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Staatsanleihen unter Solvency II:

„Sukzessive kritischere Sichtweise bei den Aufsichtsbehörden und in der Branche.“

 

BaFin-Chefin Elke König hat jüngst dringenden Handlungsbedarf bezüglich der Null-Prozent Unterlegung von Staatsanleihen im Baseler Regelwerk für Banken angemahnt sowie eine unerwünschte Verquickung von Banken und Staaten bemängelt. Felix Hufeld, Exekutivdirektor Versicherungsaufsicht bei der BaFin, spricht mit Leiter-bAV.de über die Situation bei den Versicherern.

 

 

Herr Hufeld, hat die BaFin die Vorbehalte, die Frau König gegenüber den Vorschriften für die Banken geäußert hat, auch gegenüber den analogen Vorschriften der Versicherer (Solvency II)?

 

Felix Hufeld, Exekutivdirektor Bafin
Felix Hufeld, Exekutivdirektor Bafin

Grundsätzlich ja, aber Solvabilität II führt nicht dazu, dass Staatsanleihen der EEA-Staaten vollständig risikofrei gewertet werden. Zum einen sind Staatsanleihen von EEA-Staaten, nach derzeitigem Stand der Verhandlungen der Durchführungsbestimmungen, lediglich im Rahmen der Standardformel von der Berechnung des Risikokapitals für das Spreadrisiko – also das Risiko aufgrund gegenläufiger Entwicklungen einzelner Kapitalanlagen – sowie bei der Berechnung des Risikokapitals für das Konzentrationsrisiko – also das Risiko aufgrund mangelnder Streuung der Kapitalanlagen – ausgenommen. In beiden Fällen gilt für Staatsanleihen von EEA Staaten ein Risikofaktor von Null. Diese Ausnahmeregelungen sind zudem an die Bedingung geknüpft, dass die Staatsanleihen in der eigenen Währung herausgegeben werden. Für Staatsanleihen, die von EEA Staaten in anderen Währungen als der Landeswährung ausgegeben werden, soll es lediglich eine zeitlich befristete Ausnahmeregelungen geben, also eine Übergangsregel für einen Zeitraum von drei Jahren nach Einführung von Solvabilität II.

Bei der Berechnung des Risikokapitals für das Zinsänderungsrisiko sind Staatsanleihen demgegenüber sehr wohl mit einzubeziehen. Hierbei fließen – wie bei anderen Anleihen auch – deren Duration und der Zins der Anleihen in die Berechnung mit ein.

Zum anderen sind die gerade dargestellten Ausnahmeregelungen zur Behandlung der Staatsanleihen unter der Standardformel nicht so zu interpretieren, dass die Unternehmen sich mit den verbundenen Risiken nicht mehr beschäftigen brauchen. Im Gegenteil: Sie sind verpflichtet, im Rahmen der unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung – also des Own Risk und Solvency Assessment ORSA – eine umfassende Risikoeinschätzung vorzunehmen, die selbstverständlich auch die eingegangenen Investments mit umfasst. Denn Versicherer dürfen nur in solche Kapitalanlagen investieren, deren Risiken sie erkennen, messen, überwachen, managen, steuern und berichten, sowie bei der Beurteilung ihres Gesamtsolvabilitätsbedarfs im Rahmen des ORSA angemessen berücksichtigen können. Für Staatsanleihen bedeutet dies, dass die Unternehmen die Risikohaftigkeit ihrer entsprechenden Investments beurteilen und als Teil der Schätzung ihres Gesamtsolvabilitätsbedarfs in der Erstellung des ORSA auch mit quantifizieren müssen. Diese Anforderung gilt für alle Unternehmen, auch solche, die nur die Standardformel berechnen.

 

 

Sehen Sie auch eine unerwünschte Verquickung nicht nur von Banken und Staaten, sondern hier auch von Versicherern und Staaten – respektive von Banken, Versicherern und Staaten?

 

Jede Kapitalanlage hat eine „Verquickung“ zur Folge. Diese ist nicht per se negativ und auch Voraussetzung für die Erfüllung gesamtwirtschaftlicher Funktionen. Für die Aufsicht stellt sich die Frage, wann eine solche Verquickung bedenklich wird – sowohl im Hinblick auf das Risiko für das einzelne Unternehmen, als auch im Hinblick auf das gesamte Wirtschaftssystem.

Anlagen bei Kreditinstituten als auch Staatsanleihen sind traditionell wesentliche Bausteine der Kapitalanlage von Versicherern gewesen, da sie als sicher galten. Sukzessive hat sich sowohl bei den Aufsichtsbehörden in Deutschland und Europa als auch in der Branche eine kritischere Sichtweise etabliert. Auf Grund der Langfristigkeit der Kapitalanlage von Versicherungsunternehmen zeigen Änderungen in der Neuanlage aber erst allmählich breitflächig Wirkung. Nach Ansicht der BaFin hat die Branche jedoch den richtigen Weg eingeschlagen, um Verquickungen auf ein aufsichtlich akzeptables Maß zu beschränken.

 

 

Wenn nicht Null Prozent für Govies, welche Größenordnung würden Sie für die Versicherer für angemessen halten?

 

Zum Versicherungsbereich kann die BaFin dies derzeit nicht abschätzen. Für das Spreadrisikomodul wurden die Schockfaktoren in Abhängigkeit von der Duration, dem Rating und der Art des Vermögensgegenstandes kalibriert. Würde man sich auf europäischer Ebene entscheiden, den generellen Kalibrierungsansatz im Spreadrisikomodul der Standardformel auf europäische Staatsanleihen auszuweiten, müsste man pro Ratingklasse und Duration für diese Papiere Schockfaktoren festlegen. Da eine solche Regelung bisher nicht vorgesehen war, lässt sich im Vorfeld nicht abschätzen, ob europäische Staatsanleihen dann einer bestehenden Anlageklasse zugeordnet beziehungsweise inwieweit sie als gesonderte Anlageklasse innerhalb des Spreadrisikomoduls erfasst werden müssten.

 

 

Zu Beginn sagten Sie, dass Sie „grundsätzliche Vorbehalte“ auch gegenüber den betreffenden Vorschriften bei Solvency II haben. Wie sähe ein möglicher Handlungsbedarf konkret aus?

 

Es handelt sich um einen Diskussions- und Entwicklungsprozess, der auf nationaler und auf europäischer Ebene stattfindet. Ziel sollte sein, dass das Spreadrisiko von Staatsanleihen zu einem angemessenen Zeitpunkt auch in der Säule I, also dem quantitativen Teil von Solvency II, erfasst wird. Wichtig ist, hier auch auf einen Gleichklang mit den Vorschriften in anderen Finanzsektoren – zum Beispiel dem Bankensektor – zu achten, um regulatorische Arbitrage zu vermeiden.

 

 

Hat die BaFin auf der nationalen Ebene die grundsätzliche Möglichkeit, hier etwas zu ändern? Oder beschränkt sich dies auf die Prüfung der internen Modelle?

 

Nein, grundsätzlich kann die BaFin die Kapitalanforderungen nach der Standardformel national nicht anpassen. Dennoch ergibt sich ein Handlungsspielraum der BaFin nicht nur bei der Prüfung interner Modelle.

Investitionen in Staatsanleihen werden auch in der regulären Aufsichtstätigkeit der BaFin eine Rolle spielen. Denn die Unternehmen sind wie erwähnt verpflichtet, im Rahmen des ORSA eine umfassende Risikoeinschätzung vorzunehmen, die selbstverständlich auch die eingegangenen Investments mit umfasst. In diesem Zusammenhang sind die Unternehmen auch verpflichtet, die Betrachtung ihrer Kapitalanlagen in ihr Risikomanagementsystem mit aufzunehmen.

 

 

Gleichwohl zum Sachstand bei den internen Modellen: Nach derzeitigem Stand gibt es in Deutschland deren viere, richtig?

 

Zum 1. Januar 2016 planen insgesamt drei Versicherungskonzerne mit Sitz in Deutschland, ein internes Modell zu verwenden. Ein weiterer Versicherungskonzern mit Sitz in Deutschland plant, ein partielles internes Modell zu verwenden – ebenfalls zum 1. Januar 2016.

 

 

Zum Abschluss, da Sie ORSA ansprachen: Der im Umlauf befindliche Vorabentwurf der neuen Pensionsfondsrichtlinie sieht analog zum ORSA ein Risk Evaluation for Pensions vor. Was für ein Risikosystem würden Sie für EbAV favorisieren?

 

Derzeit handelt es sich, wie Sie bereits selber sagen, um einen Vorabentwurf, von dem zudem mehrere Versionen existieren. Ich werde mich zu Ihrer Frage gerne äußern, wenn wir einen Schritt weiter sind und der offizielle Entwurf der neuen Pensionsfondsrichtlinie veröffentlicht worden ist.

 

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