlich stärker als im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. 2024 wird sich die Lage in der Gastronomie durch die Erhöhung des Mindestlohns sowie der Mehrwertsteuer ggf. weiter verschlechtern.
In der Vergangenheit war die Anzahl der offenen Stellen ein guter Indikator für die Anzahl der Insolvenzen. In Jahren mit vielen offenen Stellen gab es im Schnitt weniger Insolvenzen als in Jahren mit wenigen offenen Stellen. 2022 stieg die Zahl der bei den Jobcentern gemeldeten offenen Stellen auf 845.000 und hatte damit den Corona-bedingten Einbruch überwunden. Im Februar 2024 sank die Zahl der offenen Stellen auf 700.000.
Summa Summarum lässt sich die Experteneinschätzung von steigenden Insolvenzzahlen für 2024 nachvollziehen.
Insolvenzgeschehen beim PSVaG – Rückblick auf 2023
Der PSVaG hat 2023 in über 400 Sicherungsfällen, also Insolvenzen, die bAV der Arbeitnehmer übernommen.
Verglichen mit 2022 bedeutet dies ein Anstieg von 50%. Allerdings war 2022 das Jahr mit den wenigsten Sicherungsfällen seit 30 Jahren. Die Anzahl der Sicherungsfälle hat sich somit 2023 lediglich wieder normalisiert.
Der Beitragssatz 2023 von 1,9 Promille liegt nur leicht über dem Beitragssatz des Vorjahres mit 1,8 Promille und deutlich unter dem langjährigen Mittel von 2,7 Promille.
Die Anzahl der vom PSVaG zu sichernden Renten und Anwartschaften vervierfachte sich 2023 gegenüber dem Vorjahr. Gesichert wurden 8.100 Renten und 51.600 Anwartschaften mit unverfallbarer Anwartschaft. Aufgrund des hohen Anteils von Pensionskassenzusagen mit insgesamt relativ geringem Leistungsaufwand blieb das Schadenvolumen für 2023 trotzdem stabil.
Insolvenzgeschehen beim PSVaG – Ausblick auf 2024
Welche Auswirkung haben gesamtwirtschaftlich steigende Insolvenzzahlen auf den PSVaG? Den PSVaG betreffen nur Insolvenzen mit bestehender insolvenzgeschützter bAV. Von den jährlich 20.000 bis 30.000 Insolvenzen sind dies regelmäßig nur um die 500.
Auf den ersten Blick erstaunt diese niedrige Zahl. Sie scheint nicht zu den bekannten Zahlen zur Verbreitung der bAV zu passen. Nach dem letzten BMAS Forschungsbericht aus dem Jahr 2020 zur Verbreitung der bAV gab es in 28% der Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten bAV-Zusagen.
Der Anteil der Unternehmen mit bAV steigt auf bis zu 74% für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Von den 20.000 bis 30.000 Insolvenzen jährlich müssten demnach mindestens 5.600 als Sicherungsfall beim PSVaG landen. Ein großer Teil der Insolvenzen betrifft jedoch Unternehmen ohne Arbeitnehmer und damit ohne insolvenzgeschützte bAV.
Krisen in einzelnen Branchen haben unterschiedliche Auswirkungen auf den PSVaG, da die bAV in einzelnen Branchen sehr unterschiedlich verbreitet ist. Nach Zahlen aus dem Jahr 2019 haben bspw. im Gastgewerbe weniger als 20% der Beschäftigten eine bAV, während im Kredit- und Versicherungsgewerbe fast 90% der Beschäftigten eine Zusage auf bAV haben.
„Das Schadengeschehen ist weniger von der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation abhängig, vielmehr von einzelnen großen singulären Insolvenzen.“
Auch die Höhe der Zusagen ist branchenabhängig. In Branchen, in denen bAV nur gering verbreitet ist, ist die Höhe der Zusagen tendenziell geringer als in Branchen mit einer hohen Verbreitungsquote. Auch unterscheiden sich die vorherrschenden Durchführungswege in den einzelnen Branchen.
Insgesamt ist das Schadengeschehen beim PSVaG jedoch weniger von der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation abhängig, sondern vielmehr von einzelnen großen singulären Insolvenzen. Ein einzelner Großschaden kann über 30% des gesamten Schadenvolumens eines Jahres verursachen.
Für 2024 erwarten wir sowohl eine höhere Anzahl von Insolvenzen als auch ein höheres Schadenvolumen als 2023.
Risikokollektivierung beim PSVaG
Insolvenzen sind unvermeidlicher Bestandteil unseres marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems. Auch große Unternehmen mit Verpflichtungen aus bAV in Höhe mehrerer Milliarden Euro können in eine Schieflage geraten und einen Sicherungsfall beim PSVaG auslösen.
Die Finanzierung der Insolvenzsicherung über den PSVaG erfolgt über ein Umlageverfahren. Die kapitalisierten Werte sowohl der gesicherten Renten als auch der zu sichernden Anwartschaften werden jeweils im Insolvenzjahr durch Beiträge der Arbeitgeber finanziert.
In Jahren, in denen sich außerordentlich hohe Beiträge ergeben würden, kann zu deren Ermäßigung der beim PSVaG zu bildende Ausgleichsfonds mit Genehmigung der BaFin zur Gegenfinanzierung verwendet werden. Aktuell hat er seine Zielgröße mit 3,4 Mrd. Euro (9 Promille der Beitragsbemessungsgrundlage) erreicht. Dieser Betrag ist in den Schadenmodellen ausreichend, um einen 100-Jahresschaden deutlich abzumildern.
Daneben sieht das BetrAVG das sog. Glättungsverfahren vor, mit dem die erforderlichen Beiträge auf bis zu vier Folgejahre verteilt werden können. Dieses Verfahren wurde im Krisenjahr 2009 angewendet. Von dem Beitragssatz in Höhe von insgesamt 14,2 Promille waren 6 Promille erst in den Folgejahren fällig.
Der Ausgleichsfonds und das Glättungsverfahren führen zu einer Dämpfung der Beitragssatzschwankungen und damit zu einem Risikoausgleich in der Zeit.
Die derzeit gut 100.000 den PSVaG tragenden Unternehmen repräsentieren einen großen Teil der deutschen Wirtschaft. Unter den Mitgliedern des PSVaG finden sich viele der umsatzgrößten Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung sowie die meisten großen Kreditinstitute bzw. Versicherungsunternehmen. Die Mitgliedschaft verschiedener Branchen ermöglicht einen Risikoausgleich unter den Branchen.
Die Finanzierung der Insolvenzsicherung der bAV verteilt sich auf viele und breite Schultern. Auch in der Vergangenheit mussten vereinzelt Beitragsspitzen bewältigt werden.
Auf der anderen Seite haben besonders günstige Bedingungen auch außergewöhnlich niedrige Beitragssätze ermöglicht. Zum Beispiel musste im Jahr 2016 überhaupt kein Beitrag erhoben werden. Insgesamt sind sowohl besonders hohe als auch besonders niedrige Beitragssätze Ausnahmen. Im Allgemeinen bewegen sich die Beitragssätze innerhalb weniger Promillepunkte und spiegeln die üblichen Entwicklungen im Wirtschafts- und Finanzbereich wider.
Der PSVaG übernimmt dabei verlässlich und verantwortungsvoll seit bereits 50 Jahren eine wichtige und gesetzlich verankerte Funktion der sozialen Sicherung.
Die Autoren:
Martin Lätsch ist Aktuar und Referent im Pensions-Sicherungs-Verein VVaG in Köln.
Benedikt Köster ist ist Aktuar und Vorstand des Pensions-Sicherungs-Vereins VVaG in Köln.
Der Beitrag beruht auf zwei Vorträgen, gehalten auf der Jahresauftaktveranstaltung der Pensions-Akademie am 16. Februar in Frankfurt am Main und am 20. März auf dem MCC Zukunftsmarkt Altersvorsorge in Berlin.