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Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Kassandra

Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute von Detlef Pohl: Zwei mal Beifang.

 

 

Frankfurter Allgemeine (11. November): „Ein neues Sozialpaket“

 

Neue Westfälische: Betriebsrente (12. November): „Kritik am neuen Gesetzentwurf“

 

Es geht seit Tagen durch die Presse: Nun kommt sie also, die Grundrente, die eine Aufstockung der gesetzlichen Renten für Versicherte mit mindestens 35 Beitragsjahren vorsieht, sofern sie durch die Einkommensprüfung kommen. Alleinstehende mit über 1.250 Euro (Paare: 1.950 Euro) monatlichem Gesamteinkommen erhalten demnach keine Grundrente.

 

Zugleich beschloss die GroKo quasi als Beifang zwei Verbesserungen für die bAV – von denen eine in der Presse eher am Rande, die andere nahezu keine Erwähnung fand: Milderung der Doppelverbeitragung und Aufbohren der Geringverdienerförderung.

 

bAV-Erleichterungen im Schlepptau der Grundrente

 

Konkret: Für Bezieher von Betriebsrenten soll künftig anstelle der bisherigen festen Freigrenze von 155,75 Euro je Monat (steigt 2020 auf 159,25 Euro) für Kassenbeiträge ein Freibetrag gelten, der in den nächsten Jahren schrittweise mit der Einkommensentwicklung steigt.

 

Die oben verlinkten Neue Westfälische und FAZ gehören zu den wenigen Medien, die auch den zweiten bAV-Beifang nicht unerwähnt lassen; aus der FAZ:

 

Weiterer Bausteine im Gesamtpaket ist eine Anhebung des steuerfreien Förderbetrags für arbeitgeberfinanzierte Betriebsrenten an Geringverdiener; der monatliche [sic! jährliche] Förderbetrag soll sich auf 288 Euro verdoppeln.“

 

Der § 100 EStG zur Geringverdienerförderung ist bekanntlich erst 2018 eingeführt worden: Zahlt der Arbeitgeber bei Arbeitnehmern mit maximal 2.200 Euro Bruttoeinkommen mindestens 240 Euro pro Jahr selbst in die bAV (maximal 480 Euro), kann er 30% von der Lohnsteuer behalten, also mindestens 72 Euro (höchstens 144 Euro) im Kalenderjahr. Dieser Förderbetrag wird nun offenbar verdoppelt auf 60%, also 144 bis 288 Euro. Beiträge aus Entgeltumwandlung sind jedoch nicht begünstigt. Bemerkenswert ist, dass der 100 EStG angefasst wird, obwohl er bisher noch wenig erprobt ist und auch nicht Gegenstand kontroverser politischer Diskussion war.

 

Für diejenigen, die sich für O-Töne interessieren: Kassandra liegt ein Auszug aus dem Koalitionsbeschluss vom 10. November vor, in dem es heißt (Hervorhebungen durch LbAV):

 

In der GKV zählen Betriebsrenten sowie Kapitalauszahlungen der betrieblichen Altersversorgung (bAV) zu den beitragspflichtigen Versorgungsbezügen. Auf diese werden Beiträge nach dem allgemeinen Beitragssatz erhoben, die die Rentner allein zu tragen haben. Um die Akzeptanz für und das Vertrauen in die betriebliche Altersvorsorge zu stärken, wollen wir das ändern. Daher wird die geltende Freigrenze für Versorgungsbezüge in Höhe von 155,75 Euro monatlich wie bisher [sic!] in einen dynamisierten Freibetrag umgewandelt. Ein Freibetrag schafft für alle pflichtversicherten Betriebsrentenempfänger Entlastung. Rund 60 Prozent der Betriebsrentner zahlen damit de facto maximal den halben Beitragssatz, die weiteren 40% werden spürbar entlastet. Die Mindereinnahmen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro jährlich in der GKV werden vollständig aus Mitteln der GKV finanziert. Zur Einphasung in die allgemeine Einnahmen- und Ausgabenentwicklung werden aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds im Jahr 2021 900 Millionen Euro, im Jahr 2022 600 Millionen Euro und im Jahr 2023 300 Millionen Euro entnommen.“

 

Zum 100 EStG heißt es knapp:

 

Als Anreiz für die Verbreitung der zusätzlichen arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersversorgung bei Geringverdienern (2.200 brutto / Monat) wird der BAV-Förderbetrag von maximal 144 Euro auf 288 Euro angehoben.“

 

Was auffällt, ist, dass neben dem ständigen Wechsel der Schreibweisen (s. Hervorhebungen im Zitat), von irgendeiner Form der Rückwirkung keine Rede ist. Damit wäre zwar ohnehin nicht zu rechnen gewesen, doch soll das hier nicht unerwähnt bleiben.

 

 

Ärzte-Zeitung.de (11. November): „Konsens schröpft erneut die GKV“

 

Hier verlinkt Kassandra einen Beitrag aus der Ärztezeitung, da er äußerst seltenes Beispiel ist für eine Medienberichterstattung, die sich eher positiv zur Doppelverbeitragung äußert. Mit dem Konsens zur Abmilderung der Doppelverbeitragung wachse der „Druck des Gesetzgebers vor allem auf Kassen ohne Rücklagen, perspektivisch die Zusatzbeiträge anzuheben“.

 

Ansonsten fällt der Tenor bei näherer Betrachtung zu Recht als ein übler Kompromiss aus.

 

 

Verein der Direktversicherungsgeschädigten (13.11.): „Fauler Kompromiss oder Trostpflaster?“

 

Der Verein kämpft seit längerem darum, dass rund sechs Millionen Menschen, die eine Rente aus einer Direktversicherung erhalten, von der doppelten SV-Beitragszahlung befreit werden (sie zahlen im Alter den Arbeitgeberanteil auf die Rente mit). Jedoch:

 

Das wird durch den Freibetrag in keiner Weise korrigiert.“

 

Zudem sei – wie oben schon erwähnt – eine Rückwirkung für Verträge, die vor 2004 abgeschlossen wurden, arbeitgeberfinanziert und damit komplett beitragsfrei in der SV waren, nicht vorgesehen:

 

Für rund 2 Mio. Direktversicherte, die bereits für die Kapitalabfindung für 10 Jahre SV-Beiträge gezahlt haben, beseitigt ein Freibetrag die Ungerechtigkeit nicht“.

 

Der neue Freibetrag bringe allenfalls „Krümel, denn wer eine armutsfeste Betriebsrente hat, liegt deutlich über diesen 159 Euro monatlich“, heißt es in einer weiteren Stellungnahme des Verbandes.

 

Dort wird wird man noch konkreter:

 

In dem derzeitigen Vorschlag des Koalitionsausschusses sehen wir aus dem Blickwinkel der Direktversicherungsgeschädigten daher nichts weiter als einen Ablenkungsversuch von der eigentlichen Problematik: Hier soll abgelenkt werden von der Fehlinterpretation des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V, die zu revidieren man natürlich um jeden Preis vermeiden möchte. Dazu müsste man die formaljuristisch umstrittene Gesetzeslage noch einmal aufgreifen. Deshalb wird nun eine vermeintliche Fehlerkorrektur im Beitragsrecht der GKV unverständlicherweise an eine Rentenkorrektur gekoppelt.“

 

Verbands-Chef, Gerhard Kieseheuer, hatte schon im Januar beim Interview mit LEITERbAV in eigener Sache kritisiert, dass ihn die SV „nachträglich und unberechtigt 59,1 % des Ertrages gekostet hat“.

 

Der Verband beharrt nun weiter darauf, die SV-Beiträge auf Betriebsrenten zumindest wieder zu halbieren. Dazu konnte sich die Politik nach über einem Jahr Debatten nicht durchringen. Unter Andrea Nahles hatte es bekanntlich lediglich zur Abschaffung der Doppelverbeitragung für Riester-Sparer gereicht.

 

Was die echte Halbierung des SV-Beitragssatzes kosten würde

 

Politiker kolportierten immer wieder eine Anhebung der Beiträge zur GKV um etwa 0,3 Pronzentpunkte als Gegenfinanzierung, um die Doppelverbeitragung für alle Entgeltumwandlungen abzuschaffen.

 

Freilich: Bis heute blieb dieses Versprechen unerfüllt – im Gegenteil. Man raffte sich nicht auf, die offenbar nötigen 2,6 Mrd. Euro im Haushalt zusammenzukratzen, um die Ungerechtigkeit zumindest mit dem halben Beitragssatz abzumildern. So fällt der Ende 2003 gebrochene Vertrauensschutz für Altverträge und die Zurückhaltung in das Neugeschäft der bAV der Politik zunehmend auf die Füße. Ob er es nun weiterhin tun wird, bleibt abzuwarten.

 

Bricht man die große Zahl herunter, bleiben bei paritätischer Finanzierung nur sehr kleine Opfer in der GKV: Pro Arbeitnehmer mit 3.000 Euro Bruttolohn bedeutet dies lediglich 0,107 % Prozentunkte oder 3,21 Euro mehr im Monat. Wegen dieses Betrages so viel Wind? Man glaubt es nicht. Dabei wäre der GKV-Einnahmenausfall in Wahrheit noch geringer, da Entgeltumwandlungen wohl höchstens 20% aller bAV ausmachen. Somit könnte die nötige Beitragserhöhung ggf. gar nur im dreistelligen Millionenbereich bleiben – und für den Durchschnittsverdiener weniger als einen Euro mehr GKV-Beitrag. Wenn die Kassenlage dies nicht verkraftet, wären die vielen großen Worte zur Bedeutung und Förderung der bAV nichts weiter als pure Lippenbekenntnisse. Merkels „Das geht nicht“ zu diesem Thema gehört korrigiert in: „Die Halbierung ist alternativlos“.

 

Kassandras Fragen und ein pessimistisches Fazit

 

Es bleiben viele Fragen zum Beifang im Grundrentenpaket: Wäre es kassandrisch, einzuwerfen, ob die Notwendigkeit, mit Sozialpartnermodellen Geringverdienern eine zusätzliche Altersvorsorge zu verschaffen, nun sichtlich an Relevanz verlieren wird?

 

Und warum ging nun alles so schnell, obwohl die meisten Dinge, die nun als Entwurf geregelt worden sind, seit Jahren, teils seit vielen Jahren in der Pipeline liegen und dort zu verrotten drohten (besonders die Doppelverbeitragung)?

 

Ketzerisch könnte man fragen, ob die GroKo in Zeiten, in denen sie von rechts (in den Ländern) und von grün (im Bund) immer stärker unter Druck gerät, ihre Zukunft vor allem bei (nur noch) einer Wählergruppe sieht: den Rentnern.

 

Wie dem auch sei, Kassandra bedauert vor allem eines: Dass man, wenn man das Gesetz schon anfasst, nicht die Gelegenheit nutzt, die leidige 15-%-Sache – die nun durch die Milderung bei der Doppelverbeitragung ohnehin an Relevanz verliert, durch ihre umfassende Komplexität und Rechtsunsicherheit gleichwohl geeignet ist, Arbeitgeber nachhaltig von der bAV abzuhalten – auf eine klarere, einwandfreie Basis stellt.

 

Und noch eines zeigt dieser mehr als faule Kompromiss: Die Politik exerziert am Beispiel der Grundrente exemplarisch vor, dass es kaum noch um Vernunft, Sachbezogenheit oder gar Gerechtigkeit geht. Besonders erschreckend:

 

1. Die Grundrente selbst fällt bei Experten durch. In einem Gutachten für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) kommt Franz Ruland, früherer Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, wegen zahlreicher Mängel, Ungerechtigkeiten und Widersprüchlichkeiten zu dem Schluss: „Die Grundrente, so wie sie jetzt geplant ist, wird nicht Gesetz.“ Was würde dann aus dem Beifang für die bAV?

 

2. Die Grundrente (samt dem Beifang für die bAV) ist nicht solide oder gar sicher finanziert. Neben 400 Millionen vom BMAS (wo will Minister Heil die einsparen?) plant Finanzminister Scholz kühn schon 1 Mrd. Euro aus der FTT ein, die es noch gar nicht gibt. Darf man solche Luftbuchungen als seriöse Finanzplanung verkaufen?

 

3. Ein deutscher Alleingang bei der FTT würde nicht nur den Finanzplatz Deutschland schwächen, sondern wäre auch kontraproduktiv für die betriebliche und private Altersversorgung. Nachdem man schon mit Hilfe der EZB zur Rettung Südeuropas die Zinsmärkte politisch manipuliert und damit sichere Altersvorsorgeformen unattraktiv gemacht hat, würden nun auch Aktienanleger (auch im Sozialpartnermodell) zur Kasse gebeten und die Vorsorge weiter belastet, obwohl es der deutschen Altersversorgung schon jetzt wegen zu geringer Kapitaldeckung an Zukunftsfestigkeit fehlt.

 

Wer bitte soll da noch Lust auf Vorsorge haben?

 

Kassandra bei der Arbeit.

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