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Ewald Stephan im Interview (II):

„Spreadausweitungen aktiv genutzt“

Nachhaltiges Investieren in einer volatilen Niedrigzins-Umwelt ist Herausforderung und Chance zugleich. Über Anlagestrategien und nachhaltige Asset-Klassen, über Aufsicht, ZZR, Future Service – und über sterbende Hoffnung – sprach LbAVAutor Detlef Pohl mit Ewald Stephan, Vorstand der Verka-Einrichtungen. Teil II eines Interviews.

 

Herr Stephan, mit welchen nachhaltigen Investments will die Verka aktuell dem Niedrigzins trotzen und damit auf der Aktivseite wieder Zuwachs schaffen?

 

Unsere sukzessive erhöhte Risikotragfähigkeit schuf Raum für mehr Risikoaktiva, vor allem Aktien, Wandelanleihen und Immobilien. Der Anteil niedrigverzinslicher Staatsanleihen in entwickelten Staaten, aber auch Namens- und Inhaberpapiere mit Banken wurden sukzessive reduziert. Hinzu kamen unter anderem gezielte Umschichtungen in höher verzinsliche Corporates im Investmentgrade-Bereich sowie der Ausbau unserer Private-Debt-Aktivitäten. Hier haben wir auch die jüngsten Spreadausweitungen zu Beginn der Corona-Krise aktiv genutzt, als der Realzins um 350 bis 400 Basispunkte bei Festverzinslichen anstieg. So haben wir uns einige Langläufer mit guten Bonitäten gesichert, darunter eine VW-Anleihe mit 5,0 Prozent Zins.

 

Welche ESG-Ansätze verfolgt die Verka, welche nicht? Geht es eher um kompromisslose Ausschlüsse oder eher um Engagement?

 

Der Nachhaltigkeitsansatz basiert zunächst auf Ausschlusskriterien für Staaten und Unternehmen, das betrifft kontroverse Geschäftsfelder und Geschäftspraktiken. Darauf aufgebaut ist ein Best-In-Class-Ansatz. Ergänzt wird dieses Vorgehen durch gezielte ethisch nachhaltige Themeninvestments, also Impact Investing, um ökologische oder soziale Themenfelder besetzen. Die Krönung der Nachhaltigkeit ist Engagement, das heißt für uns ganz überwiegend der direkte und vertrauliche Dialog mit Unternehmen und vereinzelt auch Staaten. Hier sind wir gemeinsam über den AKI zurzeit bei mehreren Unternehmen in vier Themenbereichen unterwegs: In der Textilindustrie geht es um faire Löhne vor allem in der Zulieferkette, beim Thema Klima branchenübergreifend um den CO2-Ausstoß, bei Finanzdienstleistern und Banken um Kreditpolitik und Investmentbanking sowie in der Automobil- und Zulieferindustrie um Rohstoffe in der Lieferkette. Dazu haben wir keine Berater mandatiert. Mit einem großen Indexprovider haben wir vor zwei Jahren drei eigene Nachhaltigkeitsindizes für Aktien und Corporates entwickelt, die den Leitfaden der EKD exakt abbilden und über die wir in Passivmandaten mit besserer Performance als die breiten Indizes abschneiden.

 

 

Beide Gesellschaften stehen nicht unter engerer Beobachtung der BaFin. Daran wird sich auch in absehbarer Zukunft nichts ändern, wie wir aus den BaFin-Prognoserechnungen mit einem Zinsszenario über 15 Jahre wissen.“

 

 

Den Pensionskassen-Kunden werden für 2019 und auch wieder für 2020 1,75 Prozent Gesamtverzinsung gutgeschrieben. Ist das angesichts des Fehlbetrages in der Bilanz und anhaltend niedriger Zinsen nachhaltig?

 

Ewald Stephan, Verka …

Den neuen Anwärtern – und nur diesen – schreibt die PK ab 2019 und 2020 jeweils 1,75 Prozent Gesamtverzinsung gut. Hintergrund: Die aktuelle Tarifgeneration mit 0,5 Prozent Garantiezins und ohne Gutschrift in der RfB ist wenig wettbewerbsfähig. Außerdem erschien es ungerecht, dass die neuen Anwärter bei 2,25 bis 2,4 Prozent Kapitalanlagenverzinsung in der Neuanlage die alten Tarifgenerationen mit bis zu 3,5 Prozent Garantiezins und dem damit verbundenen Aufbau der ZZR mit ihren Beiträgen quasi quersubventionieren. Unterm Strich ist die gutgeschriebene Gesamtverzinsung nach vollständiger Deckung der Kosten selbsttragend, gerecht und wettbewerbsfähig zugleich.

 

Im Altbestand arbeiten Sie noch mit 3,5 Prozent Rechnungszins. Nimmt die dafür nötige ZZR Ihnen nicht irgendwann die Chancen für höher rentierliche Anlagen sowie zu nachhaltiger Überschussbeteiligung?

 

Bei dieser Tarifgeneration handelt es sich um regulierten Altbestand bei der Pensionskasse. Er macht noch etwas mehr als 60 Prozent an den Deckungsrückstellungen aus. Bei den restlichen Tarifgenerationen mit Rechnungszinsen von 3,25 bis 0,5 Prozent handelt es sich ausschließlich um deregulierte Bestände. Bei der Muttergesellschaft betragen die Rechnungszinsen 0,5 Prozent für Anwärter und 1,25 Prozent für Rentner. ZZR wurde und wird bisher lediglich bei der Tochter aufgebaut – von der Mutter aus deren operativem Ergebnis finanziert. Dadurch können die höher rentierlichen Altbestände längerfristig auch weiterhin schöne Ergebnisbeiträge liefern. Beide Gesellschaften stehen nicht unter engerer Beobachtung der BaFin. Daran wird sich auch in absehbarer Zukunft nichts ändern, wie wir aus den BaFin-Prognoserechnungen mit einem Zinsszenario über 15 Jahre wissen. Wir halten niedrigste Zinsen im Prognosezeitraum aus. Auch die nachhaltige Überschussbeteiligung ist in beiden Gesellschaften nicht beeinträchtigt.

 

Hätte eine höhere Aktienquote in früheren Jahren nicht manche Probleme von heute vermieden?

 

Die Höhe der Aktienquote selbst richtet sich maßgeblich nach der Risikotragfähigkeit und damit nach der Höhe der Eigenmittel. Diese sind bei den Verka-Gesellschaften in den vergangenen Jahren zum Teil deutlich gestiegen: bei der VK seit 2016 von 68 auf 126 Millionen Euro, bei der PK seit 2014 von 38 auf 43 Millionen Euro. Dadurch konnten auch die Aktienquoten wie genannt erhöht werden.

 

 

Bei uns wurden längst Produkte eingeführt, die mit den reinen klassischen Garantieprodukten nicht mehr viel zu tun haben. Andere hoffen teilweise immer noch auf eine Zinswende. Bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt.“

 

 

Mussten Sie bei der Pensionskasse schon Leistungen im Future Service reduzieren. Oder ist das demnächst zu erwarten?

 

Nein, es musste bisher im Gegensatz zu anderen Kassen nichts reduziert werden, und es wird auch für die Zukunft hier nichts erwartet, wie die erwähnten BaFin-Prognoserechnungen für die nächsten 15 Jahre untermauern.

 

 

Derzeit fokussieren wir uns auf die deutsche Automobilindustrie sowie deren Hauptzulieferer. Uns interessiert, inwiefern dort und in der Zulieferkette bei Lithium, Kobalt und Kautschuk auf Menschenrechte und Umweltstandards geachtet wird.“

 

 

Müssen nicht früher oder später alle 135 Pensionskassen angesichts der EZB-getriebenen Niedrigzinsen unter intensivierte BaFin-Aufsicht?

 

Die niedrigen Zinsen sind natürlich Gift für das klassische Pensionskassengeschäft mit teilweise hohen Garantiezusagen, und die Aussicht auf eine rasche Beendigung der Niedrigzinspolitik ist nicht in Sicht. Deshalb dürften einige Kassen, die über wenig finanziellen Rückhalt oder keinen Zugang zu frischem Eigenkapital verfügen, unter intensivierte Aufsicht der BaFin kommen. Die beiden Verka-Gesellschaften gehören nicht dazu. Bei uns wurden längst Produkte eingeführt, die mit den reinen klassischen Garantieprodukten nicht mehr viel zu tun haben. Andere hoffen teilweise immer noch auf eine Zinswende. Bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt.

 

 

Ich empfinde die Regulierung nicht als Wust. Was derzeit vorliegt, ist durchaus sinnvoll.“

 

 

Nochmal zur Nachhaltigkeit: Beim Thema Nachhaltigkeit erhöhen Sie den Druck auf Unternehmen, ehe sie dort investieren. Wie muss man sich dieses Engagement vorstellen?

 

Engagement ist inzwischen fester, wie erwähnt krönender Bestandteil unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Ich würde nicht von Druck sprechen. Wir führen eher einen intensiven Dialog in partnerschaftlicher Atmosphäre, bei dem wir Themen ansprechen, die uns auch im Sinne unseren christlichen Wertevorstellungen am Herzen liegen. Wir tun dies während der investiven Phase und primär mit solchen Unternehmen, die Nachhaltigkeit bereits umzusetzen beginnen. Derzeit fokussieren wir uns auf die deutsche Automobilindustrie sowie deren Hauptzulieferer. Uns interessiert, inwiefern dort und in der Zulieferkette bei Gewinnung und Einsatz von Lithium, Kobalt und Kautschuk auf Menschenrechte und Umweltstandards geachtet wird.

 

Wenn sich Firmenlenker aber in Sachen Nachhaltigkeit nicht bewegen …

 

…dann wollen wir sie auch nicht begleiten. Das ist auch unter dem Blickwinkel reinen Risikomanagements sinnvoll, da Unternehmen, die ihre Geschäftsstrategie nicht auf Nachhaltigkeit ausrichten, nach unserer Erfahrung deutlich schlechter performen als nachhaltige.

 

… im Gespräch mit Detlef Pohl im Oktober 2020 in Berlin.

 

Wie bewerteten Sie den Wust an nationaler und supra-nationaler ESG-Regulierung, bei der man leicht den Überblick verlieren kann?

 

Ich empfinde die Regulierung nicht als Wust. Was derzeit vorliegt, ist durchaus sinnvoll. Alles, was nachhaltige Kapitalanlage voranbringt, ist ja in unserem Sinne. Es ist doch gut, wenn der Gesetzgeber mehr Unternehmen als bisher anregt, Kapitalanlage nach ESG-Kriterien zu betreiben.

 

Ist Greenwashing ein aktuelles oder erst noch kommendes Problem?

 

Das ist schon ein aktuell brisantes Thema, zumal es noch keine einheitliche ESG-Definition gibt. Wenn ein Investor zum Beispiel nur ein Ausschlusskriterium anwendet, etwa Rüstungsprodukte, dann gilt er schon als nachhaltig, auch wenn die anderen Kapitalanlagen nicht strengen Nachhaltigkeitsregeln unterliegt. Dann kann man schon von Greenwashing reden, ob wohl ich jeden Einstieg ins Thema Nachhaltigkeit begrüße. Bei Verka sind die Kriterien aber sehr viel rigider.

 

Kommen wir zur Perspektive: Wie sind die Geschäfte 2020 bisher gelaufen und inwiefern hat die Corona-Krise Spuren hinterlassen?

 

Das Neugeschäft läuft nach kurzer Pause wieder auf dem gewohnten Niveau, Beitragsstundungen gibt es nur ganz vereinzelt, und ergebnismäßige Beeinträchtigungen im Kapitalanlagebereich stellen wir allenfalls im Immobilienbereich bei Hotels und Shopping-Centern fest. Ausfälle wurden jedoch bisher keine verzeichnet. Wir sind in diesem Segment über Spezialfondsanlagen investiert, wo es 2020 voraussichtlich zu Ergebnisrückgängen von 100 bis 150 Basispunkten kommt. Im Aktienbereich waren und sind wir sehr gut gesichert. Die Kursrückgänge fielen in den Spitzenzeiten der Corona-Krise Ende März und Anfang April deutlich geringer aus als im Markt insgesamt. Die rasante Kurserholung hat uns inzwischen aber bereits wieder fast auf die alten Stände zurückgebracht.

 

 

Man sollte beim Eigenkapital nicht schwach auf der Brust sein, um eine Durststrecke auszuhalten.“

 

 

Über den Tellerrand geschaut: Die Geldpolitik wird ständig expansiver. Kann das – auch für Pensionsinvestoren – auf Dauer gutgehen?

 

Auf Dauer von hundert Jahren sicherlich nicht. Das hält keiner aus, die Garantien über solche Zeiträume zu bedienen. Wenn man bedenkt, dass die Duration bei den Pensionskassen auf der Passivseite in der Regel 30 Jahre beträgt, auf der Aktivseite bei uns bei 10 Jahren liegt, dann halten wir das zur Not auch 20 Jahre aus. Bei anderen würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Viele hoffen daher auf ein Wunder – den Zinsanstieg.

 

 

Aufweichungen bei der Regulierung wären da kontraproduktiv.“

 

 

Werden Investoren weiter neue Asset-Klassen erschließen müssen?

 

Es gibt ja keine wirklich neuen Asset Klassen. Viele gehen aber in der Klaviatur der Asset Klassen ins höhere Risiko. Damit schafft man höhere Renditen, es kann aber auch mal nach hinten losgehen. Daher sollte man beim Eigenkapital nicht schwach auf der Brust sein, um eine Durststrecke auszuhalten …

 

Und wie sieht die Solva bei Ihnen aus?

 

Ende 2019 lag die Solvabilitätsquote der PK bei 183 Prozent, die der VK bei 252 Prozent.

 

Brauchen wir angesichts der Zinslage Anpassungen der Regulierung, etwa bei der Pflicht zur jederzeitigen Bedeckung oder Lockerungen der Anlageverordnung?

 

Das würden sich sicherlich viele wünschen, hilft aber nichts, da die Garantien erwirtschaftet werden müssen. Aufweichungen bei der Regulierung wären da kontraproduktiv. Ich sehe auch keinen Änderungsbedarf an der Anlageverordnung, da Verka in allen Asset-Klassen noch Luft hat. Manch kleine und mittlere Kassen sind jedoch bei einzelnen risikobehafteten Anlageklassen schon am Limit. Die BaFin verweist dann zu Recht darauf, sich mehr Eigenkapital bei den Eigentümern zu beschaffen.

 

Ende des zweiteiligen Interviews mit Ewald Stephan. Der erste Teil findet sich auf LEITERbAV hier.

 

 

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