Der Markt für Druckmaschinen ist schon seit vielen Jahren kein leichter, das gilt unter Corona nicht minder. Die Heidelberger Druckmaschinen AG hatte jüngst in ihren CTA gegriffen, um Schulden abzubauen, mit dieser Maßnahme Neuland betreten und wird möglicherweise Nachahmer finden. Nun hat sie auch ihre bAV weiter gestrafft – denn es gibt etwas, das noch wichtiger ist als diese.
Es ging schon mehrfach vor allem durch die lokale Presse, und es wurde auch schon von Kassandra aufgegriffen, daher zunächst ein Blick zurück:
Am 17. März hatte die Heidelberger Druckmaschinen AG ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, um, wie es hieß, „kurzfristig die Strukturkosten zu reduzieren und die Profitabilität des Unternehmens nachhaltig zu verbessern“.
Neben Konzentration auf das profitable Kerngeschäft (d.h. Einstellung unprofitabler Aktivitäten, Betriebsschließungen und Abbau von bis zu 2.000 Stellen weltweit) hieß dies auch, die bAV anzupassen – und dort völliges Neuland zu betreten:
Der Konzern hatte gemeinsam mit dem Treuhänder des hauseigenen CTA beschlossen, durch die teilweise Rückübertragung von Liquiditätsreserven von rund 375 Mio. Euro aus dem Treuhandvermögen des „Heidelberg Pension-Trust e.V.“ (davon rund 324 Mio. Euro als liquide Mittel und rund 56 Mio. Euro als Wertpapiere) in das Unternehmen die Liquidität signifikant zu erhöhen und die Nettofinanzschuld zum Geschäftsjahresende 2019/2020 (31. März) um 43 Mio. Euro zu reduzieren. Gut 15 Mio. Euro verbleiben in dem CTA.
Dass Unternehmen zur Sanierung offenbar Zugriff auf ihre CTA-Gelder (nicht Pensionskassen) erhalten können, ist eine durchaus neue Entwicklung, insofern nimmt das Unternehmen durchaus eine Pionierrolle ein.
Rechtlich erfolgte dies, indem am 17. März der Treuhandvertrag geändert wurde. Seitdem kann Treuhandvermögen auf die AG (und auf seine Vertriebs-GmbH) zurückübertragen werden, sofern das im Treuhandvertrag neu festgelegte Mindestvermögen von 15 Mio. Euro nicht unterschritten wird. Diese Rückübertragung ist – anders als vorher – nun also auch möglich, wenn die Pensionsverpflichtungen nicht überdotiert sind.
„Durch diese mit Unterstützung des Vorstands und der Mitglieder des Heidelberg Pension-Trust e.V. erfolgende Rückübertragung der Mittel wird das Treuhandvermögen auf das Maß zurückgeführt, das für die Sicherung von Pensionsansprüchen erforderlich ist, die nicht von der gesetzlichen Insolvenzsicherung abgedeckt sind; diese Maßnahme hat daher keinerlei negative Auswirkungen auf bestehende und zukünftige Pensionsansprüche“, hieß es seinerzeit in einer Ad-hoc-Mitteilung. Ziel sei der Abbau der Nettoverschuldung. Dieses Finanzierungskonzept wurde laut Mitteilung von Arbeitnehmervertretern, Gewerkschaft sowie allen kreditgebenden Banken mitgetragen.
In Zahlen heißt das aber auch: Der Griff in den CTA samt Wegfall der Saldierung führte (zusammen mit der Absenkung des Rechnungszinses für die inländischen Pensionen von 2,0 auf 1,8 Prozent) zum 31. März 2020 zu einer deutlichen Erhöhung der DBL auf 986 Mio. Euro (Vorjahr: 582 Mio. Euro).
Zum Vergleich: Die Umsatzerlöse der Heidelberger lagen im vergangenen GJ bei 2.349 Mio. Euro, das Eigenkapital bei 399 Mio. Euro.
bAV backt kleinere Brötchen
Doch offenbar will die Heidelberger Druckmaschinen AG nicht auf halbem Wege stehen bleiben. So folgte nun auf den Zugriff auf reservierte Mittel der nächste Akt – die Umgestaltung auch der bAV an sich. Eingegriffen wird dabei offenbar in früher zugesagte Rentensteigerungen, aber nicht in laufende Renten. Im Einzelnen:
Wie das Unternehmen vorgestern per Ad-hoc der Öffentlichkeit mitgeteilt hat, haben sich Vorstand und Arbeitnehmervertreter sowie die IG Metall auf die Neuordnung der bAV für die Beschäftigten der Unternehmen in Deutschland geeinigt; die Kernpunkte:
In einem Haustarifvertrag werden zahlreiche der bisherigen Versorgungsregelungen der deutschen Heidelberg Gruppe zusammengeführt. Vereinbart wurde insbesondere eine einheitliche, feste Dynamisierung der Betriebsrenten, die sich an der erwartet niedrigeren Inflation orientiert. Dies mache die Rentenentwicklung für Mitarbeiter, Rentner und die Gesellschaft planbarer und senke gleichzeitig die Verwaltungskosten, so der Konzern, und die künftig geringeren Rentenerhöhungen dämpfen die steigenden Pensionsverpflichtungen.
Hintergrund: Das Unternehmen hatte offenbar wie viele Konzerne in der Vergangenheit feste Rentensteigerungen zugesagt, vermutlich weil diese nur dann gem. § 6a EStG rückstellungsfähig sind.
Zurück zur Ad-hoc: Die neue Regelung führe zu geringeren erwarteten künftigen Rentensteigerungen und stärke mit einem Ertrag in Höhe von rund 65 Mio. Euro beim EBITDA das Eigenkapital des Unternehmens im laufenden ersten Geschäftsquartal. Der Vertrag steht allerdings noch bis zum 24. Juli 2020 unter einem Gremienvorbehalt der IG-Metall.
„Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie die anhaltende Niedrigzinsphase stellen viele Unternehmen in Deutschland vor große Herausforderungen, so auch Heidelberg. Wir sind die strukturellen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Betriebsrente mit diesem Schritt ganz grundsätzlich angegangen. Mit unserer Einigung haben wir jetzt eine zukunftsfähige Regelung für alle Beschäftigten wie auch im Sinne der Rentnerinnen und Rentner getroffen“, ließ sich Mirko Geiger, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Heidelberg zitieren. Die jetzt getroffenen Vereinbarungen seien ein gutes Beispiel, wie Unternehmen die bestehenden Herausforderungen mit Blick auf die bAV lösen können.
Wenn die bAV hinter etwas wichtigerem zurücktreten muss
Wenig überraschend hat der Heidelberger Konzern das erwähnte Neuland nicht allein betreten – sondern sich für eine solch komplexe Pionieraufgabe in der bAV Beratung auf dem Parkett gesucht – und gefunden bei DLA Piper, konkret bei Marco Arteaga, Annekatrin Veit und Georg Haberkorn.
Das De-Risking des Pensionswesens steht weltweit in Konzernen und auch Organisationen auf der Tagesordnung – und ist nie einfach. Gegenüber LEITERbAV nannte Arteaga angesichts der in Deutschland hohen Anforderungen an Eingriffe in erdiente Besitzstände weitere Details der Umgestaltung der bAV bei dem Konzern.
„Es ging wie in der gesetzlichen Rentenversicherung um die Dämpfung des künftigen Rentenanstiegs. Dabei muss der Tarifvertrag dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Das erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen den unternehmensseitigen Bedürfnissen einerseits und dem schützenswerten Vertrauen der Versorgungsberechtigten andererseits.“ Und von der Absicht, die laufenden Renten nur langsamer steigen zu lassen, blieben die aktuellen und künftigen Versorgungsansprüche bei dem Konzern unberührt.
Die Berücksichtigung der künftigen Rentensteigerungen in der Rückstellungsberechnung belaste das Unternehmen schon heute, so Arteaga weiter, und das Unternehmen habe nun mit einem maßvollen Eingriff eine signifikante positive bilanzielle Wirkung erzielt.
Die Entwicklung der konkreten Maßnahmen erfolgte wie oben erläutert in enger Abstimmung mit der IG Metall. Und mit Blick darauf machte Arteaga gegenüber der Redaktion die Reihenfolge klar, in der man auch dort offenbar die Dinge sieht: „Für die Arbeitnehmerseite steht der aktuelle Arbeitsplatzerhalt in der Prioritätenliste klar vor den künftigen Rentensteigerungen.“
Vorläufiges Fazit von LEITERbAV …
… in einem Themenkomplex, der künftig die deutsche bAV vermutlich noch des öfteren beschäftigen wird:
Es gibt in der Frage des Outside Fundings kein Schwarz oder Weiß, sondern viele Schattierungen, das heißt in jedem Einzelfall viele Argumente dafür und viele dagegen – auf LEITERbAV seit Jahr und Tag diskutiert. Offenbar hat sich im vorliegenden Fall die Erkenntnis, dass es unangenehmere Gläubiger gibt als die eigenen Mitarbeiter, in Heidelberg durchgesetzt.
Das gilt erst recht, wenn man heutzutage in einem CTA risikoarm derzeit sagen wir mal 4% erwirtschaften kann (was angesichts der launischen und EZB-verzerrten Märkte nicht schlecht wäre). Wenn dann noch hinzutritt, dass das betreffende Unternehmen nicht den leichtesten Zugang zum Kapitalmarkt hat, wird die Sache schnell klar. Da lohnt ein Blick auf die Heidelberger Druckmaschinen-Anleihe ISIN: DE000A14J7A9: Kupon 8%, läuft bis 15. Mai 2022, notiert derzeit bei 91,00% und rentiert mit fast 11.
Da muss man kein Aktuar sein, um zu errechnen, dass die Heidelberger Maßnahme erstens lohnt und zweitens angeraten ist.
Und was heißt das für die bAV insgesamt?
Man sollte wohl davon ausgehen können, dass der Druck durch die offenkundig massiv ausfallende Corona-induzierte Wirtschaftskrise, die auch an Deutschland nicht spurlos vorbeigehen wird, zahlreiche Unternehmen in schwerer See und mit einem nicht ganz so gutem Zugang zum Fremdkapitalmarkt in jeder Ecke ihres Hauses nach Entspannung suchen lässt. Und dass die bedingungslose Erhaltung einer bestehenden bAV – gerade in den Zeiten völlig absurd manipulierter Zinsen und Märkte – hier nicht ganz oben auf der Todo-Liste steht, dürfte niemanden überraschen
Von Berlin sagt man, dass es die Stadt ist, die niemals „ist“, sondern immer nur „wird“ (die Tactical Advantage als Zeitschrift nimmt das übrigens ebenfalls für sich in Anspruch).
Doch kann man diese ständige Dynamik ohne weiteres als ein grundlegendes Motto auf die deutsche bAV übertragen. Und der nächste Akt unter den unzähligen parallel laufenden Akten in dem Drama „Die deutsche bAV im frühen 21. Jahrhundert“ könnte – nach den Umwälzungen bei den Pensionskassen – nun der Zugriff von Industrieunternehmen auf die reservierten Mittel ihrer Versorgungswerke werden.
Und es gilt auch weiter die Schlussfolgerung, die Kassandra seinerzeit gezogen hat:
„Sollte das auch bilanzrechtlich bemerkenswerte Beispiel Heideldruck Schule machen, hat das für den PSV einen ambivalenten Effekt: Gut, wenn das Unternehmen überlebt und seine Pensionsverpflichtungen weiter begleicht; schlecht, wenn es trotzdem in die Insolvenz geht – denn dann wird es für den Verein und damit die Allgemeinheit der Wirtschaft um so teurer.“