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78. aba-Jahrestagung (II):

Unterschiedliche Zeitbegriffe bei der bAV-Reform

 

Bis gestern Nachmittag diskutieren rund 850 Fachleute auf der Jahrestagung 2016 der aba in Berlin aktuelle Entwicklungen der bAV. Die aba will nach Vorliegen der Gutachten eine Reform beschleunigen und drängt die Bundesregierung, unmittelbar nach der Sommerpause einen Koalitionsentwurf in die parlamentarischen Prozesse zu geben. Die Politik reagierte etwas unterkühlt. LbAV-Autor Detlef Pohl war dabei.

 

 

Klar ist: Alle Parketteilnehmer wollen der bAV zu mehr Erfolg verhelfen und ringen mit der Politik um die richtigen Rahmenbedingungen. Dabei machten die zuständigen Ministerien auf der Tagung schon mal klar, dass der Staat dabei „keine Spendierhosen“ anziehen werde. LEITERbAV berichtete bereits gestern, und heute weitere Einzelheiten:

 

Yasmin Fahimi, beamtete StS im BMAS auf der aba-Jahrestagung am 25. April 2016 in Berlin. Foto: Sandra Wildemann.
Yasmin Fahimi, beamtete StS im BMAS auf der aba-Jahrestagung am 25. April 2016 in Berlin.
Foto: Sandra Wildemann.

Auffallend: Die Akteure auf dem Parkett haben offenbar unterschiedliche Auffassungen von der Geschwindigkeit der Reform. Während aba-Chef Heribert Karch von der Bundesregierung forderte, zügig den richtigen Reformmix zu gestalten und „schon unmittelbar nach der Sommerpause einen Koalitionsentwurf in die parlamentarischen Prozesse“ zu geben, haben es die Ministerien offenbar nicht so eilig. Man wolle die politische Abstimmung „in großer Gelassenheit angehen und noch im Laufe des Jahres eine Lösung vorlegen“, dämpfte Michael Meister, Staatsekretär im CDU-geführten Bundesfinanzministerium (BMF), die Hoffnung auf eine zügige Reform. Auch Yasmin Fahimi, Staatssekretärin im SPD-geführten Bundesarbeitsministerium (BMAS), will „keine hektischen Entscheidungen“. Hintergrund dürften unterschiedliche Ansatzpunkte beider Häuser sein, die trotz vorliegender bAV-Gutachten einen gemeinsamen Gesetzentwurf weiter erschweren.

 

 

Michael Meister, parl. StS im BMF, auf der aba-Jahrestagung am 25. April 2016 in Berlin. Foto: Sandra Wildemann.
Michael Meister, parl. StS im BMF, auf der aba-Jahrestagung am 25. April 2016 in Berlin.
Foto: Sandra Wildemann.

Beide Politiker machten deutlich, dass man die Ergebnisse der Gutachten zunächst in den zuständigen Ressorts auswerten will, um dann zu sehen, welche Details in ein Reformgesetz einfließen können. Ziel sei ein einziges gemeinsames Gesetz, sagte Meister, der das „Ergebnis möglichst kostenneutral“ halten will. Dies dürfte ein frommer Wunsch sein, wenn man die Beteiligung vor allem kleinerer Unternehmen an der bAV erhöhen will. Das zeigen auch die Eckpunkte der gutachterlichen Reformvorschläge.

 

 

 

BMF: Gutachten mit Preisschildern

 

Das vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der Universität Würzburg erstellte Gutachten des BMF enthält Empfehlungen zur Optimierung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen der bAV. „Unsere Zielvorgabe lautete, die Verbreitung der bAV unter Gering- und Niedrigverdienern zu erhöhen und kleinen und mittleren Unternehmen als Arbeitgeber Anreize zu setzen, ihren Arbeitnehmern ein bAV-Angebot zu unterbreiten“, erklärte Projektleiter und Lehrstuhlinhaber Professor Dirk Kiesewetter auf der aba-Tagung. Eine Vorgabe sei auch gewesen, dass die Reform „nichts kosten darf, aber wir haben dennoch Preisschilder angebracht“. In seinem Vortrag ging er vor allem auf die beiden Handlungsempfehlungen des Gutachtens für die Politik ein:

 

 

1. Zuschusspflicht des Arbeitgebers bei Entgeltumwandlung und bAV-Abzugsbetrag für kleine Unternehmen

 

Empfohlen wird eine gesetzliche Verpflichtung zu einem Arbeitgeberzuschuss bei Entgeltumwandlung (Neuzusagen). Durch den Zuschuss wird der Arbeitnehmer vorab für seine erhöhte Abgabenlast durch die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung in der Leistungsphase entschädigt. Auch werden die durch Entgeltumwandlung reduzierten Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung in etwa kompensiert.

 

Zusätzlich zu dieser Fördermaßnahme für Arbeitnehmer wird die Einführung eines neuen Anreizes für kleine Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern im Jahresdurchschnitt empfohlen, da dort die bAV am geringsten verbreitet ist. Dieser soll im Stile des Investitionsabzugsbetrags (nach § 7g EStG) eingeführt werden. Neben dem Betriebsausgabenabzug wird es Kleinunternehmen dadurch ermöglicht, jährlich 50 Prozent der Beiträge zur bAV außerbilanziell gewinnmindernd von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abzuziehen. Der bAV-Abzugsbetrag wird unabhängig davon gewährt, ob es sich um arbeitgeber- oder arbeitnehmerfinanzierte Beiträge handelt. „Wir haben hier bewusst einen Köder für höheren Anreiz ausgelegt“, sagte Kiesewetter. Gemeint ist: Steuerstundungseffekt mit Liquiditätsvorteil.

 

 

2. Verbesserte Riester-Förderung in der bAV oder Einführung eines bAV-Förderbeitrages

 

Kiesewetter schlägt vor, die Arbeitnehmerförderung in der bAV zu verbessern. Dies kann durch eine verbesserte Riester-Förderung in der bAV umgesetzt werden. Denn die von der Kinderzahl abhängige und mit dem Sonderausgabenabzug verzahnte Zulagenförderung ermöglicht eine großzügige und zielgenaue Förderung von Gering- und Niedrigverdienern. Hierzu muss jedoch zunächst die ökonomisch nicht zu rechtfertigende Doppelverbeitragung der Riester-geförderten bAV beseitigt werden. Zur Lösung dieses Problems können entweder die Beiträge zu einer Riester-geförderten bAV in der Anwartschaftsphase oder die Leistungen in der Rentenphase sozialversicherungsfrei gestellt werden.

 

Alternativ könnte ein neues Fördermodell – der „bAV-Förderbetrag“ – eingeführt werden. Er entspricht der Höhe nach der Riester-Grundzulage (154 Euro) und wird an Arbeitgeber gezahlt, die für einen Arbeitnehmer mindestens den Mindestbetrag (nach § 1a Abs. 1 Satz 4 BetrAVG; 2015: 212,63 Euro) jährlich als Arbeitgeberbeitrag in eine bAV einzahlen. Die Zulage wird auf die Altersvorsorgezulage des Arbeitnehmers angerechnet. Das bringt zwei Vorteile: Der Arbeitgeber kann das einfach administrieren, da eine Abwicklung über das weitestgehend automatisierte Lohnsteuerabzugsverfahren möglich ist. Der erforderliche Eigenbeitrag wird in Form eines Arbeitgeberzuschusses erbracht. Weder das Steueraufkommen noch die Einnahmen der Sozialversicherungsträger werden dadurch merklich beeinträchtigt. „Das wäre einfacher als die Riester-Förderung“, betonte Kiesewetter, „die Rente ist zwar nicht hoch, aber eine gute ‚Einstiegsdroge‘“.

 

Professor Dirk Kiesewetter auf der aba-Jahrestagung am 25. April 2016 in Berlin. Foto: Sandra Wildemann.
Professor Dirk Kiesewetter auf der aba-Jahrestagung am 25. April 2016 in Berlin.
Foto: Sandra Wildemann.

Kiesewetter hält neben diesen beiden Handlungsempfehlungen zusätzliche Reformmaßnahmen für nötig. Insbesondere eine gezielte Aufklärung zum Thema bAV sei von höchster Bedeutung, die durch unabhängige Institutionen durchzuführen wäre. Auf Arbeitnehmerseite stellt die uneingeschränkte Anrechnung der Leistungen aus der bAV auf die Grundsicherung ein Hemmnis dar, da ein Teil der Arbeitnehmer davon ausgehe, künftig Grundsicherung in Anspruch nehmen zu müssen. „Eine nur teilweise Anrechnung von bAV-Ansprüchen auf die Grundsicherung, etwa in Höhe der Anwartschaft aus eigenen Beiträgen des Arbeitnehmers, ist sinnvoll, wenn nicht gar eine vollständige Beseitigung dieses Hemmnisses“, sagte der Gutachter.

 

Das BMF-Gutachten verlangt in seinen Schlussfolgerungen unter anderem auch, künftig die Zillmerung zu unterbinden, um eine bessere Portabilität der bAV-Ansprüche bei Jobwechsel zu erreichen. Der als Zillmerung bekannte und in der Praxis übliche Einbehalt der Vertriebsprovision zulasten der ersten Beiträge zu einer externen bAV-Lösung führt zur teilweise eingeschränkten Portabilität. Provisionen, die jeweils nur vom laufenden Beitrag einbehalten werden, hülfen dagegen, einen Vermögensschaden für Arbeitnehmer mit unregelmäßigen Erwerbsbiografien zu vermeiden. „Zillmerung und bAV gehören nicht zusammen“, resümierte Kieswetter. Doch zuckte aba-Chef Karch an dieser Stelle – wohlwissend, wie schwer sich der Vertrieb des von ihm geführten Tarifpartner-Versorgungswerkes Metall-Rente zu Beginn tat, als man mit sehr niedrigen Vertriebskosten kalkuliert hatte? Einen Aufschwung gab es seinerzeit erst, nachdem die Vertriebsvergütungen angehoben worden waren.

 

 

Anmerkungen zum BMAS-Gutachten

 

Das vom BMAS in Auftrag gegebene und von Professor Peter Hanau und Marco Arteaga angefertigte Gutachten zum Sozialpartnermodell enthält nun Vorschläge, wie der von Arbeitgebern und Gewerkschaften gleichermaßen nicht ohne Skepsis betrachtete 17b-Entwurf aufgepeppt werden soll.

 

 

Marco Arteaga auf der aba-Jahrestagung am 25. April 2016 in Berlin. Foto: Sandra Wildemann.
Marco Arteaga auf der aba-Jahrestagung am 25. April 2016 in Berlin.
Foto: Sandra Wildemann.

Wir schlagen eine deutliche Erweiterung und Modifizierung, eine Evolution des Sozialpartnermodells vor und damit einhergehend eine Erweiterung des Betriebsrentengesetzes um die Paragrafen 17c bis 17h“, sagte BMAS-Gutachter Arteaga auf der aba-Tagung. Immerhin sollen künftig 12 bis 13 Millionen Sozialversicherungspflichtige, die bisher ohne bAV-Anspruch sind, erreicht werden. „Die zentrale Rolle könnten dabei die Tarifparteien spielen – auf freiwilliger Basis, mit maximaler Flexibilisierung und unter Beibehaltung des Bestehenden“, so Arteaga in seinem Vortrag. Anschließend nannte er die Details dieser Leitgedanken der gutachterlichen Vorschläge, die „unabhängig von öffentlichen Zulagen und sozialversicherungsrechtlichen Zwängen umgesetzt werden könnten“.

 

Das Modell beruht auf vier miteinander verbundenen Komponenten: tarifvertragliche Regelung, reine Beitragszusage mit Haftungsbeschränkung des Arbeitgebers, Mindestleistungszusage eines sozialpartnerschaftlich gesteuerten alleinhaftenden Versorgungsträgers und kollektive Ausfall- und Insolvenzsicherung. Zur reinen Beitragszusage: „Bisher ist die Kostensicherheit bei den bAV-Zusagen häufig ein Problem, oft auch ein ‚Blankoscheck‘“, so Arteaga. Daher sollten Leistungszusagen in Beitragszusagen umgewandelt werden, auch im Bestand (verfassungsrechtlch vermutlich kritisch, Anm. des Autors). Das brächte laut Arteaga absolute Kostensicherheit und löste auch Probleme bei der Portabilität, entspräche internationalem Trend hin zu DC und erlaubte den Einstieg in international erfolgreiche „Zielrentensysteme“ mit Verzicht auf Garantieleistung).

 

Arteaga nannte in diesem Zusammenhang einige Kardinalfragen und beantwortete sie auch gleich:

 

Wälzt die Beitragszusage nicht einfach nur das Anlagerisiko auf den Arbeitnehmer ab? Richtig, und damit wird überhaupt der Einstieg in eine sinnvolle Kapitalanlage erreicht.“

 

Könnte nach langem Sparen ohne Garantie das Kapital vollständig weg sein? Nein. Die Sicherheit ist anders als bei Garantien, aber nicht geringer.“

 

Wäre ein solches System weniger verbindlich als die heute Existierenden? Nein. Die Kapitalanlage wird genauso sorgfältig und professionell gesteuert.“

 

Liefern Garantien eine Scheinsicherheit? Ja, sogar in doppelter Hinsicht: Sie liefern keine absolute Sicherheit, da auch hier vielfältige Anpassungsmöglichkeiten bestehen. Und sie behindern sinnvolle, langfristige Kapitalanlage und mindern die Leistung.“

 

Die gutachterliche Empfehlung von Arteaga lautet daher: „Wir brauchen Wahlrechte für die Tarifparteien, welche Art von Zusage sie wünschen.“ Auf andere Kritikpunkte zum Gutachten ging Arteaga im einzelnen nicht näher ein, etwa die Alleinhaftung der Versorgungsträger im angedachten Sozialpartnermodell oder auf die Insolvenzsicherung, für die das Gutachten ein neues Segment im PSV vorschlägt, in dem ein kollektives Reservepolster gebildet würde.

 

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte beider bAV-Gutachten hat die aba in einem „bAV-Update“ (Sondernewsletter vom 15. April) veröffentlicht.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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