Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

20. Handelsblatt Jahrestagung bAV (IV):

Gemütslage zwischen „lasst uns Zeit“ und „kommt aus den Strümpfen“

Das BRSG schuf den Rahmen für Sozialpartnermodelle. Kreiert haben die Tarifpartner noch kein einziges. Wie die aktuelle Stimmung ist und wie gut gerüstet die Produktgeber sind, zeigte sich auf einem speziellen Forum bei der HB-bAV-Tagung. LbAV-Autor Detlef Pohl saß in der ersten Reihe.

 

Die fachliche Diskussion, inwiefern die zweite Säule von Ballast befreit werden müsse, hatte Marco Arteaga, Partner bei Kanzlei DLA Piper, am ersten Tag der Fachveranstaltung dargelegt.

 

Doch auch ihm ist klar, dass das von ihm seinerzeit mitentwickelte Sozialpartnermodell die bAV-Komplexität einerseits mildert (keine Garantien und keine AG-Haftung), doch die Ausgestaltung im Detail kompliziert werden wird.

 

Heribert Karch, aba und MetallRente…

Dies zeigte sich zweiten Tag der HB-bAV-Fachtagung, wo ein spezielles Ideenforum zum SPM stattfand. Moderator Heribert Karch stellte ausgewählten Tarifparteien im „Power Talk“ Fragen, auf die schnell und kurz geantwortet werden sollte. Was passiert, wenn das SPM sich nicht durchsetzt? „Dann bekommen wir ein Angebots- oder Zwangsobligatorium“, sagt Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Sozialpolitik bei der ver.di Bundesverwaltung. Lutz Mühl, Geschäftsführer Wirtschaft und Sozialpolitik beim Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) sieht dann „einen staatlich gelenkten Fonds mit Zwangselementen“ kommen. Kerstin Schminke, Sekretärin Tarifpolitik/Tarifrecht/bAV beim Vorstand der IG Metall, fürchtet ebenfalls ein „Obligatorium für Arbeitgeber und Arbeitnehmer“.

 

Tarifpartner spielen weiter auf Zeit

 

Kerstin Schminke, IG Metall…

Was die derzeit drei größten Bedenken gegen das SPM seien, wollte Karch wissen. „Die IG Metall ist eher kapitalmarktfern eingestellt“, räumte Schminke ein. Man brauche Sicherheit, moderne Garantien und Vertrauen. „Lasst uns Zeit“, sagte sie unter Anspielung auf die Kommunikation mit den Gewerkschaftsmitgliedern. Dies bestätigte Kerschbaumer für ver.di und fügte hinzu: „Wir haben Respekt vor der Beteiligung der Gewerkschaften an der Steuerung des SPM, weil ein Fehlschlag dem Image schaden würde“. Möglicherweise ist bei den Gewerkschaften das Trauma in Erinnerung, das mit dem unrühmlichen Ende des DGB-eigenen Wohnungsunternehmens „Neue Heimat“ 1986 verbunden ist. „Keinesfalls ist vorschnelles Handeln sinnvoll“, meint jedenfalls auch Kerschbaumer. Ein wenig schien sie damit die jüngst öffentlich vorgetragene Ankündigung ihres eigenen Vorstandes zu bremsen, wonach ein SPM mit einem mittelständischen Versicherer kurz vor dem Abschluss stehe.

 

Die Chemie-Arbeitgeber würden gern mit einem SPM starten, so Mühl, doch es seien mehrere Punkte noch zu klären, darunter die Passfähigkeit zur bestehenden bAV, die in der Chemie weit verbreitet ist, und die Einbeziehung von außertariflich bezahlten Angestellten.

 

Judith Kerschbaumer, ver.di…

Welche Bedingungen vom anderen Tarifpartner erwartet werden, damit das SPM „fliegen kann“, fragte der Moderator weiter. „Wir erwarten eine starke finanzielle Beteiligung des Arbeitgebers“, sagte Kerschbaumer für ver.di. Eine volle Finanzierung durch den Arbeitgeber erhofft sich gar die IG Metall, wobei „ein erster Schritt überhaupt mehr bAV-Tarifverträge als bisher wären“, so Schminke. Die Chemie-Arbeitgeber wollen nicht schon vor Verhandlungsbeginn öffentliche Festlegungen treffen, aber es sei klar, dass “ein vereinbartes SPM attraktiv sein muss, wenn es akzeptiert werden soll“, so Mühl. Hintergrund: Die Änderungen an den Zusagearten und Versorgungsordnungen führten in der Vergangenheit oft zu Verschlechterungen für Arbeitnehmer. Das sei nicht das Ziel eines SPM.

 

Erste SPM doch erst 2020 umgesetzt?

 

Lutz Mühl, Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V…

Karch erhielt auf seine Frage, wann mit einem ersten SPM-Abschluss zu rechnen sei, sehr zurückhaltende Antworten. „Im Moment gibt es keine Bereitschaft der IG BCE zu konkreten Verhandlungen“, sagte Mühl. Schminke verwies auf den Gewerkschaftstag der IG Metall in diesem Herbst, wo der Ausbau der bAV über Tarifverträge ein Thema sein könne. Eine erste Bewegung könnte sich eventuell 2020 in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie ergeben. Bei ver.di laufen laut Kerschbaumer dieses Jahr viele Gespräche, doch ein Abschluss könnte unter Umständen noch bis 2020 dauern. Zur Erinnerung: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte den Tarifpartnern kürzlich zugerufen: „Es muss sich noch in diesem Jahr was bewegen, kommt aus den Strümpfen“.

 

Und die Produktanbieter? Von denen erwarten die Vertreter der Tarifparteien „Transparenz, Nachvollziehbarkeit und das Eingehen auf unsere Bedürfnisse“ (Schminke und Kerschbaumer) sowie Unterstützung, „um die größte Herausforderung – die Kommunikation mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern – erfolgreich zu bewältigen“, so Mühl.

 

Beauty Contest von Versicherern, Konsortien und Fondsgesellschaften

 

Lars Golatka, Zurich und Deutscher Pensionsfonds AG…

Anschließend stellten sieben Produktgeber in einer Art „Beauty Contest“ ihre SPM-Angebote näher vor. Im Mittelpunkt standen Gestaltungsfragen und Kapitalanlagestrategien. Dabei wurden solche Aspekte wie Rechnungssicherheit, Sicherungsbeitrag und Asset-Management-Ansätze beleuchtet. Fachlich ging es hart zur Sache. Lars Golatka, Vorstandsvorsitzender Deutscher Pensionsfonds AG und Leiter des Geschäftsbereichs bAV bei Zurich, präsentierte die Pensionsfonds-Lösung des Joint Ventures (mit HDI Talanx) namens „Die Deutsche Betriebsrente“, die mit ausgeklügelten kollektiven Puffern „Sicherheit statt Garantie“ biete. Ziele seien eine 35 Prozent höhere Startrente sowie 50 Prozent mehr Rentensumme als mit herkömmlichen bAV-Garantieprodukten (teilkollektives Modell in Anwartschaftsphase, kollektives Modell in Rentenphase). „Das Modell ist sofort einsetzbar“ sagte Golatka.

 

Michael Reinelt, Generali Pensionsfonds AG…

Bei Generali setze man ebenfalls auf einen nichtversicherungsförmigen Pensionsfonds, erklärte Michael Reinelt, Vorstand der Generali Pensionsfonds AG. Aktuell seien auch die nötigen digitalen Schnittstellen entwickelt und an die IT-Systeme in Unternehmen ankoppelbar. Auch Generali werde mit kollektiven Puffern arbeiten, um „Wackler“ bei der Kapitalanlage zu beherrschen, wo individuelle Asset-Strategien möglich seien.

 

 

Christian Remke, Metzler Pension Management GmbH…

In der Metzler Sozialpartner Pensionsfonds AG werde man nur für die Rentenphase auf kollektive Puffer setzen und während der Anwartschaftsphase eine vollständige individuelle Zuordnung der Beiträge vornehmen, erkläre Christian Remke, Sprecher der Geschäftsleitung der Metzler Pension Management GmbH. Statt auf eine Pufferbildung setze Metzler auf Wertsicherung schon im Anlagekonzept. Die erheblichen Kosten einer Beratung würden durch eine digitale Kommunikation vollständig ersetzt und das Informationslevel gut beherrschbar gemacht.

 

Peter Hermann, Allianz Lebensversicherung…

Die Allianz wiederum will durch intelligente Absicherung „Durchhänger bei den jährlich ausgewiesenen Ergebnissen vermeiden“, sagt Peter Hermann, Abteilungsleiter im Firmenbereich der Allianz Lebensversicherung. Das Produktkonzept, das gemeinsam von Allianz Leben und Allianz Global Investors aufgelegt werde, sehe eine Kombination aus chancenreichen Anlagen und einem Kapitalisierungsprodukt („Portfoliokonzept“) von Allianz Leben vor, das als stabilisierende Komponente wirke. Dabei werde ein Pensionsfonds-Konstrukt favorisiert, „doch das letzte Wort haben die Tarifpartner“. Dabei sei man nicht zwingend auf Sicherungsbeiträge angewiesen.

 

Unterschiedliche Sicherungssysteme für SPM

 

Rüdiger Bach, R + V Versicherungsgruppe…

Von der R+V, die ein gemeinsames SPM-Angebot mit Union Investment entwickelt hat, war zu hören, dass bei der Zielrendite Augenmaß nötig sei. „Es braucht Realismus für lange Zeiträume“, sagt Rüdiger Bach, Vorstand der R+V-Versicherungsgruppe. Man habe seit 2009 Erfahrung mit einem Spezialfonds, der als Blaupause für das SPM dienen könne und seither 4,8 Prozent Rendite pro Jahr eingebracht habe. Ein reines Aktienmodell sei nicht zielführend, da sinkende Anwartschaften und Renten unbedingt zu vermeiden seien. „Die Kosten für die operativen Systeme sind nur durch Digitalisierung beherrschbar“, so Bach weiter.

 

Michael Wilms, DWS…

Die DWS präferiert zwei Modelle. „Beim Zielkapital-Modell steht das Versorgungungskapital im Mittelpunkt der Kommunikation ohne Durationsabsicherung“, erklärte Michael Wilms, zuständig für Structuring & Insurance Analytics bei DWS International. Da würde man bei sinkenden Erträgen und damit sinkenden Renten ein Kommunikationsdesaster in Kauf nehmen müssen. Besser sei das Zielrenten-Modell, wo das Erwartungskapital im Mittelpunkt der Kommunikation stehe (tendenziell hohe Durationsabsicherung). Durch Puffer könne in beiden Modellen ein Risk-Return Profil erreicht werden, welches durch eine individuelle Lösung nicht möglich wäre.

 

Die „Initiative Vorsorge“, eine Kooperation fünf mittelständischer Versicherer und der HSBC Global Asset Management, warb für das SPM in Form einer Direktversicherung ohne Garantie. Man biete nur reine Alterssicherung und damit „einfache, preiswerte Abwicklung“. Zur Kapitalanlage werde je SPM ein Spezialfonds mit einem gemeinsamen Sicherungsvermögen für Anwärter und Rentner gebildet. Als Zielrendite werden 4,0 Prozent empfohlen.

 

Abschlussdiskussion: Tarifpartner und Anbieter auf einer Bühne

 

Auf die Frage nach Beratung und Beratungskosten aus dem Publikum gab es diplomatische Antworten – von „Automatismen im Tarifvertrag lösen das“ über „digitale Plattformen ersetzen Berater“ bis hin zu „Kosten für Anlage und Verwaltung muss man ehrlich diskutieren“. „Nebelkerzen der Anbieter in diesem Punkt sollten aufmerken lassen“, rief R+V-Mann Bach den anwesenden Tarifpartnern zu. Als Zusammenfassung des Kapitalanlageproblems, das in den Griff bekommen werden muss, sagte Metzler-Mann Remke: „Die Wackelkurve ist nun mal da, aber wir wollen sie durch tägliche Steuerung auch ohne Puffer in Richtung stetiger Ertrag bringen.“

und die drei Tarifpartner in der Diskussion mit Moderator Heribert Karch… Alle Fotos: Dietmar Gust / Euroforum.

Zum Schluss reagieren die Tarifpartner kurz auf die sieben vorgetragenen SPM-Angebote. „Das hinterlässt zunächst ein gutes Gefühl, die Anbieter sind vorbereitet, aber sie sind weiter als die Sozialpartner“, so Mühl. Für die IG Metall hörte sich alles spannend für einen ersten Überblick an, doch „ist dies schon der zweite Schritt vor dem ersten, also der Tarifverhandlung“, ergänzte Schimke. Für ver.di wird neben Verständnis auf Führungsebene die Kommunikation zu den Mitgliedern die eigentliche Herausforderung. „Mit Begriffen wie Wackelkurve motiviert man niemanden“, so Kerschbaumer.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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